STEUERLICHER MISSBRAUCH DER 2. SÄULE?



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Transkript:

Missbrauch der 2. Säule als steuerbegünstigtes Kontokorrent? Kritische Würdigung von BGE 2C_658/2009 vom 12. März 2010 Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hatte sich in einem Entscheid vom 12. März 2010 ein weiteres Mal mit der steuerlichen Problematik zu befassen, die aus Einkäufen in die berufliche Vorsorge und zeitnahen Leistungsbezügen in Kapitalform resultiert. Erstmals setzte sich dabei das höchste Gericht mit der Tragweite des am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Art. 79b Abs. 3 BVG auseinander. Gemäss dieser Bestimmung dürfen nach einem getätigten Einkauf die daraus resultierenden Leistungen innerhalb der nächsten drei Jahre nicht in Kapitalform aus der Vorsorge zurückgezogen werden. Der bundesgerichtliche Entscheid wird im Folgenden kritisch beleuchtet. I Sachverhalt E. (geb. 1943) tätigte am 21. Dezember 2004 einen Einkauf in Höhe von CHF 20 000. in die Vorsorgeeinrichtung seiner Arbeitgeberin. Am 11. April 2005 und am 4. September 2006 nahm er nochmals Einkäufe in Höhe von je CHF 30 000. vor. Per 30. Juni 2007 liess er sich vorzeitig pensionieren. In diesem Zeitpunkt bezog er aus der Pensionskasse eine Kapitalleistung in Höhe von CHF 432 884.. Überdies erhält er seither eine Altersrente in Höhe von CHF 460. pro Monat beziehungsweise CHF 5520. pro Jahr. Diese Rente errechnete die Pensionskasse aus den drei vorerwähnten Einkäufen in Höhe von total CHF 80 000. zuzüglich Zinsen bis zur Pensionierung. Im Rahmen der Steuererklärungen 2004 2006 wollten E. und seine Ehefrau die geleisteten Einkäufe von der Bemessungsgrundlage in Abzug bringen. Die Veranlagungsbehörde verweigerte in den jeweiligen Veranlagungen die geltend gemachten Abzüge. Das (nach Durchlaufen des kantonalen Instanzenzugs schliesslich angerufene) Bundesgericht kam in seinem Entscheid zum Schluss, die Einkaufsbeiträge seien zu Recht nicht zum Abzug zugelassen worden. II Erwägungen des Bundesgerichts Henk Fenners Dr. iur., dipl. Steuerexperte Ariste Baumberger MBA (International Taxation), dipl. Steuerexperte dipl. Wirtschaftsprüfer, dipl. Betriebsökonom FH Partner T & R AG, Gümligen Das Bundesgericht führt zunächst seine Rechtsprechung zur Steuerumgehung im Vorsorgebereich aus, wonach der Abzug von Einkäufen dann zu verweigern sei, wenn damit nicht die Nr. 2/2011, Seite 129

Schliessung von Beitragslücken angestrebt werde, sondern eine gezielt vorübergehende sowie steuerlich motivierte Geldverschiebung in die Pensionskasse und somit eine Zweckentfremdung der 2. Säule als steuerbegünstigtes Kontokorrent erfolge; das Ziel von solchen Einkäufen liege eigentlich in der Verbesserung der beruflichen Vorsorge, was jedoch verfehlt werde, wenn die eingelegten Mittel kurze Zeit später bei kaum verbessertem Vorsorgeschutz der Vorsorgeeinrichtung wieder entnommen würden (E. 2.1). Auch wenn die Einzahlungen zu einer längerfristigen Bindung in Form einer Rente geführt hätten, sei auch hier kurz danach ein grösserer Betrag wieder als Kapital ausbezahlt worden. Insofern bestehe Übereinstimmung mit dem klassischen Missbrauchsmodell. Die zusätzlichen Einzahlungen hätten die Vorsorgesituation kaum verbessert und bei einem gesamten Vorsorgevolumen von mehr als CHF 500 000. sowie einem deklarierten steuer baren Vermögen von über CHF 5 Mio. müsse die gewählte Gestaltung als absonderlich