Kapitel II Ringe. 1 Grundbegriffe. 1.1 Definition eines Rings



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Transkript:

Kapitel II Ringe Eine zentrale Aufgabe der Algebra ist es, Aussagen über die Nullstellen von Polynomen zu machen. Für den Umgang mit Polynomen ist es nützlich, die abstrakten Hintergründe der Addition und Multiplikation zu formalisieren und die Analogien zu den entsprechenden Operationen mit ganzen Zahlen zu nutzen. Das ist der Ursprung der Theorie der Ringe. Als Hilfsmittel in der Körpertheorie sind vor allem die Kriterien für die Irreduzibilität aus 3 wichtig. Weitergehende Ergebnisse der Idealtheorie sind Grundlage für die algebraische Geometrie. 1 Grundbegriffe 1.1 Definition eines Rings Im Gegensatz zu Gruppen gibt es in einem Ring R zwei Verknüpfungen: Eine Addition, mit der R zu einer abelschen Gruppe wird, und eine Multiplikation mit der R nur Halbgruppe sein muss. Die beiden Verknüpfungen sind durch Distributivgesetze gekoppelt. Ausführlich aufgeschrieben hat man folgende Definition Ein Ring ist eine Menge R zusammen mit zwei inneren Verknüpfungen + und, die folgende Bedingungen erfüllen: R1 R zusammen mit + ist eine abelsche Gruppe. R2 Die Multiplikation ist assoziativ. R3 Es gelten die Distributivgesetze, d.h. für alle a, b, c R ist a (b + c) =a b + a c und (b + c) a = b a + c a. Das neutrale Element 0 R der Addition heißt Nullelement von R. G. Fischer, Lehrbuch der Algebra, DOI 10.1007/978-3-658-02221-1_2, Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

146 II RINGE Wenn deutlich gemacht werden soll, um welche Verknüpfungen es sich handelt, kann man einen Ring als Tripel (R, +, ) schreiben. Um Klammern zu sparen, gilt die übliche Regel Punkt vor Strich, zudem lässt man den Malpunkt meist weg. Offensichtlich ist die Bedingung für die Multiplikation weit schwächer als für die Addition. Für zusätzliche Eigenschaften der Multiplikation gibt es Namen: Ein Ring heißt kommutativ, wenn die Multiplikation kommutativ ist, d.h. a b = b a für alle a, b R. Ein Element 1 R heißt Einselement, wenn 1 a = a 1=a für alle a R. Dass beide Bedingungen nötig sind, sieht man am Beispiel 5 aus I 1.2 Wir notieren zwei elementare Regeln über den Zusammenhang von Addition und Multiplikation: Bemerkung 1 In einem Ring R gilt: a) a0 =0a =0, ( a)b = a( b) = (ab), ( a)( b) =ab. b) Hat R ein Einselement 1, so gilt 1=0genau dann, wenn R = {0} der Nullring ist. Beweis a) a0 =a (0 + 0) = a0+a0, 0a =(0+0)a =0a +0a, ab +( a) b =(a a) b =0, ab + a( b) =a(b b) =0, ab ( a)( b) =ab + a( b) =0. b) Ist R = {0}, so hat offensichtlich 0 die Eigenschaft eines Einselements. Ist umgekehrt 1=0, so folgt a =1a =0a =0für jedes a R. Ein a R heißt rechter bzw. linker Nullteiler, wenn es ein b R mit b 0 gibt, so dass b a =0 bzw. a b =0. Nach der obigen Bemerkung ist 0 sowohl rechter als auch linker Nullteiler. R heißt nullteilerfrei, wenn es keine rechten oder linken Nullteiler außer 0 gibt. Offensichtlich gilt: Bemerkung 2 Für einen Ring R sind folgende Bedingungen gleichwertig: i) R ist nullteilerfrei. ii) R {0} ist multiplikativ abgeschlossen. iii) Es gelten die Kürzungsregeln a x = b x a = b und x a = x b a = b, falls a, b, x R und x 0. Schließlich nennt man einen Ring Integritätsring, wenn er folgende Bedingungen erfüllt:

1.2 EINHEITEN, KÖRPER, UNTERRINGE 147 1) R hat ein Einselement 1 0. 2) R ist kommutativ. 3) R ist nullteilerfrei. 1.2 Einheiten, Körper, Unterringe Im Gegensatz zur Addition haben Ringelemente im Allgemeinen kein Inverses bezüglich der Multiplikation. Das führt zu einer neuen Definition Ist R ein Ring mit 1, so heißt ein a R Einheit, wenn es ein ã R gibt mit aã =ãa =1. Ist R nicht kommutativ, so sind in der Tat beide Bedingungen nötig (Beispiel 5 in II 1.4). Bemerkung In einem Ring R mit 1 ist die Menge R := {a R : a ist Einheit } R bezüglich der Multiplikation eine Gruppe. R heißt Einheitengruppe von R. Beweis R ist multiplikativ abgeschlossen, denn sind a, b R, so gibt es ã, b R mit aã =ãa = b b = bb =1, also (ab)( bã) =( bã)(ab) =1. Außerdem ist 1 R und zu a R ist ã ein Inverses. Ist 1 0, so gilt R R {0}. Besonders wichtig ist der Extremfall R = R {0}, d.h. jedes a 0hat als Element der Gruppe R nach I 1.3 ein eindeutiges Inverses a 1 R. Das führt zur Definition Ein Körper ist eine Menge K zusammen mit zwei inneren Verknüpfungen + und, die folgende Bedingungen erfüllen: K1 K zusammen mit der Addition ist eine abelsche Gruppe mit neutralem Element 0 und Inversem a von a. K2 K {0} zusammen mit der Multiplikation ist eine abelsche Gruppe mit neutralem Element 1 und Inversem a 1 von a. K3 Für a, b, c K gilt das Distributivgesetz a (b + c) =a b + a c. Sind diese Bedingungen mit Ausnahme der Kommutativität der Multiplikation in K2 erfüllt, so spricht man von einem Schiefkörper (in diesem Fall muss man das Distributivgesetz K3 auch in der anderen Reihenfolge fordern).

148 II RINGE In II 1.13 werden wir zeigen, dass man jeden Integritätsring R zu einem Körper Q(R), dem Quotientenkörper, erweitern kann. Ist R endlich, so ist die Erweiterung gar nicht nötig: Lemma Ein endlicher Integritätsring ist ein Körper. Beweis Ist a R mit a 0gegeben, so betrachten wir die Abbildung μ a : R R, x ax. In einem Integritätsring ist μ a injektiv, ist R endlich auch surjektiv. Also gibt es ein b R mit ab =1. Nun zum nächsten grundlegenden Begriff: Definition Ist R ein Ring und S R eine Teilmenge, so heißt S Unterring von R, wenn gilt: 1) Für a, b S ist auch a + b S und a b S. 2) S mit den von R geerbten Verknüpfungen + und ist wieder ein Ring. Diese Definition folgt dem allgemeinen Schema für eine Unterstruktur. Für die Praxis verwendet man wieder ein der speziellen Situation angepasstes handliches Kriterium: Bemerkung Eine Teilmenge S R ist genau dann Unterring, wenn folgendes gilt: a) S. b) a, b S a b S und a b S. Der Beweis folgt sofort aus dem entsprechenden Kriterium für Untergruppen in I 1.6. Ist schließlich K ein Körper, so heißt L K ein Unterkörper, wenn L ein Körper und ein Unterring ist. K heißt dann Oberkörper von L, man nennt K L auch Körpererweiterung. Damit beschäftigen wir uns ausführlich in Kapitel III. Wie bei Gruppen sieht man, dass der Durchschnitt beliebig vieler Unterringe S eines Ringes R wieder ein Unterring ist. Also kann man für eine Teilmenge M R den von M erzeugten Unterring Erz (M) := S M S R erklären. Ist S R Unterring und a R, so ist die Notation S[a] :=Erz (S {a}) üblich. Man sagt dafür, a wird zu S adjungiert.

