Allgemeine Staatslehre und Globalisierung. Schlußcommuniqué des Kölner G8 Gipfels, Juni 1999

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Transkript:

1 Allgemeine Staatslehre und Globalisierung Schlußcommuniqué des Kölner G8 Gipfels, Juni 1999 "Globalization, a complex process involving rapid and increasing flows of ideas, capital, technology, goods and services around the world, has already brought profound change to our societies. It has cast us together as never before. Greater openness and dynamism have contributed to the widespread improvement of living standards and a significant reduction in poverty. Integration has helped to create jobs by stimulating efficiency, opportunity and growth. The information revolution and greater exposure to each others' cultures and values have strengthened the democratic impulse and the fight for human rights and fundamental freedoms while spurring creativity and innovation..". Begriff der Globalisierung als ein sich in den Regionen der Welt unterschiedlich intensiv vollziehender Prozeß der Entstaatlichung von Bündeln politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Tätigkeiten bei gleichzeitiger grenzüberschreitender oder besser transnationaler Vernetzung von nichtstaatlichen Wirkungseinheiten, Gruppen und Individuen

2 Peter Saladin, Studie über den Staat "Die drei 'klassischen' Elemente der Staatlichkeit gehen dem modernen Staat verloren, wenigstens in derjenigen Gestalt und mit derjenigen Bedeutung, die ihnen eine traditionelle Staatstheorie zuschreibt. Damit kann aber der Staat als behauptetes Insgesamt jener Elemente nicht unverändert bestehen und gelehrt werden. Wie ist der Staat neu zu definieren? Sind ihm andere Elemente zuzudenken?" BVerfG: Maastricht-Entscheidung (Auszüge) Das Demokratieprinzip hindert mithin die Bundesrepublik Deutschland nicht an einer Mitgliedschaft in einer - supranational organisierten - zwischenstaatlichen Gemeinschaft. Voraussetzung der Mitgliedschaft ist aber, daß eine vom Volk ausgehende Legitimation und Einflußnahme auch innerhalb eines Staatenverbundes gesichert ist. ( ) nimmt [die Europäische Union] hoheitliche Aufgaben wahr und übt dazu hoheitliche Befugnisse aus, sind es zuvörderst die Staatsvölker der Mitgliedstaaten, die dies über die nationalen Parlamente demokratisch zu legitimieren haben. Indessen wächst mit dem Ausbau der Aufgaben und Befugnisse der Gemeinschaft die Notwendigkeit, zu der über die nationalen Parlamente vermittelten demokratischen Legitimation und Einflußnahme eine Repräsentation der Staatsvölker durch ein europäisches Parlament hinzutreten zu lassen, von der ergänzend eine demokratische Abstützung der Politik der Europäischen Union ausgeht.

3 ( ) Mit der durch den Vertrag von Maastricht begründeten Unionsbürgerschaft wird zwischen den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ein auf Dauer an-gelegtes rechtliches Band geknüpft, das zwar nicht eine der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einem Staat vergleichbare Dichte besitzt, dem bestehenden Maß existentieller Gemeinsamkeit jedoch einen rechtlich verbindlichen Ausdruck verleiht ( ). Die von den Unionsbürgern ausgehende Einflußnahme kann in dem Maße in eine demokratische Legitimation der europäischen Institutionen münden, in dem bei den Völkern der Europäischen Union die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind: Demokratie, soll sie nicht lediglich formales Zurechnungsprinzip bleiben, ist vom Vorhandensein bestimmter vorrechtlicher Voraussetzungen abhängig, wie einer ständigen freien Auseinandersetzung zwischen sich begegnenden sozialen Kräften, Interessen und Ideen, in der sich auch politische Ziele klären und wandeln (vgl. BVERFGE 5, 85, 135, 198, 205; 69, 315, 344 ff) und aus der heraus eine öffentliche Meinung den politischen Willen vorformt. Dazu gehört auch, daß die Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und die jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und verstehbar sind, und ebenso, daß der wahlberechtigte Bürger mit der Hoheitsgewalt, der er unterworfen ist, in seiner Sprache kommunizieren kann. Derartige tatsächliche Bedingungen können sich, soweit sie noch nicht bestehen, im Verlauf der Zeit im institutionellen Rahmen der Europäischen Union

4 entwickeln. Eine solche Entwicklung hängt nicht zuletzt davon ab, daß die Ziele der Gemeinschaftsorgane und die Abläufe ihrer Entscheidungen in die Nationen vermittelt werden. Parteien, Verbände, Presse und Rundfunk sind sowohl Medium als auch Faktor dieses Vermittlungsprozesses, aus dem heraus sich eine öffentliche Meinung in Europa zu bilden vermag ( ) Im Staatenverbund der Europäischen Union erfolgt mithin demokratische Legitimation notwendig durch die Rückkoppelung des Handelns europäischer Organe an die Parlamente der Mitgliedstaaten; hinzutritt - im Maße des Zusammenwachsens der europäischen Nationen zunehmend - innerhalb des institutionellen Gefüges der Europäischen Union die Vermittlung demokratischer Legitimation durch das von den Bürgern der Mitgliedstaaten gewählte Europäische Parlament. Bereits in der gegenwärtigen Phase der Entwicklung kommt der Legitimation durch das Europäische Parlament eine stützende Funktion zu, die sich verstärken ließe, wenn es nach einem in allen Mitgliedstaaten übereinstimmenden Wahlrecht gemäß Art. 138 Abs. 3 EGV gewählt würde und sein Einfluß auf die Politik und Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaften wüchse. Entscheidend ist, daß die demokratischen Grundlagen der Union schritthaltend mit der Integration ausgebaut werden und auch im Fortgang der Integration in den Mitgliedstaaten eine lebendige Demokratie erhalten bleibt. Ein Übergewicht von Aufgaben und Befugnissen in der Verantwortung des europäischen Staatenverbundes würde die Demokratie auf staatlicher

5 Ebene nachhaltig schwächen, so daß die mitgliedstaatlichen Parlamente die Legitimation der von der Union wahrgenommenen Hoheitsgewalt nicht mehr ausreichend vermitteln könnten. Vermitteln die Staatsvölker - wie gegenwärtig - über die nationalen Parlamente demokratische Legitimation, sind mithin der Ausdehnung der Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Gemeinschaften vom demokratischen Prinzip her Grenzen gesetzt. Jedes der Staatsvölker ist Ausgangspunkt für eine auf es selbst bezogene Staatsgewalt. Die Staaten bedürfen hinreichend bedeutsamer eigener Aufgabenfelder, auf denen sich das jeweilige Staatsvolk in einem von ihm legitimierten und gesteuerten Prozeß politischer Willensbildung entfalten und artikulieren kann, um so dem, was es - relativ homogen - geistig, sozial und politisch verbindet ( ), rechtlichen Ausdruck zu geben. Aus alledem folgt, daß dem Deutschen Bundestag Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben müssen. ( )