Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht I (Staatsorganisationsrecht) Fall 2: Demokratie



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Transkript:

Institut für Öffentliches Recht Wintersemester 2011/2012 Universität Augsburg Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht I (Staatsorganisationsrecht) Fall 2: Demokratie Frage 1: Der Gesetzentwurf ist verfassungsmäßig, wenn er mit den formellen und materiellen Vorschriften der Verfassung in Einklang steht. I. Formelle Verfassungsmäßigkeit Damit das Gesetz formell verfassungsmäßig ist, müsste die Gesetzgebungskompetenz gegeben sein und das vorgeschriebene Gesetzgebungsverfahren eingehalten worden sein. 1. Gesetzgebungskompetenz a) Art. 1 des Entwurfes Zu fragen ist also zunächst nach der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Nach dem Grundsatz der Art. 30, 70 I GG haben die Länder grundsätzlich das Recht zur Gesetzgebung. Daher benötigt der Bund für seine Gesetze eine spezielle (ausdrückliche) Kompetenzgrundlage. Diese ergibt sich allgemein aus Art. 71 74 GG (bisher auch: Art. 74a, 75 GG a.f.), für Steuern aus Art. 105 GG und für sonstige Materien u.a. aus Art. 4 III, 21 III, 38 III, 93 III, 94 II, 98 III 2 GG. Fraglich ist jedoch, woraus sich die Kompetenz des Bundes im vorliegenden Fall ergeben soll. aa) Kompetenz aus Art. 20 II 2 GG Vorliegend könnte sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bezüglich Volksentscheiden und Volksbegehren also Volksabstimmungen mit der Erwähnung des Begriffs Abstimmungen in Art. 20 II 2 GG ergeben. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass ein Umkehrschluss aus Art. 29 VI 2, Art. 38 III GG eine Gesetzgebungskompetenz aus Art. 20 II 2 GG gerade ausschließt, denn sonst hätte dies in den genannten Artikeln nicht explizit geregelt werden müssen. Art. 20 II 2 GG begründet also keine Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers. bb) Ungeschriebene Kompetenzen Fraglich ist, ob sich die Gesetzgebungskompetenz im vorliegenden Fall aus einer ungeschriebenen Kompetenz ergibt. Allgemein anerkannt ist, dass es solche ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen überhaupt gibt und zwar in folgenden Fällen: kraft Natur der Sache: Diese liegt immer dann vor, wenn gewisse Sachgebiete, weil sie ihrer Natur nach eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit a priori entrückte Angelegenheiten des Bundes darstellen, vom Bund und nur von ihm geregelt werden

können. 1 Schlussfolgerungen aus der Natur der Sache müssen begriffsnotwendig sein und eine bestimmte Lösung unter Ausschluss anderer sachgerechter Lösungen zwingend erfordern. Daher genügt die bloße Zweckmäßigkeit nicht (Vergleichbarkeit mit Art. 73 GG). Die Kompetenz kraft Natur der Sache liegt z.b. bei der Bestimmung des Nationalfeiertages vor. Es handelt sich dabei also immer um eine ausschließliche Bundeskompetenz. kraft Sachzusammenhangs: Diese liegt immer dann vor, wenn eine ausdrücklich dem Bund zugewiesene Materie sinnvollerweise/verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene Materie mitgeregelt wird. M.a.W.: Die ausdrücklich zugewiesene Materie steht mit der nicht ausdrücklich zugewiesenen in einem derart engen Zusammenhang, dass sie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne die nicht zugewiesene Materie mitzuregeln. 