Evaluation des Programms Integration durch Sport (Auszug der Evaluationsergebnisse zum freiwilligen Engagement im Programm) Im Zeitraum zwischen 2007 und 2009 wurde das Programm Integration durch Sport durch die Universität Potsdam evaluiert. Die Erhebung umfasste u. a. eine standardisierte schriftliche Befragung der Ansprechpartner und der Übungsleiter in den Stützpunktvereinen des IdS-Programms. Die dokumentierten Befunde basieren auf den Auskünften von 336 Ansprechpartnern und 608 Übungsleitern. Wer sind die Ansprechpartner und Übungsleiter? (1) Ein knappes Viertel der Ansprechpartner (24 %) und nahezu die Hälfte der Übungsleiter (49 %) können auf einen Migrationshintergrund verweisen. Von den Übungsleitern mit Migrationshintergrund gehören wiederum 83 % (41 % der Gesamtstichprobe) der ersten Migrantengeneration an. Das heißt, diese Übungsleiter sind selbst zugewandert. Dem organisierten Sport, insonderheit den Stützpunktvereinen ist es also ganz offensichtlich gelungen, Personen mit Migrationshintergrund in die Vereine einzubinden und sie darüber hinaus zur aktiven Mitwirkung am Vereinsleben und zum sozialen Engagement im Verein anzuregen. Dies darf als ein Moment gelungener alltagspolitischer Integration innerhalb der Sportvereine gesehen werden. (2) Wenn verschiedentlich über die besondere Rolle von so genannten Gatekeepern diskutiert wird, die zwischen Einheimischen und Zuwanderern bzw. zwischen verschiedenen Zuwanderergruppen Vermittlungsaufgaben übernehmen können, weil sie eine interkulturelle Lebensform selbst leben und vorleben, dann sind auch die zahlreichen Übungsleiter mit Migrationshintergrund in die Betrachtung einzubeziehen, die sich ebenfalls durch ihre interkulturelle Biografie auszeichnen. (3) Insgesamt haben nur 21 % aller Übungsleiter von integrativen Sportgruppen keine verbandliche oder berufliche Qualifikation. Dieses vergleichsweise hohe Qualifikationsniveau, das für die Übungsleiter integrativer Sportgruppen generell charakteristisch ist, teilen auch die Übungsleiter aus der ersten Migrantengeneration: Vier von fünf Übungsleitern haben eine entsprechende Qualifikation. Dabei können die Übungsleiter aus der ersten Migrantengeneration vergleichsweise häufig auch auf tätigkeitsnahe berufliche Qualifikationen verweisen, die sie wahrscheinlich noch in ihren Herkunftsländern erworben haben, so dass sie
diese beruflichen Experten-Kompetenzen nun in ihre Betreuungsarbeit mit integrativen Sportgruppen einbringen können. (4) Man darf von einer hohen Bereitschaft zum freiwilligen Engagement in der Integrationsarbeit der Stützpunktvereine ausgehen vor allem dann, wenn man in Rechnung stellt, dass sich immerhin zwei von fünf Ansprechpartnern aus eigener Initiative im Rahmen des IdS-Programms engagieren und etwa jeder dritte Übungsleiter selbst die Initiative ergriffen hat, um bei der Betreuung von integrativen Sportgruppen mitzuarbeiten. Dabei sind es wiederum gerade auch die Migranten der ersten Generation, die selbst die Initiative ergreifen, um sich als Ansprechpartner oder als Übungsleiter in den Stützpunktvereinen zu engagieren. (5) Das ausgeprägte freiwillige Engagement kommt bei den Ansprechpartnern auch darin zum Ausdruck, dass knapp 90% neben ihrer Funktion als Integrationsbeauftragte mindestens ein weiteres Amt in den Stützpunktvereinen wahrnehmen. Dabei zeichnen sich die Ansprechpartner der ersten Migrantengeneration durch ein besonders zeitaufwändiges Engagement aus. (6) Die Ansprechpartner ebenso wie die Übungsleiter werden in ihrer Integrationsarbeit in erster Linie durch eine Gemeinwohlorientierung motiviert. Sie engagieren sich, weil sie sich für andere Menschen, in diesem Fall auch für die Integration von Zuwanderern einsetzen oder für das Gemeinwohl allgemein etwas tun möchten. Nimmt man die ausgeprägte Gemeinwohlorientierung zusammen mit dem Motiv der Politischen Mitgestaltung