Die Bedeutung von Bindung und Trauma bei der Entstehung von ADHS Karl Heinz Brisch Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Abteilung Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie Ludwig-Maximilians-Universität München
Übersicht Häufigkeit von ADHS Überlebenswichtige Bedürfnisse und ADHS Bindung und Trauma Genetik und Umwelt Studie Klinische Arbeit Prävention
Diagnosekriterien Unaufmerksamkeit Hyperaktivität Impulsivität
ADHS - Häufigkeit weltweit 5,29 % (Metaanalyse 2007) bundesweit 2009-5,3% ADHS-Diagnose + 6,4% ADHS-Symptomatik im Grundschulalter (KiGGS) im Vergleich zu ca. 2,8%-3,4% im Jahr 1990
ADHS - Kosten steigende Therapiekosten ADHS (2002-177 Mio Euro, 2004-234 Mio Euro, 2006-341 Mio Euro) Vergleich: Epilepsie (2002-157 Mio Euro, 2004-155 Mio Euro, 2006-155 Mio Euro) Asthma (2002-266 Mio Euro, 2004-257 Mio Euro, 2006-272 Mio Euro) fraglicher Therapieerfolg unabhängig von Therapieform Beeinträchtigung in fast allen Lebensbereichen 8 Jahre nach Therapiebeginn Gefährdung für Alkoholmissbrauch und Kriminalität
Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung (AD(H)S) ca. 350.000 Kinder in Deutschland behandlungsbedürftig Ca. 5% aller Schulkinder in Deutschland mit AD(H)S Diagnose Geschlechtsverhältnis 8:1 (Jungen-Mädchen)
Medizinische Modelle zur Entstehung von AD(H)S Genetische Defekte Erworbene Hirnschäden Übererregung Untererregung Störung des Glucosestoffwechsels Allergietheorien Komplikationen bei der Geburt
KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN Gen x Umwelt Interaktion Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung ( Kind ) Dopamin D4 Rezeptor Gen Polymorphismus DRD4 Bindungsmuster (Kind) Unsicher desorganisiert MKI Bindungsmuster (Mutter) Unsicher mit ungelöstem Trauma Andere Kandidatengene (DAT1, HTTLRP, DRD1 5 etc.) Genvarianten Gen Umwelt Interaktion Ungelöste Traumata des Kindes Umwelteinflüsse Ungelöste Traumata der Mutter Gehirnentwicklung ( Kind ) Legende: Bisherige Forschung Unser Vorhaben Mutter-Kind Interaktion Nevena Vuksanovic LMU München 2011 Copyright Karl Heinz Brisch LMU München 2011. Alle Rechte vorbehalten. MKI
Diagnostik I Exploration der Eltern und des Kindes bzgl. der Leitsymptome, psychosozialer Beeinträchtigung und Entwicklungsgeschichte Informationen vom Kindergarten / von der Schule klinische Verhaltensbeobachtung
Diagnostik II Testpsychologische Diagnostik Intelligenz-, Entwicklungs- und Leistungsdiagnostik orientierende internistische und neurologische Untersuchung emotionale Dysfunktion, Eltern-Kind Beziehung, Erziehungsverhalten, elterliche Symptomatik
Psychiatrische Begleiterkrankungen Emotionale Störungen Angststörungen Selbstwertstörungen Depressionen Störungen des Sozialverhaltens Posttraumatische Belastungsstörung
Zusammenhänge? ADHS Bindung Desorganisation Störung Aufmerksamkeitsstörung Genetik Umwelt Hyperaktivität Impulsivität Trauma PTSD
Überlebenswichtige Bedürfnisse und ADHS Bindung Physiologische Bedürfnisse Exploration Beziehung Sensorische Stimulation Selbstwirksamkeit Vermeidung von negativen Reizen
Stress-Fenster und Gefühle Übererregung Abschalten EINFRIEREN Panik Todesangst + Aktiviertes Bindungsbedürfnis - Übererregung Abschalten ERSCHLAFFUNG Modifiziert nach Lutz Ulrich Besser Copyright Besser 2008
Bindungstheorie von John Bowlby Ein Säugling entwickelt im Laufe des ersten Lebensjahres eine spezifische emotionale Bindung an eine Hauptbindungsperson und nachgeordnete Bindungspersonen Die Bindungsperson ist der sichere emotionale Hafen für den Säugling Bindungsperson hilft dem Kind bei der Regulation von Angst, Erregung und Stress Kind beruhigt sich und fühlt sich sicher
Sichere Bindungsentwicklung von Kindern und Persönlichkeit von Pflegepersonen hilfreiche Eigenschaften für die sichere Bindungsentwicklung von Kindern Feinfühligkeit Emotionale Verfügbarkeit Verarbeitung von eigenen Traumata vor Pflege von Kindern Bereitschaft, eigene Traumata durch Psychotherapie zu verarbeiten Ressourcen
