Zürich, 24. Januar 2008 Therapeutische Entscheidungen bei Patienten mit Parkinsonsyndrom Hans-Peter Ludin hans.p.ludin@hin.ch 1
Vorbemerkung Unser Konzept der Krankheit ist im Wandel begriffen: Der Dopaminmangel prägt vor allem die frühen Stadien der Krankheit Später wird das Bild von nicht-dopaminergen, nicht-motorischen Symptomen und von Nebenwirkungen der Therapie beherrscht Weite Teile des Gehirns und nicht nur die Substantia nigra sind betroffen 2
Welches ist der normale Verlauf der Krankheit? Anfänglich sprechen die meisten Symptome gut auf die dopaminerge Behandlung an. Nach dieser honeymoon-phase, die einige Monate bis Jahre dauert, stellen sich aber zunehmend Probleme ein, die auf Nebenwirkungen der Therapie und auf das Fortschreiten der Krankheit, insbesondere auch Störungen, die nicht durch den Dopaminmangel bedingt sind, zurückzuführen sind 3
Verlauf Jahre 4 Wichtigkeit
Nebenwirkungen der Langzeitbehandlung und nicht-dopaminerge Symptome (Die Liste ist nicht vollständig) Fluktuationen Dyskinesien und Dystonien Vegetative Störungen Schmerzen Gangstörungen und häufige Stürze Schlafstörungen Psychische Störungen 5
10 therapeutische Entscheidungen 1. Wann soll mit der Therapie begonnen werden? 2. Wie soll mit der Therapie begonnen werden? 3. Was tun wenn die Therapie nicht anspricht? 4. Wie können Fluktuationen behandelt werden? 5. Wie behandelt man Dyskinesien und Dystonien? 6. Was tun gegen Halluzinationen? 7. Behandlung von Verhaltensstörungen, insbesondere der Hypersexualität 8. Was tun bei gehäuften Stürzen? 9. Was tun bei Schlafstörungen? 10. Was tun bei einer demenziellen Entwicklung? 6
Wann soll mit der Therapie begonnen werden? Soll mit der Therapie möglichst früh begonnen werden? Pro: Mögliche neuroprotektive Wirkung der Behandlung Kontra: Heutige Behandlungen sind rein symptomatisch Langzeit-Nebenwirkungen wie Dyskinesien und Fluktuationen Behandlung wirkt nur während einer beschränkten Zeit Neurotoxizität von L-Dopa? 7
Wann soll mit der Therapie begonnen werden? Soll mit dem Therapiebeginn möglichst lange zugewartet werden? Pro: Verzögerung der Langzeit-Nebenwirkungen Kontra: Die besten Therapieerfolge haben wir in den frühen Krankheitsstadien 8
Kann das Auftreten der Fluktuationen durch einen späten Therapiebeginn verhindert oder zumindest verzögert werden? Nur eine geringe Verzögerung ist möglich. Das Auftreten der Fluktuationen hängt nicht nur von der Behandlungsdauer sondern auch vom Stadium der Krankheit ab. Ausserdem verpassen wir die Zeit mit den besten Behandlungserfolgen 9
Früher Therapiebeginn Fluktuationen Zeit Später Therapiebeginn Fluktuationen Auftreten der ersten Symptome 10
Neuere Befunde sprechen dafür, dass Patienten mit einem früheren Therapiebeginn auch im späteren Verlauf besser gehen als solche mit einem späteren Beginn 11
Fazit Es lohnt sich nicht, mit dem Therapiebeginn längere Zeit zuzuwarten Wir beginnen heute mit der Therapie wenn der Patient sich im Alltag behindert fühlt 12
Wie soll mit der Behandlung begonnen werden? Solange die Symptomatik wenig oder nicht behindernd wirkt MAO B-Hemmer (Rasagilin, Selegilin) Amantadin Wenn der Tremor im Vordergrund steht Versuch mit einem Anticholinergicum Sobald sich der Patient behindert fühlt Dopaminagonisten, L-Dopa plus DH 13
Einleitung der dopaminergen Therapie Jede dopaminerge Behandlung muss eingeschlichen werden Der Behandlungseffekt ist häufig erst nach einigen Wochen erkennbar Sollten am Anfang Übelkeit und Erbrechen auftreten, kann vorübergehend Domperidon gegeben werden 14