oder zumindest wenig sachgerecht beurteilt werden (E. 2.2). Zu dem von den Pflichtigen ebenfalls angerufenen Art. 79b Abs. 3 BVG bemerkt das Bundesgericht, davon werde einzig der im Jahr 2006 geleis - tete Einkauf erfasst (E. 3.2.1). Die Bestimmung übernehme und konkretisiere die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Verweigerung der Abzugsberechtigung wegen Steuerumgehung. Wenn die Vorschrift die getätigten Einkäufe für die daraus resultierenden Leistungen einer dreijährigen Kapitalrückzugssperre unterwerfe, so sei das nicht als eine notwendigerweise direkte Verknüpfung zwischen dem Einkauf und der Leistung zu verstehen. Einer solchen Verknüpfung müsse ohnehin entgegengehalten werden, dass die in eine Vorsorgeeinrichtung einbezahlten Beiträge nicht ausgesondert und die Leistungen aus Vorsorgeeinrichtungen nicht aus bestimmten Mitteln, sondern aus dem Vorsorgekapital der versicherten Person insgesamt finanziert würden. Aufgrund dessen sei Art. 79b Abs. 3 BVG so auszulegen, dass jegliche Kapitalauszahlung während der Dreijahresfrist missbräuchlich sei und jede während der Sperrfrist erfolgte Einzahlung vom Einkommensabzug ausgeschlossen werden müsse (E. 3.3.1). III Würdigung Dem Bundesgericht ist insofern beizupflichten, als es klarstellt, dass nur die Einzahlung aus dem Jahr 2006 unter Art. 79b Abs. 3 BVG fällt, während die in den Jahren 2004 und 2005 geleisteten Einkäufe von der Bestimmung nicht erfasst werden. Des Weiteren ist mit dem höchsten Gericht einig zu gehen, dass Art. 79b Abs. 3 BVG eine vorsorgerechtliche Norm darstellt, die auf steuerrechtlichen Motiven beruht; die Voten in den parlamentarischen Beratungen unterstreichen dies 1. Schliesslich blieb auch im gesamten Verfahren die vorsorgerechtliche Zulässigkeit der getätigten Einkäufe unbestritten. Diese beruhten offensichtlich auf einer reglementarischen Grundlage und bewegten sich innerhalb der Schranken, welche das Gesetz solchen Einkäufen setzt. Grundsätzlich sind deshalb die Einzahlungen auch steuerlich abzugsfähig. Eine «Infektionswirkung» könnte lediglich der zeitnahe Leistungsbezug in Kapitalform haben. Nachfolgend wird deshalb der Frage nachgegangen, ob das Steuerrecht beziehungsweise die steuerrechtlichen Normen im Vorsorgerecht einem solchen Kapitalrückzug Schranken setzen. Ausgangspunkt bildet dabei die bundesgerichtliche Praxis zur Steuerumgehung im Allgemeinen und im Bereich der 2. Säule im Besonderen 1 Vgl. Amtliches Bulletin NR 2002, S. 503 und 566 f., SR 2002, S. 1035 und 1053, NR 2003, S. 630. Nr. 2/2011 Seite 130

(1.). Alsdann gehen die Autoren auf die Frage ein, ob das Bundesgericht zu Recht die Kriterien der Steuerumgehung als erfüllt ansah (2.) und ob der vorgenommenen Auslegung von Art. 79b Abs. 3 BVG beigepflichtet werden kann (3.). Der Klärung bedürfen schliesslich weitere Fragen (4.), so insbesondere das Verhältnis von Art. 79b Abs. 3 BVG zum Instrument der Steuerumgehung und zur Bestimmung von Art. 37 Abs. 2 BVG. 1 Bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Steuerumgehung Inhaltsübersicht I Sachverhalt II Erwägungen des Bundesgerichts III Würdigung 1 Bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Steuerumgehung 2 Keine Steuerersparnis im vorliegenden Fall 3 Unzutreffende Deutung von Art. 79b Abs. 3 BVG 4 Weitere Kritikpunkte IV Ausblick Gemäss den vom Bundesgericht entwickelten Kriterien liegt eine Steuerumgehung dann vor, wenn die von den Steuerpflichtigen