Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat



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Transkript:

Die Ausbildungsoffensive Fachtagung Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat 31.8. 1.9.2004 in Düsseldorf Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung

Impressum Herausgeber: KAUSA Unter Sachsenhausen 10 26 50667 Köln info@kausa.de www.kausa.de Gestaltung: Hauke Sturm Design, Berlin Druck: W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld Das dieser Veröffentlichung zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.

Fachtagung Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat 31.8. 1.9.2004 in Düsseldorf Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat Einleitung 5 Statements Edelgard Bulmahn Bundesministerin für Bildung und Forschung Gespräch mit Jugendlichen über ihre Qualifizierungswege Harald Schartau Minister für Wirtschaft und Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen Hermann Franzen Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels Ingrid Sehrbrock Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes 6 11 13 19 25 Round-Table-Gespräche zu Good Practice 1. Basiskompetenzen bei Schulabgängern eine Bestandsaufnahme Empirische Untersuchung bei Schulabgängern nach PISA-Kriterien Prof. Dr. Jürgen van Buer, Humboldt-Universität Berlin Erfahrungen der Berufsberatung, Karen Schober, Bundesagentur für Arbeit 2. Wege zur Verbesserung der schulischen Vorbildung Neue Maßnahmen der Länder nach PISA Matthias Rürup, Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) Praxisklassen in den Schulabgangsklassen, Monika Schulte, NRW-Modellprojekt Betrieb und Schule (BUS) 3. Berufsausbildungsvorbereitung für Jugendliche ohne Ausbildungsreife Neues Fachkonzept der Bundesagentur für Arbeit Hans-Uwe Stern, Bundesagentur für Arbeit Qualifizierungsbausteine als neues Modell Dr. Peter-Werner Kloas, Zentralverband des Deutschen Handwerks 4. Berufsausbildung auch für leistungsschwächere Jugendliche Benachteiligtenausbildung am Beispiel: Projekt Integration in den ersten Arbeitsmarkt (PIA) Hermann Novak, Projektbüro für innovative Berufsbildung Ausbildungsberufe mit kürzerer Dauer und Stufenausbildung als Chance für Ausbildung Folkmar Kath, Bundesinstitut für Berufsbildung 33 34 53 59 60 64 67 68 70 77 78 84

Workshops 1. Ausbildungsreife : Ein Begriff viele Definitionen Beitrag des Referenten Walter Brosi, Bundesinstitut für Berufsbildung Beitrag des Referenten Prof. Reinhard Hilke, Psychologischer Dienst der Bundesagentur für Arbeit Diskussion und Zusammenfassung 89 91 99 105 2. Ausbildungsvorbereitung bereits in der Schule Wege und Möglichkeiten Beitrag des Referenten Paul Pardall, Ministerium Bildung, Frauen und Jugend Rheinland-Pfalz Beitrag des Referenten Hans-Ulrich Nordhaus, Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes Diskussion und Zusammenfassung 107 108 112 119 3. Qualifizierungsbausteine als ein geeignetes Instrument für den Berufseinstieg Beitrag der Referentin Anne Richter, INITEC ggmbh Lippstadt Beitrag des Referenten Dr. Günter Lambertz, Deutscher Industrie- und Handelskammertag Diskussion und Zusammenfassung 123 125 128 132 4. Besondere Problemstellungen bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund Beitrag der Referentin Dr. Dagmar Beer-Kern, Arbeitsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Beitrag des Referenten Nihat Sorgeç, Bildungswerk Berlin-Kreuzberg (BWK), Türkisch-Deutsche Industrie- und Handelskammer Diskussion und Zusammenfassung 135 136 145 152 Podiumsdiskussion Ausbildungsreife was ist zu tun 155 Gesamtmoderation: Andreas Ernst, Journalist

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat

Einleitung Ausbildungsfähigkeit der Schulabgänger und Schulabgängerinnen beschäftigt in den letzten Jahren zunehmend Bildungspolitiker, Berufsberater und die Sozialpartner. Insbesondere Unternehmen, aber auch berufliche Schulen klagen verstärkt über fehlende kognitive und soziale Kompetenzen von Schulabgängern und Schulabgängerinnen, die für eine erfolgreiche berufliche Ausbildung unabdingbar seien. Die bundesweite Fachtagung Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat diskutierte das Thema Ausbildungsreife mit Vertretern aus Berufsbildungspolitik, Berufsbildungspraxis und Berufsbildungsforschung aus verschiedenen Blickwinkeln und unter Einbeziehung aller Lernorte, um neben der Aufarbeitung des Status quo in Deutschland besonders Lösungswege über innovative Konzepte und Projekte zur Verbesserung der Bildungsstrukturen und der Ausbildungsfähigkeit junger Menschen bereits in der Schule, beim Übergang von Schule in Ausbildung als auch innerhalb des Berufsausbildungssystems aufzuzeigen. Die Fachtagung ist eine der vielen Aktivitäten der Ausbildungsoffensive 2004 Ausbilden jetzt Erfolg braucht alle des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die das Ziel hat, die Lehrstellensituation nachhaltig zu verbessern. 5

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat Statements Edelgard Bulmahn Bundesministerin für Bildung und Forschung I. Ich begrüße Sie herzlich zu unserer Fachtagung Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat. Morgen beginnt bundesweit das neue Ausbildungsjahr. Für viele Jugendliche erfüllt sich damit der Wunsch, einen bestimmten Beruf zu erlernen, in dem sie ihre eigenen Interessen und Begabungen einbringen und weiterentwickeln können. Für viele andere junge Menschen ist der Beginn des neuen Ausbildungsjahres aber mit einer großen Enttäuschung verbunden, weil sie keine Lehrstelle gefunden haben. Wenn auch die Gründe hierfür vielschichtig sind, so sind doch zwei Aspekte von besonderer Bedeutung. Einerseits gibt es zu wenig betriebliche Lehrstellen. Und andererseits müssen wir erkennen, dass es Jugendliche gibt, die Schwierigkeiten haben, den Anforderungen einer modernen Arbeitswelt gerecht zu werden. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Jugendliche ihre Ausbildungschancen nicht wahrnehmen können, weil sie unzureichend auf die betriebliche Wirklichkeit vorbereitet sind. Im Mittelpunkt dieser Tagung steht daher die Frage, wie wir junge Menschen rechtzeitig dazu befähigen können, eine qualifizierte und zukunftsfähige Berufsausbildung aufzunehmen. II. Ausbildungschancen sind Zukunftschancen. Eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung sichert der Mehrheit der jungen Menschen den Einstieg in ein erfolgreiches Berufsleben und damit Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Fehlender Berufsabschluss führt dagegen oft in die Perspektivlosigkeit. 6

