Das Wesen der Immuntoleranz und seine Störfaktoren Dr. med. Volker von Baehr Institut für Medizinische Diagnostik Berlin, Nicolaistraße 22, 12247 Berlin +49 3077001-220, info@inflammatio.de
Retrospektive Bestimmung von Autoantikörpern bei 16 Patienten während einer Sepsis und nach Krankenhausentlassung (Alter: 32 82 Jahre, Median: 52,1 Jahre) Sepsis (Intensivstation) nach Gesundung (ambulante Nachbetreuung) Rheumafaktor (Turb.) Antinukleäre Antikörper (ANA > 1:320) Antikörper gegen Thyreoglobulin (Tg-AK) Antikörper gegen Thyreoperoxidase (TPO-AK) Klonale Expansion von B-Lymphozyten 16/16 8/16 13/16 4/16 11/16 3/16 14/16 5/16 3/12 Normalisierung dieser 3 Patienten
Die Immuntoleranz gegen (belanglose) Antigene geht verloren, wenn die normale Immunfunktion gestört ist.
Chronische Entzündungserkrankungen nehmen in Ländern mit westlichem Lebensstil zu! Bach D.S. N Engl J Med, Vol 347, 12 09/2002 Entzündung ist die Epidemie des 21. Jahrhunderts
Chronische Entzündungserkrankungen nehmen in Ländern mit westlichem Lebensstil zu! Verdopplung der Allergiker in den letzten 20 Jahren Schlaud M et al. 2008 Inzidenz des Morbus Crohn in 24 Jahren mehr als verdoppelt Jacobsen BA et al. 2006 Multiple Sklerose heute fast 3 x häufiger als noch 1970 Alonso A & Hernán MA. 2008 Autoimmun bedingter Diabetes mellitus in 12 Jahren um 70 % gestiegen Neu A et al. 2001 Zunahme der Prävalenz der Parodontitis seit 1997 um 26,9 % (35-44-jährige Erwachsene) um 23,7 % (Senioren > 65 Jahre) Schiffner U et al. 2009
Was ist diesen Erkrankungen gemeinsam? Sie beruhen auf immunologischen Überreaktionen gegen: Allergene (Heuschnupfen, Medikamentenallergien etc.) Autoantigene (Hashimoto, Multiple Sklerose, Zöliakie etc.) (apathogene) Infektionserreger Parodontitis, Morbus Crohn, Candidose etc.) (bisher) unbekannte Zielantigene (Colitis ulcerosa, Mb. Bechterew, Arteriosklerose?...)
Wie läuft eine T-zelluläre Immunantwort ab?
Retrospektive Bestimmung von Autoantikörpern bei 16 Patienten während einer Sepsis und nach Krankenhausentlassung (Alter: 32 82 Jahre, Median: 52,1 Jahre) Sepsis (Intensivstation) nach Gesundung (ambulante Nachbetreuung) Rheumafaktor (Turb.) Antinukleäre Antikörper (ANA > 1:320) Antikörpern gegen Thyreoglobulin (Tg-AK) Antikörper gegen Thyreoperoxidase (TPO-AK) Klonale Expansion von B-Lymphozyten 16/16 8/16 13/16 4/16 11/16 3/16 14/16 5/16 3/12 Normalisierung dieser 3 Patienten
Welche Immunzellen verhindern im Normalzustand die Effektorzellantwort gegen: Autoantigene Allergene (apathogene) Infektionserreger andere Antigene?????
