Differentialdiagnose Chronische Durchfallerkrankungen- Reizdarm Ursula Seidler Abteilung für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie Medizinische Hochschule Hannover
Pathomechanismen der Diarrhö Sekretorische Diarrhöe Na+- Resorption gehemmt Cl - Sekretion gesteigert Na,K hoch osmot. Lücke klein Malabsorptive Diarrhöe Zu viele nicht resorbierbare Teilchen im Lumen Osmot. Lücke groß Fettgehalt hoch evtl. ph niedrig Entzündliche Diarrhöe Darmschleimhautzellen geschädigt, Schlußleisten undicht Blut Leukos
Chronischer Durchfall Prävalenz ca 3%-6% der Bevölkerung in entwickelten Ländern häufigste Ursachen: IBS CED (mit mikroskopischer Kolitis) Malabsorption chronische Infektionen idiopathische sekretorische Diarrhö Fine et al 1997, Talley et al 1992
Chronische wässrige Diarrhö Anamnese uncharakteristisch Sammelstuhl + ev. Stuhlkultur Anamnese charakteristisch spezielle Diagnostik oder empirische Therapie (z.b. bei IBS)
Fallbeispiel: Patientin, 41 J., seit 9 Jahren Durchfälle und immer wieder starke Oberbauchschmerzen Wiederholte Gastro- und Koloskopien, Stuhlbakt. Und Sprue-Diagnostik und Atemtests ohne wegweisenden Befund, V.a. Reizdarm Sammelstuhl: Normale Nahrung: 24 h Fasten: wässrig, 1080 ml/24 h 1800 ml/24 h, 90 Na +, 40 K * 65 mm Na +, 35 K +, osmot. Lücke 90 osm. Lücke 14 g Fett 30
Anamnese: Einmal war der Durchfall eine Zeitlang besser, als sie eine Tablette für ihre Magenschmerzen bekam. Plasmagastrinspiegel: 270 pg/ml Intraart. Sekretintest: hochpathologisch Somatostatin-Rezeptorszintigraphie: Singuläre Anreicherung in Projektion auf das Duodenum Operation: Erfolgreiche Entfernung eines duodenalen Gastrinoms
Chronische, wässrige Diarrhö sistiert beim Fasten kann beim Fasten sistieren sistiert nicht beim Fasten Ingestion nicht absorbierbarer Salze Malabsorption von Kohlenhydraten Gallensalz-Diarrhö Diarrhö nach Vago- Tomie Diarrhö durch Hydroxyfettsäuren Irritables Kolon Nahrungsmittelallergie Mikroskopische Kolitis Kollagene Kolitis Mesenteriale Ischemie Postcholezystektomie- Diarrhö Postgastrektomie Diarrhö CED Karzinoid-Syndrom Gastrinom Vipom oder WDHA Syndrom Medulläres Schilddrüsenkarzinom Glukagonom Villöse Adenome Systemische Mastozytose Selbstinduzierte Diarrhö Idiopathische Diarrhö Diabetische Diarrhö Alkoholische Diarrhö Protrahierte Infektionen
Pathophysiologie des Reizdarm/Reizmagensyndroms
Rom-III Diagnosekriterien für Funktionelle Dyspepsie (Reizmagen) Beschwerden müssen enthalten Mindestens eines der folgenden Symptome Postprandiales Völlegefühl Vorzeitiges Sättigungsgefühl Oberbauchschmerzen Brennen im Oberbauch und Kein strukturelles Korrelat für die Beschwerden (einschliesslich ÖGD), das die Beschwerden erklären kann Die Beschwerden müssen seit mindestens 3 Monaten bestehen und 6 Monate vor Diagnosestellung begonnen haben
Definition des Reizdarmsyndroms Manning Kriterien für RDS (BMJ 1978) Kruis Kriterien für RDS (Gastroenterology 1984) Rom-I Kriterien für RDS, FD (Gastroenterol Int 1990) Rom-II Kriterien für RDS, FD (Gut 1999) Rom-III Kriterien für RDS, FD (Gastroenterology 4/2006)??? Bauchschmerzen oder Unwohlsein >3Tage/ Monat/ 3 Monate und - Linderung durch Defäkation - Verbunden mit Änderung der Stuhlfrequenz - Verbunden mit Änderung der Stuhlkonsistenz Beginn vor > 6 Monaten
Häufigkeit verschiedener Erkrankungen des Verdauungstraktes M. Crohn Häufigkeit/ 100.000 Einwohner 40 Ungefähre Zahl der Betroffenen in Deutschland 40.000 C. ulcerosa 50-80 60.000 Dickdarmkrebs 70 60.000 Reizdarm/ Reizmagen 25.000 3.500.000
Funktionelle Magen-Darmerkrankungen. sind klinisch eindeutig definiert, finden sich häufig in der Bevölkerung, nicht alle Patienten gehen zum Arzt, aber wer zum Arzt geht, leidet sehr, ist häufig krank und arbeitsunfähig und verursacht der Gemeinschaft hohe Kosten.