Statements Wir müssen allen jungen Menschen bestmögliche Bildungschancen eröffnen. Denn nur so können wir die junge Generation für unsere Gesellschaft gewinnen. Und nur so können wir auch sicherstellen, dass wir auch noch in 10, 20 Jahren qualifizierte Menschen haben, die bereit sind, für dieses Land sich einzusetzen und Wohlstand zu sichern. Nach den demographischen Daten, die uns heute vorliegen, steuern wir auf einen enormen Fachkräftemangel zu. Wenn wir jetzt nicht entschlossen handeln und die Weichen richtig stellen, dann fehlen uns Expertenschätzungen zufolge in gut einem Jahrzehnt voraussichtlich 3,5 Millionen Fachkräfte. Um im weltweiten Innovationswettbewerb weiterhin einen Spitzenplatz einzunehmen, unsere sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren und den Wohlstand auszubauen, müssen wir alle Qualifikationspotenziale entwickeln. Alle Jugendlichen auszubilden ist eine Frage der Zukunftssicherung unserer Gesellschaft. Obwohl wir 2001/2002 die Lücke noch schließen konnten, ist das Lehrstellenangebot im vergangenen Jahrzehnt insgesamt deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig müssen aber auch die Rückmeldungen von Unternehmerseite ernst genommen werden, dass die fehlende Ausbildungsfähigkeit von Schulabgängern zunehmend zu einem Ausbildungshemmnis wird. Von beiden Entwicklungen sind Jugendliche mit schlechteren Startchancen besonders stark betroffen; sie finden immer schwerer den Weg in die berufliche Ausbildung. Die Herausforderung, die sich mit diesem Problem verbindet, kann nur durch das Zusammenwirken aller Beteiligten gemeistert werden. Gefordert sind dabei vor allem die Akteure vor Ort: die Schulen, die Unternehmen und die kommunalen Einrichtungen, aber natürlich auch die Länder und der Bund. Denn eines ist klar: Wenn wir in der beruflichen Bildung zum Erfolg kommen möchten, dann müssen wir unseren Blick auf das gesamte Bildungssystem richten. Die einzelnen Bildungsbereiche sind keine Aneinanderreihung von abgeschlossenen, unabhängigen Bildungsphasen, sondern sie stehen in einer engen Wechselbeziehung zueinander. Gerade an den Schnittstellen zeigt sich die Qualität eines Bildungssystems. Um zu verhindern, dass eine mangelnde Ausbildungsfähigkeit zunehmend zu einem Ausbildungshemmnis wird, müssen wir möglichst früh bessere Bildungschancen eröffnen. Dafür bedarf es einer gezielten Qualitätsentwicklung und -steigerung unseres Bildungssystems. Außerdem müssen wir die Korrelation zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg aufbrechen bzw. schrittweise abbauen. Voraussetzung für das Erreichen dieser Ziele ist ein radikales Umdenken von einem traditionell stark auslesenden zu einem mehr und mehr fördernden Bildungssystem. Die Rahmenbedingungen vor Ort, die Zielsetzungen und die Methoden müssen genau darauf ausgerichtet werden, dass die individuelle Förderung tatsächlich in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. 7

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat Die Bundesregierung hat zahlreiche Initiativen angestoßen, mit denen wir die Weiterentwicklung des Bildungssystems unterstützen und Qualität und Chancengleichheit erhöhen. In der schulischen Bildung setzen wir gemeinsam mit den Ländern auf die Entwicklung nationaler Bildungsstandards, um die Qualität des Unterrichts zu verbessern. Außerdem haben wir uns im März mit den Ländern darauf geeinigt, einen gemeinsamen nationalen Bildungsbericht für Deutschland herauszugeben, der alle Bildungsbereiche umfasst vom Elementarbereich bis hin zur Erwachsenenbildung. Dadurch können wir Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und erhalten einen Überblick, welche unserer Reformschritte greifen und wo nachgesteuert werden muss. Der erste Bericht wird im Jahr 2006 vorliegen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet das Ganztagsschulprogramm. Mit vier Milliarden Euro unterstützt der Bund die Länder und Kommunen, damit ein flächendeckendes Netz von Ganztagsschulen entsteht. Dies ist das größte Schulentwicklungsprogramm, das es je in Deutschland gegeben hat. Ich freue mich, mit wie viel Eigeninitiative und Engagement diese Chance von Lehrern und Eltern genutzt wird. Mit Ganztagsschulen schaffen wir bessere Voraussetzungen für eine neue Qualität des Unterrichts und mehr individuelle Förderung. Durch eine Pädagogik der Vielfalt, die unterschiedliche Lernvoraussetzungen berücksichtigt und unterschiedliche Lernwege unterstützt, werden Begabungen früh gefördert und Benachteiligungen rechtzeitig vermieden. Auch die Einbeziehung von außerschulischen Partnern und Lernorten, die in Ganztagsschulen besser möglich ist, spielt eine wichtige Rolle. Gerade durch eine Zusammenarbeit mit Betrieben vor Ort kann der Unterricht praxisorientierter gestaltet werden. Auf eine verstärkte Kooperation zwischen Schulen und Unternehmen zielt auch unser Programm Schule Wirtschaft Arbeitsleben, an dem sich über 500 Schulen und etwa 2.400 Unternehmen beteiligen. Hier fördern wir innovative Wege, die den Übergang von der Schule in das Arbeits- und Berufsleben verbessern. Ein Beispiel ist die Einrichtung von Förderpraktika für Schülerinnen und Schüler, die am Ende ihrer Schulzeit nur eine geringe Aussicht auf einen Schulabschluss haben. III. Eine gute Schulbildung ist eine wichtige Voraussetzung, um junge Menschen auf die Anforderungen der Arbeitswelt vorzubereiten. Darüber hinaus müssen wir weniger leistungsfähigen oder sozial benachteiligten Jugendlichen auch in Zukunft gezielte Angebote machen, um ihnen den Weg in Ausbildung und Beruf zu erleichtern. Wir haben daher mit dem BMBF-Programm Kompetenzen fördern (BQF) ein Konzept entwickelt und erprobt, dass Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf eine auf ihre individuelle Problemlage abgestimmte Förderung ermöglicht. Der eingeschlagene Weg, auch auf lokaler bzw. regionaler Ebene zu einer besseren Vernetzung der Akteure zu gelangen, 8