Einleitung der dopaminergen Therapie Jüngere Patienten ohne psychoorganische Veränderungen: Dopaminagonisten Falls nicht (mehr) wirksam, zusätzlich L-Dopa + Dekarboxylasehemmer (DH) Unter Dopaminagonisten treten in in der Langzeitbehandlung weniger Dyskinesien und Fluktuationen auf als als unter 15 L-Dopa
Welcher Dopaminagonist? Die Behandlung sollte nur noch mit nicht-ergolinen Dopaminagonisten begonnen werden Pramipexol Ropinirol Rotigotin 16
Einleitung der dopaminergen Therapie Alte und/oder psychoorganisch veränderte Patienten: L-Dopa + DH Unter L-Dopa treten weniger psychische Nebenwirkungen auf als als unter Dopaminagonisten. Ausserdem ist ist die die Compliance besser 17
Fazit Vor Beginn der Dopaminergika geben wir Amantadin oder MAO B-Hemmer Falls der Tremor im Vordergrund steht kann mit einem Anticholinergicum begonnen werden (Cave psychische NW) Die dopaminerge Behandlung beginnen wir bei jüngeren Patienten mit Dopaminagonisten, bei älteren mit L-Dopa Jede Behandlung muss eingeschlichen werden und die Dosis individuell angepasst werden 18
Was tun wenn die Therapie nicht anspricht? In 10 15% der Patienten kann kein eindeutiges Ansprechen der motorischen Symptomatik beobachtet werden Mögliche Gründe: Dosierung zu niedrig Behandlungsdauer zu kurz Primäre Therapieversager 19
Primäre Therapieversager Patienten, die unter mindestens 1000 mg L-Dopa In + den DH meisten (keine Retardpräparate) Fällen täglich ist während die Diagnose mindestens falsch! 2 Monaten keine Besserung der motorischen Symptomatik zeigen 20
Wichtige Differentialdiagnosen Vaskulärer Pseudoparkinson Medikamentöses Parkinsonsyndrom Essenzieller Tremor Aresorptiver Hydrozephalus Depression Atypische Parkinsonsyndrome Progressive supranukleäre Lähmung Multisystematrophie Kortikobasale Degeneration Diffuse Lewykörperchen-Krankheit M. Alzheimer 21
Wie können Fluktuationen behandelt werden? Die Fluktuationen werden einerseits auf die pulsatile Wirkung der L-Dopa-Therapie, anderseits auf die abnehmende Speicherkapazität für Dopamin zurückgeführt 22
Fluktuationen Die Fluktuationen werden einerseits auf die pulsatile Wirkung der L-Dopa-Therapie zurückgeführt L-Dopa kombiniert mit einem Dekarboxylase-Hemmer hat ein kurze Halbwertszeit von 1-2h L-Dopa-Plasmakonzentration Zeit 23
Wirkung einzelner L-Dopa-Dosen Frühe Späte Krankheitsphase Dopa-Plasmakonzentration Dyskinesie Therapeutisches Fenster Akinesie Zeit 24
Fluktuationen Nach einer gewissen Behandlungsdauer ist es nicht mehr möglich, die Symptome mit drei Tagesdosen zu beherrschen Formen der Fluktuationen Wearing-off On off-phänomen Yoyoing 25
Motorische Komplikationen nach 2-jähriger L-Dopa-Behandlung 60 % Patienten 50 40 30 20 10 38% 30% n=150 5% 0 Wearing-off Dyskinesien On-off Parkinson Study Group, 2000 26
Wearing-off: Motorische Symptome Tremor Bradykinesie (Gangstörung) Leise Stimme Morgensteifigkeit Dystonien (häufig am frühen Morgen) 27
Wearing-off: Nicht-motorische Symptome Witjas et al, 2002 Autonome Störungen Mentale und psychische Symptome Sensible Symptome 100% der Patienten mit motorischen haben auch nicht-motorische Fluktuationen Für 28% der Patienten stellen die nichtmotorischen Fluktuationen die schwerere Behinderung dar 28
Bekämpfung der Fluktuationen Retard L-Dopa + DH COMT-Hemmer (Entacapon, Tolcapon) MAO B-Hemmer Rasagilin Rotigotinpflaster (oder Dopaminagonisten mit langer Halbwertszeit) Erhöhung der Zahl der Einzeldosen Apomorphinpumpe Duodopa-Pumpe Stereotaktischer Eingriff (Eiweissarme Diät) 29
