Substanz- und Medikamentenkonsum im Alltag zur psychischen Leistungssteigerung: Mythos, Chance oder Problem?



Ähnliche Dokumente
Hirndoping am Arbeitsplatz

Neuroenhancement: Hirndoping im Job. Dr. Marlen Cosmar, Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung

14 Jahre Partydrogenprävention in Zürich

Hirndoping am Arbeitsplatz. Dr. Marlen Cosmar, Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung

Neuroenhancement - Hirndoping am Arbeitsplatz

Methamphetamin Personen- und zielorientierte Kommunikation. Lars Stark; 30. Juni 2014;

Die Zürcher Partyszene

Transhumanismus Wie lange wird es uns humane Menschen noch geben?

Hirndoping Wacher, kreativer, konzentrierter

Neuro-Enhancement oder Neurodoping? Prof. Dr. M. Soyka, Meiringen

Konsum von psychoaktiven Substanzen in der Freizeit Auswertung von Befragungen von Konsumierenden

Neurodoping im Studium

Zürcher Partydrogenkonsumierende wissen mehr und sind vorsichtiger Interesse an Drug-Checking-Angeboten nach 15 Jahren unverändert hoch

Psychische Belastungen und Doping in der Arbeitswelt

10 Jahre Drug Checking in Zürich welche Resultate wurden erzielt?

Hellweg-Klinik Bielefeld Ganztägig ambulante Rehabilitation suchtkranker Menschen

Drug-Checking Nutzen für die Beratung, die Informationsverbreitung und das Substanz-Monitoring aus Sicht der Praxis

DAK-Gesundheitsreport 2015

FRAGEBOGEN NIGHTLIFE FREIZEITKONSUM V7 Kernmodul / 2018

Crystal: Verbreitung. Fachvortrag Mehtamphetamin/ /Bad Kissingen Folie 21

Genuss, riskanter Konsum oder doch schon Sucht? Förderung genussorientierter Konsummuster

Pharmakologisches Neuroenhancement: Zwischen planbarem Wissenstransfer und nicht intendierten Rückwirkungen

Sucht tut weh. Teilstationäre Entwöhnungstherapie bei Alkohol-, Medikamentenund anderer Suchtmittelabhängigkeit

Modellprojekt. Qualitätsentwicklung in der Beratung und Prävention im Kontext von Drogen und Sexualität bei schwulen Männern

Update: Doping am Arbeitsplatz Hans-Dieter Nolting, IGES

Charakteristika und Konsummuster von Freizeitdrogenkonsumierenden in der Schweiz. Zahlen und Fakten. Larissa J. Maier

Möglichkeiten und Grenzen der stationären Behandlung bei Demenzerkrankten

HIRNDOPING PHARMAKOLOGISCHES NEURO-ENHANCEMENT AN HOCHSCHULEN

Evidenzbasierte Suchtmedizin

Wo findet Sucht in unserer Gesellschaft statt? Ein bisschen auch bei uns oder nur bei den anderen?

Prävalenz, Ätiologie und Therapie von Cannabisabhängigkeit

DAK-Gesundheitsreport 2015

DAK-Gesundheitsreport Hamburg

Die Entwicklung aus Sicht der Beratungsstelle

6. Gebrauch multipler Substanzen in der Schweiz im Jahr 2012

WHO - ASSIST V3.0 (Alcohol, Smoking & Substance Involvement Screening Test)

Methamphetamin in Deutschland. Aktueller Stand: Konsum und Behandlungsbedarf. Norbert Wodarz

CHEMSEX & MSM Ein neues Phänomen? von Mag. Thomas Baumgartner, MA. AIDS HILFE WIEN Mariahilfer Gürtel Wien

DAK-Gesundheitsreport 2015

Substanzkonsum im Alter ein unterschätztes Problem?

DAK-Gesundheitsreport 2009

Gesundheitskompetenz an Hochschulen ein förderwürdiges Konzept?

DAK-Gesundheitsreport 2015

DAK-Gesundheitsreport 2015

Patientenbogen Erstelldatum:

Illegale Suchtmittel

Jahresbericht Jugend- und Drogenberatung Augustinerstr. 2, Würzburg. Telefon

2 Theoretischer Hintergrund

Chronisch kranke Kinder und Jugendliche Bedürfnisse und Krankheitsbewältigung

DAK-Gesundheitsreport 2015

DAK-Gesundheitsreport Hessen

DAK-Gesundheitsreport Thüringen

LBISucht seit 1972 und AKIS seit 2000 beide am Anton-Proksch-Institut in Wien Kalksburg Zielsetzungen: Forschung in allen Bereichen der Sucht Wissensc

DAK-Gesundheitsreport Berlin

Drug-Checking in Zürich

Psychosoziale Aspekte der Behandlung Suchtkranker

Ein Projekt der Baden-Württemberg Stiftung im Rahmen des Programms "Sucht im Alter 2"

Psychosoziale Beratung in der Suchttherapie Welche Zukunft hat die Soziale Arbeit?