Bindungstheorie I Durch Angst und Trennung wird das Bindungsbedürfnis aktiviert Durch körperliche Nähe zur Bindungsperson wird das Bindungsbedürfnis wieder beruhigt
Hierarchie der Bindungspersonen (Bindungspyramide) Hauptbindungsperson Wird bei größtem Stress aufgesucht Kann am besten beruhigen Nachgeordnete Bindungspersonen Können bei kleinerem Stress trösten Werden als Ersatz für Hauptbindungsperson akzeptiert, wenn diese nicht verfügbar ist
Wer sind mögliche Bindungspersonen? Bei Angst sucht ein Kind nach Schutz und Sicherheit bei Bindungspersonen Eltern/Pflegeltern/Adoptiveltern Großeltern Ältere Geschwister ErzieherInnen in Krippe und Kiga Tagesmütter LehrerInnen TherapeutInnen Später: Ausbilder, Vorgesetzte
Bindung Erkundung Erkundung aktiviert Bindung de-aktiviert Bindung aktiviert Erkundung de-aktiviert
Bindungsqualitäten des Säuglings ab dem Alter von 12 Monaten Sicher (ca. 65%) Unsicher vermeidend (ca. 25%) ambivalent (ca. 10%) Unsicher-desorganisiert Normalpopulation (ca. 15-20%) Trauma (ca. 75-80%) Eltern oder Kind
Entstehung sicherer Bindung hohe Feinfühligkeit der Pflegeperson verlässliche Qualität der Feinfühligkeit Annahme von Bindungssignalen Zuverlässige Beantwortung von Bindungssignalen Emotionale Verfügbarkeit Pflegepersonen haben häufig selbst sichere Bindungen mit eigenen Eltern (Großeltern)
Entstehung unsicherer Bindungen Geringe Feinfühligkeit Wechselnde Qualität der Feinfühligkeit Zurückweisung von Bindungssignalen Unzuverlässige Beantwortung von Bindungssignalen Emotional nur teilweise verfügbar Pflegepersonen haben häufig selbst unsichere Bindungen mit eigenen Eltern (Großeltern)
Beginnende Bindungs- Psychopathologie mit unterschiedlichem Schweregrad unsicher-desorganisierte Bindung (D) ca. 10% bis 80% Ansteigend in Risikogruppen
Verhalten des Kindes bei desorganisierter Bindung Widersprüchliches, nicht voraussagbares und rasch wechselndes Verhalten zwischen Nähesuche, Vermeidung, Ignorieren der Bindungsperson Stereotype motorische Verhaltensweisen "Unterwasser-Bewegungen" (verlangsamte Motorik) Motorisches Einfrieren (Freezing)
Verhalten des Kindes bei desorganisierter Bindung I Wiederholt für einig bis viele Sekunden wie im Halbschlaf oder Tagtraum ( Trance, dissoziativer Zustand) Nicht vorhersagbare aggressive Affektausbrüche Plötzliche Liebesbekundung und Körperkontakt
Verhalten des Kindes bei desorganisierter Bindung II Wut Selbstverletzung Aggression gegen andere Personen oder Gegenstände Akute Körpersymptome, Schmerzen
Ursachen der desorganisierten Bindung Ungelöstes Trauma der Eltern Auffälligkeiten der Pflegeperson in der Interaktion mit dem Kind angstmachendes Verhalten ängstliches Verhalten hilfloses Verhalten In einzelnen Episoden Wiederholung des Traumas mit eigenem Kind (Gewalt)
Trauma Existentielles lebensbedrohliches Ereignis, ohne Flucht- und Kampfmöglichkeit, dass Verzweiflung, Schmerz, Angst etc. hervorruft und durch seelische Auf- oder Abspaltung bewältigt wird Existenztrauma, Verlusttrauma, Bindungstrauma
Trauma und Bindung I Störung der Interaktion und der affektiven Kommunikation mit dem Kind Ängstliches, ängstigendes hilfloses Pflegeverhalten In der affektiven Kommunikation Übertragung der Trauma-Affekte Wut, Scham, Erregung, Angst, Panik
Trauma und Bindung II In der Interaktion mit dem Säugling Zurückweisung der Nähewünsche - Vermeidung Gewalt Abrupte Handlungsabbrüche Überstimulation (sexuell-sensorisch)
Akutes Trauma AUSSERHALB der Bindungsbeziehung Beispiel: Unfall des Kindes Akute Belastungsstörung bis Traumafolgesstörung mit Symptomen ähnlich ADHS Sichere Bindung Schutz und Beruhigung des Kindes Rasches Verschwinden der Symptome Unsichere Bindung Risikofaktor für Traumafolgestörung Unfeinfühligere Beruhigung Länger Stress-Symptome