1.3 RINGHOMOMORPHISMEN 149 1.3 Ringhomomorphismen Die mit Addition und Multiplikation verträglichen Abbildungen zwischen Ringen nennt man wieder Homomorphismen. Definition Sind (R, +, ) und (R, +, ) Ringe, so heißt eine Abbildung ϕ : R R Ringhomomorphismus, wenn für alle a, b R ϕ(a + b) =ϕ(a)+ ϕ(b) und ϕ(a b) =ϕ(a) ϕ(b). Die Begriffe Monomorphismus, Epimorphismus, Isomorphismus, Endomorphismus und Automorphismus erklärt man wie bei Gruppen (I 2.1). Ist ϕ : R R ein Ringhomomorphismus, so heißt Ker ϕ = {a R : ϕ(a) =0} R derkern von ϕ und Im ϕ = ϕ(r) R das Bild von ϕ. Man beachte, dass bei der Definition des Kerns nur das neutrale Element der Addition vorkommt. Ohne jede Mühe zeigt man die folgenden Aussagen: Bemerkung a) Ist ϕ : R R ein Ringhomomorphismus, so sind Ker ϕ R und Im ϕ R Unterringe. b) Sind ϕ : R R und ψ : R R Ringhomomorphismen, so ist ψ ϕ : R R Ringhomomorphismus. c) Ist ϕ : R R Ringisomorphismus (d.h. bijektiver Homomorphismus), so ist ϕ 1 : R R Ringisomorphismus. d) Ist S R Unterring, so ist die Inklusion ι : S R Ringhomomorphismus. e) Ein Ringhomomorphismus ϕ : R R ist genau dann injektiv, wenn Ker ϕ = {0}. f) Ist ϕ : R R Ringhomomorphismus und R Körper, so ist ϕ injektiv oder ϕ(a) =0für alle a R. Zum Beweis von f) ein kleiner Hinweis: Gibt es ein a R {0} = R mit ϕ(a) =0, so folgt ϕ(1) = 0 und daraus ϕ(b) =0für alle b R. 1.4 Beispiele Das für die späteren Untersuchungen wichtigste Beispiel ist der Polynomring, dafür ist Abschnitt II 1.5 reserviert. Wir geben zunächst einige andere Beispiele. Beispiel 1 Die ganzen Zahlen Z mit Addition und Multiplikation bilden einen Integritätsring. Ein formaler Beweis dieser Eigenschaften gründet sich auf die Peano-Axiome. Die dazu nötigen Peano-Spielereien findet man etwa bei [ArM, 10.2] oder [Eb, Kap. 1]. Beispiel 2 Z ist ein Unterring des Körpers { m } Q = n : m, n Z,n 0

150 II RINGE der rationalen Zahlen. In II 1.13 werden wir in Analogie zu Z Q für jeden Integritätsring R einen Quotientenkörper Q(R) konstruieren. Mit Hilfsmitteln der Analysis (etwa Cauchy-Folgen oder Dedekindschen Schnitten) erhält man den Körper R der reellen Zahlen als Oberkörper von Q. Wir werden in Kapitel III sehen, dass es noch viele Körper K mit Q K R gibt, man nennt sie Zwischenkörper. Die wichtigste Körpererweiterung von R sind die komplexen Zahlen C R. Ihre geometrische Beschreibung als Zahlenebene R 2 mit der lateralen Einheit i = 1 geht auf Gauss zurück [Ga 4, 31], (vgl. auch [vdw 2 ]). R 2 hat über R die Basis (1, 0) und (0, 1), wir setzen 1:=(1, 0) als reelle Einheit und i := (0, 1) als imaginäre Einheit. Dann ist als Vektorraum C = R 2 = {a + bi : a, b R} bezüglich der Addition eine abelsche Gruppe. Die Multiplikation ist dadurch festgelegt, dass i 2 = 1 sein soll, also (a + bi)(c + di) :=(ac bd)+(ad + bc) i. Damit ist 1=1+0i Einselement, das Inverse erhält man aus der Rechnung 1 a + bi = a bi (a + bi)(a bi) = a a 2 + b 2 b a 2 + b 2 i. Wir überlassen dem Leser die restlichen kleinen Nachweise für die Axiome im Körper C der komplexen Zahlen. Wie wir in Kapitel III sehen werden, gibt es zwischen R und C keinen echten Zwischenkörper. Dagegen gibt es zwischen Z und C viele interessante Zwischenringe, etwa den Ring Z + Zi := {m + ni : m, n Z} C der ganzen Gaußschen Zahlen (mehr dazu in II 3.12). Zu z = a + bi C heißt z := a bi C die komplex konjugierte Zahl und N(z) :=z z = a 2 + b 2 R die Norm von z. Es gelten die Rechenregeln z + z = z + z, z z = z z,n(z z )=N(z) N(z ). Aus der Norm erhält man den Absolutbetrag z = z z = a 2 + b 2. Man kann die Multiplikation auch schön mit Polarkoordinaten in R 2 beschreiben, das findet man z.b. in [Fi 1, 1.3.4]. Natürlich kann man R 2 auch durch die Multiplikation (a, b) (c, d) :=(a c, b d)

1.4 BEISPIELE 151 zu einem kommutativen Ring mit Einselement (1, 1) machen. Allerdings wimmelt es dann von Nullteilern, etwa (1, 0) (0, 1) = (0, 0). Beispiel 3 Es ist naheliegend eine zur Körpererweiterung R R 2 = C analoge Konstruktion R R n mit n 3 zu versuchen. In III 1.8 werden wir mit Hilfe des Fundamentalsatzes der Algebra zeigen, dass dies unmöglich ist. Dass es für ungerades n nicht geht, kann man schon daraus folgern, dass ein reelles Polynom ungeraden Grades eine reelle Nullstelle hat. Es gilt (vgl. [Eb, Kap. 6]): Ist R R n = K eine Körpererweiterung mit ungeradem n, so ist n =1. Beweis R n = K bedeutet, dass K ein R-Vektorraum der Dimension n ist. Für jedes a K ist die Abbildung ein Vektorraum-Endomorphismus, denn F : R n R n,v v a, (v + v ) a = va + v a, (λv) a = λ (va). Da n ungerade ist, hat das charakteristische Polynom von F eine reelle Nullstelle λ, es gibt also einen Eigenvektor 0 v R n. Aus av = λv folgt (a λ 1) v =0. Da K nullteilerfrei ist, muss a = λ 1 R sein. In Beispiel 6 zeigen wir, wie R 4 zum Schiefkörper der Quaternionen gemacht werden kann. Für größeres n hat es nur noch Sinn im R n nach sogenannten Divisionsalgebren zu suchen. Man kann zeigen, dass dafür n eine Potenz von 2 sein muss, noch genauer: Es geht höchstens für n =1, 2, 4 oder 8. ImR 8 hat man die Struktur der Oktaven von Cayley, sie ist nicht mehr assoziativ. All das findet man sehr schön ausgeführt in [Eb, Kap. 7 und Kap. 10]. Beispiel 4 Ist M eine nicht leere Menge und R ein Ring, so kann man in Abb (M,R) :={f : M R} durch (f + g)(x) :=f(x)+g(x) und (f g)(x) :=f(x) g(x) für alle x R eine Addition und eine Multiplikation erklären; wie man leicht sieht, wird Abb (M,R) dadurch zu einem Ring. Ist M = {1,...,n}, so ist Abb (M,R) =R... R =: R n ein direktes Produkt; man nennt R n den Produktring. Ist M R n offen und R = R, so ist C(M,R) :={f Abb (M,R) :f stetig} Abb (M,R)