DAK-Gesundheitsreport 2015

Sucht tut weh. Stationärer Entzug, Entwöhnungstherapie und Arbeitsintegration bei Alkohol-, Medikamenten- und anderer Suchtmittelabhängigkeit

Fatigue - die ständige Müdigkeit

The Illness Management and Recovery Program

Ansatzpunkt zur Reduktion sexuellen Risikoverhaltens bei HIV-positiven MSM

Safer Nightlife Erfolgreich durch Akzeptanz

Sucht und Abhängigkeit

DAS WÜRFEL-MODELL. Bisher: Vier-Säulen-Modell. Erste Dimension. Prävention Therapie Schadensminderung Repression

Medikamentenkunde Teil 2 Version 1.2

Abklärung, Entzugsplanung, Therapie Psychiatrie

5. Internationaler Fachtag Hepatitis C

Und jetzt zurück zur Arbeit.? Psychoonkologische Herausforderungen in der Praxis

Suchterkrankungen bei Ärztinnen und Ärzten

S o S Sozialraumorientierte Suchthilfe

Depression, Burnout. und stationäre ärztliche Versorgung von Erkrankten. Burnout I Depression Volkskrankheit Nr. 1? 1. Oktober 2014, Braunschweig

Zurück ins gesunde Leben

Umgang mit Beikonsum. Substanzen und Applikationswege. Dr. Claudia Scheiber

Gesund und fit durch Selbstmedikation?

Prävention der Zukunft Das Zürcher Angebot

1. Bitte. Alter: andere: Jahre. 2. Bitte. 5 bis. 5 bis

Behandlung von Kokainabhängigen Angebote, Probleme und Nachfrage

Medikamentenkunde Teil 2 Version 1.2

DAK-Gesundheitsreport Niedersachsen

2.1 Acetylcholinesterase-Inhibitoren Sonstige Wirkstoffe Nootropika 23

Zukunftsperspektiven der Forensischen Psychiatrie unter besonderer Berücksichtigung des 64 StGB

Motivierende Kurzintervention in der Altenpflege

Sucht und geistige Behinderung Ergebnissen aus den Niederlanden

BEZIRKSKLINIK HOCHSTADT

DAK-Gesundheitsreport Schleswig-Holstein

Ein bisschen Spaß muss sein? - Alkohol im Alter. Sucht im Alter

Abhängigkeitslinie. Klinik für Psychose und Abhängigkeit Spezialisiert auf die Therapie von Sucht mit Komorbidität

DAK-Gesundheitsreport Bremen

Projektvorstellung Gesa AG Nachbarschaftshilfen am 12. April 2016

Epidemiologische Hinweise zum Konsum in Deutschland

ZUSAMMENARBEIT PSYCHIATRIEPRAXIS UND SUCHTMEDIZIN FORUM FÜR SUCHTFRAGEN, DR. MED. CLAUDINE AESCHBACH, BASEL

Häufige Begleiterkrankungen: Körperliche Erkrankungen Epilepsie Sonstige körperliche Erkrankungen

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

Crystal Legal Highs GHB / GBL Tilidin Ketamin

Angehörigenberatung. Seite 1

Transkript:

Substanz- und Medikamentenkonsum im Alltag zur psychischen Leistungssteigerung: Mythos, Chance oder Problem? 07. November 2011; Lars Stark, l.stark@arud.ch

Arud Medizinische Zentren für Suchtmedizin

Unser Angebot Probleme mit Substanzkonsum Kokain Alkohol Heroin Cannabis Medikamente Designerdrogen Tabak Mischkonsum Konsumierende Angehörige, Umfeld aus einer Hand: Information, Beratung, Abklärung, Behandlung ambulante Therapien: Einzel-, Familien-, Gruppentherapien psychiatrische Behandlungen somatische Behandlungen psychosoziale Betreuung, sozialarbeiterische Unterstützung Kooperationsangebote Checkpoint Zürich, Drogeninformationszentrum Zürich, Beratungsstelle für Angehörige Fachleute ÄrztInnen, PsychologInnen, Sozialdienste, Beratungen, Justiz, usw. Arbeitgeber Personalverantwortliche, Vorgesetzte

Geistige Leistungssteigerung: Der Begriff Neuro-Enhancement (englisch: neurocognitive enhancement) Kosmetische Neurologie Gehirndoping Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit durch psychoaktive Substanzen und andere Interventionen

Neuro-Enhancement: Global und zeitunabhängig Kaffee, Tee, Kakao, Tabak, Khat (Arab. Halbinsel), Bethel (Asien), Koka (Südamerika) Upers: Amphetamin, Kokain, Speed Brille, Kontaktlinsen Gehirnimplantate: Cochlea, Substanzia Nigra Gehirnchips etc.

