ANSA - Studie. Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen eine Situations- und Bedarfsanalyse



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Transkript:

ANSA - Studie Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen eine Situations- und Bedarfsanalyse Anett Reiche, Kay Tröger, Sandra Scheibe unter Mitwirkung von Wolfgang Vogt und Dr. Ralf Sänger Diese Studie wurde durch den EXIS Europa e.v. im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erstellt. Sie wurde aus Mitteln der Europäischen Union und des Freistaates Sachsen sowie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge finanziert.

Impressum Herausgeber: EXIS Europa e.v. www.exis.de post@exis.de Autorenteam: Anett Reiche Kay Tröger Sandra Scheibe unter Mitwirkung von: Wolfgang Vogt Dr. Ralf Sänger Coverdesign/Layout/Satz: Peggy Graßler - PG Design freelance artist for graphic & design Druck: flyeralarm GmbH Würzburg August 2010

Anerkennung ist ein wunderbares Ding: Sie bewirkt, dass das, was an anderen herausragend ist, auch zu uns gehört. Voltaire An dieser Stelle möchten wir uns bei allen Beteiligten bedanken, die uns bei der Durchführung dieser Untersuchung unterstützt haben. Vor allem bei den Teilnehmern der Studie, die bereitwillig Auskunft gaben und unseren Einladungen zu Fokusgruppentreffen trotz sehr starker Arbeitsbelastung gefolgt sind, bei vielen Kooperationspartnern vor Ort, die uns organisatorisch unterstützten und dadurch die Fokusgruppentreffen ermöglichten, bei den Ansprechpartnern in den Ministerien des Freistaates Sachsen und dem BAMF, die uns jederzeit konstruktiv zur Seite standen. Besonderer Dank gilt außerdem den Partnern aus dem vom BMAS initiierten IQ-Netzwerk Integration durch Qualifizierung für die fachlichen Grundlagen und Hinweise. Dank auch an alle hier nicht explizit Genannten, ohne deren Beitrag die Untersuchung nicht hätte durchgeführt werden können. Wir wünschen uns, dass die Impulse, die wir zusammengetragen haben, die Situation der hier lebenden und der künftig zuwandernden Menschen mit ausländischen Wurzeln hinsichtlich der Anerkennung der mitgebrachten Fähigkeiten und Fertigkeiten nachhaltig verbessern helfen und das nicht zuletzt in unser eigenem Interesse.

Inhalt Inhaltsverzeichnis 1 1. Kurzbericht: Auf den Punkt gebracht! 8 2. Kontext der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 13 2.1. Die Brain Waste-Studie und ihre Auswirkungen 15 2.2. Pilotprojekte: Saarland und München 18 2.3. Grundlegendes zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen 22 3. Untersuchungsvorgehen 26 3.1. Ziele 26 3.2. Stichprobe 27 3.3. Vorgehen 30 4. Auswertung amtlicher Statistiken für Sachsen 34 4.1. Aussiedler in Sachsen 34 4.2. Ausländische Bevölkerung in Sachsen 37 4.2.1. Regionale Verteilung 38 4.2.2. Herkunftsländer 40 4.2.3. Aufenthaltsdauer 41 4.2.4. Altersstruktur 42 4.3. Exkurs: Demografische Entwicklung in Sachsen 43 4.4. Der Arbeitsmarkt in Sachsen 46 4.4.1. Die Hochschullandschaft in Sachsen 46 4.4.2. Ausländische Erwerbstätige in Sachsen 49 4.4.3. Regionale Betrachtung des sächsischen Arbeitsmarktes 54 4.4.4. Selbstständigkeit von ausländischen Erwerbspersonen in Sachsen 56 4.4.5. Arbeitslosigkeit von ausländischen Erwerbspersonen in Sachsen 57 4.4.6. SGB II Hartz IV Beziehende 61 4.4.7. Regionale Verteilung 62 4.5. Schlussfolgerung 64 5. Auswertung der Befragung und Fokusgruppentreffen in Sachsen 67 1 Wir haben auf Grund der besseren Lesbarkeit wenn nötig nur die männliche Form gewählt. Bei der Wahl der männlichen Form ist zugleich auch immer die weibliche Darstellungsform gemeint. Wir bitten hierfür um Ihr Verständnis. 4 ANSA - Studie

5.1. Informationslage 67 5.1.1. Informationsorte 67 5.1.2. Erstkontaktstellen 71 5.1.3. Initiative zur Antragstellung 74 5.1.4. Häufig gestellte Fragen 77 5.1.5. Weitergegebene Informationen 81 5.1.6. Informationsquellen 85 5.1.7. Fehlende Informationen 88 5.1.8. Ansprechpartner bei Unklarheiten oder Verbesserungsvorschlägen 92 5.1.9. Grad der Informiertheit der Antragstellenden 96 5.1.10. Grad der Informiertheit über gesetzliche Neuerungen 99 5.2. Einschätzungen der Situation der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 101 5.2.1. Welche Aspekte sind positiv an der jetzigen Situation der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen? 101 5.2.2. Welche Aspekte sind negativ an der jetzigen Situation der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen? 105 5.3. Verfahrens und Statistikfragen 109 5.3.1. Ergebnisse aus den Statistik- und Verfahrensfragen an Anerkennungsstellen 111 5.3.1.1. Antragszahlen und Ergebnisse von Anträgen 111 5.3.1.2. Entwicklung der Antragszahlen 112 5.3.1.3. Informelle Bescheinigungen 112 5.3.1.4. Verfahrensweise bei fehlenden Qualifikationsnachweisen 113 5.3.1.5. Fehlleitungen von Antragstellenden 113 5.3.1.6. Regelung der rechtlichen Vorgaben für die Anerkennungsverfahren 114 5.3.1.7. Verständlichkeit des Informationsmaterials 114 5.3.2. Ergebnisse aus den Verfahrensfragen an Menschen mit Migrationshintergrund und Migrantenorganisationen 115 Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 5

Inhalt 5.3.2.1. Die Antragstellung und deren Ergebnis 115 5.3.2.2. Einschätzungen zum Antragsverfahren 115 5.3.2.3. Einschätzung der Informationen von Anerkennungsstellen 115 5.4. Wünsche bei kompletter Neugestaltung der Anerkennung ausländischer Qualifikationen 116 5.5. Informations- und Beratungsstelle Anerkennung Sachsen (IBAS) 120 5.5.1. Tätigkeitsfelder einer Informations- und Beratungsstelle Anerkennung Sachsen (IBAS) 120 5.5.2. Zuarbeiten an eine Informations- und Beratungsstelle Anerkennung Sachsen (IBAS) 126 5.6. Kontakte und Netzwerke 129 5.6.1. Kontakte der Befragten zu Anerkennungsstellen 129 5.6.2. Weitere Kontakte und Netzwerke der Befragten 135 5.6.3. Netzwerke in Sachsen 136 5.7. Schnittstellen Anerkennung Kompetenzfeststellung Nachqualifizierung 145 5.7.1. Ergebnisse der Fokusgruppentreffen 146 5.7.2. Ergebnisse der Workshops 148 5.8. Sonderbefragung auf der Messe KarriereStart 153 5.9. Zugänge zu Informationen Vergleich verschiedener Recherchemedien 158 5.10. Wie verständlich sind die Bescheide der Anerkennungsstellen? erste Analysen 161 6. Zusammenfassende Bewertung und Handlungsempfehlungen 163 6.1. Handlungsempfehlung I: Informationen/ Öffentlichkeitsarbeit 164 6.2. Handlungsempfehlung II: Optimierung der Beratung 167 6.3. Handlungsempfehlung III: Verbesserung der Informationsstrukturen 169 6.4. Handlungsempfehlung IV: Anerkennungsbescheide 171 6.5. Handlungsempfehlung V: Effektivität der Verfahren 172 6.6. Handlungsempfehlung VI: Beruf und Deutsch 174 6.7. Handlungsempfehlung VII: Netzwerkarbeit 175 6.8. Handlungsempfehlung VIII: Effiziente Förderstrukturen 177 6 ANSA - Studie