Statements hat das Fördersystem qualitativ besser, effizienter und verlässlicher gestaltet und damit mehr Jugendlichen zu einem Ausbildungsplatz verholfen. Hervorheben möchte ich den Schwerpunkt, den wir hierbei zur Verbesserung der Ausbildungschancen von Migrantinnen und Migranten gesetzt haben. Wir wollen die geringe Ausbildungsquote von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die einer erhöhten Jugendarbeitslosigkeit dieser Gruppe zur Folge hat, deutlich steigern. Integration verstanden als gleiche Chance auf gesellschaftliche Teilhabe ist nur über schulische und berufliche Bildung zu erreichen. Das BQF-Programm ist aber nur Teil eines Gesamtpaketes. Mit der Integration der Berufsausbildungsvorbereitung in das Berufsbildungsgesetz werden Ausbildungsvorbereitung und Berufsausbildung besser miteinander verknüpft, und die Betriebe können jungen Arbeitslosen erste Grundlagen beruflicher Handlungsfähigkeit vermitteln. Die Berufsvorbereitung richten wir darauf aus, den Jugendlichen entsprechend ihren individuellen Voraussetzungen unterschiedliche Einstiegs- und Qualifikationswege anzubieten. So steuern wir Maßnahmekarrieren aktiv entgegen. Jugendliche werden so qualifiziert, dass sie auf verschiedenen Wegen zur Berufsausbildung hingeführt werden, von Praktika bis hin zu anrechenbaren Qualifizierungsbausteinen. Jetzt kommt es darauf an, dass die Akteure vor Ort ein System von Qualifikationsbausteinen entwickeln. Den Kammern kommt dabei die Aufgabe zu, die Qualitätsbausteine zu prüfen und damit die Qualität der berufsvorbereitenden Maßnahmen zu sichern. Ich bin froh, dass Kammern und Industrie hier sehr aktiv sind und diese neuen Instrumente vorantreiben. Von den Betrieben erwarte ich, dass sie diese selbst geforderten Instrumente auch nutzen. Ich appelliere an die Unternehmen, dass sie bei vielen und manchen berechtigten Klagen über fehlende Ausbildungsreife schwächere Jugendliche nicht abschreiben. Nutzen Sie stärker die Möglichkeit, mit ausbildungsbegleitenden Hilfen diese junge Menschen betrieblich zu einem Berufsabschluss zu führen. Eine betriebliche Ausbildung ist der beste Zugang zu einer Beschäftigung. Benachteiligten und eher praktisch begabten Jugendlichen bessere Qualifizierungschancen zu geben, dies ist auch ein Ziel der von uns vorangetriebenen Modernisierung der dualen Berufsausbildung. Gemeinsam mit den Sozialpartnern schaffen wir gestufte Ausbildungsberufe sowie neue Ausbildungsberufe in Tätigkeitsbereichen mit weniger komplexen Anforderungen. Jüngste Beispiele dafür sind die neuen Stufenausbildungen im Maler- und Lackiererhandwerk sowie die zweijährigen Ausbildungsberufe zum Maschinen- und Anlagenführer, zum 9

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat Fahrradmonteur und zum Kraftfahrzeugservicemechaniker, die vor vier Wochen in Kraft getreten sind. Das Spektrum von arbeitsmarktfähigen Ausbildungsberufen mit kürzeren Ausbildungszeiten werden wir in Zukunft weiter ausbauen. IV. Die Bundesregierung hat zahlreiche Initiativen ergriffen, um Ausbildungshemmnisse zu beseitigen und zusätzliche Ausbildungsplätze zu mobilisieren. Doch trotz aller Anstrengungen ist die Lücke zwischen Bewerbern und offenen Lehrstellen größer geworden. Eine Ursache hierfür ist, dass fast die Hälfte aller ausbildungsfähigen Unternehmen nicht mehr ausbilden. Wenn aber zu viele Unternehmen ihrer Ausbildungsverantwortung nicht nachkommen, dann entzieht sich das duale Ausbildungssystem seine eigene Existenzgrundlage. Die Bundesregierung hat immer deutlich gemacht, dass bei der Frage der fehlenden Lehrstellen freiwillige Lösungen für uns Vorrang haben. Deshalb bin ich froh, dass der Ausbildungspakt zustande gekommen ist. Die Wirtschaft hat sich verpflichtet, jedes Jahr 30.000 neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Darüber hinaus hat sie jährlich 25.000 Praktikumsplätze für betrieblich durchgeführte Einstiegsqualifikationen zugesagt. Diese sollen gerade Jugendlichen mit individuell eingeschränkten Vermittlungschancen die Möglichkeit geben, einen Ausschnitt aus einem anerkannten Ausbildungsberuf kennen zu lernen und in diesem Bereich zu arbeiten. Die Bundesregierung bezuschusst diese Stellen. Außerdem erhöhen wir die Zahl der Ausbildungsplätze in der Bundesverwaltung um rund 20 Prozent. Zusätzlich werden wir das Ausbildungsprogramm Ost mit 14.000 Stellen fortführen, den Einsatz von 800 Ausbildungsplatzentwicklern unterstützen und die Ausgaben für unser Programm STARegio verdoppeln. Es soll allen Beteiligten daran gelegen sein, dass der Pakt nicht nur ein Stück Papier bleibt. V. Unser Ziel bleibt es, allen Menschen in unserem Land eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen. Gerade Leistungsschwächere und Benachteiligte müssen wir besonders fördern. Diese Tagung wollen wir nutzen, um das Thema Ausbildungsreife näher zu beleuchten und neue Handlungswege zu diskutieren. Zugleich möchten wir ihnen nun Good-Practice-Beispiele vorstellen, die eindrucksvoll bestätigen, dass es bereits erfolgreiche schulische und berufsbildende Ansätze für diese Zielgruppe gibt, die hoffentlich viele Nachahmer finden. So kann diese Tagung einen wichtigen Beitrag leisten, mehr Jugendlichen eine reale Ausbildungschance zu geben und unserem Land eine bessere Zukunftsperspektive zu verschaffen. 10

Statements Gespräch mit Jugendlichen über ihre Qualifizierungswege Wolfgang Fehl, Projektleiter der BQN II (Beruflichen Erstqualifizierung von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund in Köln und Umgebung) führte ein Gespräch mit drei jungen Menschen, die an unterschiedlichen Wendepunkten ihres Einstiegs in die berufliche Ausbildung stehen. Sie haben darüber berichtet, wie sie Ideen über ihren zukünftigen Beruf gefunden haben, wer sie dabei begleitet hat und welche Umwege sie gegangen sind. Nina Graf, Gymnasiastin aus Hamburg Die siebzehnjährige Nina Graf hat an dem Programm Schule Wirtschaft Arbeitsleben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung teilgenommen. Durch das Kooperationsprogramm zwischen Schule und Unternehmen Transjob konnte sie erste Arbeitserfahrungen in einem Hamburger Elektrizitätswerk sammeln. Das Praktikum diente ihr zur Orientierung in der Berufswelt. Die gewonnene Erfahrung in der Teamarbeit und ihre Freude am Umgang mit Menschen bestärkte sie in ihrem Berufswunsch, Ärztin zu werden. Mitgenommen hat sie aus ihrem Praktikum die Erfahrung, in einem großen Unternehmenszusammenhang als Teil eines Arbeitsteams ihre Stellung zu finden. Martin Przybylski, Auszubildender Verkäufer aus Bergisch Gladbach Martin Przybylski macht eine Lehre im Einzelhandel bei der Firma Hit-Markt. Der Weg dorthin war für ihn mühsam und nur mit Unterstützung möglich. 11