Gesundheitsbegriff Gesundheit = Abwesenheit von Krankheit Gesundheit = Zustand des vollständigen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens WHO, Ottawa Charta 1986 Präventiver Begriff: Gesundheitsförderung Megatrend Gesundheit: Krankheit soll bereits im Ansatz verhindert werden

Gesundheitskultur Human performance enhancement pharmakologische und technische Steigerung des Intellekts und der Gefühle beim Gesunden Leistungsoptimierung: beruflicher und sozialer Kontext Akzeptanz im körperlichen Bereich: o Schönheits-, Jugend- und Leistungsfixierung o medial geschaffene, körperliche und ästhetische Ideale Leistungsanspruch in Gesundheitsbegriff integriert Neues Verständnis der Möglichkeiten und Aufgaben der Medizin

Ethisch-wissenschaftliche Diskussion Die meisten medizinischen Journals sind vorsichtige Befürworter: z. B. Nature: Towards responsible use of cognitive enhancing drugs by the healthy Society must respond to the growing demand for cognitive enhancement. That response must start by rejecting the idea that enhancement is a dirty word, argue Henry Greely and colleagues (Vol 456 11 December 2008). Wichtigstes Argument: Menschsein und Neuroenhancement sind nicht trennbar. Sprache und Schrift werden als Ursprung des NE angesehen.

Verbreitung Schüler: v.a. in den USA Etwa 7 % der Schüler in Abschlussklassen landesweit nehmen Stimulantien. In einigen Schulen liegt der Prozentanteil zwischen 20-50 %!

Befragung DAK (Deutsche Angestelltenkasse) 2009 3000 Arbeitgeber/-innen, Alter: 20-50J o 40%: Psychopharmaka (Antidepressiva und Nootropika) verbessern auch Leistungsfähigkeit beim Gesunden o 5%: Eine oder mehrere dieser Substanzen zur Leistungssteigerung genommen, 2,2% regelmässig F>>M o Grund: Steigerung Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnisleistung bei der Arbeit

Stimulantiengebrauch bei Zürcher Medizinstudenten 47,5 %, N=675, R. Kowalewski et al., abstract DGPPN, 2010 Modafinil und Methylphenidat werden nur bei wenig Zürcher Medizinstudenten verwendet, meist als kognitive Enhancer Bei Prävalenz von ADHD 5%: Mangelgebrauch von Stimulantien.

Jugendberatung Streetwork Partydrogenprävention DIZ (Drogeninformationszentrum) Information, Beratung und Drug-Checking, an zentraler Lage Möglichkeit zur direkten Überweisung GAIN Infostand mit Drug- Checking Seit Oktober 2001(10x/Jahr) Information, Beratung, Safer Use Informationen und Drug-Checking Angebote anonym, kostenlos

Lebenszeitprävalenzen 100 92.6 98.6 93.9 92.7 80 80.8 74.8 Prozent 60 40 20 19.8 28.5 44.4 58.9 47.1 62.9 22.2 24.9 0 Quelle: Streetwork Zürich, 2011

Medikamentenkonsum gemäss Fragebogen Drug-Checking www.know-drugs.ch Konsum nichtverschriebener Medikamente hat zugenommen (v.a. Ritalin und Benzodiazepine) spielt eine eher untergeordnete Rolle eher nicht während typischen Partynächten konsumiert

Hohe Erwartung/Anspruch an Neuro-Enhancement Diskussion um mögliche Substanzen, die bei Gesunden eine Leistungsverbesserung bewirkt Aktuell steht keine Substanz zur Verfügung, welche die mentalen Funktionen nachhaltig und ohne einschränkende Nebenwirkungen verbessert o Keine grössere Studien o Keine längere Untersuchungen o Studien von begrenzter Aussagekraft (Armee, Gefängnisse o.ä.) Studien für in ihrer Leistung beeinträchtigte Personen (angeboren, durch Krankheit, Erschöpfung, Müdigkeit)

Anspruch: Verbesserung der Kognition Gesamtheit der Gehirnfunktionen zur Informationsverarbeitung und Umgestaltung o in Bezug auf Problemlösung o in Bezug auf Denken Also: o Aufmerksamkeit o Motivation o Orientierung o Merk- und Lernfähigkeit o Erinnerung o Organisation