Trauma des Kindes INNERHALB der Bindungsbeziehung Beispiel für Bindungs-Trauma des Kindes Verlust der Bindungsperson Bindungsperson ist selbst traumatisiert Gewalt gegen Kind durch Bindungsperson Kind wird Zeuge von Gewalt zwischen Bindungspersonen Akute Belastungsreaktion bis Traumafolgestörung ABER KEINE ausreichende Beruhigung des Bindungssystems, da Bindungsperson Ursache von ANGST und TRAUMA ist Chronifizierte Traumafolgestörung
Psychopathologie der Bindung DESORGANISIERTE Bindung ist beginnende Psychopathologie ca.10% in nicht klinischen Stichproben je nach Risikogruppen bis 80%
Ursachen der desorganisierten Bindung Ungelöstes Trauma der Eltern/Bindungspersonen Auffälligkeiten der Pflegeperson in der Interaktion mit dem Kind Angstmachendes Verhalten Ängstliches Verhalten Hilfloses Verhalten In einzelnen Episoden Wiederholung des Traumas mit eigenem Kind (Gewalt) Bindungs- und Entwicklungstrauma des Kindes
Verhalten des Kindes bei desorganisierter Bindung: Hyperaktivität und Impulsivität Widersprüchliches, nicht voraussagbares und rasch wechselndes Verhalten zwischen Nähesuche, Vermeidung, Ignorieren der Bindungsperson: Hin- und Herlaufen Stereotype motorische Verhaltensweisen Nicht vorhersagbare Affektausbrüche
Verhalten des Kindes bei desorganisierter Bindung: Aufmerksamkeitsstörung Wiederholte Trance für einige bis viele Sekunden wie im Halbschlaf oder Tagtraum (dissoziativer Zustand) "Unterwasser-Bewegungen" (verlangsamte Motorik) Motorisches Einfrieren (Freezing)
ADHS - Umweltfaktor Somatisches Trauma Vulnerabilität? Psychisches Trauma Vulnerabilität? Genetisch identischer Polymorphismus für Dopamin (DRD4) bei ADHS bei desorganisierter Bindung nach Trauma des Kindes und/oder der Mutter/des Vaters
Ist desorganisierte Bindung bei Säuglingen ein Vorläufer von ADHS? In bindungsrelevanten Stresssituationen Motorische Unruhe (Hin- und Herlaufen) Tranceartig Zustände mit Unaufmerksamkeit Stereotype Bewegungsmuster Impulsivität
Bindung zwischen den Generationen Zusammenhang zwischen Bindung der Eltern und des Kindes sichere Eltern mit sicheren Kindern Mutter-Kind ca. 75% Vater-Kind ca. 65% unsichere Eltern mit unsicheren Kindern traumatisierte Eltern mit desorganisierten Kindern
SAFE SICHERE AUSBILDUNG FÜR ELTERN Ein Programm zur Förderung einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind www.safe-programm.de
Bindung und Bindungsstörungen: Grundlagen für Diagnostik, Therapie und Prävention Karl Heinz Brisch Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Abteilung Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie Ludwig-Maximilians-Universität München
Übersicht I Bindungsentwicklung Bindungsqualitäten Traumatische Erfahrungen Diagnostik von Bindungsstörungen Therapie von Bindungsstörungen Prävention Videobeispiele
Überlebenswichtige Systeme 1. Physiologische 2. 3. Bedürfnisse Bindung Exploration 6. Sensorisch- sexuelle Stimulation Beziehung 5. Selbstwirksamkeit 4. Vermeidung von negativen Reizen
Überlebenswichtige Bedürfnisse Erfüllung physiologischer Bedürfnisse Luft zum Atmen, Wärme, Essen, Trinken, Schlaf, Schutz der körperlichen Sicherheit, Verdauung Bindung und Beziehung emotionale Ernährung, Respektvolle Achtung Wertschätzung Soziale Beziehungen in Kontinuität Freundschaften zu Gleichaltrigen und Erwachsenen Exploration kognitive Ernährung durch neugierige Erkundung, Lernen von Sprache durch Dialog Sensorische Stimulation Alle Wahrnehmungssinne Sensorisch-sexuelle Stimulation Sexualität Selbsteffektivität Abwehr und Vermeidung von unangenehmen Reizen Schmerz Integration der Motivationalen Systeme in Netz von sozialen Beziehungen in der Gruppe
John Bowlby "Bindung ist das gefühlsgetragene Band, das eine Person zu einer anderen spezifischen Person anknüpft und das sie über Raum und Zeit miteinander verbindet."