152 II RINGE ein Unterring. Ein f C (M,R) ist genau dann Einheit, wenn f(x) 0für alle x M. Ist M C offen und zusammenhängend (in der komplexen Funktionentheorie sagt man dafür Gebiet), so ist O(M) :={f Abb (M,C) :f holomorph} Abb (M,C) ein Unterring, weil Summen und Produkte holomorpher Funktionen wieder holomorph sind. Wie bei den stetigen Funktionen ist f O(M) genau dann Einheit, wenn f in M keine Nullstelle hat. Im Gegensatz zu C(M,R) ist O(M) ein Integritätsring, denn ist 0 f O(M), so hat f höchstens isolierte Nullstellen (wie man in der Funktionentheorie mit Hilfe des Identitätssatzes beweist). Beispiel 5 Sei G eine abelsche Gruppe, die Verknüpfung wird als Addition geschrieben. Mit End (G) :={ ϕ : G G : ϕ Homomorphismus} bezeichnen wir die Menge der Endomorphismen von G. Eine Addition in End (G) ist erklärt durch (ϕ + ψ)(a) :=ϕ(a)+ψ(a), als Multiplikation dient die Hintereinanderschaltung ϕ ψ. Bezüglich der Addition ist End (G) eine abelsche Gruppe, die Hintereinanderschaltung ist assoziativ und (ϕ (ψ 1 + ψ 2 ))(a) = ϕ(ψ 1 (a)+ψ 2 (a)) = (ϕ ψ 1 )(a)+(ϕ ψ 2 )(a) =(ϕ ψ 1 + ϕ ψ 2 )(a). Analog zeigt man das andere Distributivgesetz, also ist End (G) ein Ring; er heißt Endomorphismenring von G. Einselement ist die identische Abbildung, Einheiten sind die Automorphismen. Ist V ein Vektorraum über einem Körper K, so hat man analog den Endomorphismenring End (V ). Als Beispiel betrachten wir den R-Vektorraum V = R[X] der Polynome mit reellen Koeffizienten (vgl. II 1.5). Er hat die abzählbare Basis (1,X,X 2,...,X k,...). Wir geben zwei wichtige Endomorphismen an: Die Differentiation ergibt: D : R[X] R[X],a n X n +...+ a 1 X + a 0 na n X n 1 +...+ a 1, durch Integration erhält man I : R[X] R[X],b m X m +...+ b 1 X + b 0 b m m +1 Xm+1 +...+ b 1 2 X2 + b 0 X. Der Endomorphismus D ist nicht injektiv (den Kern bilden die konstanten Polynome) und I ist nicht surjektiv (die konstanten Polynome liegen nicht im Bild). Offensichtlich ist D I = id R[X],

1.4 BEISPIELE 153 also ist D Linksinverses von I und I Rechtsinverses von D, aberd und I sind keine Einheiten im Ring End (R[X])! In einem beliebigen Körper K kann man Probleme mit den ganzzahligen Faktoren bekommen (vgl. III 1.1). Ein analoges Beispiel erhält man allgemein, indem man D und I auf der Basis (1,X,...,X k,...) von K[X] durch D(X k ):=X k 1,D(1) := 0 und I(X k ):=X k+1 erklärt. In einem endlich-dimensionalen Vektorraum geht das nicht: Ist dim K V < und sind F, G End (V ) gegeben mit F G = id V,sosindF, G Isomorphismen, also Einheiten im Endomorphismenring. Das weiß man aus der linearen Algebra, denn aus F G = id V folgt durch Betrachtung der Dimensionen, dass F surjektiv und G injektiv ist (vgl. etwa [Fi 1, 2.2.4]). Beispiel 6 Im vorhergehenden Beispiel hatten wir den Endomorphismenring einer abelschen Gruppe betrachtet, ein Spezialfall sind Vektorräume V über einem Körper K. Ist dim K V = n<, so wird nach Wahl einer Basis jeder Endomorphismus durch eine n n-matrix beschrieben, das ergibt nach den Regeln der linearen Algebra [Fi 1, 2.6.4] einen Ringisomorphismus End K (V ) = M(n n; K). Der Matrizenring M(n n; K) hat als Einselement die Einheitsmatrix E n, für n 2 ist er nicht kommutativ und hat Nullteiler. Man kennt die Einheiten: (M(n n; K)) = GL (n; K) ={A M(n n; K) :deta 0}. Der Matrizenring ist sehr nützlich, weil man viele Ringe als Unterringe realisieren kann, das nennt man Matrixdarstellung (in Analogie zur Permutationsdarstellung von Gruppen in I 4.2). Wir wollen den Nutzen einer solchen Darstellung am Beispiel der Konstruktion der Quaternionen H von Hamilton vorführen. Es ist naheliegend, die Konstruktion folgendermaßen zu beginnen: Die Addition in H = R 4 ist die Addition im Vektorraum. Zur Definition der Multiplikation betrachten wir zunächst die kanonische Basis e := e 1, i := e 2, j := e 3, k := e 4. Darauf wird die Multiplikation erklärt wie in der Quaternionengruppe (Beispiel 4 aus I 1.9) durch die Tafel e i j k e e i j k i i -e k -j j j -k -e i k k j -i -e

154 II RINGE Das Produkt beliebiger Elemente aus H erhält man daraus, indem man nach dem Distributivgesetz ausmultipliziert: (ae + bi + cj + dk) (a e + b i + c j + d k)= (aa bb cc dd ) e +(ab + ba + cd dc ) i +(ac bd + ca + db ) j +(ad + bc cb + da ) k. ( ) Aber nun beginnt der Ärger mit dem Nachweis der Axiome. Schon um das Inverse zu finden, muss man ein Gleichungssystem für die vier Unbekannten a,b,c,d lösen. Der Leser möge das zur Übung in Angriff nehmen. Wir kommen zurück auf den Trick von Cayley, der schon in Beispiel 4 aus I 1.9 bei der Definition der Quaternionengruppe verwendet wurde, nämlich die Benutzung des Rings M(2 2; C). Dazu betrachten wir die Abbildung ( ) z w C C ϕ M(2 2; C), (z,w). w z Da komplex konjugiert wird, ist die injektive Abbildung ϕ nicht C-linear, sondern nur R-linear. Somit ist H := ϕ(c C) M(2 2; C) ein 4-dimensionaler reeller Untervektorraum. Wir verwenden noch den R-Isomorphismus R 4 C C, (a, b, c, d) (a + bi,c+ di) und seine Komposition mit ϕ ( a + bi c + di R 4 M(2 2; C), (a, b, c, d) c + di a bi ). Das ergibt einen R-Vektorraum-Isomorphismus ψ : R 4 H, als Bild der kanonischen Basis in R 4 erhält man die R-Basis ( ) ( ) 1 0 i 0 E = ψ(e 1 )=,I= ψ(e 2 )= 0 1 0 i ( ) ( ) 0 1 0 i J = ψ(e 3 )=,K= ψ(e 4 )=. 1 0 i 0 von H. Damit ist gewonnen: Unsere ins Auge gefasste Multiplikation in R 4 wird realisiert durch die Multiplikation von Matrizen. H M(2 2; C) ist ein Unterring, denn ( )( ) ( ) z w z w zz w w zw + w z =. w z w z ( z w + wz ) z z ww

1.5 POLYNOMRINGE 155 In C C ergibt das via ϕ 1 die Multiplikation (z,w) (z,w )=(zz w w,zw + w z ), in R 4 entspricht das via ψ 1 der Formel ( ) von oben. Insbesondere ist die Multiplikation in H assoziativ und auch das Distributivgesetz ist erfüllt, da diese Regeln für Matrizen in der Linearen Algebra bewiesen wurden. Weiter ist für (z,w) C C ( ) z w det = z z + w w 0 w z und für (z,w) (0, 0) ist z z + w w >0, also ( ) 1 ( z w 1 z w = w z z z + w w w z ) H. Damit ist gezeigt, dass H ein Schiefkörper ist. Da ψ : R 4 H ein R-Vektorraum-Isomorphismus ist, überträgt sich die Struktur des Schiefkörpers H auf H = R 4, derart dass die Regel ( ) gilt. Damit wird ψ zu einem Ringisomorphismus. Wie man sofort sieht, gilt damit in H (ae + bi + cj + dk) 1 = 1 a 2 + b 2 + c 2 (ae bi cj dk). + d2 Man nennt H den Schiefkörper der Quaternionen. Die Quaternionengruppe Q ist eine Untergruppe der Ordnung 8 von H. 1.5 Polynomringe Vom naiven Standpunkt ist ein Polynom ein formaler Ausdruck f(x) =a n X n + a n 1 X n 1 +...+ a 1 X + a 0. Damit man wie gewohnt damit rechnen kann, sollen die Koeffizienten a 0,...,a n Elemente eines Ringes R sein; damit die Monome X k Polynome sind, soll der Ring eine 1 besitzen. Wie wir später sehen werden, ist es nützlich, wenn R kommutativ ist. Von der Unbestimmten X erwartet man, ihrem Namen entsprechend, dass man dafür einsetzen kann, was man will - oder zumindest alles was sinnvoll ist. Das ist von einem formalen Standpunkt keine befriedigende Erklärung. Um es besser zu machen, nutzt man die Beobachtung, dass ein Polynom eindeutig festgelegt ist durch eine Verteilung einer endlichen Zahl von Ringelementen auf vorgegebene

