Entscheidungsfindung bei Terminüberschreitung



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Geburtseinleitung oder abwartendes Management? Bachelor-Thesis Mirjam Thomi und Priska Troxler Berner Fachhochschule Fachbereich Gesundheit Studiengang BSc Hebamme Bern, 2010

INHALTSVERZEICHNIS 1 Abstract... 3 2 Ausgangslage... 4 3 Einleitung... 4 4 Ziel... 6 5 Fragestellung... 6 6 Theoretischer Hintergrund... 7 6.1 Suchstrategie... 7 6.2 Geburtseinleitung... 8 6.3 Entscheidungsfindung... 15 6.4 Interdisziplinäre Zusammenarbeit... 19 7 Methode... 21 7.1 Rahmenbedingungen bei Praxisveränderungen... 21 7.2 Methode zur Erhebung des Kontextes... 22 7.3 Methode der Prozess- und Ergebnisevaluation... 23 7.4 Ethische Aspekte... 24 8 Ergebnisse... 25 8.1 Quantitative Ergebnisse... 25 8.2 Interviewauswertung... 26 8.3 Kontextbedingungen... 29 8.4 Ist-Sollzustand-Vergleich... 33 8.5 Diskussion des Vergleichs... 35 8.6 Massnahmen... 37 8.7 Projektplan... 37 9 Diskussion... 40 10 Schlussfolgerung... 45 11 Literaturverzeichnis... 47 12 Tabellenverzeichnis... 52 13 Abbildungsverzeichnis... 52 14 Abkürzungsverzeichnis... 53 15 Anhang... 54 2

1 ABSTRACT Hintergrund: In einem Kantonsspital werden häufig Geburtseinleitungen bei Terminüberschreitung erlebt. Die Entscheidung dazu ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Ziel: Die Bachelor-Thesis will ermitteln, wie die Entscheidung zum abwartenden Management oder zur Einleitung optimal gestaltet werden kann und welche Informationen Frauen mit physiologischem Schwangerschaftsverlauf für eine Entscheidung brauchen. Theoretischer Hintergrund: Literatur wurde auf Pubmed, Cochrane, Ovid und GFMER zu Geburtseinleitung, Entscheidungsfindung und interdisziplinäre Zusammenarbeit recherchiert. Der ideale Einleitungszeitpunkt ist noch unklar. Vorgeschlagen wird die Einleitung mit 41 0/7 und empfohlen mit 42 0/7 Schwangerschaftswochen. Shared Decision Making (SDM) ist das am weitesten entwickelte Konzept, um Entscheidungen zu treffen. Entscheidungshilfen unterstützen in der Entscheidungsfindung. Absprachen der Kompetenzen erleichtern die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Methoden: Die analysierte Literatur definiert den Soll-Zustand. Die aktuelle Situation in der Praxis wurde mittels Interviews mit Hebammen und der Ärzteschaft und klinikinternen Weisungen erhoben. Der Fokus der Interviews lag bei der Entscheidungsfindung. Die Inhaltsanalyse erfolgte nach Mayring (2003). Quantitativ wurden die Anzahl, der Zeitpunkt und der Geburtsmodus von Geburtseinleitungen eruiert. Massnahmen zur Veränderung der Praxis sind aus dem Ist-Sollvergleich abgeleitet und in einem Praxisprojektplan integriert. Ergebnisse: 2009 wurden in der Institution 22.8% der Geburten eingeleitet. Davon waren 51% regelrichtige Schwangerschaftsverläufe. Die qualitative Inhaltsanalyse ergab folgende Kategorien: 1. Situation der Frau, 2. Beratungsinhalte zur Geburtseinleitung und 3. Entscheidungsfindung. Die Analyse zeigt, dass die Informationsabgabe an die Frauen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit optimiert werden können. Diskussion/Schlussfolgerung: Wird SDM angewandt, kann die Frau in den Entscheidungsprozess integriert werden, so wie sie es wünscht. Dem Team wird vorgeschlagen, eine Entscheidungshilfe für Frauen mit evidenzbasierten Informationen zu erstellen. Eine Absprache der Kompetenzen erlaubt eine Optimierung der interdisziplinären Zusammenarbeit. Forschungsbedarf besteht zum Erleben der Frauen bei Einleitungen, zum idealen Einleitungszeitpunkt und zu verschiedenen Einleitungsmethoden. Schlüsselwörter: Geburtseinleitung, abwartendes Management, Entscheidungsfindung, interdisziplinäre Zusammenarbeit. 3

2 AUSGANGSLAGE In einem Schweizer Kantonsspital mit rund 600 Geburten pro Jahr werden regelmässig Einleitungen bei Geburtsterminüberschreitung durchgeführt. Um dem Ziel einer optimalen Betreuung der Frauen stets gerecht zu werden, möchte das geburtshilfliche Team in diesem Spital mehr Wissen über Kriterien erlangen, die zu einem positiven Outcome bei Einleitungen führen. Die Thematik ist sehr umfangreich und es scheint unklar, welche konkreten Schwierigkeiten in dieser Institution im Umgang mit Geburtseinleitungen vorhanden sind. Aus diesem Grund wurde entschieden, den Fokus auf den Anfang der Geburtseinleitung zu richten. Um zu einem positiven Outcome zu gelangen, bildet die Entscheidungsfindung zur Einleitung oder zum abwartenden Management die Ausgangslage für alle weiteren Massnahmen. 3 EINLEITUNG Fast ein Drittel aller Schwangerschaften dauern 41 Wochen und länger (Hohfeld et al., 2002). In nur 5% der Schwangerschaften kommt es allerdings zu einer Übertragung von 42 Wochen (Geist, 2005). Da in einer Studie der USA die Inzidenz der eingeleiteten Geburten mit 22% angegeben werden (Martin et al., zitiert in Moleti, 2009), scheint es, dass Geburten, welche in der Zeitspanne von 41 0/7 bis 42 0/7 Schwangerschaftswochen (SSW) stattfinden, zu einem grossen Teil eingeleitet wurden. Über die Häufigkeit von Geburtseinleitungen in der Schweiz liegen im Bericht des Bundesamtes für Statistik (BFS) keine Daten vor. Auch die World Health Organisation (WHO) liefert keine Zahlen zur Thematik. Da der Entschluss zur Beendigung der Schwangerschaft vor dem Einsetzen spontaner Wehentätigkeit ein sehr drastischer Eingriff in die natürlichen Abläufe von Schwangerschaft und Geburt darstellt, ist die Entscheidung dazu vorsichtig abzuwägen (Enkin. et al., 2006). Einerseits wird in mehreren Studien deutlich, dass das Risiko für perinatale Mortalität bei Übertragung erhöht ist und schon bei Terminüberschreitung anzusteigen scheint (Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF), 2010; Hohfeld et al., 2002; Gülmezoglu et al., 2009), anderseits erwähnen Husslein und Egarter (2006), dass es bei unreifen Zervixbefunden oft zu frustranen Einleitungsversuchen komme und die Geburten protrahiert verlaufen können. National Institute for Health and Clinical Excellence Guidelines (NICE) (2008) weist darauf hin, 4

