UNIVERSITÄT ZU KÖLN Seminar für Sozialpolitik Prof. Dr. Hans Jürgen Rösner. Gliederung. 1. Reformnotwendigkeiten in Deutschland



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Transkript:

UNIVERSITÄT ZU KÖLN Seminar für Sozialpolitik Prof. Dr. Hans Jürgen Rösner Gliederung 1. Reformnotwendigkeiten in Deutschland Hauptseminar SS 2003: Soziale Sicherungssysteme im internationalen Vergleich 2. Das Drei-Säulen-Modell der Schweiz 2.1 Entstehung 2.2 Struktur des Schweizer Drei-Säulen-Modells Das Schweizer Alterssicherungssystem Vorbild für Deutschland? 3. Das Schweizer Modell Reforminspiration für Deutschland? 3.1 Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Rentensysteme in Deutschland und der Schweiz 3.2 Vorteile und Probleme des Schweizer Modells Tina Kaiser 9. Fachsemester, VWL soz. (Diplom) 3.3 Übertragbarkeit des Schweizer Modells auf Deutschland 4. Fazit Köln, den 10.07.2002

1. Reformnotwendigkeiten in Deutschland - das Deutsche Alterssicherungssystem hat mit drei großen Problemen zu kämpfen: 1. Demographie 2. hohe Arbeitslosigkeit 3. zu viele Frührentner - deshalb hat die Bundesregierung 2001 eine Reform beschlossen > die Riester Rente - Kerninhalte: 1. Rentenniveau und Beiträge der GRV wird gesenkt 2. gleichzeitig soll die private Zusatzvorsorge steuerlich gefördert werden - Reform reicht nicht aus: GRV beklagte Anfang des Jahres Milliardenloch in der Kasse - Die Beitragssätze werden zum Jahresende wieder steigen weitere grundlegende Reformen sind notwendig - kann das Schweizer Modell dabei Vorbild sein? 2. Das Drei-Säulen-Modell der Schweiz 2.1 Entstehung - Schweizer Alterssicherungssystem hat sich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern auf bundesstaatlicher Ebene erst sehr spät entwickelt - Zwei Gründe: 1. Föderalstaat: Zentralstaat darf nur Aufgaben übernehmen, wenn er kraft Verfassung ausdrücklich zuständig ist. 2. Direkte Demokratie: Volk muss beschlossenen Gesetzen in Volksabstimmungen zustimmen - hat die Entwicklung der Alterssicherung auf bundesstaatlicher Ebene gebremst - heute besteht das System aus drei Säulen: Erste Säule: Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (AHV/IV) und Ergänzungsleistungen (EL) Zweite Säule: berufliche Vorsorge (BV) Dritte Säule: individuelle Selbstvorsorge - 1948: Einführung der AHV, maßgeblich beeinflusst durch Beveridge Grundsicherung des Volkes - 1960: Ergänzung durch die IV - Ziel der Existenzsicherung konnte nicht erreicht werden, deswegen wurden EL 1966 hinzugefügt

- Leistungen der ersten Säule waren sehr gering, deswegen wurde das System um eine zweite und dritte Säule ergänzt, die 1972 in der Verfassung verankert wurde 2.2 Struktur des Schweizer Drei-Säulen-Modells - Seit 1985 ist die BV obligatorisch und die private Zusatzvorsorge wird steuerlich begünstigt

