Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte Fachtag FRAU & BERUF Kiel, 26. November 2015 Torsten Lietzmann
Teil 1: Sozialrechtliche Grundlagen 2
Rechtliche Regelung geringfügiger Beschäftigung Reform geringfügiger Beschäftigung 2003 als Teil der Hartz- Reformen: Ziele waren die Erhöhung von Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und die Erhöhung der Anreize für Niedriglohnbeschäftigung (Jacobi/Kluve 2007). Erhöhung der Verdienstgrenze von 325 auf 400 (ab 2013: 450 ). Abschaffung der Grenze von maximal 15 Arbeitstunden pro Woche. Einführung einer Gleitzone mit reduzierten Sozialabgaben im Entgeltbereich 400,01 bis 800 (Midi-Jobs). Abschaffung der Zusammenrechnung mit einer sozialversicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung. Nachteile: geringe Rentenbeiträge, keine Krankenversicherung, keine Ansprüche an die Arbeitslosenversicherung. Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 3
Arbeitgeber zahlen für Minijobber im Verhältnis mehr Sozialversicherungsabgaben Einkommen und Abgaben in verschiedenen Beschäftigungsformen Nettoeinkommen und Abgaben je nach Bruttoeinkommen für alleinstehende Personen im Jahr 2015 in Prozent Quelle: Eigene Berechnung, eigene Darstellung des IAB (Wiemers). Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 4
Arbeitgeber zahlen absolut erst ab 728 Euro mehr Abgaben an die Sozialversicherung als bei 450 Euro Einkommen und Abgaben in verschiedenen Beschäftigungsformen Nettoeinkommen und Abgaben je nach Bruttoeinkommen für alleinstehende Personen im Jahr 2015 in Euro Quelle: Eigene Berechnung, eigene Darstellung des IAB (Wiemers). Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 5
Arbeitgeber zahlen absolut erst ab 728 Euro mehr Abgaben an die Sozialversicherung als bei 450 Euro Einkommen und Abgaben in verschiedenen Beschäftigungsformen Nettoeinkommen und Abgaben je nach Bruttoeinkommen für alleinstehende Personen im Jahr 2015 in Euro 450-728 Quelle: Eigene Berechnung, eigene Darstellung des IAB (Wiemers). Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 6
Teil 2: Struktur und Entwicklung geringfügiger Beschäftigung 7
Entwicklung atypischer Erwerbsformen Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 8
Zunahme der geringfügigen Beschäftigung geht hauptsächlich auf geringfügige Nebenjobs zurück Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland Anzahl der Beschäftigten in Mio., 2003 bis 2015 8 7 6 5 4 3 2 1 0 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Geringfügig entlohnte ausschließlich geringfügig entlohnt Im Nebenjob geringfügig entlohnt Quelle: BA-Beschäftigtenstatistik Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 9
Zunahme der geringfügigen Beschäftigung geht hauptsächlich auf geringfügige Nebenjobs zurück Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland Anzahl der Beschäftigten in Mio., 2003 bis 2015 8 7 6 + 20 % Vgl. svp: + 15 % 5 4 3 2 1 0 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Geringfügig entlohnte ausschließlich geringfügig entlohnt Im Nebenjob geringfügig entlohnt Quelle: BA-Beschäftigtenstatistik Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 10
Zunahme der geringfügigen Beschäftigung geht hauptsächlich auf geringfügige Nebenjobs zurück Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung in Schleswig-Holstein Anzahl der Beschäftigten, 2003 bis 2015 300.000 250.000 200.000 150.000 100.000 50.000 0 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Geringfügig entlohnte Ausschließlich geringfügig entlohnt Im Nebenjob geringfügig entlohnt Quelle: BA-Beschäftigtenstatistik Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 11
Zunahme der geringfügigen Beschäftigung geht hauptsächlich auf geringfügige Nebenjobs zurück Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland nach Geschlecht Anzahl der Beschäftigten in Mio., 2003 bis 2015 5.000.000 4.500.000 4.000.000 3.500.000 3.000.000 2.500.000 2.000.000 1.500.000 1.000.000 500.000 0 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Frauen geringfügig entlohnt Frauen im Nebenjob geringfügig entlohnt Männer ausschließlich geringfügig entlohnt Frauen ausschließlich geringfügig entlohnt Männer geringfügig entlohnt Männer im Nebenjob geringfügig entlohnt Quelle: BA-Beschäftigtenstatistik Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 12
Regionale Verteilung Anteil geringfügig Beschäftigte an allen abhängig Beschäftigten Legende: in Prozent 8 23 37 Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 13