dass die Rate von vaginal operativen Geburten bei Einleitung erhöht ist, häufigere fetale Überwachung nötig ist und auch mehr Analgetika verabreicht werden. Gülmezoglu et al. (2009) wiederum führen auf, dass weder die Rate von vaginal operativen Geburten noch die der Sectio caesare erhöht ist. Laut diesen Autoren kommt es bei Geburtseinleitungen zu weniger Mekoniumaspriationen sowie zu weniger hypertrophen Neugeborenen. Nicht selten wird in der Praxis die Erfahrung gemacht, dass die Frauen am errechneten Geburtstermin müde sind von der Schwangerschaft und gebären möchten. Eine Studie in der Leitlinie von NICE (2008) legt dar, dass die Zufriedenheit der Frau bei spontanen Wehen grösser ist als bei eingeleiteten Wehen. Das Kompetenzprofil der Hebammen Bachelor of Science (BSc) beschreibt, dass die Hebammen das Ziel verfolgen, im Rahmen der interdisziplinären Betreuung die Autonomie der Frau und ihrer Familie zu erhalten und zu stärken. Hebamme und Klientin begegnen sich partnerschaftlich und sind gleichberechtigt. Die Hebamme achtet auf adäquate Beratung und Information, welche eine gemeinsame Entscheidungsfindung und geteilte Verantwortung zum Ziel haben (KFH, 2007). Um einer Frau und ihrem Partner die Entscheidung zur Einleitung zu erleichtern, empfiehlt es sich, strukturiert vorzugehen. Dies erlaubt eine vollumfängliche Information und Integration der Frauen in die Entscheidungsfindung. Da es sich bei der Geburtseinleitung um eine medizinische Intervention handelt, arbeitet die Hebamme eng mit den ärztlichen Betreuungspersonen zusammen. Damit diese interdisziplinäre Zusammenarbeit optimal ist, braucht es eine einheitliche Meinungsbildung und Handlungsweise, in der sich die Frau verstanden und sicher aufgehoben fühlt. Mangelnde Kooperation und Kommunikation zwischen mehreren Berufsgruppen bilden oft die Grundlage für Fehler und unerwünschte Ergebnisse. Gute Zusammenarbeit fördert eine sichere und qualitativ hochwertige Betreuung (Schwarz, 2008). Ebenso beschreibt das Kompetenzprofil der Hebamme BSc die Wichtigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit (KFH, 2007). Im Leitbild des Spitals wird aufgeführt, dass die verschiedenen Berufsgruppen eng zusammenarbeiten und diese Zusammenarbeit von gegenseitiger Wertschätzung und Kommunikation untereinander geprägt ist. Die vorliegende Arbeit setzt sich mit den Themen Information, Einleitungsmethoden und interdisziplinäre Zusammenarbeit auseinander. Diese Aspekte sind grundlegend in der Betreuung einer Frau am Geburtstermin. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine vollumfängliche, evidenzbasierte Information über bestehende Optionen die Auto- 5

nomie der Frau und des Partners fördern und die Entscheidungsfindung erleichtern kann. 4 ZIEL Es werden Informationen erarbeitet, welche eine Frau mit physiologischem Schwangerschaftsverlauf braucht und die ihre Entscheidungsfindung bezüglich des Procederes begünstigen. Ziel dieser Arbeit ist es, dem Praxisort Möglichkeiten anzubieten, welche eine Veränderung oder Optimierung in der Betreuung und Beratung der Frauen am Geburtstermin bewirken können. 5 FRAGESTELLUNG 1. Welche evidenzbasierten Informationen und Interaktionen optimieren die Betreuung der Frauen am Geburtstermin? 2. Wie kann das Vorgehen am Geburtstermin einer schwangeren Frau im Kontext der interdisziplinären Zusammenarbeit erleichtert werden? Eingrenzung Die Arbeit hat aufgrund der umfangreichen Thematik und zeitlicher Ressourcen folgende Limitationen: nur gesunde Schwangere mit niedrigem Risiko am Geburtstermin, Einlingsschwangerschaft, Kind in Schädellage, nur die Einleitungsindikation Terminüberschreitung/Übertragung, die Methoden zur Geburtseinleitung werden nur ansatzweise beschrieben, kein Status nach Sectio. Auf die Art und Weise, wie Fachpersonen professionell kommunizieren, wird nicht eingegangen. Diese Selektion der Aspekte ist sinnvoll, um die Fragestellungen im Rahmen dieser Arbeit beantworten und die Ziele erreichen zu können. 6

6 THEORETISCHER HINTERGRUND Um dem Ziel einer optimalen Betreuung einer schwangeren Frau mit Terminüberschreitung gerecht zu werden, braucht es Hintergrundwissen und Konzepte aus aktueller Literatur. Dieses Kapitel soll den theoretischen Hintergrund zu Geburtseinleitung, Entscheidungsfindung und interdisziplinärer Zusammenarbeit aufzeigen. 6.1 Suchstrategie Die Suche zu den Themengebieten Geburtseinleitung, Entscheidungsfindung und interdisziplinäre Zusammenarbeit erfolgte auf folgenden Datenbanken: Pubmed, Cochrane Library, Ovid und Geneva Fundation for Medical Education and Research (GFMER). Search limits: human, English, French, German, published in the last 10 years Suchbegriffe: induction midwifery, midwifery induction care, elective induction of labour, bishop score, cervical ripening, labour induction outcome, near term pregnancy care psychology, informed choice maternity, informed choice induction, interdisciplinary collaboration midwifery, interprofessional collaboration, decision making midwifery. Die Datenbanken wurden zwischen dem 26.02.2010 und 04.05.2010 konsultiert. Suchergebnisse: induction midwifery, 41 Artikel; midwifery induction care, 45 Artikel; elective induction of labour, 213 Artikel; bishop score cervical ripening labour induction outcome, 66 Artikel; near term pregnancy care psychology, 4 Artikel; informed choice maternity, 25 Artikel; informed choice induction, 26 Artikel; interdisciplinary collaboration midwifery, 15 Artikel; interprofessional collaboration, 17 Artikel; decision making midwifery induction; 5 Artikel. Es wurden 43 Artikel nach Titeln, welche zur Fragestellung und Zielsetzung passten, ausgewählt, wovon eine pragmatische Auswahl nach Abstracts erfolgte. Einige Studien oder Artikel wurden durch die Referenzlisten von anderen Studien und Reviews ausfindig gemacht. Da die Geburtseinleitung ein gut erforschtes Gebiet ist, konnte direkt auf Leitlinien verschiedener Länder zurückgegriffen werden. Über Geneva Fundation for medical education and research (GFMER) wurden Leitlinien von Fachgesellschaften gesucht: AWMF, NICE, Toward optimized practice (TOP), Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie 7

und Geburtshilfe (SGGG) und die westaustralische King Edwards Memorial Hospital (KEMH) Guideline. Des Weiteren wurden Fachbücher über die Universitätsbibliothek sowie Expertenartikel aus Fachzeitschriften des deutschen und schweizerischen Hebammenverbandes, welche sich für die Beantwortung der Fragestellung eignen, beigezogen. Eine Entscheidungshilfe von Midwives Information and Resource Service (MIDIRS) ergänzt die Literatur zum Thema Informed Choice (informierte Wahl). Die Analyse der Studien, Reviews und Leitlinien erfolgte nach zusammengestellten Rastern nach AWMF (2006), Behrens & Lange (2006) und Polit & Hugler (2004). Diese enthalten die Bestimmung der Evidenzniveaus nach AWMF (2006). In Studien sind die Kriterien zur Evidenzniveaubestimmung folgende: die Wiederholbarkeit, Grösse und Selektion der Stichprobe, Unabhängigkeit in der Interpretation der Tests und Resultate sowie die Stärke des Studiendesigns. Bei der Bewertung der Reviews ist die Literatursuche und -auswahl von Bedeutung. Diese muss verständlich sein. Eine Bewertung der eingeschlossenen Studien sowie systematische, aus der Datenanalyse abgeleitete Schlussfolgerungen, sind wichtige Bestandteile. Leitlinien werden nach dem Evidenzlevel der darin enthaltenen Studien beurteilt. 6.2 Geburtseinleitung Die NICE-Guideline Induction of labour (2008) beschreibt das Thema Einleitung umfangreich. Die schweizerische sowie die deutsche Leitlinie der Geburtshilfe (SGGG, 1999), AWMF (2010), die kanadische TOP (2008) und australische KEMH (2008) sowie ein systematisches Cochrane Review von Gülmezoglu, Crowther & Middleton (2009) und ein Review von Moleti (2009) werden für diesen Abschnitt beigezogen. Die Evidenzlevel der verschiedenen Leitlinien wurden alle mit A bewertet. Die Leitlinien von AWMF (2010) und NICE (2008) werden bevorzugt behandelt, da sie die Thematik am umfangreichsten behandeln und gleichzeitig am aktuellsten sind. 8

