Morphologische Komplexität in germanischen Sprachen am Beispiel der Pluralbildung



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Transkript:

Morphologische Komplexität in germanischen Sprachen am Beispiel der Pluralbildung Gastvortrag Universität Wuppertal 28. November 2012 Sebastian Kürschner sebastian.kuerschner@fau.de

Komplexität - ein Jokerbegriff? Komplexität als Terminus in der Linguistik häufig relativ intuitiv verwendet (aber intuitiv tatsächlich greifbar) häufig in der Verwendung nicht sauber definiert Empirische und theoretische Fundierung in den letzten Jahren verstärkt Thema linguistischer Forschung

Neuerdings ein In -Gebiet der Linguistik Dahl (2005): The growth and maintenance of linguistic complexity Hawkins (2004): Efficiency and complexity in grammars Kortmann und Szmrecsanyi (2012): Linguistic complexity. Kusters (2003): Linguistic complexity. The influence of social change on verbal inflection McWhorter (2001): The world s simplest grammars are creole grammars McWhorter (2011): Linguistic simplicity and complexity. Why do languages undress? Miestamo/Sinnemäki/Karlsson (2008): Language complexity. Typology, contact, change. Sampson, Gil and Trudgill (2009): Language complexity as an evolving variable. Trudgill (2011): Sociolinguistic typology. Social determinants of linguistic complexity

Gliederung 1. Was ist sprachliche Komplexität? 2. Komplexitätsbestimmung: Ein Modell 3. Morphologische Komplexität am Beispiel der Pluralbildung am Substantiv in germanischen Sprachen

1. Was ist sprachliche Komplexität?

Divergierende Ansätze Ansatz A: Alle Sprachen sind gleich komplex Sprachen mit ausgebauter Morphologie sind syntaktisch einfacher und umgekehrt Trade-offs zwischen linguistischen Beschreibungsebenen Ansatz B: Sprachen können unterschiedliche Komplexität aufweisen unterschiedliche Komplexität von Sprachen ist zumindest nicht widerlegbar Sprachnutzer nutzen nicht den vollen Komplexitätsrahmen von Sprache aus Pole einer Komplexitätsskala unbekannt Trade-off-Effekte daher irrelevant für Berechnung der Komplexität: Absolutum wird nicht ausgeschöpft vgl. Sinnemäki (2008)

Komplexitätsmessung Sprachsystem hat einen Komplexitätsgrad, der aus dem Vergleich mit anderen Sprachsystemen zu ermessen ist absoluter Ansatz: die Systemeigenschaft der Komplexität steigt mit der Anzahl der vorhandenen Einheiten im System der Länge der kürzestmöglichen Beschreibung für ein System relativer Ansatz: Komplexität als Lernschwierigkeit steigt mit the amount of effort an outsider has to make to become acquainted with the language in question (Kusters 2003:6) Outsider = L2-Lerner

Relativer vs. absoluter Ansatz (Miestamo 2008) Relativer Ansatz, z. B. Kusters: Absoluter Ansatz, z. B. McWhorter, Dahl: Komplexitätsbegriff relativ zu einem erwachsenen Zweitsprachenlerner komplex ist, was für den Zweitsprachenlerner komplex zu lernen ist auch bezeichnet als Kompliziertheit Problem: für einen deutschsprachigen Sprecher ist z. B. Niederländisch schon aufgrund des Wortschatzes weniger komplex als z. B. Finnisch Komplexitätsbegriff an Anzahl von Regeln geknüpft z. B. Sprache mit hoher Pluralallomorphie komplexer als Sprache mit geringer Pluralallomorphie z. B. Flexionsklassen- und Genusmarkierer nicht in allen Grammatiken der Welt enthalten; Sprachen mit solchen Markern daher komplexer als Sprachen ohne solche Marker Problem: ohne jeglichen Bezug zum Sprachnutzer bleibt die Relevanz des Konzepts Komplexität unklar

Relative und absolute Ansätze Evidenz aus purer Systembeschreibung vs. Evidenz aus Beobachtung in Spracherwerb, -verarbeitung, -geschichte, etc. Allgemeingültigkeit und interlinguale Vergleichbarkeit vs. empirische Fundierung (relativ zu Sprachnutzergruppen) Relationspunkt Erstspracherwerb vs. Zweitspracherwerb Erstspracherwerb unabhängig von einer Ausgangssprache Zweitspracherwerb erstsprachenabhängig