gewählte Rechtsgestaltung ungewöhnlich, sachwidrig oder absonderlich, jedenfalls den gesamten wirtschaftlichen Gegebenheiten völlig unangemessen ist (objektives Element), dazu anzunehmen ist, dass sie diese Rechtsgestaltung missbräuchlich gewählt haben einzig in der Absicht, Steuern einzusparen, die bei sachgemässer Ordnung der Verhältnisse geschuldet wären (subjektives Element), und schliesslich das gewählte Vorgehen tatsächlich zu einer erheblichen Steuerersparnis führen würde, sofern es von den Steuerbehörden hingenommen würde (effektives Element) 2. Ein Missbrauchspotenzial besteht im Zusammenhang mit der beruflichen Vorsorge dann, wenn kurz vor einem Leistungsbezug in Kapitalform noch Deckungslücken mittels Einkäufen geschlossen werden. Dies liegt daran, dass die (grundsätzlich) volle Abzugsfähigkeit der Vorsorgebeiträge 3 im Zusammenspiel mit der privilegierten Besteuerung der Kapitalleistung 4 eine erhebliche Steuerersparnis bewirkt, ohne dass damit eine wesentliche Verbesserung des Vorsorgeschutzes einhergeht. Dies widerspricht der gesetzgeberischen Konzeption der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der beabsichtigten steuerprivilegierten Erhöhung des Vorsorgeschutzes, welche den entsprechenden steuerlichen Bestimmungen zu - grunde liegt. Die Steuerbehörden und ihnen folgend die Steuerjustizbehörden bejahten deshalb eine Steuerumgehung in Fällen, in denen die Steuerpflichtigen versuchten, einen Steuervorteil daraus zu erzielen, dass sie frei verfügbares Kapital lediglich kurzfristig in der beruflichen Vorsorge parkierten 5. 2 Statt vieler: BGE 131 II 627 ff. (635), E. 5.2. 3 Vgl. Art. 33 Abs.1 lit. d DBG sowie Art. 9 Abs. 2 lit. d StHG. 4 Da sie getrennt vom übrigen Einkommen zum (günstigen) Vorsorgetarif besteuert wird (vgl. Art. 38 DBG sowie Art. 11 Abs. 3 StHG beziehungsweise die entsprechenden Grundlagen in den kantonalen Steuergesetzen). 5 BGE 131 II 627 ff.; BGE 2A.705/2005 vom 13.4.2006; BGE 2A.389/2003 vom 10.3.2004; BGE 2A.440/2002 vom 13.8.2003; Bundessteuer-Rekurskommmission ZH, Urteil vom 26.6.2002, in: StE 2002 B 27.1 Nr. 32; Verwaltungsgericht LU, Urteil vom 30.6.2003, in: StE 2003 B 27.1 Nr. 30; Steuerrekurskommission TG, Urteil vom 22.2.2005 (StRE Nr. 411/2004). A.M. Verwaltungsgericht ZH, Urteil vom 23.1.2002, in: StE 2002 B 27.1 Nr. 26; Verwaltungsgericht AG, Urteil vom 19.12.2002, in: StE 2003 B 27.1 Nr. 29. Nr. 2/2011, Seite 131

Diese Praxis nahm der Bundesgesetzgeber anlässlich der 1. BVG-Revision auf, indem er Art. 79b Abs. 3 BVG erliess, der darauf abzielt, Missbräuche zu unterbinden, die sich aus dem Einkauf von Beitragsjahren und einem zeitnahen Leistungsbezug in Kapitalform ergeben können 6. Die Regelung von Art. 79b Abs. 3 BVG bildet demnach einen Anwendungsfall der sogenannten «Durchgangsfunktion des Rechtsmissbrauchsverbotes» 7. 2 Keine Steuerersparnis im vorliegenden Fall Der hier zur Diskussion stehende Fall unterscheidet sich vom vorerwähnten «klassischen Missbrauchsmodell» dadurch, dass der Steuerpflichtige sich nicht nur im Zeitpunkt der Pensionierung eine Kapitalleistung von CHF 432 884. ausrichten liess, sondern seither zusätzlich eine Rente von jährlich CHF 5520. bezieht. Diese Rente unterliegt zusammen mit dem übrigen Einkommen der ordentlichen Besteuerung 8. Das Bundesgericht überging diesen Umstand bei der Prüfung, ob die vom Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung zu einer erheblichen