2 Die Kompetenz geht quasi in die Breite. Ein Übergreifen ist immer dann gegeben, wenn diese unerlässliche Voraussetzung für die Regelung einer zugewiesenen Materie ist, beispielsweise Jugendpflege Recht der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG; Festsetzung von Gebühren für gerichtliche Beurkundungen bürgerliches Recht Art. 74 Abs.1 Nr. 1 GG Annexkompetenz: Bei der Annexkompetenz handelt es sich um die Erweiterung eines vorhandenen Kompetenztitels um die Stadien der Vorbereitung und Durchführung. Notwendig ist ein enger, unlösbarer Zusammenhang der Sachbereiche. Die Kompetenz geht quasi in die Tiefe, bleibt dabei aber im Regelungsbereich der Hauptmaterie. Demgegenüber geht die Kompetenz kraft Sachzusammenhanges in die Breite und greift in einen materiell anderen Sachbereich über, insofern kann (entgegen anderer Ansichten) diese Kompetenz auch nicht als Unterfall der Annexkompetenz gelten. Die Annexkompetenz ist immer im Zusammenhang mit der ausdrücklichen Gesetzgebungskompetenz zu prüfen. Z.B. Bundeswehrhochschulen zu Art. 73 Nr. 1 GG (Verteidigung). Im vorliegenden Fall ergibt sich die Kompetenz nicht bereits aus der Annexkompetenz des Bundes, denn es geht nicht um die Volksbeteiligung in bestimmten Sachgebieten als Stadium der Vorbereitung und Durchführung, sondern allgemein um Volksabstimmungen und Volksentscheide. Ebenso wenig ergibt sich die Kompetenz aus der ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs. Die Kompetenz ergibt sich aber aus einer Kompetenz kraft Natur der Sache, denn es handelt sich um eine Regelung über die Gesetzgebung auf Bundesebene und diese kann nur vom Bund selbst getroffen werden. b) Art. 7 des Entwurfes Die Gesetzgebungskompetenz für Art. 7 des Gesetzentwurfes ergibt sich aus Art. 93 III GG. 2. Gesetzgebungsverfahren und -form Beim Gesetzgebungsverfahren gilt es, Art. 76 f., 82 GG zu beachten. 1 BVerfGE 11, 89 (99). 2 BVerfGE 3, 407 (423). 2 von 8

Institut für Öffentliches Recht Wintersemester 2011/2012 Universität Augsburg 3. Zwischenergebnis Der Entwurf ist, sofern das vorgeschriebene Gesetzgebungsverfahren eingehalten wird, formell verfassungsmäßig. II. Materielle Verfassungsmäßigkeit Fraglich ist, ob das Gesetz auch materiell verfassungsmäßig ist. Dies ist dann der Fall, wenn die einzelnen Artikel des geplanten Gesetzes inhaltlich nicht gegen die Bestimmungen der Verfassung verstoßen. 1. Art. 1 des Entwurfs a) Verstoß gegen Art. 20 II 2 GG Ein wörtliches (ausdrückliches) Verbot, Volksbegehren bzw. Volksentscheide durchführen zu lassen, ergibt sich aus der Verfassung somit nicht. Artikel 1 des Gesetzesentwurfs und mit ihm die Einführung von bindenden Volksabstimmungen durch das vorliegende Gesetz könnte aber gegen das Prinzip der repräsentativen Demokratie verstoßen. Das Grundgesetz sieht die Ausübung der Staatsgewalt unter anderem vom Volke in Wahlen und Abstimmungen vor (Art. 20 II 2 GG; Wahlen: Personalentscheidungen; Abstimmungen: Sachfragen). Fraglich ist, wie der Begriff Abstimmungen auszulegen ist und ob damit generelle Volksbegehren und Volksentscheide als Volks abstimmungen mit umfasst sind. aa) Wortlautauslegung (1) Grundsätzliche Zulässigkeit von Volksabstimmungen? Man könnte der Ansicht sein, dass aus dem Wortlaut des Art. 20 II 2 GG ( Abstimmungen ) abzuleiten ist, dass Volksbegehren und Volksentscheide als eine Form von Volks abstimmungen verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig sind. Der Wortlaut des Art. 20 II 2 GG deutet somit zwar darauf hin, dass Abstimmungen als Mitwirkungsmöglichkeiten des Volkes bei der Ausübung von Staatsgewalt vom Grundgesetz durchaus vorgesehen sind. Mehr als diese Ursprungserkenntnis gewährt der Wortlaut der Vorschrift allerdings nicht. (2) Zulässigkeit von Volksabstimmungen nur in den vom GG vorgesehenen Fällen? Demgegenüber könnte man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass Abstimmungen i.s.d. Art. 20 II 2 GG nur solche sind, die das Grundgesetz ausdrücklich an anderer Stelle vorsieht. Daher seien Volksbegehren und Volksentscheide, also Formen der Volks abstimmungen als Abstimmungen i.s.d. Art. 20 II 2 GG nur im Falle des Art. 29 GG (Neugliederung des Bundesgebietes) verfassungsrechtlich zulässig (vgl. auch Art. 118, 118a GG als Sonderregelungen zu Art. 29 GG).