Weitere Probleme bei der Bestimmung von Komplexität Produktion vs. Rezeption ökonomisch sprechen vs. korrekt dekodieren ist ein Nullplural (dt. die Messer) komplexer als ein suffigierter Plural (dt. die Autos)? Produktion: nein Rezeption: ja Langue vs. Parole Quantifizierung in der Beschreibung des Sprachsystems Quantifizierung in der Auftretenshäufigkeit (Tokenfrequenz), vgl. Kortmann/Szmrecsanyi (2009)

Weitere Probleme bei der Bestimmung von Komplexität Overte vs. versteckte Komplexität (Bisang 2009) ostasiatische Sprachen: Marker mit geringer Obligatorik und hoher funktionaler Variabilität geringe Anzahl an Markern korreliert mit großer Bedeutungsvielfalt geringe quantitative, aber hohe qualitative Komplexität Utterances often look simple at their surface, but they may represent a number of different constructions. (Bisang 2009, 38)

Spannungsfeld der Komplexitätsbestimmung versteckte Komplexität Bedeutungsumfang Produktion Ökonomie Langue-basiert Systemkomplexität Relative Methode Geringe Objektivität Absolute Methode Frage der Relevanz Parole-basiert Nutzungskomplexität Rezeption korrekte Dekodierung Overte Komplexität Markeranzahl

2. Komplexitätsbestimmung: Ein Modell

Was tun??? Kompromiss zwischen absoluten und relativen Ansätzen (Dammel/Kürschner 2008) 1. Stufe: quantitative, rein datenbasierte Messung von Systemkomplexität (absolut) 2. Stufe: Messung von Komplexität auf Basis von theoretischen Modellen der Sprachverarbeitung absolut, da Modelle Allgemeingültigkeitsanspruch haben relativ, da sie Sprachnutzer modellieren 3. Stufe: Validierung der in Stufe 1 und 2 erzielten Ergebnisse anhand von Sprachnutzerdaten (relativ)

Modell der morphologischen Verarbeitung Natürlichkeitstheorie begründet von Willi Mayerthaler (1981), Hauptvertreter Wolfgang U. Dressler, Wolfgang U. Wurzel Vorteil: universell, einfach, geradlinig Nachteil: universelle Richtung in sprachgeschichtlichen Untersuchungen häufig als zu stark simplifizierend erwiesen; geringer Erklärungswert Drei universelle Prinzipien: konstruktioneller Ikonismus: markierte Kategorien werden durch formales Mehr ausgedrückt Transparenzprinzip: Informationseinheiten sind separierbar und formal eindeutig - 1:1-Form-Bedeutungs-Verhältnis Uniformitätsprinzip: keine Allomorphie 1:1-Bedeutungs-Form-Verhältnis

Konstruktioneller Ikonismus Singular unmarkiert, Plural markiert Voraussage: Pl. wird merkmalhafter gebildet als Sg. Hund - Hund-e Haufen - Haufen

Transparenzprinzip 1:1-Form-Bedeutungs-Verhältnis Voraussage: Jedem segmentierbaren Morph entspricht genau eine Bedeutung. Licht-er-n Pl.-Dat. (aber: Dat./Pl.) gib-st 2.Ps./Sg. Häfen Pl.

Uniformitätsprinzip 1:1-Bedeutungs-Form-Verhältnis Voraussage: Jede Bedeutung wird durch genau einen Marker ausgedrückt, der immer in gleicher Form auftritt. Dat. Pl.: Lichter-n, Hunde-n, Gründe-n, Hämmer-n, Nägel-n, Wagen, Taschen Pl.: Licht-er, Hund-e, Gründ-e, Hämmer, Wagen-0, Tasche-n

Prinzipien basieren auf Markiertheitstheorie Markiertheit Hierarchische Organisation der Werte einer Kategorie unmarkiert: Normalfall (in Kategorie Numerus: Singular) markiert: Abweichung vom Normalfall (in Kategorie Numerus: Plural) Wie bestimmt man den Normalfall? psycholinguistisch basiert: häufigeres Vorkommen/Verwendung einer Kategorie früherer Erwerb einer Kategorie im Erst- und Zweitspracherwerb geringere Schreib-/Sprech-Fehlerquelle bei Aphasie geringere Probleme tendiert sprachgeschichtlich nicht zum Abbau

Parameter zur Komplexitätsmessung Absolute Komplexitätsmessung Vorhandensein von Kategorien (Inventar) Anzahl der Kategorienausprägungen Anzahl der verwendbaren / häufig verwendeten Marker

Parameter zur Komplexitätsmessung Qualitative (theoriebasierte) Komplexitätsbewertung Vergleich qualitativer Kriterien z.b. Qualität verschiedener Techniken der Realisierung von Plural mit Hinblick auf Markiertheitstheorie, vgl. Suffigierung (Auto-s) Nullplural (Messer) Umlaut (Mütter) Validierung: Effekte für den Nutzer (Kompliziertheit) Verallgemeinerbare Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung (sowie Sprachverarbeitung etc.), soweit möglich