156 II RINGE Positionen, nämlich als Faktoren der Monome X 0,X 1,...,X k,... Damit sind wir startklar. Sei R ein kommutativer Ring mit 1. Dann ist R[X] erklärt als Menge aller Folgen (a 0,a 1,...,a k,...) mit a k R und a k =0 für fast alle k N. Eine Addition in R[X] ist komponentenweise erklärt, also (a 0,a 1,...,a k,...)+(b 0,b 1,...,b k,...):=(a 0 + b 0,a 1 + b 1,...,a k + b k,...). Die komponentenweise Multiplikation ist nicht angemessen; dem üblichen Rechnen mit Polynomen entspricht das Cauchy-Produkt (oder die Faltung) (a 0,a 1,...,a k,...) (b 0,b 1,...,b k,...)=(c 0,c 1,...,c k,...) mit k c k := a l b k l. l=0 Der Name Faltung rührt daher, dass bei einer Faltung der Zahlengeraden im Punkt k 2 die Indizes l und k l zusammentreffen. Mit Hilfe der Ringaxiome in R weist man ohne jede Mühe nach, dass R[X] mit der oben erklärten Addition und Multiplikation ein kommutativer Ring mit Einselement 1=(1, 0,...,0,...) ist. Durch den Monomorphismus R R[X],a (a, 0,...,0,...) kann man R als Unterring von R[X] auffassen. Nun kommt die Katze aus dem Sack: Wir erklären X := (0, 1, 0,...,0,...) R[X]. Nach Definition der Multiplikation in R[X] folgt X k =(0,...,0, 1, 0,...) für k N, wobei die 1 an der (k +1)-ten Stelle steht. Damit sind wir am Ausgangspunkt angelangt: Ist f =(a 0,a 1,...,a n, 0,...) R[X] mit a k =0 für k>n, so folgt aus den Rechenregeln in R[X] f = a 0 + a 1 X +...+ a n X n. Die Fähigkeit der Unbestimmten X, alle möglichen Werte anzunehmen, kann man so formulieren: Universelle Eigenschaft des Polynomrings Ist R ein kommutativer Ring mit 1, so hat der Polynomring R[X] folgende Eigenschaft: Gegeben ein Ring S (kommutativ mit 1), ein Ringhomomorphismus ϕ : R S und ein x S, so gibt es genau einen Homomorphismus Φ:R[X] S mit Φ(X) =x,

1.5 POLYNOMRINGE 157 so dass das Diagramm R[X] Φ R ϕ S kommutiert, d.h. Φ eine Fortsetzung von ϕ ist. Beweis Da Φ ein Homomorphismus sein soll, muss Φ ( a k X k) = k k ϕ(a k )x k ( ) sein. Also gibt es höchstens ein solches Φ. Verwendet man die Gleichung ( ) als Definition von Φ, so zeigen elementare Rechnungen, dass Φ ein Homomorphismus ist. Man beachte, dass beim NachweisvonΦ(f g) =Φ(f) Φ(g) die Kommutativität von S benötigt wird. Am einfachsten sieht man das schon für f = ax, g = b, f g = abx und Φ(f g) =Φ(abX) =ϕ(ab)x = ϕ(a)ϕ(b)x! = ϕ(a)xϕ(b) =Φ(f) Φ(g). Ist etwa R = R, S = C, ϕ die Inklusion und x = i, soistφ:r[x] C surjektiv und X 2 +1 Ker Φ. Ursprünglich ist ein Polynom eine Funktion, dieser Zusammenhang lässt sich schön mit der universellen Eigenschaft beschreiben. Ist R ein Ring (kommutativ mit 1), so ist auch die Menge Abb (R, R) der Abbildungen von R in sich ein Ring (Beispiel 4 aus II 1.4). Spezielle Elemente sind die konstanten Abbildungen und die identische Abbildung Offensichtlich ist die Abbildung ϕ a : R R mit ϕ a (x) =a für alle x R id R : R R mit id R (x) =x für alle x R. ϕ : R Abb (R, R),a ϕ a ein Homomorphismus. Nach der universellen Eigenschaft von R[X] gibt es genau einen Homomorphismus Φ:R[X] Abb (R, R) mit Φ(a) =ϕ a und Φ(X) =id R.

158 II RINGE Schreiben wir f =Φ(f), so ist f = a n X n +...+ a 1 X + a 0 und f(x) =a n x n +...+ a 1 x + a 0 für x R. Aus dem abstrakten Polynom f entsteht also die reale Polynomfunktion f. Wir fassen das Ergebnis zusammen: Satz über die Polynomfunktion Ist R ein kommutativer Ring mit 1, soist die Abbildung R[X] Abb (R, R),f f, ein Homomorphismus. Vorsicht! Die Unterscheidung von f und f ist wichtig, weil die Abbildung f f im Allgemeinen nicht injektiv ist. Als Beispiel nehme man den Ring R = {0, 1} und f = X 2 +X. Eine positive Antwort wird in der Bemerkung aus II 1.8 gegeben. Abbildungen eines Rings in sich kann man hintereinanderschalten, bei Polynomfunktionen bedeutet das, dass man sie ineinander einsetzt, d.h. man betrachtet die Funktion f(g(x)). Genauer bedeutet das Folgendes: Ist g R[X] ein festes Polynom, so gibt es nach der universellen Eigenschaft des Polynomrings genau einen Homomorphismus σ g : R[X] R[X] mit σ g (a) =a für a R und σ g (X) =g. Man nennt σ g den Einsetzungshomomorphismus (oder Substitutionshomomorphismus) und schreibt f(g) :=σ g (f). Insbesondere gilt f(x) =f, d.h. wenn man g = X einsetzt, ändert sich nichts. Bei der Definition von Polynomen war vorausgesetzt worden, dass nur endlich viele der Koeffizienten a k R von Null verschieden sind. Lässt man diese Bedingung fallen, so erhält man formale unendliche Summen f := a k X k, k=0 das ist eine formale Potenzreihe. Man kann solche Reihen addieren und multiplizieren wie Polynome, und erhält damit eine neue Erweiterung R[X] R[[X]] = { a k X k : a k R } k=0 des Polynomrings zum Ring der formalen Potenzreihen. Im Gegensatz zu Polynomen ergibt eine formale Potenzreihe im Allgemeinen keine Abbildung von R nach R; etwafürr = R oder C kann man Konvergenzbereiche von Potenzreihen studieren.

1.6 GRAD EINES POLYNOMS 159 1.6 Grad eines Polynoms Besondere Bedeutung in einem Polynom f = a n X n +...+ a 0 mit a n 0hat der Leitterm a n X n und der Leitkoeffizient a n. Diese höchste auftretende Potenz n von X heißt Grad von f. In Zeichen: Ist f = a n X n +...+ a 1 X + a 0 mit a n 0, so ist deg f := n. Demnach hat ein konstantes Polynom a 0 0den Grad 0. Das Nullpolynom soll noch kleineren Grad haben, wir setzen deg 0 :=. Gradformel Ist R kommutativ mit 1, so gilt für alle f,g R[X] deg(f g) deg f +degg. Ist der Leitkoeffizient von f oder g Nichtnullteiler, so hat man Gleichheit. Beweis Ist f =0oder g =0, so ist f g =0, also deg(fg)= =degf +degg, denn für alle n N ist n = =. Gilt f 0und g 0, also f = m a k X k mit a m 0 und g = k=0 n b k X k mit b n 0, so ist deg f = m und deg g = n. Der höchstmögliche Koeffizient von f g ist c m+n = a m b n, also deg(fg) m + n. Ist a m oder b n kein Nullteiler, so ist c m+n 0. k=0 Man beachte, dass sich für die Summe nur die triviale Vorhersage machen lässt (es kann g = f sein!). deg(f + g) max{deg f,deg g} Besonders angenehm sind Polynome, bei denen der Leitkoeffizient a n eine Einheit ist. Durch Multiplikation mit a 1 n erhält man f = X n +ã n 1 X n 1 +...+ã 1 X +ã 0 mit ã i = a i a 1 n. Ein solches Polynom mit dem Leitkoeffizienten 1 heißt normiert. Nullteiler und Einheiten im Polynomring R[X] sind durch R bestimmt: Bemerkung Im Polynomring R[X] gilt: a) R[X] nullteilerfrei R nullteilerfrei. b) R nullteilerfrei (R[X]) = R. Beweis a) ist klar, da R R[X]; folgt aus der Gradformel.