Steuerersparnis führte (effektives Element). Lapidar hielt es lediglich fest, der Steuerbarkeit der Rente sei bundesrechtskonform eine gering(er)es Gewicht beizumessen 9. Unerfindlich ist, woraus das Bundesgericht ableitet, dass einzelne Steuerfolgen, welche sich aus dem gewählten Vorgehen des Steuerpflichtigen ergeben, stärker zu gewichten sind als andere und dies auch noch im Einklang mit dem Bundesrecht stehen soll. Die Autoren sind vielmehr der Meinung, dass bei der Prüfung einer behaupteten Steuerumgehung sämtliche Steuerfolgen gleichermassen zu berücksichtigen sind. Das Bundesgericht ging im Anschluss an eine Berechnung der Kantonalen Steuerverwaltung von einer Steuerersparnis (bei den Staats- und Gemeindesteuern sowie der direkten Bundessteuer) von rund CHF 15 000. aus 10. Es stellte dabei lediglich den Steuervorteil aufgrund der Abzugsfähigkeit der Einkäufe der Steuerlast auf der Kapitalleistung gegenüber; unberücksichtigt blieben die Steuern auf den zukünftigen Rentenleistungen. Diese Steuerbelastung kann nur geschätzt werden, da weder das zukünftige Einkommen der Steuerpflichtigen im Detail bekannt ist, noch deren Lebensdauer vorausgesagt werden kann. Für die entsprechende Schätzung rechtfertigt es sich, von der Lebenserwartung auszugehen, welche der Rentenberechnung zugrunde liegt. Diese Lebenserwartung liegt bei knapp 83 Jahren, sodass die Dauer zwischen dem Pensionierungsalter und dem mutmasslichen Ableben rund 19 Jahre beträgt 11. Rechnet man darüber hinaus mit einer (moderaten) 6 Schneider, in: Schneider/Geiser/Gächter (Hrsg.), Handkommentar zum BVG und FZG, N 34 zu Art. 79b BVG. 7 Vgl. dazu Blumenstein/Locher, System des schweizerischen Steuerrechts, 6. Auflage, S. 34. 8 Vgl. Art. 22 Abs. 1 DBG beziehungsweise Art. 7 Abs. 1 StHG. 9 BGE, a. a. O., E. 2.3 am Ende. 10 BGE, a. a. O., E. 2.2 am Ende. 11 E., geb. 1943, liess sich im Jahr 2007, mithin mit 64 Jahren (früh-)pensionieren. Zu erwähnen ist im Übrigen, dass bei der errechneten Lebenserwartung noch eine Ehegattenrente für die Ehefrau von E. mitversichert ist. 12 Daran änderte sich auch nichts, wenn man die erst zukünftig anfallenden Rentenleistungen noch auf den Pensionierungszeitpunkt abdiskontieren würde. 13 Anzumerken ist im Übrigen, dass das Bundesgericht das Argument der Kantonalen Steuerverwaltung, ein Teil der Altersleistung wäre ohnehin, also auch ohne vorgängige Einkäufe, in Rentenform bezogen worden, nicht aufnahm. Dies zu Recht, kann es doch keine Steuerumgehung geben, die auf Nr. 2/2011 Seite 132

(unbegründeten) Annahmen seitens der Steuerbehörden beruht. 14 Lang/Maute, Steuerliche Aspekte der 1. BVG-Revision, in: StR 59/2004, S. 12, bezeichnen diese Deutung als «Primat zugunsten der Kapitalleistung». Gelegent lich wird dafür auch der Ausdruck «lifo» (last in first out) verwendet. Im Anschluss an das bundesgerichtliche Urteil will etwa die Steuerverwaltung des Kantons Bern zukünftig konsequent das lifo-prinzip anwenden (Mitteilung der Finanzdirektion des Kantons Bern vom 15. Dezember 2010). 15 Damit sind namentlich diejenigen Fälle gemeint, in denen kurz vor der Pensionierung noch ein Einkauf getätigt und anschliessend die gesamte Altersleistung in Kapitalform bezogen wird. 16 Maute/Steiner/Rufener/Lang, Steuer und Versiche rungen, 3. Auflage, S. 173; Schneider, a. a. O., N 42 und 46 zu Art. 79b BVG; vgl. auch Moser, Vom Regen in die Traufe? Bemerkungen zu den neuen Einkaufs bestimmungen und zur Plafonierung des versicher baren Lohnes gemäss Art. 79a c BVG, in: SZS 2006, S. 97. 