3. Morphologische Komplexität am Beispiel der Pluralbildung am Substantiv in germanischen Sprachen

Beispiel: Pluralmarkierung in germanischen Sprachen Englisch: Bedeutung: Plural wenig Allomorphie fast immer suffigiert Isländisch Bedeutung: Numerus und Kasus fusioniert viel Allomorphie neben Suffigierung auch Stammallomorphie und Nullplurale Sg. horse Pl. horse-s Nom. Sg. hest-ur Nom. Pl. hest-ar Gen. Pl. hest-a Dat. Pl. hest-um Akk. Pl. hest-ar

Beispiel: Pluralbildung am Substantiv Pluralbildung in zehn germanischen Sprachen westgerm.: Afrikaans (AFR), Deutsch (GER), Englisch (ENG), Friesisch (FRI), Luxemburgisch (LUX), Niederländisch (DUT) nordgerm.: Dänisch (DAN), Färöisch (FAR), Isländisch (ICL), Schwedisch (SWE) Kontrastive Untersuchung multidimensionaler Komplexitätsfaktoren Untersuchungsbereich: beschränkt auf das Substantiv rein morphologisch: Nominalphrase nicht berücksichtigt

1. Quantitative Komplexität Anzahl an produktiven/frequenten Pluralallomorphen

2. Qualitative Komplexität Formale Techniken: Stammalternation (fast) keine Stammalternation engl. dish dishes, dog - dogs Alternation stammauslautender Konsonanten lux. Bréif [f] Bréiwer [v], Glas [s] Glieser [z] Alternation des Stammvokals quantitativ: dan. blad [a] blade [a:] qualitativ (transparent): dt. Rat Räte, Ton Töne, Kunst - Künste qualitativ (opak): lux. Toun Téin Suppletion fär. Nom. Sg. dagur Nom. Pl. dagar Tag lux. Steen Steng Stein

Stammalternation

2. Qualitative Komplexität Formale Techniken: Abweichung vom Ikonizitätsprinzip Redundante Markierung dt. Buch Bücher isl. höfn hafnir Hafen nl. kind kind-er-en Nullmarkierung dän. år år Jahr dt. Messer Messer

2. Qualitative Komplexität Formale Techniken: Abweichung vom Ikonizitätsprinzip Subtraktion lux. Hond Honn Hund Fusionierte vs. separate Kasus-Numerus-Exponenz isl. hest-ar hest-a hest-um Pferd-Nom.Pl. Pferd-Gen./Akk.Pl. Pferd-Dat.Pl. dt. Pferd-e Pferd-e-n Pferd-Pl. Pferd-Pl.-Dat.

Abweichung vom Ikonizitätsprinzip

2. Qualitative Komplexität Konditionierung der Allomorphie Formbasierte Konditionierung auslautbasiert: engl. dish dishes [əәz], kid kids [z], cat cats [s] prosodisch: afr. beest beeste Kuh vs. appel appels Apfel Funktionsbasierte Konditionierung semantisch dän. [+belebt] udlænding udlændinge Ausländer [-belebt] blanding blandinger Mischung Genus schw. Neutrum Null, -n: ägg-0 Ei, bi-n Biene schw. Genus commune (V)r: bil-ar Autos, film-er, ros-or, radio-r Idiosynkratische Konditionierung Hund, Mund, Grund Hunde, Münder, Gründe

Konditionierung der Allomorphie

2. Qualitative Komplexität Determinationsrichtung Stamm determiniert formale Eigenschaften des Suffixes engl. s-plural prosodische Konditionierung (z.b. Afr., Nl.) trochäischer Stamm: unsilbisches Suffix, vgl. nl. ridder ridders Ritter kein trochäischer Stamm: silbisches Suffix, vgl. nl. hand handen Suffix determiniert formale Eigenschaften des Stamms z. B. Kopplung von Umlaut an er-suffix, vgl. Haus Häuser isl./fär. Hebungen, Brechungen und u-umlaut isl. Nom./Akk. Pl. firðir, Gen. Pl. fjarða, Dat. Pl. fjörðum Fjorde

Determinationsrichtung

Komplexität der Pluralmarkierung in germanischen Sprachen

3. Validierung (Beispiele) hohe Allomorphie komplexer als geringe Allomorphie Zweitspracherwerb: je höher die Anzahl an Allomorphen, desto schwieriger ist es, eine Sprache zu lernen (Jordens 2004: 1808) Lerner nutzen nur ein kleines Set an Allomorphen (Wegener 1994) fusionierte Exponenz komplexer als separate Exponenz Erstspracherwerb: A morpheme marking x is acquired before one that marks x + y, and so on (Clark 1998: 377)