Zelluläre Elemente des Immunsystems Unspezifisches Immunsystem (angeboren, nicht lernfähig) Monozyten Gewebemakrophagen Granulozyten - Neutrophile (PMN) - Eosinophile - Basophile Spezifisches Immunsystem (erworben, lernfähig) - T-Lymphozyten - B-Lymphozyten Antikörper Mastzellen Natürliche Killerzellen
Unsere Bremserzellen sind vor allem die regulatorischen T-Lymphozyten (T reg -Zellen) Lymphozyten B-Lymphozyten Plasmazellen T-Lymphozyten Antikörper CD4-Lymphozyten (Helferzellen) TH1-Helferzellen TH2-Helferzellen CD25+/CD127 T reg -Zellen TH17-Helferzellen CD8-Lymphozyten CD8+CD28+ zytoxische T-Zellen (CTL) CD8+CD28- suppressorische T-Zellen
CD4-Lymphozyten (Helferzellen) TH1-Helferzellen TH2-Helferzellen TH17-Helferzellen CD25+/CD127 T reg -Zellen Angriffszellen sezernieren IFN- Elimination von infizierten und veränderten Körperzellen Immunmodulierende Zellen sezernieren IL-4 und IL-5 Stärkung der Antikörperproduktion, auch IgE als verantwortlicher Antikörper für die Soforttypallergie Kontrollzellen sezernieren IL-17 Kontrolle von persistierenden Erregern Bremserzellen sezernieren IL-10 und TGF- Toleranzerhaltung, Verhinderung und Bremsung von Immunreaktionen T reg -Zellen im Darm = TH3-Zellen genannt
4-10 % der CD4-Lymphozyten sind T reg -Zellen
Die Immuntoleranz wird wesentlich durch die regulatorischen T-Lymphozyten (T reg -Zellen) realisiert. Die Funktion der T reg -Zellen wird gestört durch: - Chronische Entzündung ( Alarmstimmung ) myelomonozytäre Entzündung (TNF-, IL-1, Histamin, TH1 TH2-Shift, oxidativer/nitrosativer Stress) - gestörte Zellinterkationen im Immunsystem Adhäsionsmoleküle, T-Zellaktivierung - ungünstiges Reaktionemilieu (Matrix) z.b. Säure-/Basenhaushalt, Mitochondriopathie, Spurenelementmangel - gestörte neuroendokrine Regelkreise
Warum nehmen chronische Entzündungserkrankungen in Ländern mit westlichem Lebensstil zu! Verdopplung der Allergiker in den letzten 20 Jahren Schlaud M et al. 2008 Inzidenz des Morbus Crohn in 24 Jahren mehr als verdoppelt Jacobsen BA et al. 2006 Multiple Sklerose heute fast 3 x häufiger als noch 1970 Alonso A & Hernán MA. 2008 Autoimmun bedingter Diabetes mellitus in 12 Jahren um 70 % gestiegen Neu A et al. 2001 Zunahme der Prävalenz der Parodontitis seit 1997 um 26,9 % (35-44-jährige Erwachsene) um 23,7 % (Senioren > 65 Jahre) Schiffner U et al. 2009
Umwelttrigger stören die Funktion der T reg -Bremserzellen und tragen zur Entwicklung von chronischen Entzündungserkrankungen bei Acrylate Traumata Bakterien Pilze Pestizide Metalle Industriegifte Lösungsmittel EMF Weichmacher Viren Nahrungsmittel + Nitrosativer Stress Nitrotyrosin Superoxid Mitochondriopathie ATP Peroxynitrit Oxidativer Stress MDA-LDL inos Entzündung TNF- IFN- (IP-10) Histamin Gestörte Immuntoleranz TH2-Dominanz Verlust von T reg -Zellen
Mitochondriopathie und Oxidativer Stress sind (oft) Teil der systemischen Entzündung
Umwelttrigger stören die Funktion der T reg -Bremserzellen und tragen zur Entwicklung von chronischen Entzündungserkrankungen bei Acrylate Traumata Bakterien Pilze Pestizide Metalle Industriegifte Lösungsmittel EMF Weichmacher Viren Nahrungsmittel + Nitrosativer Stress Nitrotyrosin Superoxid Mitochondriopathie ATP Peroxynitrit Oxidativer Stress MDA-LDL inos Entzündung TNF- IFN- (IP-10) Histamin Gestörte Immuntoleranz TH2-Dominanz Verlust von T reg -Zellen
Bakterien LPS Pilze Partikel (z.b. Titanoxid) Immunkomplexe Makrophage TNF- IL-1 IL-6 IL-8 CRP Myelomonozytäre Entzündung Viren intrazellulär persistierende Bakterien Xenobiotika (z.b. Metalle, Acrylate, Biozide usw.) T-Lymphozyt IFN- (IP-10) IL-17 IL-4 IL-10 u.a. Lymphozytäre Entzündung (TH1-Immunaktivierung) Allergene (bei Sensibilisierung) Bakterien Pilze Xenobiotika (z.b. Flammschutzmittel, Biozide usw.) Mastzelle Histamin Leukotriene TGF- Serotonin u.a. Entzündung durch Mastzellaktivierung (Typ I)-allergische Entzündung
Bakterien LPS Pilze Partikel (z.b. Titanoxid) Immunkomplexe Makrophage TNF- IL-1 IL-6 IL-8 CRP Myelomonozytäre Entzündung Viren intrazellulär persistierende Bakterien Xenobiotika (z.b. Metalle, Acrylate, Biozide usw.) T-Lymphozyt IFN- (IP-10) IL-17 IL-4 IL-10 u.a. Lymphozytäre Entzündung (TH1-Immunaktivierung) Allergene (bei Sensibilisierung) Bakterien Pilze Xenobiotika (z.b. Flammschutzmittel, Biozide usw.) Mastzelle Histamin Leukotriene TGF- Serotonin u.a. Entzündung durch Mastzellaktivierung (Typ I)-allergische Entzündung
TH1-dominante Entzündung d.h. Aktivierung von TH1-Lymphozyten ist kausal!