17 Hervorhebung durch die Autoren. 18 Amtliches Bulletin SR 2002, S. 1053 (Hervorhebung durch die Autoren). Steuerbelastung von 20% auf der jährlichen Rente von CHF 5520., so zeigt sich, dass von einer erheblichen Steuerersparnis und damit von einer Steuerumgehung keine Rede sein kann 12. Es liegt eher eine steuerlich ungünstige Lösung vor. Dies hat das Bundesgericht in seinem Entscheid verkannt 13. Ebenfalls nicht gefolgt werden kann dem Bundesgericht, wenn es ausführt, die zusätzlichen Einzahlungen hätten die Vorsorgesituation der Steuerpflichtigen kaum verbessert. Diese Ansicht liesse sich einzig unter der Voraussetzung vertreten, dass mit den getätigten Einkäufen nicht die Rente, sondern einzig und allein die Kapitalleistung finanziert worden wäre 14 ; alsdann wäre der Vergleich mit dem «klassischen Missbrauchsmodell» 15 durchaus berechtigt. Ein solches Verständnis von Art. 79b Abs. 3 BVG widerspricht aber nicht nur dem klaren Gesetzeswortlaut, sondern auch den Gesetzesmaterialien und dem Sinn und Zweck der Vorschrift; darauf ist nachfolgend näher einzugehen. 3 Unzutreffende Deutung von Art. 79b Abs. 3 BVG In der Literatur wird (überwiegend) die Auffassung vertreten, dass der Wortlaut von Art. 79b Abs. 3 BVG in dem Sinn klar sei, als er eindeutig einen Bezug zwischen den getätigten Einkäufen und den daraus resultierenden Leistungen herstelle. Mithin soll ein Kapitalbezug nur im Umfang der aus Einkäufen während der Sperrfrist resultierenden Leistungserhöhung ausgeschlossen werden 16. Noch eindeutiger wird dieser Bezug aus der französischen Fassung des Gesetzeswortlauts: «Les prestations résultant d un rachat ne peuvent être versées sous forme de capital par les institutions de prévoyance avant de l échéance d un délai de trois ans 17.» Aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich sodann klare Anhaltspunkte dafür, dass der Wortlaut den wahren Sinn der Norm wiedergibt. Dies zeigt folgendes Votum von Ständerat Jean Studer, der in den parlamentarischen Beratungen die ständerätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vertrat: «On passe ensuite à l alinéa 3 et on constate qu une autre limitation a été fixée: le rachat effectué ne peut pas être compensé sous la forme d une prestation en capital ( ). De cette manière-là, la commission estime pouvoir répondre aux critiques formulées dans ce qu on a appelé l exemple Percy Barnevik 18.» Demgegenüber war in den parlamentarischen Beratungen nie die Rede von einem gänzlichen Ausschluss von Kapitalbezügen während der dreijährigen Sperrfrist. So weit wollte der Gesetzgeber offensichtlich nicht gehen. Es ging ihm vielmehr nur darum, grobe Fälle von Missbrauch zu verhindern. Einzig Nr. 2/2011, Seite 133

diesen Zweck verfolgt somit Art. 79b Abs. 3 BVG. Keineswegs sollte damit eine dreijährige Totalsperre eingeführt werden 19. Einen anderen Schluss zog das Bundesgericht, indem es festhielt, die Bestimmung von Art. 79b Abs. 3 BVG übernehme und konkretisiere die bisherige Rechtsprechung zur Verweigerung der Abzugsberechtigung wegen Steuerumgehung im Sinn einer einheitlichen und verbindlichen Gesetzesregelung. Einer direkten Verknüpfung zwischen Einkauf und Leistung stehe ausserdem entgegen, dass die in die Vorsorgeeinrichtung einbezahlten Beiträge nicht ausgesondert und die daraus fliessenden Leistungen auch nicht aus bestimmten