Definitionen Terminüberschreitung und Geburtseinleitung Von einer Terminüberschreitung ist die Rede, wenn ein Kind nicht bis zum errechneten Geburtstermin geboren wird. Sie bezeichnet die Zeitspanne von 40 1/7 bis 41 6/7 Schwangerschaftswochen (SSW). Eine Übertragung liegt ab 42 SSW vor (Harder & Hauser, 2007). Laut Husslein & Egarter (2006) bezeichnet eine Geburtseinleitung das Ingangsetzen des Vorgangs der Geburt, hauptsächlich durch Auslösen von Wehen. Die Indikation zur Geburtseinleitung kann einerseits aus mütterlichen Gründen (zum Beispiel Schwangerschaftserkrankungen, vorbestehende Krankheiten), aber auch aus fetalen Gründen (Wachstumsretardierung, vorzeitiger Blasensprung, diabetogene Fetopathie oder Übertragung/Terminüberschreitung) gegeben sein. In dieser Arbeit wird auf die Indikation zur Terminüberschreitung vertieft eingegangen. Terminüberprüfung Die Terminüberprüfung dient dazu, den Termin zu sichern und somit zu vermeiden, dass aufgrund von Berechnungsfehlern zu früh oder nicht indiziert eingeleitet wird. Daher soll in der ersten Schwangerschaftshälfte routinemässig ein Ultraschall zur Terminbestimmung vorgenommen werden (Enkin et al., 2006). Die SGGG (1999) und die kanadische Guideline TOP (2008) schliessen sich dieser Empfehlung an. Die Frau informieren Damit eine Frau ihrer individuellen Vorstellung entsprechend einen Geburtsplan erstellen kann, sind Informationen nötig (NICE, 2008). NICE empfiehlt, die Frau am Termin über Einleitungsmöglichkeiten zu informieren. Umfragen in England ergaben, dass bis 40% der Frauen äusserten, nicht adäquate Informationen erhalten zu haben. MIDIRS (2008) hat ein Informationsblatt für Frauen mit Terminüberschreitung erstellt, welches vollumfängliche, auf aktueller Literatur basierende Informationen liefert. Die AWMF (2010), SGGG (1999) und TOP (2008) unterstützen die Meinung, dass die Frauen umfänglich informiert werden sollen. Einerseits über die Vor- und Nachteile der Einleitung, andererseits über die Möglichkeit des Abwartens. Auf den mütterlichen Wunsch zur Geburtseinleitung soll nicht routinemässig eingegangen werden (NICE, 2008). Empfehlung: Der Frau am Geburtstermin (40 0/7 SSW) Informationen über Vor- und Nachteile einer Geburtseinleitung, respektive des Abwartens geben. 9

Zeitpunkt Der Zeitpunkt der Geburtseinleitung bei Terminüberschreitung ist unklar, vorgeschlagen wird, dass mit 41 0/7 SSW den Frauen eine Einleitung angeboten und mit 42 0/7 SSW empfohlen werden soll (Gülmezoglu et al., 2009; NICE, 2008). Die SGGG (1999) empfiehlt, dass die schwangeren Frauen ab 41 0/7 SSW über eine mögliche Geburtseinleitung informiert werden sollen. Bei problemlosem Schwangerschaftsverlauf besteht keine Eile zur Geburtseinleitung. Die Fachgesellschaften AWMF (2010) und TOP (2008) führen auf, dass es gewichtige Gründe zum Vorschlag der Geburtseinleitung gibt, da ein ansteigendes Risiko der perinatalen Mortalität bereits ab 41 1/7 SSW gegeben ist. Den Frauen soll erläutert werden, dass das Mortalitätsrisiko der Kinder zwar signifikant erhöht ist, sich aber dennoch in einem sehr niedrigen Bereich bewegt. Gülmezoglu et al. (2009) geben ebenfalls eine höhere perinatale Kindstodrate an, welche jedoch keine statistische Signifikanz erreicht. NICE (2008) zitiert eine Studie, welche aussagt, dass 469 Frauen eingeleitet werden müssten, damit ein perinataler Kindstod verhindert werden könnte. Ab 42 0/7 SSW sieht die AWMF (2010) eine Einleitung oder Beendigung der Schwangerschaft durch Sectio caesare als indiziert an, da die Kindstodrate um das dreifache ansteigt. Gülmezoglu et al. (2009) und MIDIRS (2008) stellen fest, dass nach der 42. SSW die Gefahr der Mekoniumaspiration statistisch signifikant erhöht ist. Zusammenfassend lässt sich die Empfehlung geben, ab 41 0/7 SSW eine Einleitung anzubieten. Ab Woche 42 0/7 soll eine Einleitung empfohlen werden, da die Kindstodrate stark ansteigt. Vorgehen bei abwartendem Management Bei einem abwartenden Management von der Terminüberschreitung an bis zur 42 0/7 SSW liegt keine Evidenz über die Frequenz und Dauer der fetalen Überwachung vor. Eine abnehmende Fruchtwassermenge geht mit einer Abnahme der Kindsbewegungen und einem erhöhten Risiko für Nabelschnurkompressionen einher. Die SGGG (1999) sieht keinen Anlass zur fetalen Überwachung bis zur 40 6/7 SSW. Danach wird zweimal wöchentlich eine Fruchtwassermengenschätzung und ein CTG veranlasst. Laut NICE (2008) soll nach der 42 0/7 SSW mindestens zweimal pro Woche ein Kardiotokogramm (CTG) und ein abdominaler Ultraschall durchgeführt werden. 10