160 II RINGE b) ist klar. Zum Nachweis von sei f (R[X]). Dann gibt es ein g R[X] mit f g =1, also folgt aus der Gradformel deg f +degg =deg(fg)=0 und deg f =degg =0. Somit sind f,g R konstante Polynome, aus fg =1folgt f,g R. Wir kommen noch einmal zurück auf den Einsetzungshomomorphismus. Für Polynomfunktionen ist f(g) die Hintereinanderschaltung. Daraus kann man jedes f zurückerhalten, wenn g eine Umkehrung h besitzt: Ist g(h) =id R, so ist die Komposition R h R g R f R gleich f: Wir zeigen nun, dass dies im Allgemeinen genau dann geht, wenn g linear ist. Lemma Ist R Integritätsring und g R[X], so ist der Einsetzungshomomorphismus σ g : R[X] R[X],f f(g), genau dann ein Isomorphismus, wenn g = ax + b mit a R. Beweis Ist g = ax + b mit a R, so definieren wir h := a 1 (X b) und offensichtlich ist σ g (σ h (X)) = X = σ h (σ g (X)). Nach der universellen Eigenschaft des Polynomrings ist σ h invers zu σ g. Ist σ g surjektiv, so gibt es ein f R[X] mit X = f(g). DaR Integritätsring ist, gilt deg(f(g)) = (deg f) (deg g), also im Fall X = f(g) (deg f) (deg g) =1 und deg f =degg =1. Daher ist f = cx + d, g = ax + b mit a, c R {0} und f(g) =cax + cb + d =1 X, also c, a R. 1.7 Division mit Rest So wie ganze Zahlen kann man auch Polynome mit Rest dividieren. Wir behandeln zunächst den einfachsten Fall, dass die Koeffizienten aus einem Körper stammen. Satz über die Division mit Rest Sei K ein Körper und seien f,g K[X] gegeben, wobei g 0. Dann gibt es eindeutig bestimmte q, r K[X], derart dass f = qg + r und deg r<deg g. ( )

1.7 DIVISION MIT REST 161 Im Quotientenkörper K(X) von K[X] (Beispiel 2 in II 1.14) kann man die Beziehung ( ) auch als f g = q + r g schreiben. Das Polynom q ist der Anteil des Quotienten, der aufgeht, r verbleibt als Rest. Beweis Wir zeigen zunächst die Eindeutigkeit. Ist qg + r = qg + r so folgt r r =( q q)g. Nun ist einerseits deg (r r) < deg g, wenn deg r,deg r <deg g. Andererseits folgt aus dem Gradsatz deg (r r) =deg( q q)+degg. Das kann nur dann gehen, wenn q q =0ist, also q = q und r = r. Um die Existenz von q und r zu zeigen, sei f = a n X n +...+ a 0 und g = b m X m +...+ b 0 mit n =degf, m =degg 0. Ist n<m, so kann man q =0und r = f setzen, f =0 g + f ist eine Lösung. Für n m konstruieren wir schrittweise q 1,...,q k K[X] mit k n m +1, so dass q = q 1 +...+ q k eine Lösung wird. Im ersten Schritt setzen wir f 0 := f Wir erhalten q 1 := a n b m X n m. f 1 := f 0 q 1 g mit deg f 1 < deg f 0. Ist deg f 1 < deg g, so ist q = q 1 und r = f 1 eine Lösung. Andernfalls fahren wir mit f 1 fort wie oben mit f 0 und erhalten aus q 2 f 2 := f 1 q 2 g mit deg f 2 < deg f 1. Das Verfahren wird so lange fortgesetzt, bis f k := f k 1 q k g mit deg f k < deg g erreicht wird. Das ist spätestens bei k = n m +1 der Fall. Insgesamt erhält man f =(q 1 +...+ q k )g + f k,

... X 1 162 II RINGE man hat also eine Lösung q = q 1 +...+ q k, r = f k. Als Beispiel für eine konkrete Rechnung setzen wir f = X n 1 und g = X 1: (X n 1 ) : (X 1) = X n 1 + X n 2 +...+ X +1 X n +X n 1 X n 1 1 X +1 0 Also ist q = X n 1 +...+ X +1und r =0. Sind Polynome f,g R[X] gegeben und ist R kein Körper, sondern nur ein Ring, so muss die Division mit Rest modifiziert werden. Betrachtet man den Beweis für Körper, so sieht man, dass nur durch den Leitkoeffizienten b = b n von g dividiert werden muss. Ist b R, so geht alles analog. Im allgemeinen Fall wird in der Iteration statt f i das Polynom bf i bearbeitet. Das Ergebnis sieht so aus: Dann ist mit f 0 = f f 1 = bf 0 q 1 g, deg f 1 < deg f 0, f 2 = bf 1 q 2 g, deg f 2 < deg f 1,. f k = bf k 1 q k g, deg f k < deg g. bf = f 1 + q 1 g b 2 f = bf 1 + bq 1 g = f 2 +(q 2 + bq 1 )g. b k f = f k +(q k + bq k 1 +...+ b k 1 q 1 )g =: r + qg Insgesamt erhält man eine Variante der Division mit Rest Sei R ein Integritätsring, seien f,g R[X] mit g 0, b R sei der Leitkoeffizient von g. Dann gibt es q, r R[X] und k N, so dass b k f = qg + r und deg r<deg g. Ähnlich wie bei Körpern kann man sagen, dass q und r bis auf eine Potenz von b eindeutig bestimmt sind.

1.8 NULLSTELLEN UND WERTE VON POLYNOMEN 163 1.8 Nullstellen und Werte von Polynomen Die Division mit Rest ergibt wichtige Konsequenzen für die Nullstellen von Polynomen. Dabei bezeichnet f(a) für f R[ X ] und a R den Wert σ a (f). Korollar Ist R ein Integritätsring, f R[X] mit deg f 1 und gilt f(a) =0 für ein a R, so gibt es genau ein q R[X] mit f =(X a) q und deg q =degf 1. Insbesondere hat ein Polynom vom Grad n 1 höchstens n Nullstellen in R. Beweis Wir dividieren f mit Rest durch g = X a, das ergibt Aus f(a) =0folgt r(a) =0, also r =0. f = q(x a)+r mit deg r<1. Sind a 1,...,a m R paarweise verschieden mit f(a i )=0, so folgt f =(X a 1 )... (X a m ) h und 0 deg h =degf m. Also muss m n sein. Dass R keine Nullteiler haben darf, ist wesentlich. Ist R = Z/6Z (vgl. II 2.5), so hat f = X 2 + X als Nullstellen die vier Restklassen k +6Z für k =0, 2, 3, 5. In II 1.5 hatten wir den Homomorphismus Φ:R[X] Abb(R, R),f f, betrachtet, der jedem abstrakten Polynom f die Polynomfunktion f zuordnet, und wir hatten gesehen, dass Φ nicht injektiv sein muss. Bemerkung Ist R ein Integritätsring mit unendlich vielen Elementen, so ist Φ:R[X] Abb(R, R) injektiv. Beweis f =0bedeutet, dass f unendlich viele Nullstellen hat. Nach dem obigen Korollar muss dann f =0das Nullpolynom sein. Sind in einem Ring R paarweise verschiedene Elemente a 1,...,a n gegeben, so ist f := (X a 1 )... (X a n ) ein Polynom vom Grad n mit Nullstellen in a 1,...,a n. Über einem Körper kann man sogar die Werte eines Polynoms vorschreiben. Interpolationsformel von Lagrange In einem Körper K seien paarweise verschiedene a 1,...,a n K und beliebige b 1,...,b n vorgegeben. Dazu gibt es genau ein f K[X] mit f(a i )=b i für i =1,...,n und deg f n 1.