Bindung Bonding Bindung der Eltern an das Kind Pflegesystem Attachment Bindung des Kindes an die Eltern Sicherheitssystem
Bindung zum Überleben Bindung ist für das Leben so grundlegend wie Luft zum Atmen und Ernährung Die emotionale Bindung sichert das Überleben und die Entwicklung des Säuglings
Bindungstheorie John Bowlby Ein Säugling entwickelt im Laufe des ersten Lebensjahres eine spezifische emotionale Bindung an eine Hauptbindungsperson Die emotionale Bindung sichert das Überleben des Säuglings Die Bindungsperson ist der sichere emotionale Hafen für den Säugling
Hormon Oxytocin Förderung der Wehen Förderung der Kontraktion der Gebärmutter Förderung der Kontraktion der Milchkanälchen Neuro-Hormon mit Wirkung im Gehirn: Gefühl von dem anderen sich nahe und vertraut fühlen Bindungshormon Entspannung
Bindungstheorie I Durch Angst und Trennung wird das Bindungsbedürfnis aktiviert Durch körperliche Nähe zur Bindungsperson wird das Bindungsbedürfnis wieder beruhigt
Bindungstheorie II Die primäre Bindungsperson muss nicht die leibliche Mutter/Vater sein Emotionale Bindung des Kindes an die Bindungsperson entsteht NICHT durch genetische Verwandtschaft In der wiss. fundierten Bindungstheorie gibt es keine Bindung durch "Blutsbande"
Hierarchie der Bindungspersonen (Bindungspyramide) Hauptbindungsperson wird bei größtem Stress aufgesucht Kann am besten beruhigen Nachgeordnete Bindungspersonen Können bei kleinerem Stress trösten Werden als Ersatz für Hauptbindungsperson akzeptiert, wenn diese nicht verfügbar ist
Bindungstheorie II Das Bindungsbedürfnis steht im Wechsel mit dem Erkundungsbedürfnis Wenn das Bindungsbedürfnis beruhigt ist, kann der Säugling die Umwelt erkunden
Bindung Erkundung Erkundung aktiviert Bindung de-aktiviert Bindung aktiviert Erkundung de-aktiviert
Feinfühligkeit Die Pflegeperson mit der größten Feinfühligkeit in der Interaktion wird die Hauptbindungsperson für den Säugling große Feinfühligkeit fördert eine sichere Bindungsentwicklung
Feinfühligkeit Die Pflegperson muss die Signale des Säuglings wahrnehmen richtig interpretieren angemessen reagieren prompt reagieren
Sprachliche Interaktion Förderung einer sicheren Bindung durch die Verbalisierung der inneren Welt der affektiven Zustände der Handlungszusammenhänge des Säuglings
Rhythmus der Interaktion in Handlung und Sprache Förderung einer sicheren Bindung durch reziproker Wechsel in der Mutter-Säuglings- Interaktion und Kommunikation Korrektur von Missverständnissen unsichere Bindung über-synchrone Interaktion und Kommunikation absolut asynchrone Interaktion
Blickkontakt Blickkontakt mit gelungener Affektabstimmung (Intersubjektivität) zwischen Säugling und Pflegeperson fördert die sichere Bindungsentwicklung
Berührung Feinfühlige Berührung und Körperkontakt zwischen Pflegeperson und Säugling fördert die sichere Bindungsentwicklung
Stress-Toleranz-Fenster und Gefühle Übererregung Sympathikus Dissoziation EINFRIEREN Panik Todesangst + Aktiviertes Bindungsbedürfnis - Übererregung Parasympathikus Dissoziation ERSCHLAFFUNG zptn-lutz-ulrich Besser
Bindungsqualitäten des Säuglings ab dem Alter von 12 Monaten Sichere Bindung Unsichere Bindung vermeidend ambivalent Desorganisierte Bindung Bindungsstörungen
Bindungsqualitäten Schutzfaktor Bindung Sichere Bindung (ca. 55-60%) Risikofaktor Bindung Unsichere Bindungen Vermeidend (ca. 15-20%) Ambivalent (ca. 5-10%) Beginnende Psychopathologie der Bindung Desorganisiert (ca. 5-10%) Manifeste frühe Psychopathologie der Bindung Bindungsstörung (ca. 3-5%)