KEMH (2008) empfiehlt ab 41 0/7 SSW ein CTG Monitoring zweimal pro Woche und wöchentlich die Fruchtwassermenge per Ultraschall zu messen. Die Frauen sollen darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Monitoring bei Terminüberschreitung keine effektive Prävention des intrauterinen Fruchttodes bewirkt AWMF (2010) hingegen empfiehlt die Bestimmung der Fruchtwassermenge bereits ab 40 0/7 SSW und stützt sich dabei auf die Studie von Hannah (1992). Diese Studie ist älteren Datums und die Autoren der Leitlinie geben kein Evidenzlevel an. Nach 41 abgeschlossenen SSW wird zwei- bis dreimal wöchentlich mittels CTG und Fruchtwassermengenbestimmung überwacht. Die Überwachung mit CTG ab 40 0/7 SSW ist nicht nachgewiesen wirksam, wird aber von der Autorenschaft dennoch ohne Begründung empfohlen. Laut Gülmezoglu et al. (2009) soll bei einem abwartenden Management zweimal wöchentlich ein CTG geschrieben und die Fruchtwassermenge bestimmt werden. MIDIRS (2008) beschreiben die regelmässigen bis täglichen CTG-Kontrollen und die Messung der Fruchtwassermenge. Fällt das Assessment physiologisch aus, ist keine Eile zur Einleitung geboten. Zusammenfassend empfiehlt es sich ab 41 0/7 SSW zwei- bis dreimal wöchentlich CTG- und Fruchtwassermengenkontrollen durchzuführen. Methoden zur Geburtseinleitung Zur Methodenwahl für die Geburtseinleitung bemerken Enkin et al. (2006), dass vor der Methodenwahl die Indikation gegeben sein muss und das Augenmerk auf das Wohlbefinden von Kind und Mutter während der Wehentätigkeit gelegt werden sollte. Der Erfolg der Einleitung ist abhängig vom zervikalen Ausgangsbefund (Gülmezoglu et al., 2009; KEMH, 2008; NICE, 2008; TOP, 2008). AWMF (2008) empfiehlt vor der Geburtseinleitung die Anamnese zu erheben und die Einleitungsindikation durch den Facharzt, die Fachärztin zu stellen. Je nach Zervixassessment, welches durch Erheben des Bishopscores erfolgt, wird die Methode gewählt. Beim Bishopscore wird die Reife der Zervix unter den Aspekten Portiostand, -konstistenz und länge, Muttermundseröffnung und Höhenstand des vorangehenden Kindsteils beurteilt. Moleti (2009) weist darauf hin, dass ein grosser Teil der Frauen alternative weheneinleitende Methoden anwenden. Daher ist es bedeutsam, dass das geburtshilfliche Team diesbezüglich Wissen erlangt und die Frauen darin begleiten kann. 11

Mechanische Geburtseinleitung Zur Einleitung bei Nullipara ist mit 40 0/7 SSW und 41 0/7 SSW die untere Eipollösung empfohlen. Bei Multipara soll diese erst mit 41 0/7 SSW erfolgen. Gleichzeitig kann das Zervixassessment (Bishop-Score) erhoben werden. Die Mamillenstimulation ist eine nachgewiesen wirksame Methode zur Wehenauslösung. Jedoch ist unklar, zu welchem Zeitpunkt, wie oft und mit welcher Technik sie angewandt werden soll. Auch sind die Sicherheit und die mütterliche Zufriedenheit bezüglich dieser Methode nicht geklärt. Foleykatheter und Laminaria-Stäbchen sollen keine routinemässige Anwendung finden (NICE, 2008). KEMH (2008) sieht im Foleykatheter die Methode der Wahl, weil er zur Zervixreifung die effektivste Methode ist und weniger Uterushyperstimulationen zur Folge hat als Prostaglandin. Die Anzahl der Geburten innerhalb von 24 Stunden ist durch diese Methode reduziert, die Kaiserschnittrate steigt dennoch nicht an. Die Zervixreifung geschieht beim Foleykatheter und den Laminaria-Stäbchen direkt durch die Dilatation der Portio und indirekt durch den neuro-endokrinen Ferguson Reflex, welcher die Ausschüttung von Prostaglandinen und Oxytocin zur Folge hat (Enkin et al., 2006). Moleti (2009) weist darauf hin, dass noch keine Forschung bezüglich der langfristigen Auswirkungen des Foleykatheters auf die Zervix vorhanden ist. AWMF (2010) und MIDIRS (2008) zeigen nachgewiesene Wirksamkeit bezüglich Geschlechtsverkehr als Methode auf. Zusammenfassende Empfehlungen: Die Leitlinien der Fachgesellschaften aus Deutschland (AWMF, 2010) und England (NICE, 2008) weisen Wirksamkeit bei folgenden Methoden nach: untere Eipollösung bei Nullipara mit 40 0/7 SSW, Multipara 41 0/7 SSW, Mamillenstimulation und Geschlechtsverkehr. Medikamentöse Geburtseinleitung Von NICE (2008) wird zur medikamentösen Einleitung vaginal appliziertes Prostaglandin E 2 (PGE 2 ) bevorzugt. Dies primär in Tabletten oder Gelform mit Wiederholungsmöglichkeit nach sechs Stunden bei insuffizienter Wehentätigkeit oder aber als Einzeldosis in Form eines Vaginalpessars über 24 Stunden (NICE, 2008). Enkin et al. (2006) führen auf, zur Minimierung frustraner Einleitungen vaginal appliziertes PGE 2 anzuwenden. Die Häufigkeit protrahierter Geburten nimmt durch Prostaglandine ab und die Wahrscheinlichkeit einer Spontangeburt steigt im Vergleich zu Oxytocineinleitungen. 12

Bei unreifer Zervix (Bishop-Score 6) empfiehlt TOP (2008) PGE 2 für die Wehneninduktion. MIDIRS (2008) erläutert die Wirkung der Prostaglandine und weist darauf hin, dass, wenn mit einer Geburtseinleitung gestartet wird, kein Abbruch erfolgen soll. Sie beschreiben, dass die Wehen schmerzhafter empfunden werden und vermehrte Überwachung mittels CTG nötig sei als bei spontanem Geburtsbeginn. Ausserdem erwähnen sie, dass eine erhöhte Gefahr für vaginaloperative Geburten und Sectio caesare bestehe. Das Infoblatt des King Edward Memorial Hospital (KEMH, 2008) führt Risiken (Uterushyperstimulation und Nabelschnurvorfall) zur Einleitung auf. Sie erklären, dass es gelegentlich zu Misserfolgen führe, welche einen erneuten Versuch oder Alternativen (andere Medikamente, Sectio caesare) erfordere. Enkin et al. (2006) führen auf, dass der alleinige Einsatz von Oxytocin am wehenfreien Uterus nicht in angemessener Zeit zu ausreichender Wehentätigkeit führt. Dabei steigt zusätzlich die Rate frustraner Einleitungen in einen nicht akzeptablen Bereich. Im Vergleich zu Prostaglandin-Einleitungen ist eine erhöhte Rate operativer Geburtsbeendigungen beobachtet worden. Der Grund dafür könnte die eingeschränkte Bewegungsfreiheit unter der Geburt sein. Aktuell verfügbare Evidenzen reichen nicht aus um zu beurteilen, ob Prostaglandine oder Oxytocin für das Kind die sicherere Wahl darstellen (Enkin et al., 2006). Misoprostol (PGE 1 ) wird von den Arzneimittelbehörden nicht als geburtshilfliches Medikament zugelassen (NICE, 2008; TOP, 2008), daher wird die Anwendung zurzeit noch nicht empfohlen. Auch AWMF (2008) beschreiben, dass trotz umfangreichen Studienergebnissen Misoprostol nicht zugelassen ist und daher die Anwendung mit Aufklärung des Off-label use erfolgen muss. Enkin et al. (2006) haben evaluiert, dass noch weitere Interventionsstudien nötig sind, bevor Misoprostol routinemässig angewandt werden soll. AWMF (2008), Enkin et al. (2006), KEMH (2008), Moleti (2009), NICE (2008) und TOP (2008) beschreiben die Nebenwirkungen der Prostaglandine im Hinblick auf Uterusüberstimulation bis Uterusruptur, ungünstige fetale Herztonveränderungen, Blutungen intra- oder postpartal, Nausea, Emesis, Diarrhoe und Fieber. Zusammenfassung: Es wird empfohlen, vaginal appliziertes PGE2 zur Zervixreifung zu verwenden. Bei den Nebenwirkungen handelt es sich um Magen-Darm-Beschwerden oder aber um geburtshilfliche in Form von Überstimulation bis Ruptur des Uterus, fetale Herztonveränderungen und Blutungen intra- oder postpartal. 13