7. Informations- und Beratungsstelle Anerkennung - Bedarfe für Sachsen 180 8. Ausblick 183 Tabellenverzeichnis 186 Abbildungsverzeichnis 188 Literaturverzeichnis 191 Anhang 195 Generalfragenkatalog zur Studie 196 Verfahrensfragebogen für Anerkennungsstellen 202 Regionale Verteilung der Befragungsgruppen 204 Anhang zur Analyse statistischer Daten 205 Ergebnisse der Befragung nach Häufigkeiten der Nennungen und 215 Prozentsatz der Befragten 215 Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 7

1. Kurzbericht: Auf den Punkt gebracht! 1. Kurzbericht: Auf den Punkt gebracht! In Zeiten, in denen demografischer Wandel und Fachkräftebedarf ein wichtiges Thema in Deutschland sind, bekommt die Zuwanderung als Strategie zum Bevölkerungsaufbau neue Bedeutung. In der sächsischen Landespolitik 1 gab es bereits eine Debatte darüber, ob nicht die gezielte Anwerbung von Einwanderern angestrebt werden sollte, um den Effekten des demografischen Wandels, die in Sachsen besonders deutlich spürbar sind und dem Fachkräftebedarf etwas entgegensetzen zu können. Mit der bundesweiten Studie Brain Waste (2007) ist das Thema der Anerkennung ausländischer Qualifikationen stärker in den Fokus gerückt. Eckpunktepapiere sind von mehreren Bundesministerien Ende 2009 zum Thema Anerkennung verfasst worden, die in den nächsten Monaten in einen Referentenentwurf für ein Anerkennungsgesetz münden sollen. In Sachsen mit einem Ausländeranteil von 2,7% wurde durch die ANSA-Studie geprüft, welche Bedarfe im Bereich der Anerkennung ausländischer Qualifikationen bestehen und inwieweit eine Informations- und Beratungsstelle zum Thema eingerichtet werden sollte. Darüber hinaus hatte die Studie das Ziel, Transparenz zu den Anerkennungsverfahren und zur Situation in Sachsen zu schaffen, Netzwerke zu erschließen sowie die Schnittstellen zur Anerkennung Kompetenzfeststellung und Nachqualifizierung in einer ersten Analyse zu sondieren. Hierbei war es wichtig, sowohl die Verfahrensstellen als auch die Ratsuchenden selbst und darüber hinaus möglichst viele der beteiligten Multiplikatoren einzubeziehen. Insgesamt nahmen 190 von 328 angesprochenen Institutionen 2 und 51 Menschen mit Migrationshintergrund an der Studie teil. Die Erhebung wurde mittels Fragebögen 1 Pressemeldung der CDU vom 26.März 2010, Quelle: http://www.sachsen-cdu-politik.de/2010-03/sachsen-braucht-zuwanderung-kluge-koepfe-fuer-unser-land-1203/ und Antwort der NPD vom 03.August 2010, Quelle: http://www.npd-fraktion-sachsen.de/index.php?verweis=3,1,1&aktion=anzei ge&drucksache=pressemitteilungen&drucksacheid=1086 2 Anerkennungsstellen, Migrationsberatungen, Migrantenorganisationen, Arbeitsverwaltungen, Integrations- und Ausländerbeauftragte sowie Koordinatoren für Migration, Integrationskursträger 8 ANSA - Studie

und Fokusgruppentreffen sowie Workshops durchgeführt und mündete in eine teils quantitative teils qualitative Auswertung der Daten. Die Ergebnisse flossen in eine Bewertung der Situation der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen ein, aus der sich die folgenden acht Handlungsempfehlungen sowie eine Beurteilung zum Bedarf an einer Informations- und Beratungsstelle Anerkennung Sachsen ableiten: 1. Der Informationsstand zum Thema Anerkennung muss bei beteiligten Akteuren und Ratsuchenden verbessert werden. Qualitätsstandards sind abzuleiten. Der Informationsstand sowohl der Ratsuchenden als auch der beteiligten Akteure ist derzeit nicht gut. Grundlegende Informationen zu Verfahren, Zuständigkeiten und gesetzlichen Regelungen fehlen. Durch die Komplexität der Verfahren ist es Ratsuchenden nicht möglich, alle wichtigen Informationen ohne Hilfe zusammenzusuchen. Die Akteure selbst können meist nur unzureichend informieren und auch das Internet stellt kein umfassendes Informationsmedium zum Thema dar. Informationen sind daher an möglichst vielen Stellen in umfassender und aktueller Form vorzuhalten und an die Bedürfnisse der Ratsuchenden anzupassen (z. B. Informationen in mehreren Sprachen). Qualitätsstandards für Umfang, Aktualität und Verbreitung der Informationen sollten erarbeitet werden. Eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit ist vorzusehen. 2. Anerkennungsstellen und Migrationsberatungen sind in ihrer Funktion als Informations- und Beratungsstelle besonders zu fördern. Keine Stelle berät derzeit übergreifend und umfassend zum Thema Anerkennung. Die Anerkennungs- und Migrationsberatungsstellen werden als Einzige sowohl als Informations- als auch Beratungsstelle gesehen. Sie sollten in die Lage versetzt werden, prozessbegleitend beraten zu können und sich stärker miteinander vernetzen. Die Stellen müssen ihre Beratungskompetenz zum Thema Anerkennung ausbauen und durch eine dritte Stelle in diesem Bereich unterstützt werden. Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 9