3. Das Schweizer Modell Reforminspiration für Deutschland? 3.1 Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Rentensysteme in Deutschland und der Schweiz - Offenkundigste Gemeinsamkeit: Drei-Säulen-Konstruktion - Erste Säule: in beiden Ländern umlagefinanziert und staatlich - Zweite Säule: betriebliche Vorsorge mit Kapitaldeckung - Dritte Säule: private Selbstvorsorge mit Kapitaldeckung - Ausgestaltung und Funktionen der Bausteine weisen jedoch deutliche Unterschiede auf - das liegt nicht zuletzt an den historischen Wurzeln der Systeme: BRD > Bismarck, Schweiz > Beveridge - Ländervergleich im Detail: Erste Säule Deutschland Schweiz Erste Säule GRV AHV Finanzierungsverfahren Umlage Umlage Obligatorisch/Freiwillig Pflichtsystem Pflichtsystem Finanzierungsart Beiträge von AN/AG Beiträge von AN/AG Staatszuschuss Staatszuschuss Personenkreis Arbeitnehmer Gesamte Sicherungsziel Sicherung des angemessenen Lebensstandards Bezugsgröße Lohn der Arbeitnehmer Wohnbevölkerung Existenzsicherung AN: Lohn Selbständige: Erwerbseinkommen Nichterwerbstätige: Vermögen + Renteneinkommen Bemessungsgrenze Ja Nur bei Nichterwerbstätigen Beitragssatz AN und AG zusammen 19,5 % AN und AG: 10,1 % Selbständige: 9,5 Nichterwerbstätige: je nach soz. Verhältnissen

Zweite Säule Deutschland Schweiz Zweite Säule Betriebliche Vorsorge Betriebliche Vorsorge Finanzierungsverfahren Kapitaldeckung Kapitaldeckung Obligatorisch/Freiwillig Freiwillig Obligatorisch Personenkreis Arbeitnehmer Arbeitnehmer Sicherungsziel Zusatzvorsorge Zusammen mit erster Säule: angemessene Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung Reichweite bei 25 90 Beschäftigten in Privatwirtschaft in % Betrieblicher 5 >50 Alterssicherungsanteil in % BV-Vermögen in % des 5,6 83,7 BIP (1997) Dritte Säule - in beiden Ländern haben Bürger die Möglichkeit, über gesetzliche und betriebliche Vorsorge hinaus zu sparen - beide Länder sehen in gewissen Grenzen staatlicher Förderung vor - Schweiz: gebundene Selbstvorsorge beschränkt sich auf private Anlageformen - Deutsche: haben seit 1.1.2002 die Möglichkeit, entweder in privaten oder betrieblichen Anlageformen mit Förderung vorzusorgen - Wichtiger Unterschied zur normalen betrieblichen Vorsorge: Arbeitgeber sind nur verpflichtet, die BV zu organisieren, müssen sich aber finanziell nicht beteiligen

3.2 Vorteile und Probleme des Schweizer Modells Vorteile - als größte Stärke des Schweizer Modells gelten nicht eine besonders große Anzahl innovativer Elemente, sondern das aufeinander abgestimmte Gesamtkonzept der drei Säulen Erste Säule und damit Umlageverfahren hat geringeres Gewicht als in Deutschland -> höhere Resistenz gegenüber Demographie durch mehr Kapitaldeckung Breitere Risikoverteilung durch gleichmäßige Gewichtung der beiden Finanzierungsverfahren -> höhere Stabilität und Flexibilität OECD: Schweiz ist besser für die demographischen Herausforderungen gewappnet als die meisten OECD- Länder - politische und gesellschaftliche Akzeptanz: ist in der Schweiz hoch. Gründe: politisch direkt vom Volk legitimiert und außerdem deshalb akzeptiert, weil es derzeit gut funktioniert und gelobt wird. Sinkt die Akzeptanz droht moral hazard. - Weitere vorteilhafte Elemente: Obligatorium der BV: Schweizer sorgen in größerem Maße jenseits der ersten Säule vor Einbeziehung der gesamten Wohnbevölkerung in die AHV: -> breite Basis verbessert die Risikostreuung, Annäherung an die Gauß sche Normalverteilung bessere Einkommensstruktur, da auch Selbständige, Beamte und (vermögende) Nichterwerbstätige in der AHV pflichtversichert sind keine BMG für weite Teile der AHV-Versicherten: Besserverdienende zahlen unbegrenzt in die AHV ein Solidarischer: auch wohlhabende Nichterwerbstätige zahlen mit ihrem Vermögen und ihren Einkünfte in die AHV ein Vorruhestand ist in der Schweiz teurer: jedes Jahr in Frührente ergibt 6,8 Prozent Abschlag von der monatlichen Rente. BRD: 3,6 Prozent Schweizer haben außerdem Anreiz, länger erwerbstätig zu bleiben: Arbeiten sie fünf Jahre länger, können sie ihre Rente um fast ein Drittel aufbessern Wirkung: Schweizer gehen mit fast 65 Jahren in Rente, Schweizerinnen mit knapp 63 Jahren. Deutsche: 62 1/2 Jahre