Weitere Methoden Geburtseinleitungsmethoden wie Akupunktur, Homöopathie, Rizinusöl, Aromatherapie und weitere sind noch ohne nachgewiesene Wirksamkeit und werden deshalb in dieser Arbeit nicht behandelt. Vorgehen bei frustran verlaufenden Einleitungen Für das Vorgehen bei frustranen Einleitungen kann keine Empfehlung gegeben werden (NICE, 2008). Es wird vorgeschlagen, die Situation neu zu evaluieren und mit der Frau zu besprechen. Als Optionen stehen zur Auswahl: nochmaliger Einleitungsversuch oder aber der Entscheid zur Sectio caesare (Enkin et al., 2006). Erleben der Frau Sowohl Gülmezoglu et al. (2009) wie auch NICE (2008) beschreiben, dass das Erleben der Frauen, welche eingeleitet wurden, noch nicht adäquat erforscht wurde. In einer qualitativen Studie von Gatward, Simpson, Woohrt, Stainton (2009) wurde das Erleben der Frauen mit Geburtseinleitung erforscht. Frauen wurden mit Interviews vor, während und nach der Geburtseinleitung befragt. Die Haltung der Frauen gegenüber der Einleitung war sehr unterschiedlich (von willkommen bis ablehnend). Den Frauen war es oft zu wenig bewusst, was eine Einleitung für sie und die Geburtssituation bedeutet. Daher weisen die Autorinnen darauf hin, dass die Frauen Informationen brauchen um optimal in den Prozess involviert zu werden. NICE (2008) weist darauf hin, dass die Zufriedenheit mit der Einleitung erhöht werden kann, wenn mit der Einleitung am Morgen begonnen wird. NICE begründet diese Aussage nicht weiter. Es kann davon ausgegangen werden, dass dadurch der Schlaf-Wach- Rhythmus weniger gestört wird. Schmerzlinderung Der Analgetikagebrauch ist bei eingeleiteten Geburten im Vergleich zu Geburten mit spontanem Wehenbeginn erhöht. Einleitungen mit Oxytocin werden als schmerzhafter erlebt als diejenigen mit PGE 2. Zur Schmerzlinderung während der Einleitung wird das Baden als nachgewiesen wirksame Methode empfohlen. Medikamentös können die Periduralanästhesie oder andere, unter Geburt zugelassene Analgetika und Spasmolytika, eingesetzt werden (NICE, 2008). Überwachung während der Geburtseinleitung 14

NICE (2008) empfiehlt vor Beginn der Geburtseinleitung ein CTG zu schreiben. Die Verabreichung von Medikamenten zur Einleitung setzt eine Normokardie des Feten voraus. Nach Einsetzen von Wehen wird das fetale Wohlbefinden mit kontinuierlicher CTG-Kontrolle überwacht. Bei physiologischem CTG-Befund erfolgt die Überwachung anschliessend intermittierend. TOP (2008) schlägt die CTG-Überwachung nach Applikation des Medikamentes während mindestens 30 Minuten vor. 6.3 Entscheidungsfindung Im Gesundheitssektor wird die Entscheidungsfindung als eine der komplexesten Aufgaben angesehen (Elwyn, zitiert in Cooke, 2005). Die Patienten und Patientinnen wünschen im Allgemeinen zunehmend in den Entscheidungsprozess bezüglich ihrer Gesundheit integriert zu werden (Scheibler, 2004). Dadurch kann die Patientenzufriedenheit erhöht werden (Cooke, 2005). Wie die Frauen in den Entscheidungsprozess integriert werden wollen, hängt von sozialen und kulturellen Aspekten ab. Auch die Risikobereitschaft und das Sicherheitsbedürfnis spielen eine Rolle (Cooke, 2005). Entscheidungen sollen mit den Frauen und interdisziplinär diskutiert werden (Sullivan, 2005). Die Frauen haben ein Recht auf Information und sind die primäre Entscheidungsinstanz bei Themen rund um Schwangerschaft und Geburt (Brailey, 2005). Das Gesundheitsgesetz gibt vor, dass Massnahmen nur nach vorgängiger Aufklärung des Patienten oder der Patientin und darauf folgender Einwilligung geschehen dürfen (GesG Artikel 40 2001, zitiert in Brailey, 2005). Entscheidungsfindung zur Geburtseinleitung versus abwartendes Management Damit die Entscheidungsfindung am Geburtstermin und eine informierte Wahl ermöglicht werden kann, soll laut NICE (2008) über folgende Punkte informiert werden: (a) die meisten Frauen gebären spontan bis zur 42 0/7 SSW, (b) Gründe zur Geburtseinleitung, (c) Zeitpunkt für die Einleitung, (d) Art der Einleitung, (e) Unterstützung während der Einleitung und (f) Schmerztherapiemöglichkeiten, (g) Optionen, welche nach einem möglichen Misserfolg bestehen. Nach dem Informationsgespräch soll die Frau erst die Situation mit dem Partner besprechen können. Ebenso soll sie möglichst verschiedene Informationsquellen nutzen, Fragen stellen und dann über die verschiedenen Optionen nachdenken können. Die Frauen sollen in ihrer getroffenen Entscheidung unterstützt werden (NICE, 2008). 15

Holländische Hebammen schätzen in einer Nationalstudie zum Thema Entscheidungsfindung in der Schwangerschaft und während der Geburt, dass Frauen am meisten Einfluss auf die Entscheidung zur Eipollösung haben (84,5%). Die Ärzte und Ärztinnen haben den stärksten Einfluss auf die primäre Geburtseinleitung (79.7%), die Hebammen sind bei diesem Entscheid zu 18.8% und die Frauen zu 52,2% beteiligt (van der Hulst. et al., 2006). KEMH (2008) und MIDIRS (2008) haben für Fachpersonen wie auch für schwangere Frauen Leaflets (Informationsbroschüren) zur Geburtseinleitung versus abwartendes Management erarbeitet. Diese Leaflets dienen zur Unterstützung in der Entscheidungsfindung. Modelle Um Entscheidungen treffen zu können, kann nach verschiedenen Konzepten/Modellen vorgegangen werden. 1. Das Informative Modell basiert darauf, dass die Gesundheitsfachperson den Patienten/die Patientin über Vor- und Nachteile der zu treffenden Entscheidung informiert. Die Entscheidung trifft der Patient/die Patientin alleine. 2. Shared Decision Making (SDM) beschreibt die Interaktion zwischen Patienten/Patientinnen und dem Gesundheitspersonal. In diesem Konzept wird die Entscheidung gleichberechtigt und partnerschaftlich gefällt. 3. Im Paternalistischen Modell, in welchem der Arzt, die Ärztin die Entscheidung trifft, wird die Zustimmung durch selektives Informieren eingeholt. (Bertelsmann Stiftung, 2005; Coulter & Frosch et al., zitiert in Scheibler, 2004). Noch immer bevorzugen einige Patienten/Patientinnen ein paternalistisches Modell (Scheibler, 2004). 4. Eine Entscheidung sollte immer auch unter ethischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Die Interessen der Frau sollen dabei im Zentrum stehen (Jones, 2005). O Cathain, Thomas, Walters, Nicholl & Kirkham (2002) zeigen, dass 83% der vorgeburtlich befragten Frauen ihre Entscheidung gemeinsam mit dem Gesundheitspersonal treffen möchten, 14% wünschen eine alleinige Entscheidungsfindung und nur 3% bevorzugen, die Entscheidung dem Betreuungspersonal zu überlassen. Aus diesem Grund wird das SDM detaillierter erläutert. 16