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat Der neunzehnjährige Hauptschüler begann zunächst ein einjähriges Praktikum beim Stüssgen-Markt. Finanziell wurde er von der Agentur für Arbeit unterstützt. Die Arbeitsbegleitende Hilfe (AQJ) fördert ihn in seinen Problemfächern Deutsch und Mathematik. Das hat mich einen großen Schritt weitergebracht, sagt der gebürtige Pole, der mit sechs Jahren von Loben nach Deutschland kam. Allerdings reichten seine Deutsch- und Mathematikkenntnisse nicht aus, um den Eignungstest für den begehrten Ausbildungsplatz zu bestehen. Für die restliche Zeit seines Praktikums wechselte er zum Getränkemarkt des Hit-Marktes. Das Unternehmen übernimmt ihn. Seit September 2003 wird er dort zum Verkäufer ausgebildet. Martin ist zufrieden und kommentiert seine Einstellung als Auszubildender: Das ging problemlos, vollkommen ohne Eignungstest, denn die haben mich ja drei Monate lang testen können. Meinem Chef beim Hit-Markt habe ich viel zu verdanken, er hat sich für mich eingesetzt. Dafür bin ich auch bereit, viel zu arbeiten. Ausbildungsbegleitend besucht Martin die Euro-Schule in Leverkusen, die Jugendliche in ihren Problemfächern unterstützen. Das Lernen hat sich gelohnt. In der Berufsschule steht Martin in den Fächern Deutsch und Mathematik jetzt drei und in den anderen Fächern gut. Valentina Dudek, Kauffrau der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft aus Köln Die gebürtige vierundzwanzigjährige Kroatin besuchte nach ihrem Realschulabschluss die Höhere Handelsschule und machte dort Abitur. Ihr Studium der Volkswirtschaft brach sie nach einem Jahr ab, um eine Ausbildung zur Kauffrau der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft zu beginnen. Diese schloss sie erfolgreich ab und arbeitet mittlerweile bei einer Immobilienfirma der Stadtsparkasse Düsseldorf. Valentina Dudek ist in ihrer Freizeit aktiv im BQN-Treff in Köln. Dort gibt sie ihre Berufserfahrungen an andere jugendliche Migranten weiter. Auf Schulveranstaltungen und Elternabenden erklärt sie am eigenen Beispiel, wie wichtig eine Berufsausbildung ist und wie Jugendliche eine Ausbildungsstelle finden können. 12

Statements Harald Schartau Minister für Wirtschaft und Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen Ich freue mich, Sie in unserer Landeshauptstadt Düsseldorf willkommen zu heißen. Wir wollen aber nicht nur guter Gastgeber sein, wir wollen diese Fachtagung mit guten Beispielen aus NRW bereichern, mit Anregungen für weiterführende Diskussionen auf der Bundesebene und in den einzelnen Ländern. Frau Ministerin Bulmahn hat in ihrem Eingangsreferat den Rahmen für diese Fachtagung abgesteckt: der Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs, die Reform des Berufsbildungsgesetzes sowie die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der Ausbildung, diesem zentralen Bereich am Schnittpunkt von Bildungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Die Tatsache, dass der Nationale Ausbildungspakt an vielen Stellen auf Erfahrungen zurückgreift, die wir hier in Nordrhein-Westfalen seit 1996 mit unserem Ausbildungskonsens gemacht haben, ist für mich Motivation, weitere Impulse und Initiativen zu entwickeln. Erfahrungen Jugendlicher Ein Blick auf die Liste der Referentinnen und Referenten sowie der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigt, dass wir es an diesen beiden Tagen mit einer wirklichen Expertenrunde zu tun haben. 13

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat Dabei freut mich vor allem eines: Es kommen auch die Experten in eigener Sache zu Wort. Das ist entscheidend: Wir dürfen nicht allein über Jugendliche reden, wir müssen mit ihnen sprechen. Wir haben gerade ganz plastisch vor Augen geführt bekommen, wie Jugendliche die Probleme einschätzen, die wir mit Begriffen wie Ausbildungsfähigkeit oder Ausbildungsmarkt belegen. Dabei wurde deutlich: Beim Thema Ausbildung und Ausbildungsfähigkeit stehen nicht Definitionen oder Zahlen im Mittelpunkt. Es geht vielmehr ganz konkret um die Lebensläufe junger Menschen in unserem Land. Der Übergang in die berufliche Ausbildung ist ein zentraler Schritt in die ökonomische Selbstständigkeit. Die drei Beispiele haben zugleich gezeigt, dass Ausbildungsreife nicht etwas in Beton Gegossenes ist, sondern viel zu tun hat mit Dynamik und Wandel. Ausbildungsfähigkeit Wenn ich Praktiker aus Ausbildung und Betrieben frage, was denn Ausbildungsreife bedeutet, so erhalte ich oft die Antwort: Uns kommt es auf Schlüsselkompetenzen an und darauf, dass der junge Mann oder die junge Frau in unseren Betrieb passt, dass sie sich vorstellen können, was beruflicher Alltag ist. Als Schlüsselkompetenzen werden dann Begriffe genannt wie Zuverlässigkeit, Durchhaltevermögen, Team- und Konfliktfähigkeit oder Verantwortung. Es werden zudem grundlegende Fähigkeiten im sprachlichen und schriftlichen Ausdruck sowie im logischen und mathematischen Denken angeführt und ein Basisverständnis in Naturwissenschaften und Technik. Diese Schlüsselkompetenzen lassen sich aus den Schulzeugnissen der Sekundarstufe I nur bedingt ablesen. Sie sind zudem unter Schulbedingungen vielleicht zu selten erfahrbar. So sind die geforderten Schlüsselkompetenzen oftmals vorhanden, ohne dass die Lehrerinnen und Lehrer oder die Jugendlichen selbst davon wissen. Solche Schlüsselkompetenzen werden am ehesten erfahrbar, geschult und entwickelt, wenn Schule und betriebliche Praxis gemeinsame Wege gehen. Praktiker aus dem Arbeitsleben könnten vermitteln, welche Chancen und Herausforderungen in der Berufswelt liegen. Gut wäre es zudem, wenn in den letzten 2 3 Schuljahren Lehrerinnen und Lehrer unterrichten, die die betriebliche Praxis kennen. Das ist übrigens einer der Gründe, warum wir uns als Landesregierung ein konkretes Ziel gesetzt haben: Jede Schule in NRW muss zumindest einen Partnerbetrieb haben! 14