Bekämpfung der Fluktuationen Gegen die kurzdauernden freezings ist keine wirksame medikamentöse Behandlung bekannt Versuch mit Tricks 30
Reduktion der täglichen off-zeit Rascol O et al: Mov Disord 19 (Suppl 9) S200, 2004 0.0-0.5 Stunden -1.0-1.18-1.20-0.40-1.5-2.0 * * *p<0.0001 vs. Plazebo Rasagilin 1mg Entacapon Plazebo 31
Plasmakonzentration von Rotigotin 0.8 0.6 0.4 0.2 0 0 6 12 18 24 30 Zeit 32
Behandlung mit Duodopa L-Dopa plus Carbidopa als Gel-Suspension Wird durch eine elektronische Pumpe über eine PEG- Sonde direkt ins Duodenum appliziert 33
Stereotaktische Operationen Destruierende Eingriffe vs. Einbau von Neurostimulatoren 34
Wie behandelt man Dyskinesien und Dystonien? Unwillkürliche Bewegungen Dyskinesien Unwillkürliche choreatische Bewegungen Gelegentlich lediglich überschiessende Willkürbewegungen Von den Patienten häufig nicht wahrgenommen Dystonien Tonische Fehlstellung, häufig Füsse und Zehen Können sehr schmerzhaft sein Treten häufig bei abfallenden Medikamentenspiegeln auf 35
Dyskinesien Bei vielen Patienten treten mit der Zeit zum Teil sehr störende unwillkürliche Bewegungen auf Dyskinesien vorhanden Dyskinesien erfordern Anpassung der Behandlung Dyskinesien nicht kontrollierbar Nach 5 Jahren Behandlung 30% 17% - Nach 10 Jahren Behandlung 59% 43% 12% n = 126 Beginn der Krankheit 68,6 Jahre Alter bei Therapiebeginn 71,1 Jahre Van Grepen JA et al.: Neurology 64 (Suppl 1), A233, 2005 36
Bekämpfung der Dyskinesien Fraktionierung der Medikamentendosen Reduktion von L-Dopa und Einführung bzw. Erhöhung der Dopaminagonisten Amantadin oder Clozapin Stereotaktischer Eingriff Geringere antiparkinsonische Wirkung als als L-Dopa und Dopaminagonisten. Dyskinesien können reduziert werden Neuroprotektiver Effekt wird diskutiert 37
Bekämpfung der Dystonien Fraktionierung der Medikamentendosen Amantadin oder Clozapin Stereotaktischer Eingriff Schnell wirkende L- Dopa-Präparationen oder Apomorphinboli Botulinumtoxin 38
Was tun gegen Halluzinationen? Verwirrtheit und/oder (optische) Halluzinationen Es muss differenziert werden zwischen Nebenwirkung der Behandlung (Beginnender) dementieller Entwicklung 39
Psychische Probleme K.B., männl., 62J. Erfolgreicher Architekt. Hobbymaler. Parkinsonsyndrom seit 8 Jahren. Symptome unter L-Dopa plus DH und Dopaminagonisten unter Kontrolle. Beginnt nächtelang zu malen, allgemein hyperaktiv. Gesteigerte Sexualität. Optische Halluzinationen, die er auch in Bildern festhält. 40
Massnahmen gegen psychische Nebenwirkungen Anticholinergika (event. MAO B-Hemmer u. Amantadin) absetzen Dopaminagonisten (teilweise) durch L-Dopa ersetzen Ausser Clozapin Dosisreduktion und Quetiapin führen alle atypischen Neuroleptika zu einer Zunahme der Symptomatik! Letzte Tagesdosis vorverschieben und event. Gesamtdosis reduzieren Clozapin und Quetiapin (keine andere Neuroleptika!) 41
Behandlung von Verhaltensstörungen, insbesondere der Hypersexualität Bei 4 13% der Parkinsonpatienten finden sich Impulskontrollstörungen (impulse control disorder) Spielsucht Pathologisches Einkaufen Bulimie Hypersexualität In den meisten Fällen wird der Arzt nicht informiert 42
Risikogruppen: Impulskontrollstörung Dopaminerge Therapie, insbesondere mit Dopaminagonisten Männer Patienten mit frühem Krankheitsbeginn Anamnese mit psychischen oder Suchtproblemen (z.b. Alkoholprobleme) 43