1. Kurzbericht: Auf den Punkt gebracht! 3. Informationsstrukturen sind so anzulegen, dass Fehlleitungen und Falschinformationen vermieden werden. Derzeit ist nicht vollständig bekannt, welcher Akteur welche Aufgaben im Bereich Anerkennung inne hat. Kernaufgaben sind daher herauszuarbeiten und alle Akteure umfassend zu schulen, um den Informationsstand zu verbessern und Ratsuchende besser informieren zu können. Derzeit vorhandene schriftliche Informationsmaterialien sowie Informationen im Internet müssen aktualisiert werden, besser zugänglich sein und die Bedürfnisse der Befragten erfüllen. 4. Anerkennungsbescheide sind für Leser verständlich zu gestalten. Anerkennungsbescheide sind in der überwiegenden Zahl der Fälle nur schwer oder gar nicht verständlich. Ausführliche Begründungen oder Hinweise für weitere Schritte nach dem Anerkennungsverfahren werden kaum gegeben. Hier sollten einheitliche Standards geschaffen werden, um durch den Bescheid eine tatsächliche Option für Antragstellende zu schaffen, einen Arbeitgeber besser von sich überzeugen zu können. 5. Aus positiven Aspekten lernen. Best practices sind auszutauschen. Als positiv wurden in der Studie nur wenige Aspekte an der jetzigen Situation hervorgehoben. Schwerer wogen die Problembereiche, die sich vor allem in Informationsdefiziten, Uneinheitlichkeit der Verfahren, unzureichenden gesetzlichen Rahmenbedingungen und der zu hohen Dauer der Verfahren zusammenfassen lassen. Die Verfahren zur Anerkennung von Hochschul- und Schulabschlüssen sowie Programme der Otto- Benecke-Stiftung wurden am ehesten als positiv gesehen. Eine gesonderte Analyse positiver Beispiele auf Länderebene ist daher anzustreben. Darüber hinaus sollten best practice Beispiele länderübergreifend und auf Bundesebene ausgetauscht werden. Sachsen sollte hier Impulse nach außen geben und von außen aufnehmen. 10 ANSA - Studie

6. Verknüpfungen von fachlichen und sprachlichen Förderungen sind voranzutreiben. Die Befragten erwähnten in der Erhebung immer wieder, dass neben den fachlichen auch die sprachlichen Kompetenzen weiter gefördert werden müssen. Sprachliche Voraussetzungen sind für viele Anerkennungsverfahren entscheidend. Daher ist eine stärkere Verknüpfung dieser Bereiche vorzusehen. Vor allem Integrationskursträger sollten besser zum Thema Anerkennung informiert und in Netzwerke eingebunden werden. In Projektausschreibungen sollte diese Verknüpfung von Sprache und beruflichen Kompetenzen ausdrücklich verankert werden. 7. Netzwerkstrukturen sind zu verbessern, um den Austausch zwischen allen Beteiligten zu fördern. Die an der Anerkennungsthematik beteiligten Akteure sind derzeit kaum untereinander vernetzt. Zusätzlich sollten Anerkennungsverfahren stärker mit den Themen Kompetenzfeststellung und Nachqualifizierung verknüpft werden, um die Integration in den Arbeitsmarkt nachhaltig zu verbessern. Bestehende Netzwerke sind daher besser zu den genannten Themen zu informieren und miteinander zu verknüpfen. Weitere Akteure sollten in die Netzwerke einbezogen bzw. neue Netzwerke geschaffen werden. Hierdurch können aktuelle Informationen an möglichst viele Akteure und Ratsuchende weitergeleitet werden. Projektvorhaben sollten den Punkt Netzwerke und Verknüpfung von Projekten stärker fokussieren. 8. Informationen aus statistischen Analysen sind zu nutzen, um Förderinstrumente effizient einzusetzen. Der demografische Wandel wird in Sachsen zu einem stärkeren Fachkräftebedarf, vor allem im medizinischen, ingenieurtechnischen und naturwissenschaftlichen Bereich führen. Derzeit studieren über 10.000 ausländische Studenten an sächsischen Hochschulen - Tendenz steigend. Dieses Potenzial sollte unter Beachtung der Möglichkeiten des neuen Zuwanderungsgesetzes genutzt werden. Daneben sind in Sachsen sehr viele ausländische Personen unternehmerisch selbständig und sollten daher bedarfsgerecht in ihrem Unternehmertum unterstützt werden. Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 11

2. Kontext der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen Derzeit arbeiten in Sachsen viele ausländische Personen im geringqualifizierten Bereich, da sie keinen Abschluss vorweisen können. Durch Gespräche mit Unternehmen sollte dieses Potenzial sichtbar gemacht werden, um gezielt Handlungsstränge herauszuarbeiten. ¾ der derzeit in Sachsen lebenden ausländischen Hilfebedürftigen im SGB II-Bezug sind erwerbsfähig. Grundsicherungsträger sind auf diesen Personenkreis aufmerksam zu machen, um gezielt Qualifizierungsmaßnahmen einzusetzen und so dem zu erwartenden Fachkräftemangel entgegenzutreten. Informations- und Beratungsstelle Anerkennung Sachsen Bedarfe Die statistischen Analysen zeigen auf, dass in Sachsen schätzungsweise über 10.000 ausländische Erwerbsfähige im SGB II-Bezug, ausländische Erwerbstätige und ausländische Arbeitslose keinen anerkannten Abschluss haben. Zusätzlich sind 70% der in Sachsen lebenden Ausländer Drittstaatsangehörige und daher besonders von der Anerkennungsproblematik betroffen. Diese Ratsuchenden brauchen umfassende, aktuelle Informationen nicht nur zum Thema Anerkennung, sondern auch zu Kompetenzfeststellungsverfahren und Nachqualifizierungsmöglichkeiten und eine individuelle, praxisnahe Beratung, die derzeit von keinem der befragten Akteure geleistet werden kann. Die Befragten wünschen sich daher eine Informations- und Beratungsstelle Anerkennung in Sachsen, die Informationen umfangreich, bedarfsgerecht und aktuell bereithält, in verschiedenen Medien publiziert und Weiterbildungen für Akteure anbietet, um deren Beratungskompetenz zu erhöhen. Außerdem soll die Servicestelle als Informationsknotenpunkt alle beteiligten Akteure miteinander verknüpfen und so nachhaltig für eine bessere Integration der Ratsuchenden in den Arbeitsmarkt sorgen. Die Stelle sollte darüber hinaus neutral agieren können und regional erreichbar sein. 12 ANSA - Studie

2. Kontext der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen Die Diskussion um die Folgen des demografischen Wandels offenbarte die (tatsächliche und potenzielle) Bedeutung der Zuwanderung für den Bevölkerungsaufbau. Ihr folgte die Debatte über einen zunehmenden Fachkräftebedarf, der momentan am stärksten von den Handwerksbetrieben bemerkt wird, die zunehmend keine Auszubildenden mehr finden. 2005 trat das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft, die Bundesrepublik Deutschland wurde offiziell zum Einwanderungsland, die Integration der Eingewanderten zur gesellschaftspolitischen Aufgabe. Im Juli 2007 wurde in der Folge ein breit angelegter Nationaler Integrationsplan 3 (NIP) mit rund 400 Selbstverpflichtungen verabschiedet. In der sächsischen Landespolitik gab es bereits eine Debatte darüber, ob nicht die gezielte Anwerbung von Einwanderern angestrebt werden sollte, um den Effekten des demografischen Wandels, die in Sachsen besonders deutlich spürbar sind und dem Fachkräftemangel etwas entgegensetzen zu können. In der Folge von PISA-Studie und Bologna-Prozess lud Kanzlerin Merkel 2008 zum Nationalen Bildungsgipfel. Ein Thema dort unter anderen: Die in verheerendem Ausmaß fehlenden Bildungserfolge der Kinder von Einwanderungsfamilien. Aber auch das Thema der Anerkennung ausländischer Qualifikationen kam zur Sprache, so dass in der aus dem Bildungsgipfel resultierenden Qualifizierungsoffensive auch die Verbesserung der Anerkennungssituation als Ziel festgeschrieben wurde. Die Impulse hierfür kamen auch von der Kultusministerkonferenz (KMK), die sich im Gefolge des NIP mit dem Thema beschäftigte. In einem Protokoll der damit befassten Arbeitsgruppe vom Mai 2008 wird auf die Bedeutung einer zentralen Anlaufstelle hingewiesen und das Modell Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen im Saarland ausdrücklich erwähnt, wo zu diesem Zeitpunkt die ersten Projektvereinbarungen unterzeichnet wurden. 3 Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2007) Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 13