Ursachen von Reizmagen / Reizdarmsyndrom
Darm/Hirn-Achse: Signalsubstanzen ZNS Serotonin, Acetylcholin Motorik/Sensorik Serotonin, CGRP, Substanz P ENS Peristaltik und Sekretion Serotonin, NO, VIP, Acetylcholin
Theorien zur Entstehung der Symptome Störung der Empfindlichkeit des Enddarmes bei Dehnung mit Ballon 100 80 Pat. mit RDS Probanden mit Schmerz, % 60 40 20 Gesunde Probanden 0 Ritchie, Gut 1973 0 20 40 60 100 200 300 Ballonvolumen (ml)
Theorien zur Pathogenese funktioneller Magen-Darmerkrankungen Wahrnehmungsstörungen verminderte Gewöhnung, veränderte Projektion Schmerzskala 10 8 6 4 Schmerzbereich +228% 2 0 0 10 Anzahl Dehnungen Erste Dehnung Letzte Dehnung
Theorien zur Pathogenese funktioneller Magen-Darmerkrankungen Periphere und zentrale (spinale) Sensibilisierung Gehirn Schmerzschwelle erniedrigt Schmerzschwelle erniedrigt Schmerz-Projektion vergrößert Entzündungsvermittler (Histamin, Serotonin, Prostaglandine, Leukotriene, Zytokine etc.) Gestörte Schmerzverarbeitung z.b. nach einer Infektion
Theorien zur Pathogenese funktioneller Magen-Darmerkrankungen Zentrale Modulation ZNS (höhere Zentren) Hirnstamm Absteigende hemmende Bahnen - - - Schmerzschwelle erniedrigt Schmerz-Projektion vergrößert Entzündungsvermittler (Histamin, Serotonin, Prostaglandine, Leukotriene, Zytokine etc.)
Theorien zur Entstehung funktioneller Magendarmerkrankungen Zentrale Modulation Schmerzhafte Rektumdehnung Schmerzerwartung Kontrollen Kontrollen Aktivierung anteriorer cingulärer Cortex Reizdarm Aktivierung li. dorsolat. präfrontaler Cortex Reizdarm Silverman DHS et al. Gastroenterology 1997
Entzündung und funktionelle Störungen bei IBS: Neuro-Immuninteraktionen in der Darmwand Nerven + Lymphzyten Nerven + Mastzellen ENS Ganglien Darmzotte 100 µm 100 µm
Erhöhte TRPV1 und Substanz P Expression zusammen mit einer Nervenhyperplasie bei IBS-D, IBS-C und IBS-A Kontrolle IBS Alle IBS Patienten hatten Anzeichen für eine geringgradige Entzündung: erhöhte Anzahl an CD3 + Lymphozyten und Mastzellen. Akbar et al. Gut 2008; 57:923
Behandlung Gegen den Durchfall:, Opiate und -abkömmlinge Loperamid (z.b. Imodium, Opiumtinktur) Pflanzliche Mittel Uzarawurzel, Tannin, usw. Mikroorganismen oder ihre Produkte Lactobacillus, Trockenhefe 5-HT3-Antagonisten (in der Entwicklung) Gegen die Verstopfung: Ballaststoffe, Abführmittel, Prokinetika 5-HT 4 Agonisten wirken stimulierend auf die Kolonmotilität
Behandlung Gegen die Bauchschmerzen Muskelrelaxantien z.b. Duspatal, Mebemerck, Spasmalgan Schmerzmittel Opiate, Phenazone, Kombipräparate Stimmungsaufheller Trizyklische Antidepressiva Serotoninrezeptoragonisten und -antagonisten? Gegen die psychische Belastung Stabile Arzt-Patienten-Beziehung Psychopharmaka Psychotherapie
Zusammenfassung Die Ursache funktioneller Magen-Darmerkrankungen ist multifaktoriell (angeborene Faktoren, Umwelt, moduliert durch Psyche). Patienten mit einem Reizmagen/Reizdarmsyndrom haben eine gesteigerte Empfindlichkeit. Bei einem Teil der Patienten wohl Folge einer banalen Darminfektion Störungen können im peripher-autonomen Nervensystem und/oder im Gehirn liegen. Die Behandlung ist derzeit noch weitgehend symptomatisch und nicht sehr befriedigend
Fertig.