Die Situation in deutschen Betrieben Anteil der Minijobber an allen Beschäftigten (in %, 2011) 1-9 Beschäftigte 10-99 Beschäftigte 100 und mehr Beschäftigte GESAMT Gastgewerbe Sonstige Dienstleistungen Einzelhandel Land- und Forstwirtschaft Nahrungs- und Genussmittel Wirtschaftliche, wiss. und freiberufliche Dienstleistungen Interessenvertretungen Gesundheits- und Sozialwesen Verkehr und Lagerei Großhandel, KFZ-Handel und Rep. Baugewerbe Verbrauchsgüter Erziehung und Unterricht Information und Kommunikation Finanz- und Versicherungsdienstleistungen Öffentliche Verwaltung Investitions- und Gebrauchsgüter Produktionsgüter Bergbau, Energie, Wasser 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte Quelle: IAB-Betriebspanel 2011, hochgerechnete Angaben 14
Teil 3: Charakteristika und Motivlagen geringfügiger Beschäftigung 15
Charakteristika des Arbeitsvertrags Arbeitsvertrag schriftlicher Arbeitsvertrag 80% Befristung 24 % Arbeitszeiten keine Vereinbarung zum Umfang 44% Umfang und Lage der AZ: ist vorgegeben 32%, nach Absprache mit AG festgelegt 42%, frei wählbar 25% Arbeit auf Abruf/Springer 38% IAB-Projekt Atypische Beschäftigung Verdienststrukturerhebung 2010, Statistisches Bundesamt 2012 Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 16
Charakteristika der Minijobber Zusammensetzung nach Geschlecht, Angaben in Prozent Teilzeit Minijob Männer Frauen Vollzeit unbefristet 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% IAB-Projekt Atypische Beschäftigung Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 17
Jüngere und Ältere arbeiten vor allem ausschließlich in Minijobs Verteilung der Altersgruppen in den Beschäftigungsformen Dezember 2013, Anteile in Prozent sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Beschäftigte in Midijobs geringfügig Beschäftigte ausschließlich geringfügig Beschäftigte im Nebenjob geringfügig Beschäftigte Altersgruppen: unter 15 15-24 25-34 35-44 45-54 55-64 65-74 über 74 0 20 40 60 80 100 Quelle: Beschäftigtenstatistik, Data-Warehouse der Statistik der BA Erwerbstätigkeit in Mini- und Midijobs 18
Charakteristika der Minijobber Zusammensetzung nach Qualifikation und ausgeübter Tätigkeit (Angaben in Prozent) Qualifikation Minijob Vollzeit unbefristet Max. mittl. Reife ohne Ausbildung 12,1 3,3 Abitur ohne Ausbildung 11,8 1,1 Lehre/schulische Berufsausbildung 53,1 51,3 Meister-/Techniker-abschluss 7,2 15,9 Studium (Uni/FH) 15,7 28,3 Summe 100,0 100,0 Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte IAB-Projekt Atypische Beschäftigung 19
Charakteristika der Minijobber Zusammensetzung nach Qualifikation und ausgeübter Tätigkeit (Angaben in Prozent) Qualifikation Minijob Vollzeit unbefristet Max. mittl. Reife ohne Ausbildung 12,1 3,3 Abitur ohne Ausbildung 11,8 1,1 Lehre/schulische Berufsausbildung 53,1 51,3 Meister-/Techniker-abschluss 7,2 15,9 Studium (Uni/FH) 15,7 28,3 Summe 100,0 100,0 Tätigkeit (nur Angestellte) Minijob Vollzeit unbefristet Einfache Tätigkeit 58,4 9,3 Qualifizierte Tätigkeit 32,9 42,0 Hochqualifizierte Tätigkeit 5,8 37,1 Führungsaufgaben 2,7 11,6 Summe 100,0 100,0 Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte IAB-Projekt Atypische Beschäftigung 20
Motivlagen Motive der Ausübung eines Minijobs Mehrfachangaben der Beschäftigten in Prozent Aus gesundheitlichen Gründen Anrechnung auf staatliche Leistungen Aus steuerlichen Gründen Gewünschte Tätigkeit nicht als Vollzeit/SVB angeboten Es handelt sich nur um eine Nebentätigkeit Aus persönlichen u. familiären Gründen Übergang in eine SV-Beschäftigung erhofft Finanzielle Angewiesenheit Teilnahme am Erwerbsleben 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 IAB-Projekt Atypische Beschäftigung Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 21
Motivlagen Motive des Einsatzes von Minijobs Mehrfachangaben der Betriebe in Prozent Höherer Umfang nicht erforderlich Wunsch der Mitarbeiter Flexibler Personaleinsatz Einsparen von Lohnkosten Wichtigstes Motiv Einsatzmotiv Anderer Grund Geringer Verwaltungsaufwand 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 IAB-Projekt Atypische Beschäftigung Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 22