2. Kontext der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen Als Teil des Bologna-Prozesses läuft bis heute die Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) in ein deutsches Rahmenkonzept (DQR). Diese Umsetzung sollte bis Ende 2010 geschehen sein. Der Hauptausschuss des mit der Umsetzung befassten Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) verweist in seiner Stellungnahme vom Dezember 2009 auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung, die vor allem bei offenen Fragen organisatorischer und rechtlicher Art, die mit der Einführung und Umsetzung eines DQR verbunden sind 4 gesehen werden. Es herrscht Unsicherheit und der Hauptausschuss empfiehlt dringend, ein wissenschaftliches Begleitprojekt vorzubereiten und 2010 durchzuführen. Dabei geht es um die vorausschauende Bewertung und Beurteilung der Auswirkungen eines DQR auf Bildungssystem, Arbeitsmarkt, Unternehmen sowie Berufswege und Berufsbiografien von Beschäftigten. 5 Ebenfalls bereits 2005 wurden die ARGEn und Job-Center (einschließlich optierender Kommunen ) eingerichtet, die sich als Gemeinschaftseinrichtung von Bund und Kommune fortan als Grundsicherungsträger auf breiter Front um erwerbsfähige Hilfebedürftige kümmern sollten. Ein Effekt: Die Menschen mit Migrationshintergrund wurden als Kundengruppen sichtbar und stellten in Ballungsgebieten mehr als die Hälfte der Kundschaft. Auch andernorts war ihr Anteil überproportional hoch. Aus der Erkenntnis, dass für die ausländische Bevölkerung das Risiko, arbeitslos zu werden, doppelt so hoch ist wie bei Einheimischen, unterstützte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ebenfalls 2005 die Gründung eines Netzwerks IQ Integration durch Qualifizierung. Aus diesem Netzwerk heraus entstand die Studie Brain Waste 6, die 2007 veröffentlicht wurde. Mit dieser Studie erhielt das Thema der Anerkennung ausländischer Qualifikationen eine noch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung so nicht vorhersehbare Eigendynamik, die die Situation in der gesamten Republik und hier in Sachsen bis heute bestimmt. 4 BIBB (2009), S. 1 5 ebenda, S. 2 6 ENGLMANN et al. (2007) 14 ANSA - Studie

2.1. Die Brain Waste-Studie und ihre Auswirkungen Bettina Englmann und Martina Müller kommt der Verdienst zu, die komplexe Situation der Anerkennung von ausländischen Qualifikationen in Deutschland minutiös und umfassend dokumentiert zu haben. Auf knapp 60 Seiten entfalten sie die ganze Unübersichtlichkeit der hiesigen Rechtsgrundlagen 7. Sie machen deutlich: Die gesetzlichen Regelungen zur Anerkennung sind undurchsichtig und: Anerkennung ist abhängig von der Herkunft, nicht von der Qualifikation. Nur wer als Spätaussiedler nach Deutschland kommt, hat einen Rechtsanspruch auf Anerkennungsverfahren 8. Eine Garantie für einen adäquaten Arbeitsplatz ist das jedoch auch für diese Personengruppe nicht, wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nachweist 9. Vergleichsweise günstig ist die Situation ebenfalls für EU-Staatsangehörige, die mit einem reglementierten Beruf 10 nach Deutschland kommen. Bei allen, die aus Drittstaaten, das heißt von außerhalb der EU kommen, gibt es in der Regel keine gesetzlichen Grundlagen und damit auch keine daraus ableitbaren Ansprüche. Mit einer bundesweiten Befragung von Beschäftigten in Anerkennungsstellen konnten Englmann und Müller zudem dokumentieren, wie unterschiedlich und unübersichtlich die Verfahren sind und mit welchen Schwierigkeiten die Anerkennungsstellen selbst zu kämpfen haben. Deutlich wurde unter anderem, dass die Anerkennungsstellen untereinander kaum vernetzt sind. Ein Nebeneffekt dieser Befragung war eine Sammlung von Adressen und Zuständigkeiten zum Thema im Bundesgebiet, die in einer Datenbank gesammelt wurden und öffentlich zugänglich sind 11. 7 ENGLMANN et al. (2007), S. 33-90 8 ENGLMANN et al. (2007), S. 91 9 Brück-Klingberg et al. (2007) 10 Ein Beruf gilt als reglementiert, wenn zu dessen Ausübung eine staatliche Genehmigung notwendig ist. 11 www.berufliche-anerkennung.de Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 15

2. Kontext der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen Abgerundet wurde die Studie durch eine Befragung von betroffenen Menschen mit Migrationshintergrund. Von den Befragten waren nur 16% in ihrem erlernten Beruf tätig 12. Die Studie hatte Konsequenzen. Auf der bundespolitischen Ebene legte das BMAS unter dem damaligen Minister Olaf Scholz im Juni 2009 ein erstes Eckpunktepapier 13 vor. Hierin wurde ein umfassendes Anerkennungsgesetz beschrieben, in dem nach dem Vorbild der EU-Regelungen 14 ein Anrecht auf ein Anerkennungs- und Bewertungsverfahren für alle Eingewanderten sowie ein Rechtsanspruch auf Teilanerkennung und Anpassungsqualifizierung 15 verankert werden sollte. Darüber hinaus wurden in diesem Papier dezentrale Anlauf- und Clearingstellen 16 gefordert. Sie sollten in erster Linie die Aufgabe haben, durch anerkennungsspezifisch geschulte Fachkräfte Anerkennungsinteressierten eine Erstberatung anzubieten, den Weg zu den zuständigen Anerkennungsstellen zu weisen und Hilfestellung im weiteren Verfahren zu leisten 17. Das Papier postuliert weiter einen Anspruch auf individuelle Kompetenzfeststellung 18 als Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Anerkennungsverfahren. Unter Federführung der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration legten das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und das Bundesministe- 12 ENGLMANN et al. (2007), S. 199 13 BMAS (2009) 14 hier wird in allen Papieren auf die Regelungen der EU-Richtlinie 2005/36/EG verwiesen, die sowohl einen grundlegenden Anspruch auf ein Anerkennungsverfahren als auch auf Teilanerkennung beinhaltet, allerdings nur für EU-Staatsangehörige 15 der Begriff Anpassungsqualifizierung wird hier im Sinne der Richtlinie 2005/36/EG verwendet und beschreibt eine Ergänzungsqualifizierung, die die Lücke zwischen vorhandenen Qualifikationen und Anforderungen des jeweiligen Abschlusses füllen soll ohne erneut eine Abschlussprüfung notwendig zu machen. Er unterscheidet sich damit vollständig von der Begriffsdefinition, die sich aus dem Berufsbildungsgesetz ergibt. 16 BMAS (2009), S. 7 17 ebenda, S. 7/8 18 ebenda, S. 8 16 ANSA - Studie