Mitteln finanziert würden 20. Dementsprechend sei Art. 79b Abs. 3 BVG auslegungsbedürftig und so zu deuten, dass jegliche Kapitalauszahlung innerhalb der Dreijahresfrist missbräuchlich sei. Das Bundesgericht übersieht dabei jedoch, dass der Steuerpflichtige, welcher seine Altersleistung teilweise in Kapitalform bezog und überdies seit seiner Pensionierung eine Rente erhält, (mutmasslich) gar keine Steuerersparnis erzielt, womit eine Steuerumgehung definitionsgemäss entfällt 21. Im zusätzlichen Bezug einer steuerbaren Rente liegt denn auch der entscheidende Unterschied zu den bisher vom Bundesgericht als Steuerumgehung qualifizierten Vorgehensweisen. Aus diesem Grund ist nicht ersichtlich, was das Bundesgericht in casu aus seiner bisherigen Steuerumgehungspraxis konkret ableiten will. Des Weiteren erscheint es wenig konsequent, die fehlende Aussonderung der in die berufliche Vorsorge einbezahlten Beträge als Argument für die Missbräuchlichkeit jeglicher Kapitalauszahlung innerhalb der Sperrfrist anzuführen. Wenn schon damit argumentiert wird, die Vorsorgeleistungen würden nicht aus bestimmten Mitteln, sondern aus dem Vorsorgekapital der versicherten Person insgesamt finanziert, dann ist nicht einzusehen, weshalb die während der Sperrfrist getätigten Einzahlungen vollumfänglich auf den späteren Kapitalbezug zu verlegen seien («Primat zugunsten der Kapitalleistung»). Bei dieser Argumentation würde sich vielmehr eine proportionale Aufteilung der entsprechenden Einkaufssummen auf beide Leistungsformen (Kapital- und Rentenleistung) aufdrängen 22. Auch dies spricht somit gegen die bundesgerichtliche Auslegung, wonach aufgrund von Art. 79b Abs. 3 BVG jeglicher Kapitalbezug während der Sperrfrist missbräuchlich sei 23. 4 Weitere Kritikpunkte Unter die Sperrfrist von Art. 79b Abs. 3 BVG fallen nach einhelliger Meinung nicht nur Kapitalleistungen im Pensionierungsfall, sondern 19 Zumal nicht jeder Kapitalbezug während der Sperrfrist einen Missbrauch darstellt; vgl. dazu auch unten Ziff. 4. 20 Lang/Maute, a. a. O., S. 12; Züger, Steuerliche Missbräuche nach Inkrafttreten der 1. BVG-Revision, in: ASA 75, S. 543. 21 Vgl. oben Ziff. 2. 22 So denn auch Lang/Maute, a. a. O., S. 12 f. 23 So denn auch Züger (a. a. O., S. 543 ff.), welche zwar einerseits dafür hält, der Wortlaut von Art. 79b Abs. 3 BVG lasse mehrere Deutungen zu, andererseits aber auch ausführt, der mit der Bestimmung verfolgte Zweck, den Missbrauch der beruflichen Vorsorge als Steuersparinstrument zu verhindern, sei zu diffus, um daraus einen generellen Ausschluss von Kapitalbezügen innerhalb der Dreijahresfrist ableiten zu wollen. 24 Von der Bestimmung nicht erfasst werden demgegenüber Leistungen im Todes- oder Invaliditätsfall, weil es sich dabei nicht um einen eigentlichen Rückzug von Mitteln aus der 2. Säule handelt; vgl. hierzu Maute/Steiner/Rufener/Lang, a. a. O., S. 174; Züger, a.a.o, S. 544; Schneider, a. a. O., N 41 zu Art. 79b. 25 Solche Fälle wurden denn auch in der bisherigen (bundesgerichtlichen) Praxis nicht als Steuer um - Nr. 2/2011 Seite 134

