Mentalisieren und Personzentrierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie passt das zusammen? Tagung Schwäbisch Gmünd 25.06.2016 Verband Personzentrierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie VPKJ Stephan Jürgens-Jahnert, Wetter Klaus Fröhlich-Gildhoff, Kassel/Freiburg
1. Hinführung: Bedeutsamkeit 2. Definition 3. Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit 4. Zusammenhang zur Selbststruktur und deren Störung ( Grundstörung ) 5. Konsequenzen für die Psychotherapie 6. Bezug zum PCA 7. Beispiele aus einer Kinderpsychotherapie 8. Diskussion
1. Hinführung: Bedeutsamkeit Weiterentwicklung des personzentrierten Ansatzes Auseinandersetzung mit Selbststruktur /-störungen über ADHS: Mentalisierungsstörung als Teil der Ursachen aktuelle Diskussion in den psychodynamischen Verfahren (MBT) Artikel im Psychotherapeutenjournal pz Ansatz Verbindet viele bekannte Theorien: Säuglings- und Kleinkindforschung Bindungstheorie Neurowissenschaften Psychotherapeutische Theorien und Forschungen zum Thema gemacht in der AG Wirkfaktorenforschung Für uns relevantes Ergebnis: Es lohnt sich, sich mit dem Thema Mentalisieren zu beschäftigen und es kann den pz Ansatz befruchten.
2. Definition Mentalisierung ist die sozial kognitive Fähigkeit verstanden, sich mentale Zustände im eigenen Selbst und den anderen Menschen vorzustellen (Fonagy et al., 2002,, S.31). Damit ist gemeint, dass psychische oder mentale Befindlichkeiten genutzt werden, um zu verstehen, wie sich das eigene und das Verhalten anderer begründet. Psychische und mentale Befindlichkeiten sind z.b. Wünsche, Motive, Ziele, Überzeugungen und Gefühle, die hinter einem Verhalten vermutet werden können. Mentalisierung befähigt demnach, eigenes Verhalten und das Verhalten anderer Menschen durch die Zuschreibung von mentalen Zuständen einerseits zu interpretieren und andererseits vorherzusagen. (Taubner, 2015, S.15f). Grundannahme der Intentionalität: Verhalten ist absichtsvoll, mehr oder weniger zielgerichtet
Empathiefähigkeit Kognitive Perspektiveübernahme ( Theory of Mind ) Adäquate Selbstreflexivität Mentalisieren Reflexivität in Bezug auf den anderen und auf mich und auf unsere Gemeinsamkeiten/Unterschiede
3. Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit Vier Phasen nach Taubner (2015) (1) Das Selbst als physischer und sozialer Akteur (bis ca 9 Monate) - Aufbau von inneren Repräsentanzen Kontingenzerfahrungen - Affektregulation und Affektspiegelung durch das (und mit dem Gegenüber); Bedeutung des Markierens - soziales Biofeedback (2) Das Selbst als teleologischer Akteur (bis ca 2 Jahre) - Handeln wird zielgerichtet Urheberschaftserfahrungen (Präzisierung der Selbst-Repräsentanzen) - Soziale Rückversicherung - Erste Mittel-Zweck-Relationen werden erfasst und intrapsychisch abgebildet - Äquivalenzmodus (Phantasie/Erleben/Emotion und Realität sind gleich) beginnt
(3) Das Selbst als intentionaler Akteur (bis ca 4 Jahre) - Beginnende Differenzierung von Gefühlen, Absichten und Wünschen bei sich und anderen - Als-Ob-Modus wird deutlicher gezeigt (starke Trennung Phantasie Realität) (4) Das Selbst als repräsentationaler oder mentalisierender Akteur (ab dem fünften Lebensjahr) - Integration von Äquivalenz- und Als-Ob-Modus - ausgeprägte ToM entwickelt sich - Kind kann verschiedene Perspektiven in Bezug auf menschliches Verhalten einnehmen. Kinder verstehen zuerst, dass Menschen unterschiedliche Gefühle haben; erst später können sie andere mentale Zustände, wie Überzeugungen bei anderen verstehen und nachvollziehen.