und mit dem Sozialen Engagement, wird offensichtlich, dass für die Ansprechpartner und für die Übungsleiter vor allem jene Motive von Bedeutung sind, die sich dem so genannten alten Ehrenamt zuordnen lassen. Deren Engagement wird vornehmlich getragen von den traditionellen Motiven eines freiwilligen Engagements ( Gemeinschaftsorientierung und Gemeinsinn ). (7) Das hohe Engagement der Ansprechpartner und Übungsleiter wird nicht selten unentgeltlich erbracht. Das gilt für die Ansprechpartner fast durchweg. Aber auch die Übungsleiter arbeiten im Durchschnitt knapp 8 Stunden pro Woche, wobei sie lediglich für etwa die Hälfte finanziell honoriert werden. Rechnet man die unentgeltlich erbrachte Tätigkeit der Ansprechpartner und Übungsleiter in arbeitsmarktadäquate Personalkosten um, ergibt sich eine beachtliche Wertschöpfung. Deren Gesamtumfang dürfte pro Jahr zwischen 5 und 6 Mio. Euro liegen. (8) Anzumerken bleibt, dass sich diese Schätzung nur auf das unentgeltlich erbrachte Engagement der unmittelbar im Rahmen des IdS-Programms tätigen 2
Funktionsträger der Stützpunktvereine bezieht. Nicht eingerechnet sind dabei die mittelbar erbrachten Zuarbeiten anderer Funktionsträger in den Stützpunktvereinen. Nicht eingerechnet sind aber auch die integrativen Tätigkeiten der vielen Funktionsträger in den vielen Sportvereinen, die, obwohl nicht als Stützpunktvereine ausgewiesen, Integrationsarbeit leisten. Freiwilliges Engagement in den Sportgruppen In ungefähr der Hälfte aller Integrationsgruppen (54 %) haben Zuwanderer Aufgaben oder Funktionen übernommen. 1 Freiwilliges Engagement der Zuwanderer Haben Zuwanderer Aufgaben im Verein oder in der Sportgruppe Übungsleiter, übernommen? 44 % Trainer oder Betreuer nein 46 % regelmäßige, informelle Mithilfe Schieds- oder Kampfrichter 16 % 37 % Mannschaftsführer 14 % ja 54 % Amt im Verein oder in der Abteilung 13 % Starthelfer 11 % Die Zuwanderer engagieren sich vornehmlich in der (eigenen) Integrationsgruppe und bevorzugen offensichtlich niedrigschwellige Formen des Engagements insofern, als sie in erster Linie auf der informellen Ebene mitwirken und eher selten offizielle Ämter übernehmen 2 : 1 Bei der Frage nach dem freiwilligen Engagement der Zuwanderer ist zu berücksichtigen, dass die Übungsleiter lediglich gefragt wurden, ob Zuwanderer ihrer Sportgruppe Aufgaben oder Funktionen im Verein oder in der Sportgruppe übernommen haben. Wie viele Zuwanderer einer Sportgruppe freiwillig engagiert sind, kann folglich nicht ermittelt werden. 2 Dass der Anteil der informell engagierten Sportvereinsmitglieder deutlich über dem der ehrenamtlich Engagierten liegt, gilt im Übrigen auch für Personen ohne Migrationshintergrund (vgl. z. B. Baur & Burrmann, 2003; Braun, 2003; Nobis, 2007a). 3
44 % der Übungsleiter geben an, dass Zuwanderer aus ihrer Sportgruppe als Gruppenleiter/Betreuer/Übungsleiter oder Trainer tätig sind. Etwas mehr als ein Drittel der Übungsleiter berichtet, dass die Zuwanderer ihrer Integrationsgruppe bei bestimmten Anlässen regelmäßig mithelfen. Weitere Aufgaben (Schiedsrichter/Kampfrichter, Mannschaftsführer) werden offensichtlich von einem weitaus geringeren Anteil der Zuwanderer übernommen. 11 % der Übungsleiter geben an, Zuwanderer seien in ihrer Sportgruppe als Starthelfer tätig. Zumindest ein kleiner Anteil an Migranten engagiert sich also offensichtlich explizit im Rahmen des IdS-Programms. Auf ein ehrenamtliches Engagement der Zuwanderer, das in der Abteilung oder im Sportverein angesiedelt ist, verweisen die Übungsleitern eher selten. Etwa jeder zehnte Übungsleiter erwähnt ein derartiges Engagement bei den Zuwanderern seiner Sportgruppe. Konsequenzen Bei der zielgerichteten Förderung einer alltagspolitischen Integration von Zuwanderern werden vor allem drei Befunde Berücksichtigung finden müssen: Zum Ersten engagieren sich die Migranten nach den vorliegenden