Minijobber-Typen Hausfrauen/-männer (42%) Motive: Geld verdienen, Freude an der Tätigkeit, Kontakt zur Berufswelt Anreize: Soziale Absicherung über den Partner, steuerliche Attraktivität Schüler/Studierende (22%) Motive: Geld verdienen Anreize: spez. Lebensabschnitt, Versicherung über Eltern/stud. KV, fehlende Arbeitslosenversicherung häufig unwichtig Rentnern/-innen (20%) Motive: Geld verdienen, Freude an der Tätigkeit Anreize: Rentenanwartschaft bereits erworben, weiter Mitglied der KV Arbeitslose (10%) Motive: Geld verdienen, Kontakt zur Berufswelt, berufl. Einstieg Anreize: Kein Statusverlust, Freibeträge Registerstatistikumfrage 2010 bzw. Körner et al. 2013 Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 23
Teil 4: Auswirkungen geringfügiger Beschäftigung 24
Entlohnung Verteilung des Bruttostundenlohns (Vor der Einführung des Mindestlohns) Minijob Vollzeit Beschäftigte 0 5 10 15 20 25 30 35 Bruttostundenlohn in Euro P10 Mittelwert P50 P90 IAB-Projekt Atypische Beschäftigung Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 25
Entlohnung Bewertung der Angemessenheit des Lohns vor dem Hintergrund der erbrachten Leistungen und Anstrengungen Überhaupt nicht Eher nicht Überwiegend Vollzeit unbefristet Minijob Voll und ganz 0 10 20 30 40 50 IAB-Projekt Atypische Beschäftigung Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 26
Praxis des Arbeitsrechts Quelle: Gundert et al. 2015 27
Arbeitszeitwünsche Wunsch nach höherer Arbeitzeit Anteile in Prozent Gesamt Arbeitslose Rentner/-innen Hausfrauen/-männer Schüler/-innen und Studierende 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Ja, aber ich habe bisher keine passende Tätigkeit gefunden Ja, aber ich kann es aufgrund der persönlichen Situation nicht Nein, ich bin so zufrieden Quelle: Registerstatistikumfrage 2010 bzw. Körner et al. 2013 Mini-Jobs Bedeutung und (Aus-) Wirkungen für Betriebe und Beschäftigte 28
Männer im mittleren Lebensalter gehen besonders häufig in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung über Übergangsraten aus geringfügiger Beschäftigung Nach Geschlecht und Alter im Vergleich zur Referenzgruppe. 2004 bis 2010 2,5 Männer Frauen 2 Beendigung der geringfügigen Beschäftigung 1,5 Übergang in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung 1 0,5 Referenzgruppe: Frauen im Alter von 35 bis 44 Jahren 0 unter 25 25-34 35-44 45-54 55-64 über 65 Alter in Jahren unter 25 25-34 45-54 55-64 über 65 Alter in Jahren Quelle: Beschäftigten-Historik des IAB 2004 bis 2010 Erwerbstätigkeit in Mini- und Midijobs 29
Brückenfunktion? Bislang keine einheitlichen Befunde zu Beschäftigungseffekten von Mini-Jobs auf Individualebene: Geringfügig Beschäftigte haben im Vergleich zu anderen atypisch Beschäftigten, die geringsten Chancen in eine reguläre Beschäftigung überzugehen (auch bei vorliegendem Wunsch nach Vollzeitstelle; Brülle 2013). Ein Mini-Job erhöht die Übergangswahrscheinlichkeit in reguläre Beschäftigung bei langzeitarbeitslosen Männern im Zeitraum 2001-2004 und führt zu einer stabileren Beschäftigung (Caliendo et al. 2012). Bei langzeitarbeitslosen Männern erhöht ein Mini-Job die Wahrscheinlichkeit einer svp-beschäftigung. Bei Frauen gilt das nicht (Lehmer 2012). 30
Mütter in der Grundsicherung nehmen häufig geringfügige Beschäftigung auf Wahrscheinlichkeit innerhalb von 42 Monaten des ALG-II-Bezug eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen Erwerbstätigkeit (Gesamt) Alleinerziehende Paare Alleinstehende Mütter Mütter Partner Frauen 67% 55% 70% 71% Vollzeit 19% 15% 42% 28% Teilzeit 18+ h./w. 13% 10% 4% 10% Teilzeit - 18 h./w. 2% 2% 1% 1% Geringfügige Besch. 31% 27% 23% 23% Ausbildung 3% 2% 1% 6% N 17931 21135 13816 49680 Quelle: Administratives Panel SGB II des IAB und Integrierte Erwerbsbiografien. Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit im Bereich prekärer Einkommen 31
Die Überwindung des Leistungsbezugs gelingt nur selten Anteil derjenigen, die mit der Erwerbstätigkeit auch Leistungsbezug beenden Alleinerziehende Mütter Paare Mütter Erwerbstätigkeit (Gesamt) 19% 21% Vollzeit 34% 33% Teilzeit 18+ Std./W. 30% 28% Teilzeit - 18 Std./W. 21% 21% Geringfügige Besch. 4% 11% N 7458 6631 Geringfügig beschäftigte Mütter im Leistungsbezug suchen häufig weiter nach einer anderen / zusätzlichen Erwerbstätigkeit (Achatz et al. 2013) Quelle: Administratives Panel SGB II des IAB und Integrierte Erwerbsbiografien. 32
Zusammenfassung Diskussionspunkte Brückenfunktion? Arbeitsangebot für geringfügige Beschäftigung (Anreize, Freiwilligkeit) Arbeitsnachfrage nach geringfügige Beschäftigung (Substitution, Branchenkonzentration) 33
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Torsten.Lietzmann@iab.de www.iab.de