(3) Zwischenergebnis Die Auslegung nach dem Wortlaut führt insoweit nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Insbesondere bleibt hier unklar, ob Abstimmungen im Sinne des Art. 20 II 2 GG nur wie von der herrschenden Meinung vertreten die im GG benannten Fälle sind, oder ob die Verfassung Volksabstimmungen generell für zulässig hält. Weil die Wortlautauslegung sich insoweit als unergiebig erweist, ist die Auslegung des Art. 20 II 2 GG anhand weiterer Kriterien fortzusetzen. bb) Systematische Auslegung Die nächste Erkenntnisquelle einer Auslegung ist die Systematik der auszulegenden Norm. Ansatzpunkt einer systematischen Auslegung ist der Umstand, dass die einzelne Norm (hier: Art. 20 II 2 GG) nicht isoliert dasteht; sie ist vielmehr Teil der gesamten Rechtsordnung. Deshalb kann der Zusammenhang mit anderen Normen hilfreich dafür sein, die Bedeutung und Tragweite der auszulegenden Norm festzustellen. Im Wege einer systematischen Auslegung ist Art. 20 II 2 GG somit in den Zusammenhang mit anderen verfassungsrechtlichen Vorschriften zu bringen. Hierbei fällt auf, dass die Verfassung die Regelung des Art. 20 II 2 GG im Hinblick auf den Begriff Abstimmungen nur in Art. 29 GG näher ausgestaltet. Im Hinblick auf den Begriff Wahlen ist die Verfassung hingegen ungleich deutlicher: Art. 38 I GG gibt hier umfassend vor, wie Wahlen zu veranstalten sind (nämlich allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim ). Außerdem äußert sich das GG an keiner Stelle über das Verhältnis von Normen, die im Wege einer Volksgesetzgebung erlassen wurden, zu Normen, die einem herkömmlichen Gesetzgebungsverfahren entspringen. Sähe das GG Abstimmungen als gleichberechtigt neben Wahlen stehend an, müsste es diese Frage aber klären. Ansonsten bleibt nämlich beispielsweise unklar, ob der Bundestag durch Volksabstimmung verabschiedete Gesetze aufheben oder inhaltlich abändern kann. Als weiteres systematisches Argument spricht gegen eine Gleichordnung von Wahlen und Abstimmungen die unterschiedliche prozessuale Durchsetzbarkeit etwaig bestehender Rechte der Bürger: Art. 93 I Nr. 4a GG (Verfassungsbeschwerde) nimmt nämlich nur Bezug auf das Wahlrecht gemäß Art. 38 I GG (wegen seiner Erwähnung in Art. 93 I Nr. 4a GG bezeichnet man Art. 38 I GG hinsichtlich der Wahlrechtsgrundsätze auch als grundrechtsgleiches Recht ). Eine verfassungsrechtlich eingeräumte Durchsetzungsmöglichkeit eines Abstimmungsrechts fehlt völlig. Zuletzt ist einzuwenden, dass die Durchführung von Volksabstimmungen zum einen das in Art. 70 ff. GG geregelte Gesetzgebungsverfahren unterlaufen könnte (insbesondere Art 76, 77, 79 II GG); zum anderen besteht der Einwand, dass eine Volksgesetzgebung das in Art. 38 I 2 GG garantierte freie Mandat des Abgeordneten beeinträchtigen würde, da dieser dann an Voten des Volkes gebunden wäre. 4 von 8