Shared Decision Making Das Modell Shared Decision Making wurde in den 1990er Jahren entwickelt. Es ist das am weitesten entwickelte Modell zu Entscheidungen mit Patientenbeteiligung (Elwyn, zitiert in Bertelsmann Stiftung, 2005). Ziel ist, die Patienten/Patientinnen partnerschaftlich, nach Wunsch, an den Entscheidungen teilnehmen zu lassen. Die Entscheidungen bestehen aus zwei oder mehreren Optionen. Auch beobachtendes Abwarten kann eine Option darstellen (Bertelsmann Stiftung, 2005). Alternativen sollen auf ihr Ergebnis hin abgewogen werden, um so die Qualität der Wahl zu maximieren (Maed & Sullivan, 2005). Zur anstehenden Entscheidung werden die objektiven Aspekte wie auch die subjektiven behandlungsrelevanten Bedürfnisse und Präferenzen des Patienten/der Patientin erläutert (Cooke, 2005). Die kommunikativen Grundpfeiler sind: (a) der Informationsfluss, (b) das Abwägen und (c) die Entscheidung. Die Interaktion zwischen den Patienten/Patientinnen und dem Gesundheitspersonal ist entscheidend (Bertelsmann Stiftung, 2005). Wie der Patient/die Patientin in die Entscheidung mit einbezogen wird, haben Elwyn et al. (2003) eruiert. Dazu haben sie den OPTION Score (Observing Patient Involvement) entwickelt. Das Instrument beinhaltet 12 Leitsätze und wurde als valide und reliabel eingestuft, um die Partizipation des Patienten/der Patientin zu evaluieren. Im Wesentlichen lässt sich aus dem Score entnehmen, dass: das Problem fokussiert wird der Patient/die Patientin in den Entscheidungsprozess integriert wird, wie es ihrem Wunsch entspricht Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen werden allgemeine Erwartungen erfragt und berücksichtigt werden die Betroffenen dazu aufgefordert werden, Fragen zu stellen das Behandlungsteam überprüft, ob die evidenzbasierten Informationen verstanden wurden Entscheidungshilfen O Connor et al. (2009) beschreiben im Cochrane Review, dass, um Entscheidungen treffen zu können, Risiken und Nutzen verschiedener Optionen abwogen werden müssen. Dazu wurden sogenannte Entscheidungshilfen (Decision aids) entwickelt. Diese ergänzenden, evidenzbasierten Leaflets und/oder Videos werden den Betroffenen zur 17

Verfügung gestellt. Sie zeichnen sich durch den detaillierten, spezifisch auf den Patienten fokussierten Ansatz aus. Nachgewiesen ist, dass durch Decision aids im Vergleich zur herkömmlichen Praxis die Betroffenen: erkennen, dass eine Entscheidung ansteht die Risiken und Nutzen der Optionen abschätzen können den Wert, welcher die Entscheidung mit sich bringt, einschätzen können diesen Wert häufiger mit Gesundheitsfachpersonen diskutieren in ihrem Sinne am Entscheidungsprozess beteiligt sind sich weniger in Entscheidungskonflikten befinden an der Entscheidung aktiv beteiligt sind ein grösseres Wissen über die zur Auswahl stehenden Optionen haben Entscheidungshilfen vermögen jedoch weder die Zufriedenheit zu steigern, noch die Angst zu mindern (O Connor et al., 2009). Zur Entwicklung von Entscheidungshilfen dient der Standard International Patient Decision aid Standard (IPDAS). Grob gefasst enthält dieser Standard die Bereiche: (a) Evidenz-basierte Informationen vermitteln, (b) Erkennen der Werte (physisch, emotional und sozial), welche die Entscheidung mit sich bringt und (c) Schritte der Entscheidungsfindung. Die Entscheidungshilfen können vor, während oder nach dem Gespräch mit Gesundheitsfachpersonen verwendet werden (O Connor et al., 2009). Entscheidungsfindung in der Hebammenarbeit Behrens & Langer (2006) und Mok & Stevens (2005) halten fest, dass der Entscheidungsfindungsprozess ein fester Bestandteil im Beruf der Hebamme/Pflegenden sei, der auf aktuellen externen Evidenzen beruhen sollte. Um die Praxis zu unterstützen, sollen bereits evaluierte Guidelines und systematische Reviews als valide und realistische Option gesehen werden (Cluett, 2005). Brailey (2005) beschreibt die wesentlichen Aspekte für die Entscheidungsfindung, welche sich weitgehend mit dem SDM-Konzept decken: (a) Fachwissen auf aktuellem Stand halten, (b) für Termine genügend Zeit einplanen, (c) Vorteile und Risiken diskutieren, (d) die schwangere Frau motivieren, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wahl zu treffen, und (e) die getroffene Entscheidung mitzutragen. 18

6.4 Interdisziplinäre Zusammenarbeit Die Definition und Bedeutung von interdisziplinärer Zusammenarbeit und wie sie gefördert werden kann, wird im Folgenden aufgezeigt. Zwarenstein, Goldman & Reeves (2009) bezeichnen die interdisziplinäre Zusammenarbeit (IDZA) als Prozess, in welchem verschiedene Berufsgruppen mit dem Ziel einer optimalen Pflege zusammenarbeiten. Die genannten Autoren erforschen in ihrem Review, ob ungenügende IDZA sich ungünstig auf die Entwicklung des Gesundheitssystems und die Patientenbetreuung auswirken kann. Tägliche interdisziplinäre Runden können sich positiv auf die Spitalaufenthaltsdauer und die Spitalkosten auswirken, jedoch konnte kein Unterschied in der Häufigkeit der Kommunikation unter den Berufsgruppen festgestellt werden. Hier stellt sich die Frage, ob die Quantität das richtige Messinstrument war oder vielmehr die Qualität der Kommunikation zu überprüfen wäre. Die Autoren weisen auf weiteren Forschungsbedarf hin, um nachgewiesen wirksame Massnahmen der interdisziplinären Zusammenarbeit darlegen zu können. Der Bund Deutscher Hebammen hat eine Broschüre zur interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Hebammen und Ärzten/Ärztinnen herausgegeben. Die Zusammenarbeit der Hebamme mit der Ärztin oder dem Arzt soll von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung getragen sein, damit ein gleichberechtigtes, partnerschaftliches Verständnis gefördert wird (Bund Deutscher Hebammen, 2001). Schwarz (2008) zeigt in ihrem Artikel konkrete Lösungsansätze, welche für eine optimale Hebammen-Arzt/Ärztin-Kooperation von Nutzen sind. Absprachen über Zuständigkeiten von Massnahmen und deren Inhalten sollen getroffen und dokumentiert werden. In interdisziplinärer Zusammenarbeit können Standards und Weisungen erarbeitet werden, welche dem interdisziplinären Team als Orientierungshilfe dienen. Fallbesprechungen und Teamsitzungen sind besonders wertvoll, wenn sie interdisziplinär gestaltet werden. So kann ein gegenseitiger Wissensaustausch stattfinden. Auch Hildebrandt (2008) zeigt mögliche Ansätze zur Erleichterung der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Arzt/Ärztin und Hebammen auf. Die eigenen Rollen und die Ansprüche sowie die Kompetenzen sollen klar definiert und der anderen Berufsgruppe vermittelt werden. Genaue Absprachen können zu einem kollegialen Zusammenarbeiten von Hebammen und der Ärzteschaft führen. 19