Bindungsqualitäten Sichere Bindung des Säuglings ca. 55%-65% der Kinder Trennungsprotest Weinen, Rufen, aktive Suche nach der Bindungsperson, Wunsch nach Körperkontakt Beruhigung durch Körperkontakt mit der Bindungsperson nach deren Rückkehr Fortsetzung der Erkundung nach kurzer Beruhigungszeit
Ursachen für sichere Bindung hohe Feinfühligkeit der Pflegeperson verlässliche Qualität der Feinfühligkeit Annahme von Bindungssignalen Zuverlässige Beantwortung von Bindungssignalen Emotionale Verfügbarkeit Pflegepersonen haben häufig selbst sichere Bindungen mit eigenen Eltern (Großeltern)
Bindungsqualitäten unsicher-vermeidende Bindung ca. 20%-25% kaum oder kein Protest bei der Trennung etwas eingeschränktes Spiel während der Trennung kein Wunsch nach Körperkontakt bei Rückkehr der Bindungsperson aktive Abwendung von der Bindungsperson bei deren Rückkehr
Bindungsqualitäten unsicher-ambivalente Bindung ca. 5%-10% extremer Protest bei der Trennung unstillbares Weinen, extreme Erregung keine Beruhigung nach Rückkehr der Bindungsperson trotz Körperkontakt Nähesuchen und Aggression gleichzeitig keine rasche Rückkehr zum entspannten Spiel
Ursachen für unsichere Bindung Geringe Feinfühligkeit Wechselnde Qualität der Feinfühligkeit Zurückweisung von Bindungssignalen Unzuverlässige Beantwortung von Bindungssignalen Emotional nur teilweise verfügbar Pflegepersonen haben häufig selbst unsichere Bindungen mit eigenen Eltern (Großeltern)
Beginnende Bindungs- Psychopathologie mit unterschiedlichem Schweregrad unsicher-desorganisierte Bindung ca. 10% bis 80% Ansteigend in Risikogruppen
Verhalten des Kindes bei desorganisierter Bindung I Widersprüchliches, nicht voraussagbares und rasch wechselndes Verhalten zwischen Nähesuche, Vermeidung, Ignorieren der Bindungsperson Stereotype motorische Verhaltensweisen "Unterwasser-Bewegungen" (verlangsamte Motorik) Motorisches Einfrieren (Freezing)
Verhalten des Kindes bei desorganisierter Bindung II Wiederholt für einig bis viele Sekunden wie im Halbschlaf oder Tagtraum ( Trance, dissoziativer Zustand) Nicht vorhersagbare aggressive Affektausbrüche Plötzliche Liebesbekundung und Körperkontakt Wut Selbstverletzung Aggression gegen andere Personen oder Gegenstände Akute Körpersymptome, Schmerzen
Desorganisierte Bindung Beginnende Psychopathologie in Bindungsbeziehungen als Mischung aus Episoden von Normalität in Bindungssituationen Episoden mit Symptomen und Verhaltensauffälligkeiten
Ursachen der desorganisierten Bindung Ungelöstes Trauma der Eltern Auffälligkeiten der Pflegeperson in der Interaktion mit dem Kind Angstmachendes Verhalten Ängstliches Verhalten Hilfloses Verhalten In einzelnen Episoden Wiederholung des Traumas mit eigenem Kind (Gewalt)
Bindungsqualitäten II Organisierte vs. Desorganisierte Bindung Organisiert (sicher, unsicher) (ca. 80-90%) Desorganisiert (ca. 10-20%) Nach ungelöstem Trauma der Eltern (ca. 75-80% desorganisiert) Eltern
Inneres Arbeitsmodell der Bindung Verinnerlichung der verlässlichen Bindungsinteraktionen führen zu organisiertem stabilen Bindungs-Arbeitsmodell (Repräsentation von Bindung) Sichere Bindung Unsichere Bindung (vermeidend, ambivalent) Desorganisierte Bindung Stress durch verschiedene, sich widersprechende Arbeitsmodelle von Bindung Bindungsstörung Fragmentiertes, dissoziiertes oder kein Arbeitsmodell
Psychopathologie DESORGANISIERTE Bindung ist beginnende Psychopathologie BINDUNGSSTÖRUNG ist fixierte frühe Psychopathologie
Bindung und psychische Entwicklung Sichere Bindung bei psychischen Belastungen SCHUTZ Un-sichere Bindung RISIKO für die Entwicklung von psychischen Auffälligkeiten bei Belastungen aber KEINE Psychopathologie!!!!