Euler, 2016
Euler, 2016
4. Zusammenhang zum Selbst / zur Selbststruktur Selbststruktur entsteht aus der inneren Organisation der Erfahrungen, des eigenen Erlebens Bindung Sicherheitserleben Selbstwahrnehmung Affektregulation Selbststeuerung Aufmerksamkeitsfokussierung (reife bzw. gesunde) Abwehr Reizselektion Wahrnehmung von Anderen Empathie Kommunikation Bezogenheit Selbstwirksamkeit positive Erwartung Reiz modulierende psychische Verarbeitung Reaktion
Selbststruktur-Störung als Grundstörung Wenn die Grundlagen zum Aufbau der Selbststruktur im Beziehungsgeschehen zwischen Bezugsperson und Kind nicht gelegt werden, kommt es zur Störung der Selbst- Struktur Diese Grundstörung kann unterschiedliche Ausprägungen haben und zu unterschiedlichen Symptomatiken bzw. Störungsbildern führen (ADHS, Borderline, SSV, Depression )
5. Aspekte der Mentalisierungsbasierten Therapie Bedeutung des Arbeitsbündnisses: Dies steht im Vordergrund: liegt der Schwerpunkt der Behandlung auf der Arbeit an einer therapeutischen Arbeitsbeziehung und einer aktiven Haltung des Therapeuten, Angriffe auf das Arbeitsbündnis zu reparieren (Taubner, 2015, S.148). Grundhaltung ist eine grundsätzliche Offenheit des Therapeuten, seine mentalen Reaktionen auf die mentalen Prozesse des Patienten wahrzunehmen und mit diesem zu teilen. Damit ist der MBT-Therapeut viel weniger abstinent als der klassische psychodynamische Therapeut und nutzt kontrollierte Selbstenthüllung als therapeutische Technik (ebd., S.152). Erst dann: Arbeiten an und mit den (Prä)Mentalisierungs- Modi des Patienten
MBT Ziel: Lockerung der Fixierungen in den vier Dimensionen (automatisch/kontrolliert; innen/außen-fokus; selbst/andere; kognitiv/affektiv) Sorgsames (Be)Achten der nicht mentalisierenden Prozesse (die drei prämentalisierenden Denkmodi); Mentaliserungsbrille Passende Interventionen/Antworten zu diesen Modalitäten; auch auf Handlungsebene (wenn jd. im Äquivalenzmodus verharrt, sind komplexe Erklärungen nicht angebracht) Validierung des subjektiven Erlebens der Patienten Th. als Vorbild; man lernt mentalisieren am besten von jemandem, der gut mentalisiert (Stephan Jürgens-Jahnert)
6. Bezug zum personzentrierten Behandlungskonzept 6.1 Konzept Ganzheitliches Grundverständnis Bedeutung der Beziehung Herstellen von Bezogenheit 6.2 Therapeut/in Wahrnehmbare Präsenz des Therapeuten Selbsteinbringung Kongruenz 6.3 Klient/in Empathie Beachten von Inkongruenz und Selbstkonzept/-struktur Arbeiten an und mit den Gefühlen (VEE) Markiertes Spiegeln (Als-Ob-Modus) Begegnen des Kindes auf seiner Spielebene
6.4 Was fehlt im personzentrierten Ansatz? Grundlagen der Mentalisierungsfähigkeit werden von Bezugspersonen intuitiv gelehrt. Korrigierende Beziehungserfahrungen erfordern aktivere Therapeutenhaltung. Erweiterung des pz Behandlungskonzeptes
7. Beispiel aus einer Kinderpsychotherapie Wo mentalisiert das Kind? (wie) kann/soll Th. dies aufgreifen/spiegeln/ verstärken? Wo mentalisiert der Th als Vorbild? Kind mentalisiert nicht bzw. zeigt situationsinadäquat prämentaliserende Modi/ Aspekte (wie) kann/soll der Th intervenieren?
bitte intensiv 8. Diskussion Danke für die Aufmerksamkeit und die Beteiligung juergens-jahnertpraxis@web.de froehlich-gildhoff @eh-freiburg.de
Transskript der ersten vier Minuten zu dem Therapievideo: "Karina - das verfluchte Wasser" aus der Lehr-DVD "Den Spiel-Raum nutzen", 2. Auflage (mit Untertiteln), VPKJ 2016