Handy, zitiert in Cooke (2005) ist der Ansicht, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit durch gemeinsam erarbeitete Standards gewährleistet und effektiv gestaltet werden kann. Dabei ist laut Drummond, zitiert in Cooke (2005) wichtig, dass jedes Gruppenmitglied seinen Beitrag leistet und die Beiträge der anderen kritisch überprüft. Johnson (2002) erläutert den Einsatz von interdiziplinären Versorgungspfaden. Sie stellt ein Instrument vor, an welchem sich alle Mitglieder eines Behandlungsteams orientieren können. Entwickelt und konstruiert wird dieses Werkzeug interdisziplinär. Fälle oder Klienten/Klientinnen werden in Gruppen unterteilt und in einen Plan integriert. Dieser gibt vor, zu welchem Zeitpunkt die verschiedenen Berufsgruppen eine Massnahme durchführen sollen. Wichtig ist das Aufzeigen und Dokumentieren von Abweichungen des Pfades, die in regelmässigen Abständen analysiert und dem Behandlungsteam rückgemeldet werden. Die Abweichungen erlauben, dass die Pflege und Betreuung trotz standardisierter Planung den individuellen Bedürfnissen der Patientin oder des Patienten entspricht. Interdisziplinäre Versorgungspfade bieten einem Spital verschiedene Vorteile. Zum einen erfolgt durch die ständige kritische Hinterfragung und Überprüfung der Versorgung eine kontinuierliche Qualitätssicherung, welche zu verbesserten Ergebnissen bei Patienten/Patientinnen führt. Zum anderen wird das Verständnis für die andere Berufsgruppe gefördert und somit die Zusammenarbeit optimiert. Durch Standardisierung erfolgt eine einheitliche Betreuung der Fallgruppe. Kosten können eingedämmt werden, da nur die im Versorgungspfad vorgesehenen Untersuchungen stattfinden. Johnson (2002) erwähnt, dass nur wenige Studien die Evidenz von interdisziplinären Versorgungspfaden untersucht haben. Grimshaw und Russel, zitiert in Johnson (2002) kamen zum Schluss, dass eindeutige Richtlinien die klinische Praxis verbessern, wenn sie regelmässig und exakt evaluiert werden. 20

7 METHODE Es wird aufgezeigt, wie vorgegangen wird, um evidenzbasierte Medizin in die Praxis umsetzen zu können. Beschrieben wird, wie die aktuelle Praxissituation erfasst und die Projektplanung gestaltet wurde und wie die in die Praxis implementierten Massnahmen evaluiert werden können. Das Praxisprojekt wird durchgeführt, um den schwangeren Frauen und ihren Partnern Informationen zur Geburtseinleitung oder zum abwartenden Management optimal vermitteln zu können. Dies soll den Familien erlauben, eine Entscheidung nach ihren Bedürfnissen zu treffen. Die Begleitung erfordert eine reibungslose interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die Form des Praxisprojekts wurde gewählt, weil so die aktuelle Praxissituation zur Entscheidungsfindung bei Terminüberschreitung analysiert und dem Spital dadurch Veränderungspotential aufgezeigt werden kann. Es bietet die Möglichkeit, nachgewiesen wirksame Methoden/Konzepte im Praxisalltag anzuwenden. Die Bachelor-Thesis ist im EMEDS-Format (Einleitung, Methoden, Ergebnisse, Diskussion, Schlussfolgerung) erstellt. Dieses Vorgehen erweist sich als geeignet, um die Fragestellung zu beantworten und das Ziel zu erreichen. 7.1 Rahmenbedingungen bei Praxisveränderungen Rycroft-Malone et al. (2004) beschreiben in ihrer Studie Faktoren, welche die Implementierung erleichtern. Damit evidenzbasierte Neuerungen wirkungsvoll in die Praxis integriert werden können, ist eine exakte Ist-Zustandsanalyse notwendig. Der Soll- Zustand muss definiert sein. Im Ist-Soll-Vergleich werden Differenzen erkannt, Probleme benannt und diese dann in einem Projektplan angegangen. Die Prozess- und Ergebnisevaluation erfolgt fortlaufend (wie unten beschrieben). Wesentliche Aspekte, welche zur Implementierung von neuer Evidenz in die Praxis berücksichtigt werden sollen, sind: 1. Qualität der Evidenz (Beiziehen von interner und externer Evidenz) 2. Einflussfaktoren/Kontext (Arbeitsbedingungen, Bereitschaft zu Veränderungen, Wertschätzung, zur Verfügung stehende Ressourcen, Integration der Neuerungen in die bestehenden Arbeitsbedingungen) 3. Erleichterung der Implementierung (durch Integration, Begleitung und Unterstützung der Teammitglieder im Prozess, Problemidentifikation und lösung) 4. Prozessauswertung und Anpassung von Massnahmen 21

Diese Aspekte werden im vorliegenden Praxisprojekt integriert. Sie bilden die Grundlage für das Vorgehen bei der Implementierung. 7.2 Methode zur Erhebung des Kontextes Zur Analyse des Ist-Zustandes (aktuelle Situation) in der Institution wurden quantitative und qualitative Daten erhoben und ausgewertet. Die Stationsleitung wurde nach Rycroft-Malone et al. (2004) zur Institution befragt. Das Leitbild und die Homepage des Spitals lieferten weitere Informationen. Die ökonomischen Vorgaben und die gesundheitspolitisch übergeordneten Ziele wurden auf der Homepage des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) eruiert. Erhobene Daten werden in der Arbeit deskriptiv aufgeführt. Um die Inzidenz, den Zeitpunkt der Geburtseinleitungen und deren Geburtsmodi zu quantifizieren wurde das Geburtenbuch beigezogen. Diese Daten werden deskriptiv dargestellt. Damit die gängige Praxis bei Geburtseinleitungen mit dem Fokus Information und Entscheidungsfindung erhoben werden konnte, wurde nach der Literatursichtung ein Interviewleitfaden entwickelt. Von den insgesamt 17 Fragen sind drei Skalen mit einer Verhältnis- oder Ordinalskala und 14 Fragen offen formuliert. Das Ziel des Interviews war zu erfassen, was gut funktioniert oder was problematisch ist und was aus Sicht der Hebammen und Ärzte/Ärztinnen verbessert werden könnte. Nach einem Test in einem anderen Spital, mit anschliessender Anpassung der Fragen, kam der Leitfaden zum Einsatz. Die Information des Teams über die Durchführung der Interviews erfolgte in Absprache mit der Stationsleitung via schriftlicher Teaminformation. Während zwei festgelegten Wochen wurden Interviews mit dem Team durchgeführt. Die Auswahl der interviewten Personen gestaltete sich nach zeitlichen Ressourcen und Verfügbarkeit. Die Teilnahme war freiwillig. Zwei Personen wurden telefonisch befragt. Die Durchführung der Interviews vor Ort erfolgte zu zweit. Eine Person stellte die Fragen, die andere protokollierte die Antworten zusammenfassend. Um die Richtigkeit der Notizen zu überprüfen, wurden diese kurz in eigenen Worten wertschätzend wiedergegeben. Die qualitative Inhaltsanalyse erfolgte nach Mayring (2003). Der Schritt der Paraphrasierung fiel aufgrund der Vorgehensweise weg. Nach der Generalisierung der Inhalte wurden diese Kategorien zugeordnet, in Überkategorien zusammengefasst und daraus Hauptkategorien gebildet. 22