auch Barauszahlungen sowie der Vorbezug für selbstgenutztes Wohneigentum 24. Für Rückzüge gemäss Art. 5 FZG sowie für selbstgenutztes Wohneigentum muss ebenfalls gelten, dass das gesamte vor dem Einkauf vorhandene Vorsorgeguthaben von der dreijährigen Kapitalbezugssperre nicht erfasst wird. Es liefe nämlich der vom Gesetzgeber beabsichtigten steuerprivilegierten Erhöhung des Vorsorgeschutzes gänzlich zuwider, wollte man (mit dem Bundesgericht) jeglichen Kapitalbezug innerhalb von drei Jahren nach einem Einkauf als missbräuchlich ansehen, selbst wenn im Einkaufszeitpunkt ein späterer Rückzug zur Finanzierung etwa einer selbständigen Erwerbstätigkeit oder von Wohneigentum noch gar nicht konkret zur Diskussion stand. Ein entsprechendes Vorhaben und gehung qualifiziert; zumindest sind entsprechende Urteile den Autoren nicht bekannt. Die Steuerverwaltung des Kantons Bern will denn auch bei «besonderen Verhältnissen», in welchen der Kapitalbezug im Einkaufszeitpunkt nicht zu erwarten war, den Abzug der Einkaufssumme vom Einkommen zulassen und gleichwohl den Vorsorgetarif für die ganze Kapitalleistung gewähren (Mitteilung der Finanz direktion des Kantons Bern vom 15. Dezember 2010). 26 So auch Maute/Steiner/Rufener/Lang, a. a. O., S. 173; Moser, S. 95. 27 Das heisst, wenn ein konkretes Objekt in Aussicht steht. 28 Vgl. etwa den Sachverhalt in StE 2003 B 27.1 Nr. 30. 29 In diesem Sinn auch Züger, a. a. O., S. 542, und Maute/Steiner/Rufener/Lang, a. a. O., S. 174. Gemäss Letzteren besteht ein Rechtsmissbrauch nur dann, wenn zwischen Einkauf und Kapitalbezug eine Zeitspanne von weniger als einem Jahr liegt. 30 Mitteilungen des BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 88 vom 28. November 2005; Schneider, a. a. O., N 41 zu Art. 79b BVG; Moser, a. a. O., S. 95; Züger, a. a. O., S. 548; Maute/Steiner/Rufener/Lang, a. a. O., S. 174. 31 Moser, a. a. O., S. 95. der dadurch ausgelöste Kapitalbedarf kann sich bekanntlich innert kurzer Zeit aktualisieren. Eine Steuerumgehung liegt in solchen Fällen gewiss nicht vor 25. Vielmehr ist die daraus resultierende Steuereinsparung gesetzgeberisch geradezu gewollt. Umgekehrt schliesst Art. 79b Abs. 3 BVG aber auch nicht aus, dass eine gezielte und einzig steuerlich motivierte Platzierung von Geldern in der beruflichen Vorsorge als Steuerumgehung qualifiziert wird 26. Von einer missbräuchlichen Verhaltensweise wäre beispielsweise dann auszugehen, wenn im Zeitpunkt, in dem ein Einkauf getätigt wird, der Entscheid zur Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit oder zu einem Hauskauf bereits gefallen war 27 und zu diesem Zweck wiederum Mittel aus der beruflichen Vorsorge bezogen werden 28. Auch unter der Herrschaft von Art. 79b Abs. 3 BVG bleibt somit ein Rückgriff auf das Instrument der Steuerumgehung möglich 29. Ein Hinweis drängt sich sodann zum Verhältnis zwischen Art. 79b Abs. 3 und Art. 37 Abs. 2 BVG auf. Die letztgenannte, ebenfalls im Rahmen der 1. BVG-Revision eingeführte Bestimmung gibt dem Versicherten einen Anspruch darauf, einen Viertel seines obligatorischen Altersguthabens als einmalige Kapitalabfindung zu beziehen. Der entsprechende Anspruch bleibt durch Art. 79b Abs. 3 BVG nach einhelliger Meinung unberührt 30 ; dies wird damit begründet, dass fehlende Beitragsjahre im Rahmen der gesetzlichen Mindestvorschriften nicht direkt einkaufsfähig sind 31. Der Gesetzeszusammenhang widerspricht somit ebenfalls der bundesgerichtlichen Auffassung, wonach jegliche Kapitalauszahlung während der dreijährigen Sperrfrist missbräuchlich sei. Dieser Widerspruch lässt sich auch nicht lösen, wenn argumentiert wird, der Gerichtsentscheid beschlage nicht die vorsorgerechtliche Frage, ob nach einem Einkauf ein Kapitalbezug möglich sei, sondern nur die steuerrechtliche Frage, ob Nr. 2/2011, Seite 135

