Entwicklungspsychologische Prognosen von Frühgeborenen Verhaltensauffälligkeiten und Konzentrationsprobleme als Stolpersteine bei Schuleintritt Dr. Eveline Achatz Erste Oberärztin Abteilung für Neurologie und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters Klagenfurt, 30.11.2011
Gliederung Allgemeines Klassifikation von Defiziten Epidemiologie Ätiologie - Embryogenese Störungsbilder Diagnostik Therapeutische Interventionen
Entwicklung der Frühgeburtenrate
Frühgeburtlichkeit - 2004
Kindersterblichkeit - 2005
Allgemeines Frühgeboren: vor der abgeschlossenen 37. SSW geboren Untergewichtige FG : Geburtsgewicht < 2500 g (LBW) Sehr Untergewichtige FG: < 1500 g (VLBW), unreifer als 32.SSW Extrem Untergewichtige FG: < 1000 g (ELBW) Small for gestational age FG (SGA) Large for gestational age FG (LGA)
Klassifikation von Defiziten Somatische Entwicklung Neuromotorische Entwicklung Kognitive/intellektuelle Entwicklung Verhaltensentwicklung bzw. psychosoziale Entwicklung
Klassifikation von Defiziten Neuromotorische Entwicklung Bewegungsauffälligkeiten, Zerebralparesen Intellektuelle Entwicklung Intelligenzminderungen, Lernstörungen, Sprache, Teilleistungsstörungen, Konzentrationsstörungen (ADS) Verhaltensentwicklung Verhaltensstörungen (externalisierend u. internalisierend), ADHS
Epidemiologie - Prävalenz
Epidemiologie - Prävalenz
Epidemiologie - Prävalenz FG > 1200 g FG nach der 32.SSW geboren Mehrheit normal und gesund (EFCNI)
Epidemiologie - Prävalenz FG in der 32.SSW geboren Risiko für bleibende Störung 1:50 FG in der 28.SSW geboren Risiko für bleibende Störung 1:10 FG vor der 26.SSW geboren Risiko für bleibende Störung 1:4 bis 1:10 (EFCNI)
Prävalenz neurologische Störungen Neurologische Defizite bei FG < 1500 g: Zerebralparesen 5-15% (intraventrikuläre Blutungen 5-15%) moderate Bewegungsstörungen 25-50% Seh-, Hörprobleme (vor 26.SSW) (Volpe 1995)
Prävalenz neurologische Störungen schwere neurologische Behinderung 22,4% leichte/mäßige neurologische Behinderung 34% schwere Zerebralparese 12% (EPICURE, 1995) Neurologische Defizite bei FG 30. - 34.SSW: schwer/leicht/mäßig 36% (Ancel/Larroque, Paris, 2008)
Prävalenz kognitive Störungen Definition Entwicklungsverzögerung Entwicklungsrückstand Unterdurchschnittliche Intelligenz Intelligenzminderung
Prävalenz kognitive Störungen Definitionen
Prävalenz kognitive Störungen Intelligenzminderung leicht (IQ 50-69) mittel (IQ 35-49) schwer (IQ 20 34) schwerst (IQ < 20)
Prävalenz kognitive Störungen EPICURE (Beginn 1995): 4004 FG, 23 0/7 25 6/7 (Irland, Großbritannien) Im Alter von 6 Jahren 41% IQ 2 Standardabweichungen unter Mittelwert
Prävalenz kognitive Störungen Studie (Beginn 2005, Sens): 479 FG < 28.SSW (Niedersachsen, Langzeitstudie QI, kaufmännische KKH) Im Alter von 2 Jahren (ca. 25% verstorben): 250 Kinder nachuntersucht 40% völlig gesund 21% deutliche Beeinträchtigungen 39% leichte Beeinträchtigungen
Prävalenz Sprachprobleme FG unter 1000g GG Sprachprobleme 10 x häufiger als bei gesunden Kindern (Wolke, 2010, UK)
Prävalenz Teilleistungsstörungen, Lernstörungen FG unter 1500g GG 7-11 x höheres Risiko (EFCNI, 2010)
Prävalenz ADS/ADHS FG 37./38. SSW 1,1 x höheres Risiko FG 33./34. SSW 1,4 x höheres Risiko FG 23.-28.SSW 2,1 x höheres Risiko (Hjerm, Karolinska Institut, Stockholm)
Prävalenz ADS/ADHS Hochrisiko FG 37% Kontrollgruppe (termingerecht geboren) 2% (Krägeloh-Mann et al. 1999)