Für einen Verstoß gegen Art. 20 II 2 GG spricht ein weiteres systematisches Argument: Im Gegensatz zum Gesetzgebungsverfahren durch die Gesetzgebungsorgane (Art. 70 ff. GG) gestaltet die Verfassung das Verfahren einer Volksgesetzgebung mit keinem Wort näher aus. Eine derartige Ausgestaltung wäre aber mit Blick auf die einzelnen landesverfassungsrechtlichen Regelungen und die Weimarer Reichverfassung von 1919 (vgl. Art. 73 WRV) zu erwarten gewesen. cc) Teleologisch-Historische Auslegung Für das Ergebnis der systematischen Auslegung könnte auch die teleologische sowie die historische Auslegung sprechen. Diese Auslegungsmethode beschäftigt sich mit dem Sinn und Zweck (= Telos, gr.) einer Vorschrift. Sie fragt also danach, welche Absicht der jeweilige Gesetzgeber mit dem Erlass der betreffenden Vorschrift verfolgte. 3 Die die Ausarbeitung und den Erlass des Grundgesetzes steuernde Absicht des Verfassungsgebers war es, nach den Verheerungen der nationalsozialistischen Diktatur und des zweiten Weltkriegs ein möglichst stabiles demokratisches System ins Leben zu rufen. Im Hinblick darauf liegt die Annahme, die Verfassung lege in Art. 20 II 2 GG die Zulässigkeit von Volksabstimmungen generell fest, fern vielmehr war es erklärte Absicht des Verfassungsgebers, die Ausübung der Staatsgewalt sowenig demagogisch steuerbaren Einflüssen wie möglich auszusetzen. Aus den Materialien zum GG ergibt sich ferner, 4 dass der Verfassungsgeber die Diskrepanz zwischen der Erwähnung von Abstimmungen in Art. 20 II 2 GG und der mangelnden Ausgestaltung der unmittelbaren Beteiligung des Volkes in den sonstigen Vorschriften des GG gesehen hat. Von einer daher eigentlich nahe liegenden Streichung des Begriffes Abstimmungen hat er jedoch im Hinblick auf u.a. die Bestimmung des Art. 29 GG verzichtet. Auch dieser Umstand legt nahe, dass sich der Begriff Abstimmung in Art. 20 II 2 GG nur auf die im GG selbst benannten Abstimmungsfälle bezieht. dd) Zwischenergebnis Der Wortlaut des Art. 20 II 2 GG steht der Zulässigkeit einer Einführung von Volksabstimmungen durch einfaches Bundesgesetz jedenfalls nicht eindeutig entgegen. Zusammenfassend ist aber festzustellen, dass das Grundgesetz in seiner derzeitigen Fassung nur das System der repräsentativen Demokratie hinreichend geregelt hat. Eine Volksgesetzgebung kollidiert an zahlreichen Punkten mit geltendem Verfassungsrecht. Aus diesen Kollisionen und Reibungspunkten mit der Verfassung lässt sich somit ableiten, dass Volkab- 3 Ein solcher Zweck kann sich aus einer eigenen Bestimmung ergeben, die den Sinn des Gesetzes nennt (vgl. z.b. 1 TierSchG: Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Wo es also im Rahmen des TierSchG zu Auslegungsschwierigkeiten kommt, kann auf diese im Gesetz selbst formulierte Grundentscheidung als Auslegungshilfe zurückgegriffen werden. Solche konkreten Zweckbestimmungen finden sich zumeist in 1 des jeweiligen Gesetzes). Ansonsten ergibt sich der Gesetzeszweck häufig aus der amtlichen Begründung der jeweiligen Norm (amtliche Begründungen finden sich zumeist zusammen mit dem Gesetz im jeweiligen Verkündungsorgan, für Bundesgesetze also im Bundesgesetzblatt BGBl.; weitere Erkenntnisquelle sind die Bundestags- und Bundesratsdrucksachen sowie die stenographischen Berichte dieser beiden Organe) hier gerät die teleologische Auslegung in eine Art Schnittmenge mit der historischen Auslegung. 4 Hier wird der Bereich der teleologischen Auslegung verlassen und derjenige der historischen Auslegung betreten. 5 von 8