rium des Innern (BMI) ebenfalls im Juni 2009 ein alternatives Eckpunktepapier 19 vor. In diesem Papier wird ein stärkerer Fokus auf die Nutzung gelegt: Ziel der Bundesregierung ist es, die nach Deutschland mitgebrachten Berufsabschlüsse und -qualifikationen arbeitsmarktfähig und arbeitsmarktgängig zu machen. 20 In der Problemanalyse herrscht große Übereinstimmung in allen Papieren, so stellen auch die Autoren dieses Eckpunktepapiers fest, dass die gegenwärtige Situation bei der Feststellung beruflicher Kompetenzen und der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse gekennzeichnet [ist] durch eine große Unübersichtlichkeit in den Verfahren und hinsichtlich der zuständigen Stellen, eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure bei Bund und Ländern sowie fehlende Rechtsansprüche für eine beträchtliche Zahl der Menschen, die ihr Studium oder ihre Ausbildung im Ausland absolviert oder dort in ihrem gelernten Beruf gearbeitet haben und nun in Deutschland eine ausbildungsadäquate Beschäftigung suchen. 21 Die Eckpunkte der beiden Papiere ähneln sich, das Papier aus dem Haus der Integrationsbeauftragten zeigt jedoch bereits deutlichere Spuren der Diskussion mit den Anerkennungsakteuren auf. So wird der Anspruch auf Teilanerkennung und Anpassungsqualifizierung, wie ihn die Richtlinie 2005/36/EG formuliert, abgeschwächt und reduziert auf eine gutachterliche Stellungnahme oder eine Potenzialanalyse 22, um den beiden großen Kammern (IHK 23 und HWK 24 ) entgegenzukommen. Aus der Anpassungsqualifizierung wird eine Vorbereitung auf die Externenprüfung 25. Auch in diesem Papier wird darauf verwiesen, dass Servicestellen zur Erschließung ausländischer Qualifikationen einzurichten seien, die den Anerkennungssuchenden den Weg in und durch die Verfahren und zu den zuständigen Behörden bzw. Stellen wei- 19 Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2009) 20 ebenda, S. 2 21 ebenda, S. 2/3 22 ebenda, S. 5 23 Industrie- und Handelskammer 24 Handwerkskammer 25 Der Begriff der Externenprüfung umschreibt eine Regelung des Berufsbildungsgesetzes ( 45 Abs. 2) bezüglich der Zulassung zur Abschlussprüfung in anerkannten Ausbildungsberufen mit folgenden Wortlaut: Zur Abschlussprüfung ist auch zuzulassen, wer nachweist, dass er mindestens das Eineinhalbfache der Zeit, die als Ausbildungszeit vorgeschrieben ist, in dem Beruf tätig gewesen ist, in dem die Prüfung abgelegt werden soll. Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 17

2. Kontext der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen sen und sie hinsichtlich ihrer Arbeitsmarktintegration beraten. 26 Im Unterschied zum BMAS-Papier bleibt allerdings fraglich, ob diese Stellen auch die Aufgabe übernehmen sollten, die individuellen Verfahren zu verfolgen, die Praxis der unterschiedlichen Institutionen zu dokumentieren und ggf. auch zu beeinflussen 27. Der für die Zeit vor der Sommerpause 2010 angekündigte Referentenentwurf für ein Anerkennungsgesetz aus dem Hause des Bildungsministeriums steht noch aus. Dass es auch ohne einheitliches Anerkennungsgesetz Handlungsansätze gibt, die verfolgt werden können, um die Anerkennungssituation zu verbessern, zeigen die folgenden beiden Beispiele aus dem Saarland und aus München. Sie wurden ausgewählt, weil sie die Idee einer zentralen Anlaufstelle (Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen) modellhaft verfolgen und frei zugänglich agieren. Wir sind uns durchaus bewusst, dass es eine Reihe von spezialisierten frei-gemeinnützigen Beratungsstellen 28 gibt, die eine hervorragende Arbeit leisten und dass auch die Migrationsberatungsdienste und die Jugendmigrationsdienste hier seit vielen Jahren sehr engagiert tätig sind. Wir kennen die Anstrengungen der Zentralen Auslandsvermittlung (ZAV) der Bundesanstalt für Arbeit, die für Fragen der Anerkennung ein internes Beratungsnetz aufbaut und in Reutlingen ein Modellvorhaben durchgeführt hat. Im Rahmen der Studie haben wir uns aber entschieden, uns auf die Darstellung dieser beiden Modellvorhaben zu konzentrieren. 2.2. Pilotprojekte: Saarland und München Im Saarland sowie in München wurden bereits Servicestellen zur Erschließung ausländischer Qualifikationen zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen als Pilotprojekte eingerichtet. Für Sachsen ist es interessant, die Erfahrungen dieser Stellen aufzunehmen und von den Erkenntnissen zu profitieren, um bei einer etwaigen Einrichtung solch einer Stelle für Sachsen noch besser auf die Bedürfnisse der Klienten eingehen zu können. 26 ebenda, S. 6 27 ebenda, S. 6 28 insbesondere seien hier Augsburg und Hamburg erwähnt 18 ANSA - Studie

Saarland Im Saarland existiert die Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen seit Juni 2009 und ist als Pilotprojekt zunächst auf zwei Jahre begrenzt angelegt worden. Die RAG Bildung 29 ist in Saarbrücken als Träger der Stelle eingesetzt und arbeitet eng mit der ARGE Saarbrücken zusammen. Zu Beginn der Beratungsarbeit kamen die meisten Klienten dementsprechend auf Veranlassung der Vermittler der ARGE zur Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen. In der weiteren Arbeit ist aber vorgesehen, auch ratsuchende Einzelpersonen, Arbeitgeber, Verbände und Organisationen stärker mit einzubeziehen sowie eine Vernetzung der im Saarland tätigen ca. 30 Anerkennungsstellen einzurichten. Außerdem werden von der Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen Stellungnahmen über Anerkennungsmöglichkeiten für die Klienten erstellt. In der Beratungsarbeit, die im September 2009 begann, betreuen die Mitarbeiter der RAG Bildung jeden einzelnen Klienten in einem 3-Schritt-Verfahren. Zunächst wird die jeweilige Ausbildungssituation mit dem Klienten geklärt. Anhand der Unterlagen versuchen die Mitarbeiter dann herauszufinden, welche Möglichkeiten der Anerkennung von Qualifikationen für den Klienten existieren und welcher Abschluss seinen Qualifikationen am ehesten entspricht. Die Mitarbeiter nutzen hier sehr oft die ANA- BIN-Datenbank der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB), um eine erste Einschätzung der Qualifikationen eines Klienten vornehmen zu können. Daraufhin wird die zuständige Anerkennungsstelle identifiziert und die Unterlagen werden für die Antragstellung vorbereitet und auf Vollständigkeit geprüft. Im zweiten Schritt wird die Antragstellung gemeinsam mit der betreffenden Person durchgeführt. Nach Abschluss des Anerkennungsverfahrens wird in einem dritten Schritt der Anerkennungsbescheid erklärt. Die Mitarbeiter der RAG Bildung wiesen jedoch darauf hin, dass dieses 3-Schritt- Verfahren den idealen Ablauf einer Anerkennungsberatung umschreibt und dass meist viele Zwischenschritte notwendig sind, um z. B. fehlende Unterlagen zu beschaffen oder Fragen zu klären. Insgesamt konnten im Saarland, das zahlenmäßig ähnlich viele 29 ein Bildungsträger in Saarbrücken Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 19