Bindungsqualitäten Physiologie des Säuglings Stressreaktionen bei allen Bindungsmustern durch die Trennung von der Bindungsperson Erhöhung von Herzfrequenz, Erniedrigung von Hautwiderstand, Anstieg des Speichel-Cortisols maximale Werte und kaum Abfall nach Ende der Trennung bei unsicher-vermeidender Bindung desorganisierter Bindung
Folgen der Bindungsentwicklung (1) Sichere Bindung Schutzfaktor bei Belastungen Mehr Bewältigungsmöglichkeiten Sich Hilfe holen Mehr gemeinschaftliches Verhalten Empathie für emotionale Situation von anderen Menschen Mehr Beziehungen Mehr Kreativität Mehr Flexibilität und Ausdauer Mehr Gedächtnisleistungen und Lernen
Folgen der Bindungsentwicklung (2) Un-Sichere Bindung Risikofaktor bei Belastungen weniger Bewältigungsmöglichkeiten Lösungen von Problemen eher alleine Rückzug aus gemeinschaftlichen Aktivitäten weniger Beziehungen Mehr Rigidität im Denken und Handeln Weniger prosoziale Verhaltensweisen schlechtere Gedächtnisleistungen und Lernen
Bindungsrepräsentationen der Erwachsenen sicher-autonom unsicher distanziert verstrickt ungelöstes Trauma (Zusatzmuster)
Bindungsrepräsentationen der sicher-autonom Erfahrung Erwachsenen Zuwendung, Liebe, Wertschätzung von Beziehung und Bindung, Hilfe, Unterstützung, Bindungsperson emotional sichere Basis Narrativ (Bindungsinterview) kohärent, grosse Affektspanne
Bindungsrepräsentationen der unsicher-distanziert Erfahrung Erwachsenen Zurückweisung, wenig Wertschätzung von Beziehung, kaum Unterstützung, Narrativ (Bindungsinterview) inkohärent, Wut und Enttäuschung, Abwertung oder Idealisierung der Beziehung zu den Bindungspersonen, keine konkreten Erinnerungen
Bindungsrepräsentationen der unsicher-verstrickt Erfahrung Erwachsenen widersprüchliche Erfahrung von großer Nähe und Zurückweisung, Überfürsorge, Übergriffe, Angst der Bindungsperson Narrativ (Bindungsinterview) inkohärent, Wut und Enttäuschung, Hass, Verstrickung, Überschwemmung mit Details in den Erinnerungen
Bindungsrepräsentationen der Erwachsenen unsicher bei ungelöstem Trauma Erfahrung Unfall,Trennung,Verlust, Missbrauch, Misshandlung Verlust der sicheren emotionalen Basis durch Trauma, keine affektive Beruhigung, Dissoziation der Erfahrung Narrativ (Bindungsinterview) extrem inkohärent, Affektüberschwemmung, Angst, Blockaden, dissoziative Phänomene
Bindung zwischen den Generationen Zusammenhang zwischen Bindung der Eltern und des Kindes sichere Eltern mit sicheren Kindern Mutter-Kind ca. 75% Vater-Kind ca. 65% unsichere Eltern mit unsicheren Kindern traumatisierte Eltern mit desorganisierten Kindern
Was sind Bindungsstörungen? Durch multiple Traumatisierungen des Kindes wird die frühe Eltern-Kind- Interaktion gravierend gestört Die Folge ist eine frühe Psychopathologie der Bindungsentwicklung, die wir Bindungsstörung nennen.
Ursachen von Bindungsstörungen Multiple unverarbeitete Traumatisierungen von Kindern in der frühen Zeit durch ihre Bindungspersonen Sexuelle Gewalt Körperliche Gewalt Emotionale Gewalt Verbale Gewalt Massive Vernachlässigung Häufig wechselnde Bezugssysteme Multiple Verluste Zeuge von Gewalt zwischen den Bindungspersonen
Unverarbeitetes Trauma der Mutter/des Vaters Störung der Interaktion und der affektiven Kommunikation mit dem Säugling Pränatal und postnatal ängstliches Verhalten der Mutter ängstigendes Verhalten der Mutter hilfloses Pflegeverhalten der Mutter
Auslöser ( Trigger ) für Trauma-Erinnerung Trigger im Verhalten des Säuglings, Kindes, Jugendlichen Bindungswünsche, Nähe Weinen, Kummer, Schmerz, Bedürftigkeit Ablösung, Abgrenzung Trigger in der affektiven Erregung unbewußte Vorgänge!!!