164 II RINGE Beweis Zunächst sieht man, dass für jedes i das Polynom g i := (X a 1)... (X a i 1 ) (X a i+1 )... (X a n ) (a i a 1 )... (a i a i 1 ) (a i a i+1 )... (a i a n ) K[X] die Eigenschaften g i (a j )= { 1 für i = j, 0 für i j, und deg g i = n 1 hat. Daher ist durch f := b 1 g 1 +...+ b n g n eine Lösung der Interpolationsaufgabe gefunden. Man nennt f ein Interpolationspolynom. Die Eindeutigkeit ist klar: Aus f(a i )= f(a i ) folgt (f f)(a i )=0 für i =1,...,n. Da deg (f f) deg g i = n 1, folgt f = f aus obigem Korollar. 1.9 Einheitswurzeln in C Die Nullstellen des Polynoms X n 1 sind die Grundlage für Fragen der Kreisteilung, mit denen wir uns in Kapitel III näher beschäftigen. Zunächst nennt man ξ C eine n-te Einheitswurzel, wenn ξ n =1, d.h. ξ ist Nullstelle von X n 1. Weiter sei C n := {ξ C : ξ n =1} C die Menge aller komplexen n-ten Einheitswurzeln. Man kann C n explizit angeben mit Hilfe einer primitiven n-ten Einheitswurzel ζ n := exp ( 2πi). n Lemma Für jedes n N {0} ist C n = {1,ζ n,...,ζn n 1 } und X n 1=(X 1) (X ζ n )... (X ζn n 1 ). Weiter induziert der Homomorphismus ϕ n : Z C n, r ζn r =exp ( 2πir ), n

1.9 EINHEITSWURZELN IN C 165 einen Isomorphismus ϕ n : Z/nZ C n, r + nz ζ r n, von der additiven zyklischen Gruppe Z/nZ auf die multiplikative Gruppe C n. Beweis Für jedes r Z ist ζ r n C n, denn ( ζ r n ) n = ζ r n n = ( ζ n n) r =1 r =1. Ebenfalls nach den Rechenregeln für Potenzen ist ϕ n ein Homomorphismus. Das erzeugende Element ζ n von C n hat die Ordnung n, daraus folgt Ker ϕ n = nz, nach dem Ersten Isomorphiesatz aus I 3.1 ist ϕ n ein Isomorphismus. Insbesondere folgt, dass X n 1 die n Nullstellen 1,ζ n,...,ζn n 1 hat; aus II 1.8 erhält man die angegebene Zerlegung von X n 1 in Linearfaktoren. In II 1.7 haben wir gesehen, dass X n 1=(X 1) q mit q = X n 1 +...+ X +1. Da ζ n 1für n>1, folgt q(ζ n )=0, d.h. für ζ = ζ n gilt 1+ζ + ζ 2 +...+ ζ n 1 =0. Das bedeutet, dass 0 der Schwerpunkt von C n ist. ζ = ζ 7 Aus dem Lemma ergibt sich sehr einfach die Bemerkung Für m, n N {0} sei d := ggt (m, n). Dann gilt C m C n = C d. Beweis Ist ξ C m C n, so ist ξ m = ξ n =1. Nach Bézout gibt es x, y Z mit d = xm + yn. Also ist ξ d = ξ xm+yn =(ξ m ) x (ξ n ) y =1 und ξ C d. Ist ξ C d,soistξ d =1.Dad m und d n, folgt ξ m = ξ n =1, also ξ C m C n.

166 II RINGE 1.10 Polynome in mehreren Veränderlichen Betrachtet man statt einer einzigen Unbestimmten X eine endliche Anzahl X 1,...,X n, so kann man damit ein Polynom als formalen Ausdruck f = a k1...k n X k1 1 (k 1,...,k n) N n... Xkn n betrachten. Der Strich an der Summe soll bedeuten, dass nur endlich viele der Koeffizienten a k1...k n mit dem Multiindex k 1...k n von Null verschieden sind. Lässt man diese Einschränkung fallen, so spricht man von einer formalen Potenzreihe. Zwei Fragen stellen sich unmittelbar: - Das praktische Problem, wie man mit solchen Polynomen rechnet. - Eine theoretische Erklärung des Begriffs von mehreren unabhängigen Unbestimmten. Da Polynome von mehreren Veränderlichen in diesem einführenden Buch nur gelegentlich auftauchen, begnügen wir uns damit, die Antworten zu skizzieren. Zur ersten Frage ist zunächst zu bemerken, dass die Reihenfolge, in der die Monome a k1...k n X k1 1... Xkn n zu summieren sind, im Gegensatz zum Fall n =1 nicht eindeutig festgelegt ist. Daher ist es von Vorteil zu festem k N all die Monome mit k 1 +...+ k n = k zusammenzufassen zum homogenen Anteil f k := a k1...k n X k1 1... Xkn n, k 1+...+k n=k vom Grad k, dann ist N f = f k, k=0 wobei N maximal mit f N 0gewählt ist. Die Menge aller Polynome in X 1,...,X n mit Koeffizienten aus einem kommutativen Ring R mit 1 bezeichnet man mit R [X 1,...,X n ]. Daraus wird ein Ring, indem man die formalen Ausdrücke nach den offensichtlichen Regeln addiert und multipliziert. Das kann man mit etwas Theorie untermauern. Zunächst betrachten wir die primitiven Monome X k1 1... Xkn n, sie sind durch ihre Exponenten (k 1,...,k n ) N n eindeutig bestimmt. Also wird die Menge X der primitiven Monome zu einer kommutativen Halbgruppe, wenn eine Multiplikation in X durch die Addition in N n beschrieben wird: (X k1 1... Xkn n ) (X l1 1... Xln n ):=X k1+l1 1... Xn kn+ln.

1.10 POLYNOME IN MEHREREN VERÄNDERLICHEN 167 Das ergibt genau genommen einen Isomorphismus N n X, (k 1,...,k n ) X k1 1... Xkn n, von Halbgruppen. Links wird addiert, rechts multipliziert. Neutrales Element in X ist e := X1 0... Xn. 0 Nun erklären wir den Polynomring als sogenannten Halbgruppenring von X, d.h. R [X 1,...,X n ]:=R[X] :={f : X R, wobei f(x) =0 für fast alle x X}. Ist x = X k1 1... Xkn n, so setzt man a k1...k n := f(x). Die Elemente von R[X] heißen Polynome. In R[X] kann man addieren und multiplizieren: (f + g)(x) :=f(x)+g(x), (f g)(x) := f(y) g(z) ; y,z X y z=x das sind Verallgemeinerungen der Formeln aus II 1.5, wo n =1war. Schließlich erklären wir für jedes a R das konstante Polynom c a durch { a für x = e, c a (x) = 0 sonst. Es ist nun Routinearbeit nachzuprüfen, dass R[X] zusammen mit der oben erklärten Addition und Multiplikation ein kommutativer Ring mit Einselement c 1 ist, und dass die Abbildung R R[X],a c a, ein Monomorphismus von Ringen ist. Man kann also R R[X] =R [X 1,...,X n ] als Unterring des Polynomrings in n Unbestimmten auffassen. Schließlich hat jedes f R [X 1,...,X n ] eine eindeutige Darstellung f = a k1...k n X k1 1 (k 1,...,k n) N n... Xkn n mit a k1...k n := f(x k1 1... Xkn n ) als endliche Summe von Monomen, wobei die Additionen und Multiplikationen nach den Regeln in R[X] ausgeführt werden. Damit ist der zu Beginn angegebene formale Ausdruck theoretisch abgesichert. Da f nach Definition eine endliche Summe von Monomen a k1...k n X k1 1... Xkn n ist, gibt es im Fall f 0mindestens eines davon, bei dem a k1...k n Summe d := k 1 +...+ k n 0und die

168 II RINGE der Exponenten maximal ist. Dieses d heißt (totaler) Grad von f, in Zeichen Man setzt wieder deg 0 :=. deg f := max{k 1 +...+ k n : a k1...k n 0}. Anschaulich ausgedrückt entsteht ein Element des Halbgruppenrings R [X 1,...,X n ], indem man endlich viele Ringelemente in N n verteilt. Für n = 2 kann man das einfach grafisch beschreiben, wir geben ein Beispiel mit R = Z und setzen X = X 1,Y = X 2 : Y 4 1 3 2 2 3-1 1-1 4 3 0 2 1 0 1 2 3 4 X Die Monome von f kann man in verschiedener Reihenfolge summieren: In lexikografischer Anordnung ist f =2 Y +4XY +3XY 2 + X 2 +2X 2 Y 3 X 3 Y 2 + X 3 Y 4 +3X 4 Y. Nach homogenen Anteilen zerlegt ist f =2+( Y )+(4XY + X 2 )+(3XY 2 )+(2X 2 Y 3 X 3 Y 2 +3X 4 Y )+(X 3 Y 4 ). Schließlich kann man nach Potenzen von Y sortieren: f =(2+X 2 )+( 1+4X +3X 4 ) Y +(3X X 3 ) Y 2 +(2X 2 ) Y 3 +(X 3 ) Y 4. Also ist f auch ein Polynom in Y mit Koeffizienten im Ring Z[X]. Daran erkennt man, dass sich allgemeiner Polynomringe in mehreren Unbestimmten auch rekursiv definieren lassen durch R [X 1,...,X n ]:=(R [X 1,...,X n 1 ])[X n ]. Das ist vor allem für Induktionsbeweise nützlich.