Statements Schule Beruf Ein Beispiel für gemeinsame Wege von Schule und betrieblicher Praxis ist das NRW-Landesprogramm Betrieb und Schule, kurz BUS. In diesem Programm werden Jugendliche, die voraussichtlich keinen Schulabschluss erreichen werden, in ihrem letzten Schuljahr besonders gefördert. In Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Schule, Jugend und Kinder und meinem Haus bieten wir für diese Jugendlichen an 247 Schulen des Landes besondere Lerngruppen an. An zwei Tagen in der Woche arbeiten sie ganz praktisch in Betrieben, die speziell ausgewählt werden. Der Unterricht an den übrigen drei Tagen orientiert sich ganz stark an dem, was die Jugendlichen in ihrer Praktikumszeit jeweils erfahren, so dass ein sehr individualisiertes Curriculum entsteht. Selbstverständlich ist das nur in kleineren Gruppe mit circa 15 Schülerinnen und Schülern möglich. Das Schulministerium stellt für diese Gruppen jeweils eine zusätzliche Lehrkraft und Sachmittel bereit, während wir als Ministerium für Wirtschaft und Arbeit die Praktikumsbetriebe unterstützen. Die wissenschaftliche Begleitung von BUS in den ersten zwei Jahren des Programms wurde übrigens dankenswerterweise durch das BMBF finanziert. In der begleitenden Untersuchung haben sich sehr positive Wirkungen herausgestellt: So haben ca. 40% der Jugendlichen, die nach gängigen Kriterien eigentlich nicht ausbildungsreif sind, dennoch den Weg in den ersten Arbeitsmarkt geschafft. Der etwas größere Teil von ihnen fand einen Ausbildungsplatz. Für mich zeigt BUS, dass durch eine gezielte Kombination von praktischem Lernen und darauf abgestimmtem Unterricht Ausbildungsreife erzielt werden kann. Jugendliche, die dieses Ziel nach bisherigem Verständnis nicht erreicht haben, haben so eine neue Chance erhalten. Wenn so viele dieser jährlich ca. 3.400 Jugendlichen, die wir durch BUS erreichen, innerhalb des letzten Schulbesuchsjahres ausbildungsreif werden, dann müsste es eigentlich für fast alle gelingen, dieses zu erreichen. Dies ist vielleicht das wichtigste Ergebnis, das BUS hervorgebracht hat. Dies zeigt: Ausbildungsreife ist nicht eine Sache von Abschlüssen, sondern ein Ziel, um das sich die Schulen und ihre betrieblichen Partner schon im weiten Vorfeld bemühen und kümmern müssen. 15

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat Berufswahlreife Ausbildungsreife kann also organisiert werden sowohl in fachlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf die Schlüsselkompetenzen. Wenn wir das Ziel, alle Jugendlichen fit für die Ausbildung zu machen, erreichen wollen, dann müssen wir einen weiteren Aspekt berücksichtigen: die Berufswahlreife. Um den Schritt in die Ausbildung erfolgreich zu meistern, ist es immens wichtig, ein realistisches Bild davon zu haben, welche Ausbildungsberufe es überhaupt gibt, was sich hinter diesen Berufsausbildungen wirklich verbirgt und in welcher Qualität und Quantität diese in der heimischen Region angeboten werden. Wir haben in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren Wert darauf gelegt, die Berufswahlreife zu verbessern. Wir haben dies noch nicht umfassend geschafft, aber doch schon erkennbare Fortschritte erzielt. So müssen beispielsweise seit 1999 in Nordrhein-Westfalen Schülerinnen und Schüler aller Schulen Gesamtschulen, Gymnasien, Realschulen, Hauptschulen und Sonderschulen ein mindestens zweiwöchiges Betriebspraktikum absolvieren. Alle Schulen und alle Schulformen müssen Konzepte der Berufswahlorientierung entwickeln und fortschreiben. Dazu gibt es in jedem Kreis und in jeder Stadt Beiräte Schule/Beruf, die hier koordinierend tätig sind. Wir wissen, dass wir in diesem Feld noch weitere Anstrengungen unternehmen müssen. Die Zahl der Ausbildungsabbrüche ist zu hoch, und zu viele gut qualifizierte Jugendliche ziehen weitere schulische Bildungswege einer Berufsausbildung vor. Es geht darum, dass noch mehr Jugendliche und ihre Eltern sowie die Lehrerinnen und Lehrer das breite Spektrum von Berufen genauer kennen lernen. Transfer guter Beispiele Der Ausbildungskonsens NRW mit allen wichtigen Partnern in Sachen Ausbildung hat sich dieser Thematik angenommen. Noch in diesem Jahr werden wir mit einem großflächig angelegten Projekt starten, das die Förderung der Berufsorientierung und der Ausbildungsreife miteinander verbinden wird. Bis zu 100 Schulen können sich daran beteiligen. Dabei greifen wir unter anderem auf die Ergebnisse des BMBF-Programms Schule Wirtschaft Arbeitsleben, kurz SWA, zurück. Meines Wissens ist das aktuelle nordrhein-westfälische SWA-Projekt bundesweit einmalig. 16

Statements In Absprache mit dem Schulministerium werden die Mittel durch mein Haus so ergänzt, dass statt der geplanten drei insgesamt fünf Transferstellen ab dem 1. September gute Praxis-Beispiele auf diesem Gebiet an Schulen unseres Landes vermitteln können. Das Wort Transferstellen zeigt im Übrigen eine bestimmte Überzeugung an: Die Ideen, wie wir Ausbildungsreife in dem von mir skizzierten umfassenderen Sinn schaffen können, liegen auf dem Tisch. Und: Wir haben ebenfalls genug Instrumente zur Umsetzung dieser Ideen. Jetzt geht es darum, diese Instrumente endlich flächendeckend umzusetzen. Diese Überzeugung teilt auch der Landesausschusses für Berufsbildung. Dessen Empfehlungen zur Förderung junger Menschen für den Übergang von der Schule in den Beruf vom Februar dieses Jahres sind die Messlatte, an der sich nun alle Akteure in diesem Handlungsfeld orientieren können. Transfer von guter Praxis und Nachhaltigkeit der Ergebnisse sind die Maximen, unter die wir die Projekte unseres Landes stellen. Ausbildungsanforderungen Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen: Wenn wir von Ausbildungsreife sprechen, dann müssen wir uns fragen: Reif für welche Ausbildung? In den vergangenen Jahren wurden bei der Neuordnung der Ausbildungsberufe auf die wachsenden Ansprüche in der Arbeitswelt vor allem durch zusätzliche Anforderungen im Rahmen der Erstausbildung reagiert. Heute lässt sich zu Recht fragen, ob dies der richtige Weg war beziehungsweise ist. Denn wir stellen fest, dass die Jugendlichen mit Haupt- und Realschulabschlüssen, die vor wenigen Jahren noch als ausbildungsreif gegolten haben, erst noch vollzeitschulische Bildungsgänge absolvieren müssen, ehe sie in die duale Ausbildung gehen können. So kommt es, dass im Schnitt mittlerweile ein englischer Ingenieurstudent kaum älter ist, wenn er sein Studium abschließt, als der deutsche Absolvent einer dualen Ausbildung. Und so kommt es, dass eine viel zu große Anzahl Jugendlicher keinen Platz in der dualen Berufsbildung mehr findet, weil sie die Anforderungen der neuen Ausbildungsordnungen nicht mehr zur Gänze erfüllen können. Das ist doch paradox! Gerade die, die besonders darauf angewiesen sind, über die Praxis zu lernen, erhalten nicht mehr die Chance, das auch zu tun. Und das ist doch neben allem anderen auch eine Vergeudung von Potenzialen, auf die unser Land keinesfalls verzichten kann. Ich plädiere hier für eine Kehrtwende. Wir brauchen in allen Berufen flexible und mit realen Aufstiegsperspektiven verbundene Stufenausbildungen. Es muss möglich sein, auch einen 17