Re-Inszenierung des Traumas In der Interaktion mit dem Säugling Zurückweisung der Nähewünsche -Vermeidung Gewalt Abrupte Handlungsabbrüche Überstimulation (sexuell-sensorisch) In der affektiven Kommunikation Übertragung der Trauma-Affekte Wut, Scham, Erregung, Angst, Panik
Von der Bindungssicherheit zur Psychopathologie Sicherheit Un-Sicherheit Desorganisation Übergang zur Psychopathologie Bindungsstörung Psychopathologie
Entstehung von Bindungsstörungen als Psychopathologie I wiederholte Traumatisierung des Kindes in der frühen Kindheit häufig in der Bindungsbeziehung nicht vorhersehbar willkürlich Vernachlässigung, Trennungen, Gewalt Todesbedrohung
Förderung der Bindungsstörung durch die Eltern II Drohung mit Entzug der elterlichen Liebe Drohung mit Entzug der elterlichen Nähe Drohung mit elterlichem Suizid Tabuisierung und Verschweigen von traumatischer Erfahrung
Entstehung von Bindungsstörung III ANGST PANIK HILFLOSIGKEIT Extreme Aktivierung des Bindungsbedürfnis
Ort und Person im Traumakontext Fremder Ort vs. vertrauter Ort Fremde Person vs. Bindungsperson Körperkontakt Intimbereich
Folgen von Bindungsstörungen I Zerstörung der sicheren emotionalen Basis Verlust von emotionaler Sicherheit und Vertrauen mangelnde Beziehungsfähigkeit Hochgradige Verhaltensstörung in bindungsrelevanten Situationen
Folgen von Bindungsstörungen II psychosomatische Störungen Gefahr von Missbrauch und Misshandlung Weitergabe an die nächste Generation Störung in der Entwicklung des Gehirns aggressives Verhalten im Konflikt Defizite in den kognitiven Möglichkeiten
Folgen von Bindungsstörungen III Störung in der Entwicklung des Gehirns Störungen in der Stressregulation aggressives Verhalten in Stresssituationen Defizite in den kognitiven Möglichkeiten
Folgen von Bindungsstörungen IV Desorganisation Derealisation Depersonalisation Dissoziation
Symptome nach Trauma ANGST Angststörungen Panikattacken Phobien Somatoforme Störungen Schlafstörungen /Ess-Störungen Depressionen Selbstwertstörungen
Symptome nach Trauma ANGST Dissoziative Störungen / Konversionsneurosen Borderline-Störung Selbstverletzendes Verhalten / Suizidalität ADHD Verhaltensstörungen Störungen im Bereich Lernen und Gedächtnis Störung der Affektregulation Zwangsstörungen Sucht / Drogenabhängigkeit
Neurobiologie Veränderungen nach Trauma Angst / Stress unspezifische eskalierende Erregung höherer assoziativer Strukturen Verwirrung, Desorganisation Bewältigungsversuche Bewältigung durch Aktivierung älterer Hirnareale
Neurobiologie Veränderungen nach Trauma 1. Stufe der Bewältigung Suche nach Bindungsperson Sicherheit, Beruhigung 2. Stufe der Bewältigung Aktivierung von archaischen Notfallreaktionen Flucht oder Kampf Erstarrung Ohnmacht und Hilflosigkeit Langanhaltende Stimulation der Hormonsysteme für Stresshormone
Neurobiologie Veränderungen nach Trauma Destabilisierung und Regression von Cortisol-sensitiven Neuronen im Hippocampus, limbischen System und präfrontalen Cortex Massive Erregung der Neuronen durch exzitatorische Reize (Glutamat) Degeneration von Neuronen
Störungen der Hirnentwicklung nach Trauma (Deprivationsforschung bei Tieren) Abbau von Nervenzellen im Gehirn Verringertes Hirnvolumen Erweiterte Hirninnenräume
Adult Attachment Interview-AAI Carol George und Mary Main (1) Semi-Strukturiertes Interview Fragen Beschreibung der Familiensituation Beziehung zu den Eltern mit frühester Erinnerung Fünf Eigenschaftswörter für Beziehung zu Eltern in der Kindheit Nähe zu Mutter bzw. Vater
AAI (2) Fragen Hilfe bei "nicht wohl fühlen" (Trauer, Angst, Krankheit) Erste Trennung von den Eltern Ablehnung durch Eltern Bedrohung durch Eltern Einfluss der Eltern auf Persönlichkeit Erklärung für Verhalten der Eltern
AAI (3) Fragen Verlust von wichtigen Bindungspersonen Veränderungen in der Beziehung zu Eltern Reaktionen auf Trennung von eigenem Kind Reales Kind Imaginiertes Kind Lernen aus Kindheitserfahrungen
Auswertung des AAI Wiss. Auswertung sehr kompliziert Verdacht auf ungelöstes Trauma Trauma wird berichtet Symptome von Posttraumatischer Belastung Kohärenz des Sprachflusses Dissoziative Phänomene
AAI - Kleingruppe Übung an Fragen Familiensituation Fünf Eigenschaftswörter für Beziehung zu Eltern in Kindheit Erste Trennung von den Eltern
Sicher-autonome Bindungsrepräsentation (F) Transkriptionsbeispiel (I: Interviewer; P:Proband) I: Was haben Sie gemacht, wenn Sie sich als Kind verletzt haben? P: Meine Mutter hatte zwar nicht viel Zeit, was mir damals manchmal zu schaffen machte, aber wenn mir etwas fehlte oder ich sie brauchte, war sie da. I: Fällt Ihnen dazu irgendein Beispiel ein? P: Ich erinnere mich, z.b. damals, als ich mein Knie verletzt hatte, das war in den Sommerferien, ich war ungefähr 6 Jahre alt, da bin ich zu schnell mit meinem Rad um die Kurve gefahren und war ganz im Schock. Da bin ich gleich zu meiner Mutter, die hat alles stehen und liegen lassen und sie hat mich in die Arme genommen und gesagt: Oh das muss weh tun, aber es wird wieder heilen. Ja, wenn ich so darüber nachdenke, ich muss sagen, sie hat es gut gemacht.