Einkäufe vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden könnten 32. Einer solchen Sichtweise steht klarerweise die mit der 1. BVG-Revision angestrebte Harmonisierung von Vorsorge- und Steuerrecht entgegen. Was vorsorgerechtlich zulässig ist, muss demnach auch steuerrechtlich unbedenklich sein (soweit nicht ausnahmsweise eine Steuerumgehung zu bejahen ist). IV Ausblick Mit Blick auf die vorerwähnten Unstimmigkeiten und den nicht sachgemässen Folgen, die sich aus dem bundesgerichtlichen Urteil ergeben, bleibt daher nur zu hoffen, dass das höchste Gericht seine Auffassung nochmals überdenkt. Allerdings ist offen, ob das Bundesgericht dazu innert nützlicher Frist überhaupt Gelegenheit erhalten wird und falls doch ob es tatsächlich vom hier gewürdigten Urteil abrücken und einen sachgerechten Entscheid fällen wird. Sollte dies nicht der Fall sein, müsste der Gesetzgeber dafür sorgen, dass dem Sinn und Zweck von Art. 79b Abs. 3 BVG auch steuerlich Nachachtung verschafft wird. Der entsprechende Anpassungsbedarf wäre relativ bescheiden. Damit geht die Aufforderung der Autoren an den Bundesgesetzgeber, hier möglichst rasch die unbedingt notwendige Klarheit und damit Rechtssicherheit zu schaffen. In der Zwischenzeit muss immerhin sichergestellt werden, dass das mit dem Inkrafttreten der steuerrechtlichen Bestimmungen im BVG verwirklichte «Waadtländer System» 33 nicht verletzt wird. Dabei sind grundsätzlich zwei Lösungsmöglichkeiten denkbar. Die Thurgauer Steuerbehörden etwa verweigern bei einer Verletzung der Sperrfrist den Abzug des Einkaufs und rechnen die nicht zugelassene Einkaufssumme beim Vermögen auf; sofern die Steuerveranlagung für das Jahr, in dem der Einkauf getätigt wurde, bereits rechtskräftig ist, wird auf den Abzug im Nachsteuerverfahren zurückgekommen 34. Alsdann muss aber der auf den Bezugszeitpunkt aufgezinste Einkaufsbetrag von der (getrennt vom übrigen Einkommen und zum Vorsorgesatz) steuerbaren Kapitalleistung abgezogen werden. Einen anderen Weg beschreitet die Steuerverwaltung des Kantons Bern. Sie lässt den während der Sperrfrist geleisteten Einkauf zum Abzug zu, erfasst demgegenüber die spätere Kapitalleistung bis zur Höhe der Einkaufssumme zusammen mit dem übrigen Einkommen zum ordentlichen Tarif und besteuert den Rest separat zum Vorsorgesatz 35. So oder anders wird die Steuerplanung von natürlichen Personen auf jeden Fall einiges komplexer, sofern und solange das Bundesgericht die von ihm eingeführte dreijährige Sperre jeglicher Kapitalbezüge nicht relativiert und auch gesetzgeberisch die notwendige Klarheit noch nicht geschaffen wurde. Es ist deshalb anzuraten, die Steuer- und Vorsorgeplanung frühzeitig an die Hand zu nehmen, weil nur so allfällige Steuervorteile noch genutzt werden können. Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, sind die beiden Bereiche sorgfältig aufeinander abzustimmen. 32 So die Deutung des bundesgerichtlichen Entscheids durch die Schweizerische Steuerkonferenz (vgl. die von deren Vorstand herausgegebene Analyse zum Bundesgerichtsentscheid vom 12. März 2010 [2C_658/2009] zur Abzugsberechtigung von Einkäufen bei nachfolgendem Kapitalbezug). 33 Danach können die Beiträge voll vom Einkommen in Abzug gebracht werden, im Gegenzug sind die Leistungen in vollem Umfang als Einkommen steuerbar. 34 StP 34 Nr. 14, Ziff. 2.1. 35 Mitteilung der Finanzdirektion des Kantons Bern vom 15. Dezember 2010. Nr. 2/2011 Seite 136