Probleme: - Systemunabhängig: auch Schweiz hat mit Demographie und Arbeitslosigkeit zu kämpfen, wenn auch auf niedrigerem Niveau als andere Länder - Im Folgenden: Systemimmanente Schwächen: AHV und IV verfehlen ihr verfassungsmäßiges Ziel der Existenzsicherung. Zumindest in städtischen Gebieten könnte kein Rentner aus den AHV-Pensionen allein seinen Lebensunterhalt finanzieren. Wer keine privaten Rücklagen gebildet hat und nicht unter das BV- Obligatorium fällt, ist auf EL angewiesen. EL war jedoch ursprünglich nur als Übergangslösung geplant. Auch die zweite Säule verfehlt ihr Ziel: Sie soll gemeinsam mit erster Säule durch eine Ersatzquote von 60 Prozent die angemessene Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung garantieren. 60 Prozent reichen aber bei niedrigen Gehältern gar nicht aus. Außerdem sind Erwerbstätige mit weniger als 25.320 SFr. Jahresverdienst von der BV ausgeschlossen. Betrifft 23 Prozent der Erwerbstätigen. Kapitalgedeckte Finanzierung der BV: Pensionskassen sind durch Aktienflaute unter Druck geraten. Durchschnittliche Unterdeckung von zehn Prozent. 50 Milliarden SFr. fehlen, um alle Renten in der garantierten Höhe auszuzahlen. -> Staat hat garantierten Mindestzins von 4 auf 3,25 Prozent abgesenkt. Dabei waren Pensionskassen schon vorher im internationalen Vergleich nur mäßig ertragreich. Demographie kann auch für Kapitaldeckung zum Problem werden: -> zunehmende Lebenserwartung -> Inflation und Wertzerfall durch kollektives Entsparen Kein Wettbewerb unter den BV-Kassen: Versicherte können sich ihre Kasse nicht aussuchen. Folge: schwache Erträge und geringe Berücksichtigung der Präferenzen der Versicherten. Aber: Fehlender Wettbewerb erspart auch Kosten. Dennoch: Kopplung der BV an den Arbeitgeber ist nicht mehr zweitgemäß wegen vielfältigen Beschäftigungsformen und diskontinuierlichen Erwerbsbiographien