Prävalenz psychische Störungen (externalisierend/internalisierend) FG unter 1500g GG Metaanalyse, Bhutta,Cleves & Casey, 2002: 69% mehr externalisierende Verhaltensstörungen bei FG als bei Reifgeborenen 75% mehr internalisierende Verhaltensstörungen bei FG als bei Reifgeborenen
Prävalenz Autismus FG unter 1500g GG, 22 LM (Limperopoulos, Children s Hospital Boston, 91 FG, Pediatrics) 1:4 Anzeichen für Autismus
Ätiologie - Embryogenese
Ätiologie - Embryogenese
Ätiologie - Embryogenese
Ätiologie - Embryogenese
Ätiologie Entwicklung der Hirnrinde (Cortex) ab 24.SSW ab 28.SSW 250 000 neue Nervenzellen/Minute
Ätiologie Entstehung von Verknüpfungen (Synapsen) Ca. 10 hoch 14 Nervenzellen x 10 000 Verknüpfungen
Ätiologie - Neurobiologie Assoziationsfasersysteme Mentalisierungsnetzwerk
Ätiologie Neurobiologie Sekundäre und tertiäre Rindenfelder
Ätiologie - Neurobiologie Spiegelneurone (Giacomo Rizzolatti, 1995)
Ätiologie Neurobiologie - Spiegelneuronen 2010 Entdeckung beim Menschen: Area BA44 (GFI)
Ätiologie - Neurobiologie suboptimale Bedingungen extrauterin Gehirn ist verletzlicher Hirnschädigung Sauerstoffmangel RR Blutgefäße Hirnblutungen
Störungsbilder
Teilleistungsstörungen Teilleistungsschwäche in begrenzten Teilbereichen Lesen Schreiben Rechnen Sprechen Motorik bei durchschnittlicher Intelligenz ausreichender Förderung körperlicher und seelischer Gesundheit
Teilleistungsstörungen Lese-, Rechtschreibstörung (Legasthenie) Isolierte Rechtschreibstörung Rechenstörung
Teilleistungsstörungen
Teilleistungsstörungen Ursache Beeinträchtigung der kognitiven Informationsverarbeitung (auditiv, visuell) basierend auf einer biologischen Fehlfunktion, Dyslamination genetische Faktoren
Teilleistungsstörungen Epidemiologie Legasthenie: 3 7% der Schulkinder, : = 4-10 : 1 Isolierte Rechtschreibstörung: 2% Rechenstörung: > 4% bei FG 7-11 x höheres Risiko
Klinische Symptome bei Patienten mit Teilleistungsstörungen (Niebergall, 1995)
Lese-, Rechtschreibstörung (Legasthenie) Fehler beim Vorlesen (Auslassen, Ersetzen, Verdrehen oder Hinzufügen von Wörtern) niedrige Lesegeschwindigkeit Vertauschen von Wörtern im Satz, von Buchstaben in den Wörtern Defizite beim Leseverständnis
Lese-, Rechtschreibstörung (Legasthenie) Auditive Form (80%): Beeinträchtigung der phonologischen Bewußtheit akustische Differenzierungsschwäche (mündliches Diktat) Visuelle Form (10%): Erkennen von Reihenfolgen von Buchstaben Unterscheidung ähnlicher Buchstaben (b d,p q) Schwäche in Rechts-Links-Orientierung Schwäche in der Raumorientierung
Isolierte Rechtschreibstörung Beeinträchtigung der Rechtschreibfertigkeiten Wörter mündlich richtig buchstabieren Wörter korrekt schreiben Epidemiologie: 2% der Schulkinder
Rechenstörung (Dyskalkulie) Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten (Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division), Defizite bei visuell-räumlichen und optischen Fähigkeiten Epidemiologie: 4% der Schulkinder Soziale und emotionale Verhaltensauffälligkeiten FG 60 x höheres Risiko für Probleme in Mathematik
Teilleistungsstörungen - Diagnostik Routinediagnostik: Anamnese und Problembeschreibung Körperliche US: interner und neurologischer Status Hör-, Sehtest evt. EEG Obligat: allgemeiner Intelligenztest (AID2) Salzburger Lese-Rechtschreibtest 2 (SLRT 2) Heidelberger Rechentest Rechnen-Zahlen-Diagnostikum