stimmungen aktuell nur in den nach der Verfassung vorgesehenen Fällen (Art. 29 GG) zulässig sind. Die Systematik des GG spricht daher deutlich gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene durch einfaches Bundesgesetz. Der Widerspruch zwischen dem Wortlaut einerseits und der Systematik sowie des Sinns der Norm und ihrer Entstehungsgeschichte andererseits ist aber nicht unlösbar: Art. 20 GG unterfällt der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG. In der Erwähnung von Abstimmungen in Art. 20 II 2 GG kann daher der Sinn gesehen werden, mit In-Kraft-Treten der Verfassung bereits durch Verfassungsentscheidung festzulegen, dass die Einführung weiterer plebiszitärdemokratischer Elemente durch die Verfassung selbst die Ewigkeitsgarantie nicht verletzen würde. b) Verstoß gegen Art. 76 I, 77 I GG Weiterhin könnte ein Verstoß gegen Art. 76 I und 77 I GG vorliegen. Danach werden Gesetze ausnahmslos von der Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder dem Bundesrat eingebracht und ausnahmslos vom Bundestag beschlossen, eine Beteiligung des Volkes ist im Grundgesetz nicht vorgesehen. Müssten (umstrittene) Gesetzesvorhaben zwingend dem Volk zur bindenden Abstimmung vorgelegt werden, würde letztlich gerade nicht mehr der Bundestag entscheiden, welches Gesetz beschlossen wird und welches nicht. Das vorliegende Gesetz verstößt daher gegen Art. 76 I und 77 I GG. Unabhängig von dem oben festgestellten Verstoß gegen Art. 20 II 2 GG besteht aufgrund des Art. 77 I GG ein Verfassungsvorbehalt, d.h. es müsste das Abstimmungselement in der Verfassung selbst verankert werden, nicht in einem einfachen Gesetz wie im Fall. Denn bei einem einfachen Gesetz liegt ein Verstoß gegen Art. 77 I GG vor (siehe oben). Eine Beteiligung des Volkes ist deshalb einfachgesetzlich nicht möglich. Ob über eine Verfassungsänderung weitgehende plebiszitäre Elemente eingeführt werden können, wäre im Rahmen des Art. 79 III i.v.m. Art. 20 II GG zu entscheiden, kann aber im vorliegenden Fall mangels Verfassungsänderung offen bleiben. c) Zwischenergebnis Die Einführung plebiszitärer Elemente ist nur durch Verfassungsänderung möglich. Art. 1 des geplanten Gesetzes verstößt gegen den in Art. 20 II 2 GG enthaltenen Grundsatz der repräsentativen Demokratie. Des Weiteren verstößt Art. 1 des Entwurfs wie dargelegt auch gegen Art. 76 I, 77 I GG und ist somit materiell verfassungswidrig. 2. Art. 7 des Entwurfs Denkbar ist ein Verstoß gegen den Zuständigkeitskatalog des Art. 93 I GG. Nach Art. 93 III GG können aber weitere Zuständigkeiten des BVerfG durch Bundesgesetz begründet werden. Somit liegt kein Verstoß vor. 3. Ergebnis Art. 1 des Entwurfs ist materiell verfassungswidrig. Plebiszitäre Elemente lassen sich nur durch Verfassungsänderung selbst, nicht aber durch ein einfaches Gesetz einführen. 6 von 8

III. Ergebnis Der Gesetzesentwurf ist materiell verfassungswidrig. Frage 2 Ein Normenkontrollverfahren nach Art. 93 I Nr. 2 GG, 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG wäre zulässig, wenn alle Sachurteilsvoraussetzungen vorlägen. I. Zuständigkeit Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 2 GG, 13 Nr. 6 BVerfGG. II. Antragsberechtigung Fraglich ist, ob die Z-Partei, die Z-Fraktion im Bundestag oder ihre 210 Abgeordneten im Normenkontrollverfahren antragsberechtigt sind. Antragsberechtigt