3. Validierung (Beispiele) Stammalternation komplexer als simple Affigierung Zweitsprachenerwerb: Lerner des Deutschen vermeiden Umlautplurale (Wegener 1994) Nullplural komplexer als ausgedrückter Plural Zweitspracherwerb: keine Probleme mit Nullpluralen! (Wegener 1994)

Zusammenfassung Komplexitätsmetrik in drei Schritten quantitative Messung qualitative Bewertung Validierung Test der Metrik an der Pluralbildung am Substantiv Behandlung an einem einzigen morphologischen Phänomen Schon der konsequente Einbezug von Kasusallomorphie hätte die Ergebnisse verändert kein Einbezug der NP Validierung schwierig wegen sehr unterschiedlicher psycholinguistischer Forschungslage zu Einzelsprachen

Literatur Bisang, Walter (2009): On the evolution of complexity: Sometimes less is more in East and mainland Southeast Asia. In Sampson et al. (Hg.), 34-49. Clark, E.V. 1998. Morphology in language acquisition. In The handbook of morphology, A. Spencer and A. M. Zwicky (eds), 374-389. Oxford/Malden: Blackwell. Dahl, Östen (2004): The growth and maintenance of linguistic complexity. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins (= Studies in Language Companion Series 71). Dammel, Antje & Sebastian Kürschner (2008): Complexity in nominal plural allomorphy - A contrastive survey of ten Germanic languages. In: Matti Miestamo, Kaius Sinnemäki & Fred Karlsson (Hg.): Language complexity: Typology, contact, change. Amsterdam: John Benjamins, 243-262. Dammel, Antje, Sebastian Kürschner & Damaris Nübling (2010): Pluralallomorphie in zehn germanischen Sprachen: Konvergenzen und Divergenzen in Ausdrucksverfahren und Konditionierung. Erscheint in: Antje Dammel, Sebastian Kürschner & Damaris Nübling (Hg.): Kontrastive germanistische Linguistik. Hildesheim etc.: Olms (= Germanistische Linguistik 206-209), 587-642.

Literatur Hawkins, John A. (2004): Efficiency and complexity in grammars. Oxford/New York: Oxford University Press. Jordens, P. 2004. Second language acquisition. In Morphology: An International Handbook on Inflection and Word-Formation [HSK 17], G.E. Booij, Ch. Lehmann and J. Mugdan (eds), Vol. 2, 1806-1816. Berlin/New York: De Gruyter. Kortmann, Bernd & Benedikt Szmrecsanyi (2009): World Englishes between simplification and complexification. Kortmann, Bernd & Benedikt Szmrecsanyi (2012): Linguistic complexity. Second language acquisition, indigenization, contact. Berlin/New York: de Gruyter. Kusters, Wouter (2003): Linguistic complexity. The influence of social change on verbal inflection. Utrecht: LOT (= LOT 77). McWhorter, John H. (2001): The world's simplest grammars are creole grammars. In: Linguistic Typology 5:125-166. McWhorter, John H. (2011): Linguistic simplicity and complexity. Why do languages undress? Boston/Berlin: de Gruyter Mouton.

Literatur Miestamo, Matti, Kaius Sinnemäki & Fred Karlsson (eds., 2008): Language complexity. Typology, contact, change. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins. Sampson, Geoffrey, David Gil & Peter Trudgill (2009): Language complexity as an evolving variable. Oxford: OUP. Trudgill, Peter (2011): Sociolinguistic typology. Social determinants of linguistic complexity. Oxford: Oxford University Press. Wegener, H. 1994. Variation in the acquisition of German plural morphology by second language learners. In How tolerant is Universal Grammar? Essays on language learnability and language variation, R. Tracy and E. Lattey (eds), 267-294. Tübingen: Niemeyer. Wurzel, Wolfgang Ullrich (1990): Morphologisierung - Komplexität - Natürlichkeit: Ein Beitrag zur Begriffsklärung. In: Boretzky, Norbert; Enninger, Werner; Stolz, Thomas (Hgg.): Spielarten der Natürlichkeit Spielarten der Ökonomie. Beiträge zum 5. Essener Kolloquium über "Grammatikalisierung: Natürlichkeit und Systemökonomie" vom 6.10.-8.10. 1988 an der Universität Essen. Bochum: Brockmeyer (= Bochum-Essener Beiträge zur Sprachwandelforschung VIII), 2. Band, 1. Halbband, 129-153.