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat anerkannten Ausbildungsberuf in zeitlich und inhaltlich abgeschlossenen Etappen zu erlernen. Bisher gibt es keinen Rahmen, in dem solche neuen und innovativen Modelle der Berufsausbildung erprobt werden können. Nordrhein-Westfalen will in der aktuellen Debatte um das Berufsbildungsgesetz in der Föderalismuskommission erreichen, dass die Länder mehr Freiräume bekommen, um solche Möglichkeiten zu erproben. Dabei ist selbstverständlich, dass es sich hierbei nur um eine Erprobung handeln kann, die bei entsprechendem Erfolg und nach Absprache mit den Verantwortlichen auf Bundesebene in das Regelsystem übernommen wird. Schlussbemerkung Ausbildungsreife ist also nicht allein eine Frage des einzelnen jungen Menschen und seiner Kompetenzen, sie ist ebenso eine von Strukturen, in die er diese Kompetenzen auch produktiv einbringen kann. Wir brauchen deshalb eine grundlegende Reform der dualen Berufsausbildung. Ich habe an anderer Stelle bereits mehrere Vorschläge gemacht, die ich nur in Stichworten abschließend ansprechen möchte: Es geht darum, flexible Übergänge von der Schule in den Betrieb zu gestalten! Wir wollen die Berufsvorbereitung und Berufsausbildung besser verzahnen! Ziel muss es sein, die Attraktivität und die Durchlässigkeit der Ausbildung zu verbessern! Wir wollen flexible und mit realen Aufstiegsperspektiven verbundene Stufenausbildungen in allen Berufen entwickeln! Es geht also im Kern darum, das Thema Ausbildung nicht nur als quantitatives Problem zu betrachten, sondern eine möglichst breit angelegte Debatte um die Zukunft des dualen Systems in Deutschland zu führen und schon bald zu Umsetzungen zu kommen. Und: Wenn auf dieser Fachkonferenz über verschiedene Maßnahmen sowie gute Beispiele gesprochen wird, dann sollten wir vor allem eines immer im Blick behalten: Es geht um junge Menschen, um ihre Zukunftsperspektiven. Sie haben mehr als nur eine Chance verdient. 18

Statements Hermann Franzen Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels Als ich die Einladung zur heutigen Veranstaltung erhielt, gefiel mir das Motto des heutigen Tages Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat schon ausgesprochen gut. Die Zusage, teilzunehmen und einen Vortragspart zu übernehmen, fiel mir daher nicht schwer, zumal auch der Kalender noch eine erfreuliche Vakanz zeigte. Bei dem Motto und vor allem bei dem Stichwort Zukunft kam mir ein Cartoon aus einer alten Zeitung in den Sinn. Auf dem sitzt ein vermeintlich wichtiger Manager hinter seinem Schreibtisch, das Diagramm hinter ihm zeigt die Entwicklung seines Unternehmens im Jahresverlauf und bildet eine bedenklich nach unten zeigende Kurve. Der Manager blickt ziemlich hektisch und nervös auf den Kalender an der Wand, von dem die letzten beiden Blätter des Jahres bedrohlich herunterzufallen drohen. Unter dem Cartoon steht: Wer keine Zeit hat für die Zukunft, hat keine Zukunft. Und noch eine andere Geschichte kam mir bei dem Motto in den Sinn. Nämlich die von den beiden jungen Waldarbeitern, die sich mit einer stumpfen Säge abmühen, einen Baumstamm zu zerlegen. Sie sägen und sägen und kommen nicht richtig vorwärts. Da kommt ein älterer Mann vorbei und meint: Ihr müsst die Sägen schleifen, dann tut ihr euch leichter. Darauf antworten die beiden: Das geht nicht, da haben wir keine Zeit zu. Wir müssen uns beeilen, um fertig zu werden. Diese beiden Geschichten machen meiner Ansicht nach zwei Aspekte deutlich: zum einen, wie wichtig es ist, in die Zukunft zu investieren, sich vorzubereiten, zu planen und fit für neue Herausforderungen zu machen, und zum anderen, wie häufig und wie gerne wir dies in der Hektik des Alltags vergessen. Zumal 19

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat man den Erfolg von Zukunftsinvestitionen nicht sofort sieht, sondern etwas Geduld aufbringen muss, bis aus einem zarten Pflänzchen ein starker Baum wird. Genau dieses Dilemma ist meines Erachtens auch kennzeichnend für unsere aktuellen Probleme im Bildungswesen. Wir kritisieren gegenwärtig die fehlende Ausbildungsreife vieler junger Leute, übersehen dabei aber oft, dass die Ursache hierfür in der Vergangenheit liegt. Nämlich sowohl in den Defiziten unseres Schulsystems als auch im Versagen von Elternhaus und Gesellschaft, die schon über Jahre hinweg bestehen. Aktuell können wir jedoch nur die Symptome kurieren, langfristig müssen wir aber dringend präventiv vorgehen. Sprich wir müssen heute anfangen, unsere Kinder fit für morgen und fit für den beruflichen Alltag zu machen. PISA hat uns in dieser Hinsicht alle aufgerüttelt. Es ist nun fast drei Jahre her, dass ganz Deutschland unter dem so genannten PISA-Schock stand. Wir Deutschen, die wir uns so gerne als Kulturnation darstellen, mussten mit der Erkenntnis klar kommen, in den Kulturtechniken international nicht mehr konkurrenzfähig zu sein und im Wettbewerb auf den hinteren Rängen zu landen. Beim Lesen, beim Schreiben, in der Mathematik und in den Naturwissenschaften lagen die deutschen Schüler weit zurück. Zu diesen erdrutschartigen Verwerfungen in unserer Bildungslandschaft und in der deutschen Kultusbürokratie konnte es nur kommen, weil die deutlichen Hinweise der Wirtschaft, die bereits seit Jahren auf die fehlende Ausbildungseignung vieler Schulabgänger hingewiesen hat, ignoriert und nicht ernst genommen wurden. Stattdessen wurde der Wirtschaft vorgeworfen, sie wolle die mangelnde Ausbildungsreife der Jugendlichen als Vorwand nehmen, um vom eigenen Versagen bei der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen abzulenken. Ein Vorwurf, der nicht gerechtfertigt ist. Es bringt uns keinen Schritt weiter, den schwarzen Peter und damit die Verantwortung für die gegenwärtige Bildungsmisere hin und her zu verschieben. Wir müssen die Probleme analysieren, die Fehler erkennen und alle gemeinsam handeln. Was erwarten wir eigentlich von unserem Bildungssystem? Was muss es zu leisten im Stande sein? Und wer gehört überhaupt zu diesem Bildungssystem? Für unsere Wirtschaft ist es unverzichtbar, dass junge Menschen beim Eintritt in das Berufsleben bereits über eine grundsolide Basis an Wissen und Bildung verfügen. Diese umfasst nicht bloß die grundlegenden Kulturtechniken wie Rechtschreibung, Grammatik, Rechnen und Mathematik, sondern auch gesellschaftliche Grundlagen im Hinblick auf das Sozialverhalten, Werte, Normen und Einstellungen. Insgesamt also Fähigkeiten, die nicht nur von der Schule, sondern auch vom Elternhaus und vom sozialen Umfeld entscheidend beeinflusst und geprägt werden. Der berühmte Anfang eines berühmten Buches nämlich die Metaphysik des Aristoteles beginnt mit der Feststellung, dass alle Menschen von der Natur aus nach Wissen streben. Von Natur aus, das heißt der Antrieb ist da, er darf nur nicht verletzt, verschüttet oder gar abgetötet werden. Aber dies geschieht leider viel zu oft. Wie kann die eigene Meinung und die geistige Flexibilität gefördert werden, wenn in den Familien nicht mehr geredet, diskutiert und im wohlverstandenen Sinne gestritten wird, sondern nur 20