1.10 POLYNOME IN MEHREREN VERÄNDERLICHEN 169 Für spätere Anwendungen benötigen wir elementare Eigenschaften homogener Polynome. Dabei nennt man f R[ X 1,...,X n ] homogen vom Grad k, in Zeichen deg f = k, wenn f = k 1+...+k n=k a k1...k n X k1 1... Xkn n. Das bedeutet, dass f gleich seinem homogenen Anteil vom Grad k ist. Eine nützliche Charakterisierung erhält man durch Multiplikation aller Variablen mit einem Faktor. Um Probleme mit den Elementen des Rings R zu vermeiden, nehmen wir als Faktor eine weitere Unbestimmte T dazu. Lemma Ein Polynom f R[ X 1,...,X n ] ist genau dann homogen vom Grad k, wenn in R[ X 1,...,X n ][ T ] gilt: f(tx 1,...,TX n )=T k f(x 1,...,X n ). Beweis Ist f = f 0 +...+ f N die Zerlegung in homogene Anteile, so ist N N f(tx 1,...,TX n )= f l (TX 1,...,TX n )= T l f l (X 1,...,X n ). l=0 l=0 Daraus folgt die Behauptung durch Koeffizientenvergleich. Schließlich notieren wir noch eine Aussage über Produkte homogener Polynome f,g,h R[ X ] mit f = g h. Dann gilt Gegeben seien ein Integritätsring R und f homogen g und h homogen. Beweis ist offensichtlich, die Grade addieren sich. Zum Nachweis von zerlegen wir g und h in die nicht verschwindenden homogenen Anteile: g = g k1 +...+ g kr und h = h l1 +...+ h ls mit k 1 <...<k r und l 1 <...<l s. Angenommen g ist nicht homogen, dann ist r 2 und f = g k1 h l1 +...+ g kr h ls mit k 1 + l 1 <k r + l s. Also ist f nicht homogen.

170 II RINGE 1.11 Endliche Untergruppen der multiplikativen Gruppe eines Körpers Mit den nun zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln können wir ein überraschendes Ergebnis beweisen, das entscheidend sein wird bei der Untersuchung der Struktur endlicher Körper in III 3.4. Satz Jede endliche Untergruppe G der multiplikativen Gruppe K eines Körpers K ist zyklisch. Beweis Verwendet man die Struktursätze über endliche abelsche Gruppen, so geht es ganz schnell: Ist n := exp (G), so ist a n =1 für alle a G nach dem Korollar aus I 6.5. Also ist jedes a G Nullstelle des Polynoms X n 1 und daher ord (G) n, da X n 1 höchstens n Nullstellen hat (II 1.8). Da es aber nach Definition des Exponenten ein a G mit ord (a) =n gibt, folgt G = Erz (a). Viel elementarer aber etwas länger ist der Beweis mit Hilfe der Eulerschen Identität aus I 3.11. Ist n := ord G, so vergleichen wir G mit Z n. Wir haben für 1 d n M d (G) := {a G : ord a = d} M d (Z n ) := {a Z n : ord a = d} ψ(d) := ord M d (G) ϕ(d) := ordm d (Z n ) ψ(d) = n = ϕ(d) d n d n Es genügt, ψ(d) ϕ(d) für alle d zu beweisen, denn daraus folgt ψ(d) =ϕ(d), insbesondere ψ(n) =ϕ(n) 1, denn Z n ist zyklisch. Sei also d so gewählt, dass ψ(d) 1 und a M d (G). Dann ist H := Erz (a) <G und H = Z d, also ord M d (H) =ϕ(d). Also genügt es, M d (G) M d (H) und dazu M d (G) H zu zeigen. Jedes Element von H ist Nullstelle von X d 1, also ist X d 1=(X 1)(X a)... (X a d 1 ) in K[X]. Für jedes b M d (G) gilt b d =1, also folgt b H. Die einfachsten Beispiele sind die zyklischen Gruppen C n I 1.9). < C (Beispiel 6 in

1.12 EINBETTUNG EINER HALBGRUPPE IN EINE GRUPPE 171 1.12 Einbettung einer Halbgruppe in eine Gruppe Die ganzen Zahlen Z erhält man aus den natürlichen Zahlen N, indem man Negative dazu nimmt, die rationalen Zahlen Q aus Z, indem man Brüche bildet. Man muss sich nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen, was eine negative Zahl an sich ist, es genügt zu wissen, wie man damit rechnet. Der formale Hintergrund einer solchen Erweiterung eines Zahlbereichs ist die Ergänzung einer Halbgruppe H zu einer Gruppe G. Das geht nicht ohne Voraussetzungen an H. Satz über die Einbettung von Halbgruppen Sei (H, ) eine Halbgruppe, die folgende Bedingungen erfüllt: 1) H ist nicht leer und kommutativ. 2) In H gilt die Kürzungsregel a x = b x a = b, falls a, b, x H. Dann gibt es eine abelsche Gruppe (G, ), so dass H G und a b = a b für a, b H. Man nennt H G eine Einbettung von H in G. Eine kommutative Halbgruppe, in der die Kürzungsregel 2) nicht gilt, findet man in Beispiel 6 aus I 1.2. Beweis Schulden entstehen dann, wenn man für einen Betrag b einkauft, aber nur einen kleineren Betrag a auf dem Konto hat. Der gleiche Schuldenstand kann auch durch eine andere Kombination a,b entstehen, nämlich dann, wenn a b = a b, oder, ohne Minuszeichen ausgedrückt, a+b = b+a. Dem entsprechend definieren wir in H H die Relation (a, b) (a,b ): a b = b a. Um zu zeigen, dass es sich um eine Äquivalenzrelation handelt, benötigt man die angegebenen Voraussetzungen: (a, b) (a, b), denn ab = ba. (a, b) (a,b ) a b = ba = ab = b a (a,b ) (a, b). (a, b) (a,b ) (a,b ) ab = ba und a b = b a ab a b = ba b a ab (a b )=ba (a b ) ab = ba (a, b) (a,b ). Die Äquivalenzklasse von (a, b) bezeichnen wir mit [ a, b ], die Menge aller Äquivalenzklassen mit G. In G wird eine Verknüpfung erklärt durch [ a, b ] [ c, d ]:=[a c, b d ]. Diese ist wohldefiniert, denn aus [ a, b ]=[a,b ] und [ c, d ]=[c,d ] folgt ab = ba und cd = dc, also acb d = bda c, d.h. [ ac, bd ]=[a c,b d ], da H kommutativ ist. Außerdem ist assoziativ und kommutativ, da in H diese Regeln gelten.

172 II RINGE Ein neutrales Element e G ist e =[a, a ] für beliebiges a H. Da [ a, b ] [ b, a ]=[ab, ba ]=e, ist [ a, b ] 1 =[b, a ]. Also ist (G, ) eine abelsche Gruppe. Um H als Teilmenge von G wiederzufinden, betrachten wir die Abbildung Sie ist injektiv, denn aus H G, a [ a a, a ]. [ aa, a ]=[bb, b ] folgt aab = abb und a = b nach der Kürzungsregel in H. Weiter ist [ aa, a ] [ bb, b ]=[aabb, ab ]=[(ab)(ab),ab], also kann man a H mit [ aa, a ] G identifizieren und es folgt a b = a b für a, b H. Im Fall einer multiplikativen oder additiven Verknüpfung kann man auch a =[a, b ] und a b =[a, b ] b als formalen Quotienten oder formale Differenz schreiben. Als Beispiel im additiven Fall erhält man die Einbettung N Z. Den multiplikativen Fall werden wir im nächsten Abschnitt bei Ringen weiter verfolgen. 1.13 Quotientenkörper Ein Integritätsring R ist bezüglich der Addition eine abelschen Gruppe und bezüglich der Multiplikation ist R {0} eine kommutative Halbgruppe mit Kürzungsregel. Also kann man R {0} nach dem Satz über die Einbettung von Halbgruppen zu einer multiplikativen Gruppe erweitern. Wir zeigen nun, dass R auf diese Weise zu einem Körper Q(R) wird. Es sei daran erinnert, dass jeder nicht triviale Homomorphismus von einem Körper in einen Ring injektiv ist (Bemerkung f) in II 1.3). Satz über den Quotientenkörper Ist R ein Integritätsring, so gibt es einen Körper Q(R) und einen Monomorphismus ι : R Q(R) mit folgender universellen Eigenschaft: Ist K irgend ein Körper zusammen mit einem Monomorphismus ϕ : R K, so gibt es genau einen Monomorphismus Φ:Q(R) K, so dass das Diagramm Q(R) Φ K ι ϕ R