2. Kontext der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen Menschen mit Migrationshintergrund zählt wie Sachsen, von September 2009 bis April 2010 223 Anfragen in der Beratungsstelle bearbeitet werden. Im Bericht der Mitarbeiter zu bisherigen Erfahrungen in der Beratungsarbeit konnte festgestellt werden, dass in einigen Berufsbereichen ein Informationsdefizit zum Thema Anerkennung ausländischer Qualifikationen besteht, welches sich auf die Antragszahlen auswirkt. So wurden im Saarland im Jahr 2009 nur drei Anträge im Ingenieurbereich gestellt, jedoch kamen in einem halben Jahr Beratungsarbeit bereits 25 Klienten auf die Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen zu, um sich über eine Anerkennung ihrer Qualifikationen im Ingenieurbereich zu informieren. Dies weist darauf hin, dass die Bekanntmachung einer Informations- und Beratungsstelle sowie der entsprechenden Anerkennungsstellen ein entscheidendes Qualitätskriterium in der Verbesserung der Anerkennung ausländischer Qualifikationen darstellen sollte. Eine weitere Erfahrung der Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen im Saarland besteht darin, dass die Bescheide, welche als Anerkennung oder Gutachten zur Gleichwertigkeit von den Anerkennungsstellen im Saarland herausgegeben werden, teilweise zu Falschinterpretationen auf Seiten der Klienten sowie der Arbeitgeber führen. Widersprüchliche Formulierungen und für Menschen mit Migrationshintergrund nur schwer verständliches Beamtendeutsch tragen oft dazu bei, dass bestätigte Qualifikationen doch nicht genutzt werden, da die Ratsuchenden glauben, dass sie eine Ablehnung erhalten haben. Für Sachsen sind daher entsprechende Prüfungen der Bescheide auf Eindeutigkeit anzustreben. Bereits in den Ergebnissen dieser Studie konnten erste Analysen zu diesem Thema durchgeführt werden (vgl. 5.10). Darüber hinaus wiesen die Berater der RAG Bildung darauf hin, dass im Bereich der Anpassungsqualifizierung von EU-Bürgern nach der Richtlinie 2005/36/EG in jedem Fall ein Vorbereitungskurs für Kenntnisstandsprüfungen vorzusehen ist, um die Teilnehmer auf die Anforderungen solcher Prüfungen entsprechend vorzubereiten und Durchfallquoten zu senken. 20 ANSA - Studie

München In München hat die Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen ihre Beratungstätigkeit im Oktober 2009 aufgenommen. Die Mitarbeiter der Stelle berichteten, dass vor allem durch Mundpropaganda viele Interessenten auf die Stelle aufmerksam werden. Die regionale ARGE schicke darüber hinaus ebenfalls Klienten, jedoch derzeit noch sehr verhalten. 118 vollständige Beratungen von überwiegend Pädagogen und Erziehern konnten bis dato durchgeführt werden. Hierbei ist zu beachten, dass eine persönliche Beratung vor Ort nur etwa ein Drittel aller Anfragen ausmacht. So wurden im Juni 2010 27 Betroffene persönlich beraten, 15 Anfragen wurden per E-Mail und weitere 60 Anfragen per Telefon an die Mitarbeiter gestellt. Einige Gesuche kamen aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland. Die meisten Fragen wurden von Ratsuchenden selbst gestellt, seltener von Arbeitsverwaltungen oder Migrationsberatungsstellen. Aus dem Bericht der Mitarbeiter geht außerdem hervor, dass der Beratungsbedarf je Klient sehr hoch ist, um sich einen Überblick über die Situation des jeweiligen Ratsuchenden zu verschaffen. Auf ein mindestens einstündiges Erstberatungsgespräch kommen meist viele Nachfragen. Darüber hinaus seien die Mitarbeiter derzeit zu 50% mit Recherchearbeiten und dem Kopieren von Unterlagen beschäftigt. Diese Zeit fehle dann für die Beratung. Da durch die Beratung Erwartungen bei den Betroffenen geweckt werden, ist es aus Sicht der Münchner Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen besonders wichtig, im Vorhinein zu klären, ob die Betroffenen mit ihrem Anliegen an der richtigen Stelle sind. Ist eine Beratung angebracht, geht es zunächst darum, Möglichkeiten der Anerkennung zu prüfen und Motivationen wieder aufzubauen. Die Stelle in München berichtete hierzu, dass vor allem Flüchtlinge meist hochqualifiziert wären, aber durch Versagung der Arbeitserlaubnis lange keine Arbeit finden könnten und dann unsicher würden. Wichtig sei außerdem die Unterscheidung, ob der Klient Neuankömmling oder bereits lange in Deutschland Lebender sei, um eine adäquate Beratung zu gewährleisten. Besteht kein Weg der Anerkennung, dann erstreckt sich die Beratung auf mögliche Alternativen, Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 21

2. Kontext der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen wie den Weg zur ARGE oder zur Otto-Benecke-Stiftung. Hierbei ist laut Aussage der Servicestelle zu beachten, dass nicht in allen ARGEn entsprechende Vorkenntnisse zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen bestehen. Insgesamt sei für eine gute Beratung die Vernetzung und der persönliche Kontakt zu den Anerkennungsstellen unerlässlich, um Anträge besser vorbereiten, Detailwissen nutzen und möglichst individuell angepasste Nachqualifizierungen finden zu können. Neben den Anerkennungsstellen arbeite die Servicestelle in München mit fünf Sozialbürgerämtern zusammen, um eine Finanzierung der Übersetzungen abzustimmen. Eine weitere Zusammenarbeit bestände mit der örtlichen Handwerkskammer in den Bereichen Elektronik und Bürokaufmann/-frau. 2.3. Grundlegendes zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen In Deutschland und somit auch in Sachsen wird bei der Anerkennung ausländischer Qualifikationen grundsätzlich zwischen akademischer und beruflicher Anerkennung unterschieden. Unter die akademische Anerkennung fallen die Anerkennung von Schulabschlüssen und Studienleistungen (inklusive Prüfung der Hochschulzugangsberechtigung) sowie die Anerkennung akademischer Grade. Der zweite Bereich der Anerkennung ausländischer Qualifikationen umfasst die Anerkennung ausländischer Qualifikationen zum Zweck der Arbeit im erworbenen Beruf und wird daher als berufliche Anerkennung bezeichnet. Da es in Deutschland Berufe gibt, deren Ausübung an einen Nachweis gebunden ist und die somit zu den reglementierten Berufen zählen, wird bei der beruflichen Anerkennung zwischen reglementierten und nicht reglementierten Berufen unterschieden. Grundsätzlich ist ein Anerkennungsverfahren nur für diese reglementierten Berufe notwendig und vorgesehen. Ein entscheidender Punkt bei der Anerkennung ausländischer Qualifikationen ist die Herkunft, da derzeit nur folgende gesetzliche Regelungen für die Anerkennung ausländischer Qualifikationen existieren: 22 ANSA - Studie