Statements der Fernseher läuft? Wie können aus Kindern mobile und agile Erwachsene werden, wenn sie als bequeme Couch-Potatoes aufwachsen, die sich nur mittels Fernbedienung durch Scheinwelten zappen? Erziehung und Bildung fangen zu Hause an, und zwar direkt nach der Geburt. Die Familie und das soziale Umfeld legen bereits den Grundstein für das, was im Laufe des gesamten Lebens weiter erlebt, erfahren und gelernt werden muss. Der Schule und der Berufsausbildung kommt dabei die Aufgabe zu, eine gewisse formale Ausbildungsreife zu vermitteln und damit ein solides Wissensniveau in der Gesellschaft sicherzustellen. Der tschechische Physiker Carrel Soldan hat es einmal etwas despektierlich so formuliert: Schulbildung ist etwas, das keinem schadet, wenn er sich später die Mühe macht, etwas Ordentliches zu lernen. Die Schule trägt nicht die alleinige Verantwortung dafür, dass ein viel zu großer Teil der Absolventen nicht mehr in hinreichendem Maße über gesellschaftlich-kulturelles Basiswissen verfügt. Sie sollte sich aber wieder vermehrt der Vermittlung dieser Grundkenntnisse widmen: In allen Berufsbereichen ist die deutsche Sprache eine zentrale Grundlage, die schlicht und ergreifend von jedem beherrscht werden muss. Kommunikationskompetenz gewinnt im Arbeitsleben zunehmend an Bedeutung, so dass die Fähigkeit, sich auszudrücken, Texte zu erstellen und zu erfassen, ebenfalls zu den unabdingbaren Grundlagenkenntnissen gehört. Und schließlich gehört nicht nur in kaufmännischen Berufen die Beherrschung der Grundrechenarten zu den Grundvoraussetzungen, so dass wir von unseren Schülern verlangen können, dass sie das Addieren, Subtrahieren, das kleine Einmaleins, Bruchrechnung und Prozentrechnung mit Leichtigkeit um nicht zu sagen fast im Schlaf beherrschen. Natürlich bemängeln die Betriebe auch das Fehlen sozialer und persönlicher Kompetenzen bei den Auszubildenden, aber der Mangel an fachlichem Know-how überwiegt deutlich. Die Konsequenzen sind gravierend: Alleine in meinem Wirtschaftszweig, dem Einzelhandel, können jedes Jahr sechs- bis siebentausend Ausbildungsplätze dies sind rund acht bis zehn Prozent aller angebotenen Ausbildungsplätze nicht besetzt werden, weil es an Bewerbern, vor allem an geeigneten Bewerbern mangelt. Die Länder haben aus dem Debakel durchaus schon einiges gelernt. Sie sind zurzeit dabei, Qualitätsstandards für die unterschiedlichen Bildungsabschlüsse zu entwickeln und umzusetzen. Dies begrüße ich ausdrücklich. Die 16 Länder haben es auch geschafft, gemeinsam ein Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen zu gründen in der Tat ein bemerkenswerter Vorgang. Zentrale Aufgabe dieses Institutes wird es sein, federführend die Qualitätsstandards weiterzuentwickeln und diagnostische sowie systembeobachtende Testverfahren zu entwickeln. 21

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat Die Wirtschaft setzt auf das Stehvermögen der Bundesländer und darauf, dass es ihnen gelingen wird, die Qualität der schulischen Lehr- und Lernprozesse kontinuierlich weiterzuentwickeln, zu etablieren und zu sichern. Die Wirtschaft erwartet daher auch, dass die Länder bei dem bisher Erreichten nicht stehen bleiben, sondern sich gleichsam selber mit in das System des lebenslangen Lernens integrieren. Schulen und Lehrer brauchen z.b. geeignete Unterstützung, um mit Qualitätsmanagementsystemen und Standards umgehen zu können, und die Einführung und Umsetzung von Qualitätsstandards muss von unabhängigen Stellen kontrolliert werden. Der englische Philosoph und Soziologe Herbert Spencer hat einmal gesagt Das große Ziel der Bildung ist nicht wissen, sondern handeln! Art und Didaktik unseres Bildungssystems unterdrücken aber viel zu häufig das Interesse und die Lust, eigenständig zu handeln. Im Frontalunterricht müssen vorgegebene Klassenziele erreicht und im Gleichklang wiederholt werden. Dabei ist doch das Selbermachen und Ausprobieren viel wichtiger für das Verstehen und Verbessern von Prozessen. Zusammenhänge entdecken, Beziehungen herstellen oder in Frage stellen weitet den Blick, gibt den Dingen einen Sinn und macht Freude. Das vergessen wir viel zu oft. Frei von zu viel administrativer Gängelei kann Bildung richtig Spaß machen! Die Aufgabe von Bund und Ländern ist es daher, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein gewisses Ausbildungsniveau sicherstellen und zugleich einen möglichst großen Freiraum für die individuelle Entwicklung und Förderung eines jeden Schülers ermöglichen. Lehrer müssen z.b. in die Lage versetzt werden, so genannte Problemfälle unter den Schülern frühzeitig zu erkennen und ihnen pädagogisch richtige Hilfe zu leisten. Für die individuelle Förderung von Schülern sind Ganztagsangebote häufig ein wichtiger Baustein. Der Bund unterstützt die Länder, indem er die Einrichtungen weiterer Ganztagsschulen im Rahmen des Programms Bildung und Betreuung massiv fördert. So richtig überzeugt scheinen die Länder von ihren Anstrengungen aber nicht zu sein. Die Schulabgängerprognosen der Kultusministerkonferenz gehen weiterhin davon aus, dass der Anteil der Schulabgänger ohne Schulabschluss bei scheinbar nicht veränderbaren knapp zehn Prozent verharrt. Zuversicht und Optimismus sehen anders aus. Sie lassen andere Prognosen und Zielsetzungen erwarten. Dies möchte ich aber nicht als Aufruf zur Schönfärberei verstanden wissen, sondern als ernsthaften Appell an alle Verantwortlichen in den Ländern, sämtliche Maßnahmen, die mit dazu beitragen, das Ausbildungsniveau an den Schulen zu verbessern, zügig, praxisbezogen und im Dialog mit allen Beteiligten umzusetzen. Das zu erreichende Ausbildungsniveau darf allerdings im Kanon der Länder nicht am schwächsten Glied festgemacht und als das kleinste gemeinsame Vielfache definiert werden, sondern muss ein ehrgeizig gestecktes Ziel sein, wenn Deutschland nicht die rote Bildungslaterne übernehmen möchte. Es wird in unserer Gesellschaft immer einen 22