sind nach Art. 93 I Nr. 2 GG, 76 I BVerfGG die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages. Eine Ausweitung des Kreises der Antragsberechtigten durch eine weite Auslegung oder Analogie zu Art. 93 I Nr. 1 GG scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG wegen des eindeutigen Wortlautes das Art. 93 I Nr. 2 GG aus 5. Damit scheiden die Z-Partei und die Z-Fraktion als Antragsberechtigte aus. Allerdings könnte ein Antrag der 210 Abgeordneten zulässig sein, wenn es sich dabei um ein Viertel der Mitglieder des Bundestages handelt. Die notwendige Mindestzahl errechnet sich aus der Gesamtzahl der stimmberechtigten Abgeordneten 6. Derzeit besteht die gesetzliche Mitgliederzahl gem. 1 I BWG aus 598 und den Überhangmandaten nach 6 V BWG, derzeit also 620. Ein Viertel wären demnach 155 Abgeordnete. Die im Sachverhalt genannten 210 Abgeordneten wären demnach antragsberechtigt. III. Antragsgegenstand Gem. Art. 93 I Nr. 2 GG, 76 I BVerfGG ist Bundes- oder Landesrecht tauglicher Antragsgegenstand. Da es sich bei den Infrage stehenden Vorschriften um Bundesrecht handelt, kämen sie als tauglicher Antragsgegenstand grundsätzlich in Betracht. Allerdings können im Wege der Normenkontrolle nur geltende Normen vorgelegt werden. Normen die noch nicht oder nicht mehr gelten, stellen keine Gefahr für höherrangiges Recht dar 7. Das vormals vorgesehene Gutachtenverfahren vor dem BVerfG, mit dem auch noch nicht erlassenes Recht überprüft werden konnte ( 97 BVerfGG) wurde abgeschafft. Es stellt sich demnach die Frage, inwiefern auch eine präventive Normenkontrolle zulässig sein kann, wenn eine Norm noch nicht in Kraft getreten ist. Da die Existenz einer Norm erst mit ihrer Verkündung (Art. 82 I 1 GG) beginnt, können reine Gesetzesentwürfe nicht tauglicher Antragsgegenstand im Normenkontrollverfahren sein. Ist das Gesetz allerdings verkündet und damit existent, 5 BVerfGE 21, 52 (53 f.); 68, 346 (349); 33, 42 (43 f.). 6 Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 2001, 2. Aufl., Rn. 712. 7 Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 2001, 2. Aufl., Rn. 724. 7 von 8

kommt es auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens nicht mehr an, da sich dieser erst aus dem Norminhalt ergibt 8. Die Abgeordneten müssen also die Verkündung des Gesetzes noch abwarten. Dann läge allerdings auch vor dem Inkrafttreten der Norm ein tauglicher Antragsgegenstand vor. IV. Antragsgrund Da die Abgeordneten das Gesetz wegen seiner Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz für nichtig halten, sind sowohl die Anforderungen des Art. 93 I Nr. 2 GG als auch die Anforderungen des 76 I Nr. 1 BVerfGG an den Antragsgrund erfüllt 9. Ein Antragsgrund läge demnach vor. V. Form und Frist Der Antrag müsste in der Form des 23 I BVerfGG erfolgen, also schriftlich und mit Begründung. Eine Frist ist dabei nicht einzuhalten. VI. Ergebnis Sobald das Gesetz verkündet ist, wäre ein Normenkontrollantrag der 210 Abgeordneten zulässig. 8 BVerfGE 1, 396 (410 ff.); 34 9 (23 f.); 42, 263 (283); Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 2001, 2. Aufl., Rn. 725; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 2007, 7. Aufl., Rn. 129. 9 Vgl. dazu auch Fall 1. 8 von 8