1.13 QUOTIENTENKÖRPER 173 kommutiert. Kurz gesagt: Bis auf Isomorphie ist der Quotientenkörper Q(R) der kleinste Körper, in den R als Unterring eingebettet werden kann. Beweis Wir übernehmen die Konstruktion des vorhergehenden Abschnitts mit einer kleinen Modifikation: R {0} ist mit der Multiplikation eine kommutative Halbgruppe mit Kürzungsregel, aber in Q(R) muss auch die Null enthalten sein. Wie in II 1.12. gezeigt wurde, ist in (R {0}) (R {0}) durch (a, b) (a,b ) ab = ba eine Äquivalenzrelation erklärt. Sie kann durch die gleiche Regel erweitert werden auf R (R {0}). Dann ist (0,b) (a,b ) a =0. Die Äquivalenzklasse von (a, b) bezeichnen wir nun mit a b, das ist ein formaler Quotient mit Nenner b 0. Nach Definition gilt a b = a b ab = ba. Wie in II 1.12 zeigt man, dass die Multiplikation der formalen Quotienten durch a b c d = a c b d wohldefiniert ist. Die Addition wird (in Erinnerung an das Elend mit den Brüchen) erklärt durch a b + c ad + cb =. d bd Um zu zeigen, dass sie wohldefiniert ist, muss man etwas rechnen: Aus ab = ba und cd = dc folgt bd(a d + b c )=bda d + bdb c = adb d + bcb d =(ad + bc)b d. Nun ist (Q(R), +) eine abelsche Gruppe: Die Rechnung für das Assoziativgesetz überlassen wir dem Leser, kommutativ ist klar. Nullelement ist 0= 0 1 und ( a b )= a b. Weiter ist Q(R) {0} eine abelsche Gruppe mit Einselement 1= 1 1 und ( a b ) 1 = b a. Das Distributivgesetz folgt mit den Regeln der Bruchrechnung, damit ist der Körper Q(R) konstruiert. Die Abbildung ι : R Q(R),a a 1,

174 II RINGE ist nach der Definition von Addition und Multiplikation in Q(R) ein Homomorphismus, und injektiv, da aus a 1 = b 1 folgt, dass a = b. Ist nun ϕ : R K ein beliebiger Monomorphismus, so zeigen wir zunächst, dass es höchstens ein Φ:Q(R) K mit ϕ =Φ ι gibt: Für jedes a b Q(R) muss Φ( a b )=Φ(ι(a) ι(b) 1 )=Φ(ι(a)) Φ(ι(b)) 1 = ϕ(a) ϕ(b) 1 sein. Umgekehrt ist Φ durch wohldefiniert, denn ist ab = ba, so folgt Φ( a ):=ϕ(a) ϕ(b) 1 b ϕ(a) ϕ(b )=ϕ(b) ϕ(a ), also ϕ(a) ϕ(b) 1 = ϕ(a ) ϕ(b ) 1. Als nicht trivialer Homomorphismus von Körpern ist Φ injektiv. 1.14 Beispiele Wir beschreiben einige Beispiele für Quotientenkörper. Beispiel 1 Das Standardbeispiel ist { m } Z Q = Q(Z) = n : m, n Z,n 0 mit m n = m n mn = nm. Wegen der Minimalität von Q(Z) ist Q auch der kleinste Körper, der die additive Halbgruppe N enthält. Beispiel 2 Ist K ein Körper, so ist K[X] ein Integritätsring. Man nennt K(X) :=Q(K[X]) = { f g : f,g K[X],g 0} den Körper der rationalen Funktionen. Ist die Abbildung f f auf die Polynomfunktionen injektiv, so bedeutet g 0, dass die Funktion ḡ nicht identisch verschwindet; ḡ kann dennoch Nullstellen haben. Ist ḡ(p) =0für p K, so nimmt die Funktion f/ḡ in p keinen Wert in K an! Für K = R kann man mehr sagen: Es ist f = f und ḡ = g. Ist g(p) =0und f(p) 0, so geht f(x) g(x) bei Annäherung von x an p gegen ±. Ist f(p) =g(p) =0,sokann man über den Wert von f g bei Annäherung an p zunächst keine Aussage machen. Wir werden später in II 3.6 sehen, wie man in diesem Fall einen gemeinsamen Faktor von f und g wegkürzen kann, so dass f g = f g und f mit g in p keine gemeinsame Nullstelle mehr hat.

1.14 BEISPIELE 175 Beispiel 3 Ist D C ein Gebiet, so ist der Ring O(D) der in G holomorphen Funktionen ein Integritätsring (Beispiel 4 in II 1.4). Man nennt M(D) :=Q(O(D)) = { f g : f,g O(D),g 0} den Körper der meromorphen Funktionen. Im Gegensatz zu Polynomen kann der Nenner g 0unendlich viele Nullstellen besitzen, diese liegen allerdings isoliert. Beispiel 4 Der Ring Z[ i ]=Z + Zi C der Gaußschen Zahlen ist ein Integritätsring. Er ist Bild von Z[X] unter der Abbildung Φ:Z[X] C, Φ(m) =m für m Z, Φ(X) =i. Wir behaupten Q(Z[ i ]) = Q[ i ]:={a + bi : a, b Q}. : Es gilt Z[ i ] Q[ i ] und Q[ i ] ist ein Körper, denn : Ist a = m n und b = m n 1 a + bi = 1 a 2 (a bi) Q[ i ]. + b2 mit m, m,n Z, so folgt a + bi = m + m i Q(Z[ i ]). n Man nennt Q[ i ] einen imaginär-quadratischen Zahlkörper. Mehr darüber in II 3.11.

176 II RINGE 2 Ideale und Restklassenringe In der Gruppentheorie haben wir gesehen, dass der Kern eines Homomorphismus ein Normalteiler ist, nach dem eine Faktorgruppe gebildet werden kann. Ein Analogon in der Ringtheorie sind Ideale. Der Name entstand in der Zahlentheorie, wo man gewöhnliche Zahlen durch ideale Zahlen ersetzt hat, um die Teilbarkeitseigenschaften zu verbessern (vgl. II 3.16). 2.1 Definition von Idealen Ist ϕ : R R ein Ringhomomorphismus, so ist Ker ϕ R ein Unterring, d.h. a, b Ker ϕ a b, a b Ker ϕ. Der Kern hat aber noch die weitere Eigenschaft a Ker ϕ, x R x a Ker ϕ und a x Ker ϕ, denn ϕ(x a) =ϕ(x) ϕ(a) =ϕ(x) 0=0, analog ϕ(a x) =0. Das ist Grundlage für die Definition Ist R ein Ring, so heißt eine Teilmenge a R ein Ideal, wenn Folgendes gilt: I1 a R ist bezüglich der Addition eine Untergruppe. I2 Ist a a und x R, so folgt x a a und a x a. Insbesondere ist jedes Ideal ein Unterring, aber nicht umgekehrt. Ist R kommutativ, so kann man die Bedingungen I 1 und I 2 offensichtlich zusammenfassen zu I 0 a und für jedes n N, a 1,...,a n a und x 1,...,x n R ist x 1 a 1 +...+ x n a n a. Ein Ideal ist also abgeschlossen unter der Bildung von Linearkombinationen mit Koeffizienten aus R. In jedem Ring gibt es die trivialen Ideale {0} und R. Ist R kommutativ und a R, so nennt man (a) :=Ra := {xa : x R} das von a erzeugte Hauptideal. Es ist tatsächlich ein Ideal, denn für xa, ya Ra ist xa ya =(x y)a Ra und für y R ist y(xa) =(yx)a. Zunächst zeigen wir, wie sich Ideale unter Homomorphismen verhalten. Genaueres dazu in II 2.4. Bemerkung Ist ϕ : R R ein Ringhomomorphismus, so gilt: a) Ist a R ein Ideal, so ist ϕ 1 (a ) R ein Ideal. b) Ist a R ein Ideal und ϕ surjektiv, so ist ϕ(a) R ein Ideal.