Teilleistungsstörungen Diagnostik Wann? Ende 1. Klasse Volksschule Verdachtsdiagnose Verifizierung der Dg zum Halbjahr der 2. Klasse VS massive Formen früher (5.LJ)
Teilleistungsstörungen - Therapie frühzeitige Diagnose durch testpsychologische Untersuchungsverfahren Aufklärung
Teilleistungsstörungen - Therapie Einleiten von entsprechenden Förderprogrammen durch qualifizierte Therapeuten Basis 100%ige Buchstabe-Laut-Zuordnung wissenschaftlich fundierte Programme z.b. Marburger Rechtschreibtraining Kieler Leseaufbau Flüssig Lesen-lernen von Gero Tacke Konsequent: 1-2x/Woche mind. 6-12 Monate
Teilleistungsstörungen - Therapie Behandlung von Sekundärfolgen Elternberatung Schule in Verantwortung mit einbeziehen
ADHS ADS Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung mit und ohne Hyperaktivität Dr. Heinrich Hoffmann - 1845
ADHS - ADS Trias Aufmerksamkeitsstörung Hyperaktivität mangelnde Impulskontrolle Prävalenz 3-10% im Schulalter : = 3-9 : 1
ADHS - Symptome - ICD 10 Unaufmerksamkeit
ADHS Symptome ICD 10 Überaktivität
ADHS Symptome ICD 10 Impulsivität
ADHS - Symptome
ADHS - Teufelskreis
ADHS Ätiologie genetische Ursachen neurobiologische Ursachen
ADHS Ätiologie Störung auf Ebene der Neurotransmitter
ADHS - Diagnostik Anamnese interne und neurologische Untersuchung Visusprüfung/Audiometrie EEG Laborstatus Neuropsychologische Verfahren: Leistungstest Ausschluß Teilleistungsstörungen Aufmerksamkeitstest Kindergarten-, Schulberichte Fragebögen
ADHS - Therapie Verhaltenstherapie unter Einbeziehung von Trainingsprogrammen Medikamentöse Behandlung mit Stimulantien als Mittel der ersten Wahl Eltern- und Lehrerberatung (Aufklärung) Behandlung von Komorbiditäten (Ergotherapie etc.)
ADHS - medikamentösetherapie Methylphenidat (Ritalin, Concerta, Ritalin LA ) Ritalin Dosierung: 0,5-1,0mg/kg KG/die Gabe morgens und mittags gute Wirksamkeit und Verträglichkeit NW: Appetitverminderung Keine Suchtgefährdung kein Beruhigungsmittel Behandlung durch erfahrenen Arzt
protektive Faktoren Schwangerschaftsvorsorge Perinatalzentrum Transport in utero kürzere Beatmungszeiten schnellerer enteraler Nahrungsaufbau anfängliche Hypothermie? EPO? gesundes soziales und stabiles familiäres Umfeld Cave: Überbehütung
protektive Faktoren multidisziplinäre Nachsorge (2., 5., 10. LJ) (v.a. hinsichtlich Lern- und Verhaltensproblemen) gute Versorgungsangebote
Literatur Neurology of the Newborn, Volpe Costeloe, Marlow et al., 2000, The EPICure study Entwicklung von kindl. Verhaltensauffälligkeiten von FG, 2007, Krägeloh-Mann Kinder- und Jugendpsychiatrie, 2007, Knölker, Schulte-Markwort Multiaxiales Klassifikationsschema, Remschmidt, Poustka, 2006 European Foundation for the Care of newborn Infants (EFCNI) EPICURE study Group, 1995 AWMF Leitlinien Nr. 024/019 Der Bindungsaufbau bei sehr FG, 2005, Wolke, Gutbrod Bedeutung der Bindung für das FG, 2011 Entwicklungslangzeitfolgen bei FG, Wolke 2001 u.a.
Danke für ihre Aufmerksamkeit!
Ätiologie - Neurobiologie Assoziationsfasersysteme Mentalisiereungsnetzwerk (u.a. Amygdala)
Ätiologie Neurobiologie - Spiegelneuronen
Ätiologie Neurobiologie - Spiegelneuronen
Ätiologie Neurobiologie - Spiegelneuronen 2010 Entdeckung beim Menschen: Area BA44 (GFI) Das Reversive Modell der Simulationstheorie
Differentialdiagnostik bzw. Komorbidität
Prävalenz kognitive Störungen
ADHS - Ätiologie
Ätiologie Neurobiologie - Spiegelneuronen
Ätiologie - Embryogenese
ADHS - Ätiologie