Befunden vornehmlich in den (eigenen) Integrationsgruppe, sind aber in Bezug auf ein freiwilliges Engagement in den Abteilungen oder dem Verein eher zurückhaltend. Zum Zweiten bevorzugen sie offensichtlich niedrigschwellige Formen des Engagements: Sie wirken in erster Linie auf der informellen Ebene mit und übernehmen eher selten offizielle Ämter. Drittens dürfte der vergleichsweise hohe Anteil an Übungsleitern, der angibt, dass Zuwanderer in den Integrationsgruppen regelmäßig bei bestimmten Anlässen in der Sportgruppe, in der Abteilung oder im Verein mithelfen, eine ausgeprägte Engagementbereitschaft anzeigen. Im Übrigen lassen auch Befunde des Freiwilligensurveys 2004 erkennen, dass Migranten zwar vergleichsweise selten freiwillig engagiert sind, dass sie aber eher dazu bereit sind, sich künftig freiwillig zu engagieren, und eher Bereitschaft signalisieren, ihr freiwilliges Engagement noch auszudehnen als Nicht-Migranten Geiss & Gensicke, 2006). Auf dieses hohe Engagementpotenzial können sicherlich auch die Stützpunktvereine aufbauen. Diese Befunde legen einige Konsequenzen für die Förderung des freiwilligen Engagements von Zuwanderern nahe: Der Anteil der Zuwanderer, die sich als Gruppenleiter, Betreuer, Übungsleiter oder Trainer engagieren, ist bemerkenswert. Vor dem Hintergrund der bereits referierten Befunde, wonach der Einbindung von Übungsleitern mit Migrationshintergrund eine Schlüsselrolle für die Erreichbarkeit von Zuwanderern zukommt (vgl. Kapitel 16 des Evaluationsberichts), empfiehlt es sich, 4
diese Formen des Engagements weiterhin zu fördern. Zuwanderer sollten künftig durch eine gezielte Ansprache und Aktivierung noch konsequenter für Übungsleiter-Tätigkeiten geworben und gewonnen werden, und sie sollten in ihrem Engagement unterstützt und gefördert werden (z. B. indem ihnen der Verein die kostenlose Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen ermöglicht, oder indem ihr Engagement im Verein angemessen gewürdigt wird). Eine vergleichsweise große Herausforderung stellt vermutlich die Einbindung der Zuwanderer in die Vereinspolitik dar und dies insbesondere dann, wenn es um die Wahrnehmung von Vereinsämtern geht. Um Zuwanderer künftig vermehrt für die Übernahme von Ämtern zu gewinnen, empfiehlt sich auch in diesem Falle eine gezielte Aktivierung der Migranten für ein ehrenamtliches Engagement. Gerade Stützpunktvereine, die sich ausdrücklich für eine Integrationsarbeit einsetzen, sollten in Betracht ziehen, ob Migranten nicht gezielt für Ämter auf der Ebene der Vereine und Abteilungen geworben und gewonnen werden können. Zu überlegen wäre auch, inwiefern die Zuwanderer schrittweise an ein ehrenamtliches Engagement herangeführt werden können, indem z. B. die schon informell Engagierten dazu angeregt werden, ihr Engagement auszuweiten, oder indem etwa über so genannte Tandem-Konstruktionen erfahrene Funktionsträger den Neulingen mit Migrationshintergrund beratend zur Seite stehen. (4) Die Stärkung des ehrenamtlichen Engagements von Zuwanderern dürfte sich schließlich in mehrfacher Hinsicht vorteilhaft auf die Integrationsarbeit auswirken: Die alltagspolitische Integration der Migranten wird sich (a) positiv auf Vereinsbindungen der Zuwanderer auswirken und folglich ein längerfristig angelegtes Sportengagement begünstigen. Sie kann (b) womöglich auch die Entwicklung außersportlicher Kompetenzen (wie z. B. Organisationsfähigkeit, Argumentationsfähigkeit, Interessenartikulation) fördern (vgl. genauer dazu z. B. Baur, 2006; Braun, 2007; Geiss & Gensicke, 2006; Hansen, 2008; Nobis, 2007b). Sie kann (c) die Zuwanderer dazu anregen, ihre Interessen in die Vereinspolitik einzuspielen. Und nicht zuletzt dürfte (d) über diese Form des Empowerments von Zuwanderern auch der Stellenwert der Integrationsarbeit in der Vereinspolitik wachsen (vgl. genauer dazu Kapitel 36 des Evaluationsberichts). 5