Statements gewissen Teil von Schülern geben, die sich aufgrund ihrer körperlichen und geistigen Disposition nur geringe formale Qualifikationen aneignen können. Auch für sie haben wir eine gesellschaftliche Verantwortung. Für diese Menschen Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden ist eine wichtige gesellschafts- und arbeitsmarktpolitische, jedoch keine bildungspolitische Aufgabe. Die Bildungspolitik ist damit überfordert. Es gibt noch ein weiteres Handlungsfeld in der Schule, das ich ansprechen möchte: Das Wissen um die Arbeits- und Berufswelt ist bei Schülern und Lehrern nach wie vor sehr lückenhaft. Zwar gibt es landauf, landab viele Arbeitskreise, in denen Schulen und Betriebe in gemeinsamen Projekten zusammenarbeiten. Auch hat sich die Zahl der Praktika sowohl für Schüler als auch für Lehrer enorm ausgeweitet, und die medial aufbereitenden Informationen über die Arbeitswelt sind so umfangreich und so gut wie noch nie. Und dennoch machen viele Unternehmen die erschreckende Feststellung, dass Ausbildungsbewerber noch häufiger als früher wenig oder nichts über den angestrebten Beruf und sein Umfeld wissen. Hier müssen wir besser werden. Wir müssen die Berufsorientierung in der Schule nicht nur höher gewichten, sondern auch früher damit beginnen. Schon ab der fünften Klasse muss der Ökonomieunterricht in allen Schulformen einen festen Platz erhalten. In der Sekundarstufe I müssen mindestens 200 Stunden Wirtschaftslehre unterrichtet werden. Und selbstverständlich muss dieser Wirtschaftsunterricht so praxisnah wie möglich gestaltet sein: Betriebserkundungen, Planspiele, Projekte, Praktika, Expertengespräche sind nur einige sinnvolle Beispiele. Um die betriebliche Praxis in der Schule erlebbar zu machen, ist die Unterstützung der Unternehmen dringend erforderlich. Sie müssen und dafür werben wir sich mehr in diese Arbeit einbringen, mehr Praktikumsplätze bereitstellen, sich verstärkt in den berufsorientierenden Wirtschaftsunterricht in der Schule einbringen. Dabei ist dieser Know-how-Transfer keineswegs eine Einbahnstraße und nur mit Kosten verbunden. Die jungen Leute bringen auch den Betrieben eine ganze Menge entgegen und wenn es nur Neugierde und ein bisschen frischer Wind ist. Bundesregierung und Wirtschaft haben einen auf drei Jahre Laufzeit terminierten Ausbildungspakt geschlossen. Hauptziel ist es, die Zahl der Ausbildungsverträge durch Einwerbung neuer Ausbildungsplätze zu steigern. Unternehmen und Organisationen der Wirtschaft sind intensiv dabei, den Pakt umzusetzen; von Seiten der Bundesregierung, der Länder, der Bundesagentur für Arbeit gibt es viel Unterstützung. Dies zeigt, dass Ausbildung eine Gemeinschaftsaufgabe für unsere Gesellschaft ist. Ich bin zuversichtlich, dass wir die enorme Herausforderung meistern werden. All jene, die nach wie vor vom Zwangsinstrument einer Ausbildungsabgabe träumen, sollten endlich begreifen, dass Zwang nichts bringt; sie sollten ihre Träume begraben und sich stattdessen an der Umsetzung des Ausbildungspaktes beteiligen. Für Miesmacher ist weder jetzt noch in der Zukunft Platz. Dabei spielt es für mich überhaupt keine Rolle, ob diese Miesmacher aus den Gewerkschaften oder der staatlich finanzierten Berufsbildungsforschung im Bundesinstitut für Berufsbildung kommen. 23

Fachtagung: Fit für die Ausbildung Können, was Zukunft hat Der Ausbildungspakt weist noch auf ein weiteres Handlungsfeld hin, auf dem wir zwar in der jüngsten Vergangenheit gute Erfolge erzielt haben, die aber noch ausgebaut werden müssen: Es geht um die Modernisierung von bestehenden Berufen und die Entwicklung neuer Berufsbilder, insbesondere im Dienstleistungsbereich und in innovativen Branchen. Die Bundesregierung hat sich hier über das bisherige Veto der Gewerkschaften hinweggesetzt und den Weg zur Schaffung von zweijährigen Berufen freigemacht. Dies war richtig, es zeigt den Weg für künftiges Handeln. Die Inhalte und Qualifikationsanforderungen eines Berufes müssen letztlich über die Ausbildungsdauer entscheiden nicht irgendwelche Dogmen der Gewerkschaften. Die Spitzenorganisationen der Wirtschaft arbeiten weiter daran, die Berufelandschaft bedarfsgerecht zu modernisieren und zu differenzieren. Wir werden den eingeschlagenen Weg weitergehen und setzen dabei weiterhin auf die Unterstützung der Bundesregierung vielleicht aber auch der Gewerkschaften, die sich allmählich von überkommenen Starrheiten lösen. Die heutige Tagung befasst sich mit einem sehr bedeutenden gesellschaftspolitischen Thema. Es geht um die Ausbildung junger Leute und damit um die Zukunft unseres Landes, denn Wissen ist eine der wertvollsten Ressourcen, über die wir verfügen. 24

Statements Ingrid Sehrbrock Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes Vor 40 Jahren, als ich selbst eine Lehre begann, gab es den Begriff der Ausbildungsreife noch nicht. Daraus lassen sich verschiedene Schlüsse ziehen: Entweder gab es auch dieses Problem nicht: schlechte Lese- und Rechtschreibleistungen, Verhaltensauffälligkeiten, Motivationsproblem Oder man ging mit den auch damals bestehenden Mängeln in der Schulbildung anders um. Vielleicht wird die fehlende Ausbildungsreife erst ein Problem in Zeiten, in denen Betriebe alles mit dem spitzen Bleistift rechnen und eigentlich schon fertige Persönlichkeiten erwarten? Vor einiger Zeit las ich folgende Beurteilung: Manchmal glaube ich, wenn ein Lehrling liest, ich hätte einen ABC-Schützen vor mir. Über den Inhalt des Gelesenen auch des allereinfachsten Stoffes vermögen einige auch nicht das Geringste anzugeben... Die Rechtschreibung ist geradezu entsetzlich... Und eine weitere Einschätzung lautet: Die Wirtschaft sucht also die Leistungsminderung von 25 bis 30%, die man heute allgemein bei der Jugend feststellt, dadurch auszugleichen, dass sie Jugendliche aus höheren Schulen aufnimmt, die diese Minderung durch längeren Schulbesuch von höherem Anspruch ausgleicht. Das erste Zitat stammt aus dem Jahre 1904, das zweite aus 1953. 25