7.3 Methode der Prozess- und Ergebnisevaluation Um die Effektivität, die Zufriedenheit sowie die Stärken und Schwächen zu definieren und daraus Anpassungen vorzunehmen, erwähnen Rycroft-Malone et al. (2004) die Auswertung des Prozesses wie auch der Ergebnisse. Methode der Prozessevaluation Die Pflegeexpertin begleitet die Einführung des Projekts kontinuierlich. Um den Prozess der Implementierung auswerten zu können, werden an interdisziplinären Teamsitzungen und an Workshops Protokolle erstellt. Darin werden Schwierigkeiten und Probleme bei der Umsetzung des Projekts beschrieben. Diese werden in der Projektgruppe analysiert und Lösungsstrategien in Brainstormings entwickelt (Behrens, 2006). Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden werden an den Sitzungen erfragt und im Rahmen des Möglichen darauf eingegangen. Die Leitung der Sitzungen übernimmt die Pflegeexpertin. Lösungsstrategien und die daraus resultierenden Prozessanpassungen werden protokollarisch festgehalten und für die Mitarbeitenden an der Pinnwand zugänglich gemacht. Das geburtshilfliche Team kann fortlaufend auf einem Bemerkungsblatt dazu Stellung nehmen. So wird ihre Meinung wertgeschätzt und in den Prozess integriert. Damit die Implementierung erfolgreich ist, sind Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Erleichterung (zum Beispiel die kritische Reflexion sowie Flexibilität und Beratung im Prozess durch führende Personen) wichtige Punkte (Rycroft-Malone et al., 2004). Methode zur Evaluation des Projekts Die Evaluation des Projekts erfolgt unter qualitativen und quantitativen Aspekten. Ein Evaluationsbogen für die Frauen liefert Antworten, ob sie ihrem Bedürfnis entsprechend in die Entscheidungsfindung integriert waren und wie sie die Entscheidungshilfen bezüglich Übersichtlichkeit und Verständlichkeit bewerten. Der Fragebogen wird der Ethikkommission vorgängig zur Genehmigung vorgelegt. Die Frauen erhalten den Fragebogen sechs Wochen nach der Geburt bei der Nachkontrolle. Ein rückadressiertes und frankiertes Antwortcouvert wird beigelegt. In der Gesundheitsgeschichte wird dokumentiert, wie die Frauen an den Entscheidungen beteiligt waren (alleinige Entscheidung der Frau, alleinige Entscheidung des Arztes/der Ärztin oder mit der Hebamme, gemeinsame Entscheidung) und welche Hintergründe und Überlegungen zur Entscheidung geführt haben. Um die Zufriedenheit innerhalb der 23

interdisziplinären Zusammenarbeit zu beleuchten, werden die Mitarbeitenden ihre Meinung zum Projekt in einem Evaluationsbogen schriftlich mitteilen. Die Auswertung beider Evaluationsbogen übernimmt die Projektgruppe, die Präsentation erfolgt durch die Pflegeexpertin. 7.4 Ethische Aspekte Da es sich um ein Projekt handelt, in welchem Frauen und ihre Familien betreut werden, müssen auch ethische Aspekte berücksichtigt werden. Durch Interventionen dürfen die Frauen/Familien weder psychischen, physischen noch sozialen Schaden nehmen (Cluett & Bluff, 2003). Durch eine vermehrte Einbindung der Frauen und Familien in die Entscheidungsfindung kann die Autonomie berücksichtigt werden. In einer umfassenden Information werden sowohl Risiken einer Behandlung als auch Wirkungen und Nebenwirkungen von Massnahmen genannt. Dies erlaubt es, den Prinzipien Nonmaleffizienz (Nichtschaden) und Benefizienz (Gutes Tun) (Beauchamp&Childress, 2001) gerecht zu werden. Die Gerechtigkeit ist nicht vollends gegeben, da es vorläufig nicht geplant ist, für fremdsprachige Familien schriftliche Entscheidungshilfen zu erstellen. In diesem Punkt wird bei diesem Projekt aus zeitlichen und finanziellen Gründen rational und utilitaristisch vorgegangen. Um beim Entscheidungsfindungsgespräch Gerechtigkeit herbeizuführen, werden professionelle Übersetzende hinzugezogen. Das Einführen von evidenzbasierter Medizin verpflichtet dazu, qualitativ hochstehende Betreuung und Behandlung anzuwenden (Behrens & Langer, 2006). Bei Geburtseinleitungen sind aktuell zu einigen Methoden noch nicht ausreichend nachgewiesen wirksame Vorgehensweisen bekannt oder sie werden kontrovers diskutiert (NICE, 2008). Deshalb ist es in dieser Situation wichtig, mit der Frau wie auch interdisziplinär die moralischen Aspekte zu erörtern und abzuwägen. 24

8 ERGEBNISSE Die erhobenen quantitativen Daten aus dem Geburtenbuch werden im folgenden Kapitel deskriptiv dargestellt. Eine Tabelle (Tabelle 1) zur qualitativen Datenanalyse nach Mayring (2003) gibt einen Überblick über die Interviewergebnisse, welche im weiteren Verlauf genauer erläutert werden. Zudem werden die im Gespräch mit der Stationsleitung erhobenen Daten zu den Kontextbedingungen erläutert. Daten aus dem Geburtenbuch, die Interviewergebnisse und die Kontextbedingungen bilden zusammen den Ist-Zustand. 8.1 Quantitative Ergebnisse In der Institution wurden im Jahr 2009 136 (22,8%) von insgesamt 596 Geburten eingeleitet. Von diesen Geburtseinleitungen erfolgten 66 (49%) aufgrund einer Regelabweichung. Häufige Indikationen waren Oligohydramnion, Makrosomie oder eine Schwangerschaftserkrankung. Abbildung 1 zeigt die Verteilung der Geburtseinleitung nach Gestationswochen bei den 69 (51%) regelrichtigen Schwangerschaften. Die erfolgten Geburtsmodi nach Einleitungen werden in Abbildung 2 dargestellt. 21% 41 SSW 9% Spontangeburt 13% 66% 39 6/7 SSW >39 6/7 SSW und < 41 SSW 29% 62% Sectio caesare Vakuumextraktion Abbildung 1: Gestationswochen von regelrichtigen Geburtseinleitungen Abbildung 2: Geburtsmodus der Einleitungen mit regelrichtigem Schwangerschaftsverlauf In Abbildung 3 werden die Anzahl der eingeleiteten Geburten ab 41 0/7 SSW ersichtlich. Es handelt sich jeweils um den Tag der Geburt des Kindes. Die Spitze liegt bei der 41 1/7 SSW, was auf die hausintere Weisung mit Einleitungszeitpunkt 41 0/7 SSW zurückzuführen ist. Bei den Geburten, welche nach 41 1/7 SSW erfolgten, ist nicht nachvollziehbar, ob diese Frauen einen frustranen Einleitungsversuch erlebt haben oder sie später eingeleitet wurden. Die gewählte Datenerhebungsmethode ging darauf nicht ein. 25