Unsicher-distanzierte Bindungsrepräsentation (Ds) Transkriptionsbeispiel (I: Interviewer; P: Proband) I: Wie würden Sie die Beziehung zu Ihren Eltern damals beschreiben? P: Das war, ich war, ich habe eine glückliche Kindheit gehabt, also das war echt super. I: Könnten Sie mir dazu ein Beispiel nennen? P: Einfach so eine harmonische Familie wie man sich das vorstellt, ganz allgemein, also ganz normal halt. I: Was verstehen Sie unter normal? P: Keine Ahnung, also oh je, also ja, sehr herzlich. I: Gibt es dazu eine Erinnerung? P: Nein, ich kann mich nicht erinnern, keine nein. I: Fällt Ihnen ein konkretes Beispiel ein, das die Herzlichkeit beschreiben würde? P: Also ich weiß nur noch, dass es mich als Kind immer so aufgeregt hat, wenn ich die abgetragenen Kleider von meiner Schwester tragen musste, so Sachen fallen mir ein, aber es war eigentlich alles super.
Unsicher-verstrickte Bindungsrepräsentation (E) Transkriptionsbeispiel (I: Interviewer; P: Proband) I: Wie haben Sie die Beziehung zu Ihrer Mutter empfunden? P: Oh, den ganzen Dickkopf auch und den Eigensinn. Eigenwillen und auch mit den Engheiten und deswegen habe ich allerdings sehr sehr spät eine sehr starke Auseinandersetzung gehabt, musste ich, um mich zu lösen aber sie war diejenige, die für uns alles entschieden hat: Alles im Praktischen und daheim und so, es war alles sehr sauber und da gehst Du nicht hin und das mach ich und das ziehst Du an das bestimmt sie und Ihr spielt das Instrument gut, das war ja klar, das konnte man dann nicht so und die Schule aber, es ging schon sehr weit ich, war so unentschlossen. I: Fällt Ihnen sonst noch etwas ein, das die Beziehung damals beschreiben würde? P: Und ich will sie immer beschützen, und ich weiß nicht warum. Bis heute und na ja und eigentlich man sich immer gedacht hat bis 16 legt die einem die Wäsche hin und das musst Du so machen und so, und hat sich und ich habe bis heute Träume, wo ich also schier aggressiv gegen sie werde. Das quält einen bis heute und ein und man möchte sie trotzdem ihre Kindheit ist mir so auch nah und irgendwo noch zum Mitleiden noch nah.
Unverarbeitetes Trauma (U) Transkriptionsbeispiel (I: Interviewer; P:Proband) I: Wie haben Sie den Tod Ihrer Großmutter damals empfunden? P:!Ach das war schon schlimm, ich kann gar nicht glauben, dass sie tot ist, ich habe es immer noch nicht begriffen, sie ist vor zwei Jahren gestorben, und es ist für mich wie gestern... (ca. 30 s Pause)... I: Waren Sie auf der Beerdigung? P: Ja letztes Jahr, das war schlimm, ich weiß nicht mehr genau wieviel Uhr es war, doch genau 12.00 haben sie den Sarg runtergelassen und meine Oma hatte ihre Lieblingsbluse an, die mit den roten Blümchen, ihre Brille war etwas verrutscht. I: Sie sagen, die Beerdigung war letztes Jahr, wann ist Ihre Großmutter gestorben? P: Vor 2 Jahren.