Behandlung der Impulskontrollstörung Reduktion event. Absetzen der Dopaminagonisten, allenfalls auch Reduktion von L-Dopa Zugabe von Quetiapin oder Clozapin 44
Was tun bei gehäuften Stürzen? Beim idiopathischen Parkinsonsyndrom treten gehäufte Stürze erst in fortgeschrittenen Krankheitsstadien auf In den meisten Fällen sind sie auf einen Verlust der Stellreflexe zurückzuführen Eine orthostatische Hypotonie ist ursächlich eher selten und muss entsprechend behandelt werden 45
Was tun gegen Stürze (und Gangstörungen)? Ansprechen auf medikamentöse Therapie häufig unbefriedigend Gangtraining ( bewusstes Gehen ) Gehhilfen (Böckli, Rollator) Geeignetes Schuhwerk Beseitigung von Stolperfallen Hüftprotektoren 46
Was tun gegen Schlafstörungen? Viele Parkinsonpatienten leiden an quälenden Schlafstörungen In der Regel ist auch der Partner davon betroffen 47
Schlafstörungen betreffen auch den Partner Smith H et al, J. Am. Geriatr. Soc. 45, 194-9, 1997 Prozente 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Patienten Betreuer Kontrollen weiblich männlich 48
Schlafstörungen (1) Sie können verschiedene Ursachen haben. Eine sorgfältige Analyse ist unerlässlich: Akinese Tremor Schmerzen (Krämpfe) Unwillkürliche Bewegungen Anticholinergika? Zusätzliche Parkinsonmedikamente Benzodiazepine? während der Nacht, Clozapin? seidene Bettwäsche Antiparkinsonika? (Apomorphin?) Schmerzmittel? Reduktion der Antiparkinsonika, Amantadin, Entspannungsübungen 49
Schlafstörungen (2) Sie können verschiedene Ursachen haben. Eine sorgfältige Analyse ist unerlässlich: Restless legs und nächtlicher Myoklonus Verwirrtheitszustände, Halluzinationen Miktionsstörungen REM-Schlaf-Verhaltensstörung Benzodiazepine (Clonazepam) Regelmässig Wasserlösen, Flasche einbetten, Urinale, DK, Cystofix L-Dopa, Dopaminagonisten Anticholinergika stoppen, Antiparkinsonika reduzieren, Seroquel oder Clozapin 50
Was tun bei einer demenziellen Entwicklung? Besonders bei alten Patienten mit langdauernder Krankheit kommt es zu einer demenziellen Entwicklung, die nicht von einem M. Alzheimer unterschieden werden kann Häufigster Grund für Einweisung in ein Pflegeheim 51
Demenzielle Entwicklung Hobson P and J Meara: Mov. Disord. 19, 1043-49, 2004 Inzidenz bei >65jährigen Parkinsonpatienten 107 / 1000 Kontrollen 18 / 1000 Risiko der demenziellen Entwicklung bei Parkinsonpatienten 5,1mal grösser Risikofaktoren: höheres Alter, höheres Alter bei Krankheitsbeginn, Dauer der Parkinsonsymptome, Halluzinationen, Gedächtnisstörungen, Sprachstörungen 52
Demenzielle Entwicklung Anticholinergika absetzen. Event. durch Clozapin ersetzen Event. Reduktion der dopaminergen Medikation Clozapin (event. Quetiapin) Keine konventionelle Neuroleptika Zentralwirkende Cholinesterase-Hemmer Neuropsychologisches Training. Geregelter Tagesablauf Entlastung des Partners 53
Rivastigmin vs. Placebo 2.5 2.0 Veränderungen in der ADAS-cog * Rivastigmin (n = 329) Placebo (n = 161) ** Besserung Veränderung der ADAS-cog 1.5 1.0 0.5 0 0.5 *p = 0.002; **p < 0.001, ITT-RDO analysis Grundlinie 1.0 Woche Verschlechterung 0 16 24 Emre M et al: N Engl J Med 351, 2509-18 2004 54
Rivastigmin vs. Placebo Parkinsonsymptome nehmen nicht zu Kein signifikanter Unterschied in den Behandlungsgruppen in der Unified Parkinson s Disease Rating Scale (UPDRS Teil III) 1.0 Veränderung in der UPDRS. 0.8 0.6 0.4 0.2 p = 0.827 0.0 Rivastigmin (n = 263) Emre M et al: N Engl J Med 351, 2509-18 2004 Placebo (n = 146) 55