30 1. Das Bundesvertriebenengesetz (BVFG). Es besagt, dass Spätaussiedlern die Eingliederung in das berufliche, kulturelle und soziale Leben in der Bundesrepublik Deutschland zu erleichtern [ist]. Auf dieser Grundlage sieht das BFVG vor, dass Spätaussiedlern eine Prüfung ihrer ausländischen Qualifikationen zu ermöglichen ist. 31 2. Die EU-Anerkennungsrichtlinie 2005/36/EG. Sie beschäftigt sich mit den reglementierten Berufen und sieht für alle EU-Staatsbürger, die eine Ausbildung in einem reglementierten Beruf gemacht haben, vor, dass sie ihre ausländischen Qualifikationen prüfen lassen können, um in ihrem erworbenen Beruf in Deutschland arbeiten zu können. 3. Bilaterale Abkommen zwischen Deutschland und Frankreich sowie Deutschland und Österreich 32. Sie zeigen auf, welche Berufsausbildungen zwischen Deutschland und den genannten Ländern als gleichwertig angesehen werden und regeln entsprechend einen Anspruch auf ein Anerkennungsverfahren. Im Handwerk gibt es darüber hinaus, ein Abkommen mit der Schweiz 33, in dem ebenfalls festgelegt ist, dass für Handwerksberufe ein Verfahren zur Prüfung der Gleichwertigkeit von Abschlüssen vorzusehen ist. 30 7 Abs. 1 BVFG, Bundesvertriebenengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl.I S. 1902), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 6. Juli 2009 (BGBl. I S. 1694) geändert worden ist 31 RICHTLINIE 2005/36/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen 32 Gemeinsame Erklärung zwischen der Bundsrepublik Deutschland und Frankreich vom 26.10.2004 sowie Gemeinsame Erklärung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich vom 31.8.2005 33 Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartment, Bestätigungsschreiben zur gegenseitigen Anerkennung handwerklicher Prüfungen an den deutschen Gesandten Dr. Köcher. Bern, 1.12.1937 Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 23

2. Kontext der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 34 4. Genfer Flüchtlingskonvention und das Staatenlosenübereinkommen der Vereinten Nationen 35. Beide sehen Meistbegünstigungsklauseln als völkerrechtliche Verpflichtungen für bestimmte Personenkreise vor, auf deren Grundlage eine Gleichbehandlungsmöglichkeit in selbständigen, freien und abhängigen Erwerbstätigkeiten für diese Personenkreise vorgesehen ist. Aus der Aufstellung dieser Regelungen ist bereits ersichtlich, dass weder für jeden Beruf noch für jede Migrantengruppe eine gesetzliche Regelung der Anerkennung ausländischer Qualifikationen besteht. Für alle nicht reglementierten Berufe ist die Konsequenz, dass außer für Berechtigte nach BVFG und Berechtigte aufgrund der bilateralen Abkommen kein formales Anerkennungsverfahren erfolgen kann und letztlich der Arbeitgeber anhand der ausländischen Zeugnisse entscheiden soll, ob er einen Bewerber einstellt oder nicht, was in der Vergangenheit immer wieder zu erheblichen Problemen geführt hat. Die bereits bestehenden Regelungen sind derzeit in verschiedenen Bundes- und Landesgesetzen umgesetzt worden. Im Bereich der reglementierten Berufe wurde hierbei nicht immer der Hinweis aus der EU-Anerkennungsrichtlinie beachtet 36, der eine Übertragung der Regelungen für EU-Staatsbürger auf Angehörige von Drittstaaten vorsieht. Die zuständige Stelle kann hier jeweils Auskunft geben, für wen ein Anerkennungsverfahren vorgesehen ist. Das Verfahren an sich läuft jedoch unabhängig von den gesetzlichen Regelungen im Grundsatz ähnlich ab. Zunächst muss bei der zuständigen Stelle ein Antrag auf Anerkennung oder Prüfung der Gleichwertigkeit der ausländischen Qualifikation erfolgen. Dem Antrag sind entsprechende Nachweise über die ausländische Qualifikation und meistens Nachweise über den Status des Antragstellenden in Deutschland in beglau- 34 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, verkündet mit Gesetz vom 01.09.1953 (BGB. II S. 559), in Kraft getreten am 22.04.1954, gemäß Bekanntmachung des Bundesministers des Auswärtigen vom 25.04.1954 (BGB 1. II S. 619) 35 Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen - Staatenlosenübereinkommen vom 28. September 1954 (BGBl. 1976 II S. 474) 36 Erwägungsgrund 10 RL 2005/36/EG 24 ANSA - Studie

bigter Kopie beizulegen. Die Nachweise der Qualifikation müssen in Originalsprache und Übersetzung meist in amtlicher Beglaubigung vorgelegt werden. Die zuständige Stelle prüft dann, inwieweit eine Gleichstellung der ausländischen Qualifikationen mit einem deutschen Abschluss möglich ist. Als drei grundlegende Prüfungskriterien werden dabei funktionale, formale und materielle Entsprechung der Qualifikationen gesehen. Es wird also gefragt, was jemand mit einer bestimmten Qualifikation in dem Land machen kann, in dem er die Qualifikation erworben hat (funktionale Entsprechung), wo seine Ausbildung im jeweiligen Bildungssystem eingeordnet wurde und wie Voraussetzungen und Dauer der jeweiligen Ausbildung festgesetzt sind (formale Entsprechung) und wie die Ausbildung inhaltlich gestaltet ist (materielle Entsprechung). In diesen drei Bereichen müssen demnach ausländische und deutsche Qualifikation in den wesentlichen Punkten übereinstimmen, um eine volle Anerkennung zu erhalten. Ist dies nicht der Fall, wird ein negativer Bescheid ausgestellt, der Antrag auf Gleichstellung wird also abgelehnt. Bei allen Verfahren nach 2005/36/EG besteht außerdem die Möglichkeit, Teile der ausländischen Qualifikation anzuerkennen und eine Anpassungsmaßnahme anzuschließen, um zur vollen Anerkennung zu gelangen. Die Berufserfahrung des Antragstellenden kann hier außerdem berücksichtigt werden. Ein Anerkennungsverfahren dauert im besten Fall wenige Tage bis wenige Wochen. Dazu müssen jedoch alle benötigten Unterlagen eingereicht worden sein. In der Regel beläuft sich jedoch ein Anerkennungsverfahren auf acht Wochen. Wenn weitere Prüfungen notwendig sind, kann es auch mehrere Monate dauern. Die Kosten sind je Beruf verschieden. In der Regel beläuft sich ein Anerkennungsverfahren auf 20 bis 200. Gebühren fallen in der Regel nur bei positiven Bescheiden an. Für Spätaussiedler ist das Verfahren generell kostenfrei, wenn sie ihren Antrag innerhalb von drei Jahren stellen, nach dem sie ihren festen Wohnsitz in Deutschland gewählt haben. Bei ALG-II Beziehern werden die Kosten teilweise von der ARGE übernommen. Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 25