Diskutierte Substanzen (Medikamente) Zur Beschleunigung und Steigerung von Aufmerksamkeit, Motivation, Merkfähigkeit, Dauerbelastbarkeit Stimulantien (Adderall, Vyvanse ), Mittel zur Behandlung von ADHD (Ritalin, Concerta, Focalin ), Antiepileptikum Modafinil (Modasomil ) Zur Steigerung von Aufmerksamkeit, Merk-, Lern- und Erinnerungsfähigkeit Medikamente zur Demenzbehandlung (Aricept, Exelon, Reminyl, Axura, Ebixa ) Zur Verbesserung von emotionalem Empfinden Stimulierende Antidepressiva

Enhancement-Wirkung eher ernüchternd Stimulantien und Methylphenidat als Wachmacher: Bei Personen, die unter erhöhter Müdigkeit leiden oder ein unterdurchschnittliches Leistungsniveau zeigen Gewisse Tests: besseres Abschneiden, nicht replizierbar. Gewisse Leistungen aber schlechter Geeignet für repetitive, monotone Tests Je höher das kognitive Leistungsniveau, desto geringer die Leistungsverbesserung Fazit: Die diskutierten Substanzen scheinen sich nicht als Neuro-Enhancer zu eignen

1. Beispiel: Neuro-Enhancement im unproblematischen Bereich 28-jähriger Student. Finanzierung Studium: Arbeit als Informatiker Epilepsie, langjährige Behandlung mit Antiepileptika, Müdigkeit als Nebenwirkung Belastung: Tod von Mutter und Bruder vor kurzer Zeit Konzentrationsschwäche mit verfügbaren Stimulantien kompensiert: Methylphenidat und Modasomil. Aus Verfügbarkeitsgründen Wechsel auf Amphetamin, dadurch Leistungseinbruch, Problemkonsum.

2. Beispiel: Neuro-Enhancement-Diskussion und Stigmatisierung 35-jährige Lehrerin, Autorin. Bekanntes ADHD seit Kindheit mit ausgeprägtem hyperkinetischen Syndrom, Ablenkbarkeit, Eigenstrukturierungsschwäche, Stimmungsschwankungen. Verschiedene Behandlungen seit mehreren Jahren. Aktuell Stabilisierung: Methylphenidat, Antidepressivum und Psychotherapie. Mehrere Abbauversuche Methylphenidatmedikation mit infolge schweren psychischen Krisen, auf Drängen Umfeld und teils auch Ärzte.

3. Beispiel: Neuro-Enhancement-Diskussion und Stigmatisierung 30-jährige Zahntechnikerin, nimmt punktuell und selten Methylphenidat oder Kokain zur Fokussierung, Konzentrationssteigerung bei monotonen Aufräumarbeiten, Administration. Methylphenidat als Schlaf-Selbstmedikation verwendet bei Schlafstörungen seit Kindheit. Diagnostisch: Erfüllt Kriterien für ADHD im Erwachsenenalter.

Haben Neuroenhancer unakzeptable Nebenwirkungen? Unerwünschte Wirkungen sind bei vorsichtiger Dosierung relativ selten, können aber ernsthaft sein. Erhöhte Aggressivität BD-Erhöhung Epileptische Anfälle Infarkte Psychosen

Exkurs: Substanzkonsum und Übersetzt: Problemlast Dosis facit venenium. Die Menge macht das Gift. Theophrast von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493 1541) Heute: Die Reinheit macht das Gift. Die Mischung macht das Gift. Die Konsumform macht das Gift. Die Kosten machen das Gift.

Weniger als... Weniger als 10% der Leute, die mit Drogen experimentieren, werden abhängig (süchtig). NIDA NOTES Vol. 16, Nr. 6, 2002, S. 4, Glen R. Henson

Eisberg-Phänomen Sichtbare Probleme Nicht stark beeinträchtigende Probleme

Substanzkonsum und Probleme: Ein Kontinuum Abstinenz und unproblematischer Konsum Risiko- Konsum Problem- Konsum Stark abhängiger und chronischer Konsum Kein Konsum milder Konsum mässiger Konsum massiver Konsum

Zusammenfassung Wirkung der heute vorhandenen Neuroenhancer auf ausgeruhte Gesunde sind ernüchternd. Gefahren von einem nicht medizinisch begründeten Konsum: gering aber zu wenig untersucht. Aus ärztlicher Sicht kann mit dem heutigen Wissensstand der Gebrauch der diskutierten Substanzen als kognitive Enhancer bei Gesunden nicht befürwortet werden.