3.3 Übertragbarkeit des Schweizer Modells auf Deutschland - grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: Übertragung des gesamten Modells oder Teile integrieren Keine Notwendigkeit der Mindestsicherung über die Sozialversicherung: dafür gibt es Sozialhilfe und Grundsicherung Möglichkeit 1: Übernahme des kompletten Schweizer Modells - d.h. Rückführung der GRV auf ein Existenzsicherungsniveau verbunden mit obligatorischer BV - These: grundlegender Systemwechsel, der mit kaum lösbaren Problemen verbunden wäre. Warum? Theorie der Pfadabhängigkeit: Wohlfahrtstypen folgen einem historisch angelegten Entwicklungspfad, von dem sie auch bei Reformen nicht abweichen. Übergang vom Deutschen zum Schweizer Modell wäre aber ein Übergang von Bismarck zu Beveridge. Aufgabe des Äquivalenzprinzips bei Rückführung der GRV auf Grundrente. Folgen: Akzeptanzprobleme (moral hazard), rechtliche Probleme und kurzfristig hohe Staatsausgaben Aufhebung der BMG: widersprich ebenfalls Verfassungsauslegung Verbreiterung des Personenkreises der GRV: rechtliche Hürden Möglichkeit 2: Integration einzelner Elemente des Schweizer Modells a) Erweiterung des Personenkreises der GRV Vorteil: - würde zu größerer Risikostreuung führen, die Einkommensstruktur könnte sich verbessern, die Einnahmen würden kurzfristig steigen Nachteile: - langfristig stehen den höheren Einnahmen aber auch höhere Ausgaben gegenüber, dazu kommt, dass sich die Ausweitung sogar kontraproduktiv auswirken könnte. Z.B. wenn die zusätzlichen Anspruchsberechtigten eine höhere Lebenserwartung haben oder ein größeres Invaliditätsrisiko. - Dazu kommen die bereits beschriebenen rechtlichen und politischen Hürden - Zusatzkosten des Staates für Beamte, Soldaten und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Bund: 1,7 Milliarden jährlich, Länder und Kommunen: 10 Milliarden Euro jährlich

b) Eindämmung des Vorruhestandes - aktuelle Debatte: Renteneintrittsalter anheben - sinnvoller: tatsächliche Rentenalter an gesetzliche Grenze von 65 Jahren heranzuführen - Schweiz hat hier Vorbildcharakter, da die höheren Rentenkürzungen zu weniger Frührentnern führen c) Stärkung des Kapitaldeckungsverfahrens - entlastet die umlagefinanzierte erste Säule, die erhebliche Finanzierungsprobleme hat - Paradigmenwechsel wurde durch Rentenreform 2001 bereits eingeleitet - Aber: auch Kapitaldeckung birgt Gefahren. Mehrsäuliges Rentenmodell kann Risiken diversifizieren und so für mehr Stabilität sorgen. Kapitaldeckung fügt aber auch neue Risiken hinzu. d) Obligatorische betriebliche Vorsorge - Rentenreform von 2001 sollte die betriebliche und private Zusatzvorsorge auf freiwilliger Basis fördern. Problem: Erfolge bleiben aus, da offensichtlich die Anreize falsch gesetzt sind - Nur jeder zweite legt derzeit ausreichend Kapital an - Ändert sich das nicht, droht Altersarmut - Ausweg aus dem Dilemma könnte die Einführung eines Obligatoriums sein - In Deutschland ist eine betriebliche Pflichtversicherung aber nicht populär - Statt dessen gibt es andere Vorschläge: - Bundesregierung möchte die Riester-Rente vereinfachen und so Anreize verbessern - Größere Verbreitung der betrieblichen Vorsorge soll über Flächentarifverträge erreicht werden. In vielen Branchen ist das bereits geschehen - Vorschlag Bertelsmann-Stiftung: Automatischer Einbezug in die BV beim Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags 4. Fazit - auch wenn dem Schweizer Alterssicherungssystem Modellcharakter zugeschrieben wird, hat es auch Probleme und Schwächen - allerdings ist es für die Probleme der Gegenwart und Zukunft besser gewappnet als andere Rentensysteme auch als das deutsche - Übertragung 1:1 nicht möglich oder sinnvoll - Liegt nicht nur am Schweizer Modell an sich: ein übertragbares Idealmodell kann es nicht geben

- Grund: demographische, ökonomische, historische und kulturelle Unterschiede zwischen den Ländern - Aber: Reforminspirationen können sich die Deutschen sehr wohl bei den Schweizern holen - Erste Schritte Richtung mehr Schweiz wurden bereits in der Reform 2001 gemacht - Diese Linie sollte Bundesregierung weiterverfolgen - Ausbau der zweiten und dritten Säule würde größere Stabilität schaffen - Kein leichter Weg: Reformen belasten die heutigen Generationen, also die Wähler