3. Untersuchungsvorgehen 3. Untersuchungsvorgehen 3.1. Ziele Diese empirische Untersuchung zielt darauf ab, die Situation der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen im Freistaat Sachsen systematisch zu erfassen und damit die Transparenz sowohl für die unterschiedlichen Akteure im Land als auch für die in Sachsen lebenden Menschen mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Entsprechend wurden in der Studie sowohl Daten zum Sachstand und zu den Verfahren als auch Einschätzungen der Akteure zur derzeitigen Situation der Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen erfragt. Ein Hauptaugenmerk lag darauf, die Bedarfe und Probleme der verschiedenen Akteure zu erforschen und sie vergleichend gegenüberzustellen. Neben Anerkennungsstellen und den Betroffenen selbst, wurden Migrantenorganisationen, Arbeitsverwaltungen, Migrationsberatungsstellen, kommunale Integrationsfachkräfte sowie Integrationskursträger in die Befragung einbezogen. Durch eine Sonderanalyse konnten darüber hinaus erste Ergebnisse von Unternehmen und Bildungsträgern mit einfließen. Um mehr Klarheit über die Anerkennungspraxis in Sachsen zu schaffen, wurden die Verantwortlichkeiten und Verfahrensweisen bei den Anerkennungsstellen analysiert. Die Ergebnisse fließen sowohl in diese Studie als auch in einen Leitfaden zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen ein. Darüber hinaus soll die Studie Datengrundlagen schaffen, die es den Entscheidungsträgern im Land ermöglichen, die Notwendigkeit einer Informations- und Beratungsstelle zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen einschätzen zu können und sich ein Bild über mögliche Tätigkeitsfelder, Verortung und Umfang zu verschaffen. Entsprechende qualitative und quantitative Ergebnisse werden präsentiert. 26 ANSA - Studie

Aufgrund der Befunde der bundesweiten Studie Brain Waste, die auf fehlende Netzwerkstrukturen zwischen den Anerkennungsakteuren hinwies, beleuchtet diese Studie die Aufarbeitung bestehender Netzwerkstrukturen in Sachsen, wobei großer Wert auf die Analyse der Kontakte zu Anerkennungsstellen als Verfahrensverantwortliche gelegt wurde. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen auf Bundesebene und der Ausführungen im Eckpunktepapier der Bundesregierung vom Dezember 2009 wurde die Betrachtung der Schnittstelle Anerkennung/ Kompetenzfeststellung/ Nachqualifizierung mit aufgenommen. Im Rahmen von Workshops wurden ausgewählte Vertreter der verschiedenen Akteursgruppen befragt. 3.2. Stichprobe Insgesamt wurden 328 Institutionen (Anhang C) mit Hilfe eines Fragebogens zu ihrer Einschätzung der Anerkennungssituation in Sachsen befragt, was der Grundgesamtheit der vorhandenen Institutionen aus den ausgewählten Befragungsgruppen entspricht. Ergänzend wurden alle Integrations- und Ausländerbeauftragten/Koordinatoren für Migration, die Migrationsberatungen (Migrationsberatungsstellen und Jugendmigrationsdienste) sowie die Migrantenorganisationen zu Fokusgruppentreffen in den drei Großregionen Chemnitz/Zwickau, Dresden und Leipzig geladen. Mit diesen beiden Erhebungsinstrumenten konnten insgesamt 190 Institutionen (58 %) erreicht werden. Darüber hinaus nahmen 51 Menschen mit Migrationshintergrund an der Befragung teil. Die Fragebögen wurden durch ausgewählte Bildungsträger an Maßnahmeteilnehmende verteilt. Bezüglich der ausgewählten Befragungsgruppen ergeben sich für den Rücklauf folgende Werte (Tabelle 1). Die höchste Rücklaufquote wurde bei den Migrationsberatungen mit 89% erzielt, gefolgt von den sächsischen Anerkennungsstellen mit 71%. Jeweils etwa die Hälfte der Integrations- und Ausländerbeauftragten/Koordinatoren für Migration (57%) sowie der Arbeitsverwaltungen (49%) und der Integrationskursträger (45%) beteiligten sich Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen 27

3. Untersuchungsvorgehen an der Studie. Die niedrigste Rücklaufquote erzielten die Migrantenorganisationen, von denen sich jede Dritte an der Studie beteiligte (34%). 37 Tabelle 1: Rücklaufquoten nach Befragungsgruppen Befragungsgruppe Erhebungsinstrumente Beteiligung Rücklauf (Quote) Grundgesamtheit Anerkennungsstellen Fragebogen 34 (71%) 48 Migrantenorganisationen Migrationsberatungen Integrations- und Ausländerbeauftragte/ Koordinatoren für Migration Arbeitsverwaltungen (Agenturen für Arbeit, Grundsicherungsträger, zugelassene kommunale Träger Fokusgruppentreffen, Fragebogen Fokusgruppentreffen, Fragebogen Fokusgruppentreffen Fragebogen 22 (34%) 64 33 64 (89%) 72 12 (57%) 21 Fragebogen 34 (49%) 70 Integrationskursträger Fragebogen 24 (45%) 53 Summe 190 (58%) 328 Menschen mit Migrationshintergrund Fragebogen 51 - Die Rückläufe, aufgeteilt nach Erhebungsinstrumenten, ergeben sich aus nachstehender Übersicht (Tabelle 2). Bei den Fragebögen ergeben sich die unterschiedlichen Angaben zum Rücklauf von Institutionen und verwertbaren ausgefüllten Fragebögen (in der Tabelle als Datensätze bezeichnet) durch mehrere Verfahrensumstände: Einige der Befragten antworteten als Vertreter für mehrere Institutionen, füllten aber nur einen Fragebogen aus. In zwei Fällen wurde ein Fragebogen gemeinsam von zwei bzw. drei 37 156 Migrantenorganisationen wurden mit dem Ziel der Adressverifizierung angeschrieben. Ergänzend wurde nachtelefoniert. Auf diese Art und Weise konnten 64 Migrantenorganisationen ermittelt werden, die als Grundgesamtheit in die Studie einbezogen wurden. 28 ANSA - Studie