Typ IV-Allergien als Trigger von TH1-dominanten systemischen Entzündungen
Kunststoffallergien nehmen zu! 80 % sind Methylmethacrylat (MMA)-Sensibilisierungen
Therapieziele in der Umweltmedizin verantwortliche Umwelttrigger meiden Individuelle Regulationstoleranz verbessern
Acrylate Traumata Bakterien Pilze Pestizide Metalle Industriegifte Lösungsmittel EMF Weichmacher Viren Nahrungsmittel + Nitrosativer Stress Mitochondriopathie Oxidativer Stress Entzündung Gestörte Immuntoleranz
Weitere Regulationsebenen der Immunantwort Art und Stärke kostimulatorischer Signale (z.b. Adhäsionsmoelküle) Regulation durch pro- und antientzündlicher Zytokine TNF-, IL-1, IL-6, IL-12 IL-10, IL1RA TGF- TH1 / TH2-Milieu Regulation von Entzündungskaskaden (z.b. Komplementsystem) Neuroendokrine Regelkreise (z.b. Cortisol, Tryptophan/Kynurenin) HLA-System (Wechselwirkung zwischen T-Zellrezeptorrepertoire und MHC-Molekülen)
Beispiel für die Bedeutung von HLA-Merkmalen: Zöliakie Die Zöliakie ist eine autoimmun-bedingte, durch Gluten ausgelöste, lebenslange Enteropathie bei genetisch prädisponierten Personen. Synonyme: Glutensensitive Enteropathie Einheimische Sprue
Ein negatives Ergebnis im HLA-DQ2/DQ7/DQ8-Nachweis schließt eine Zöliakie nahezu aus. Nahezu alle Zöliakie- Patienten (99 %) tragen eines der HLA-Merkmale HLA-DQ2, HLA-DQ8 oder HLA-DQ7. DQ2, DQ7 oder DQ8 Bevölkerung Zöliakiepatienten 20-30 % der Bevölkerung tragen DQ2, DQ7 oder DQ8
01/2012 Empfehlungen für die HLA-Bestimmung: Die Untersuchung auf HLA-DQ2/7/8 sollte bei Patienten mit unklaren Zöliakie-Antikörperbefunden erfolgen. (z.b. negative Antikörper bei erkennbarem Mukosaschaden im Dünndarm oder isoliert grenzwertig positive Zöliakie-assoziierte Ak). Ein negatives HLA-Ergebnis schliesst eine Zöliakie aus Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung für die Diagnose von Zöliakie, JPGN 2012; 54:136 (ESPGHAN-Kriterien)
24-jähriger Mann mit Inappetenz, Leistungsinsuffizienz, Erbrechen V.a. Zöliakie Der Patient hat keine Zöliakie und wird auch keine entwickeln. Kontrollen der Gliadin-Ak s sind nicht notwendig
Erkrankung HLA-Merkmal RR* M. Crohn DR1, DR4, DR7 2 7 M. Reiter B27 37 Multiple Sklerose DRB1*15:01 5,1 Myasthenia gravis DR3 3.5 Narkolepsie DQB1*06:02 130 Nebennieren-Rinden-Hyperplasie, kongenital B47 15,4 Nephropathie, membranöse idiopathisch DR3 3 12 Pemphigus vulgaris DR1, DR4, DR14 7.3 14.4 Psoriasis B27, B57, Cw6 6,7 33 Reaktive Arthritis (Borrelien, Lymearthritis) DR2/DR4 22 Reaktive Arthritis (Shigellen, Yersinien, B27 40 Salmonellen, Gonokokken) Rheumatoid-Arthritis DR1/DR4 10.2 Sarkoidose B7/B8 8,5 Sjögren-Syndrom DR2/DR3 B8 9,7 Sklerodermie (PSS) DR3/DR5 10-16,7 Stomatitis, rekurrierende aphthöse B7 6 Thyreoditis de Quervain, subakut B35 13.7 Uveitis, akute vordere B27 10 50 Wegenerische Granulomatose DR9 6,7 Zirrhose, primär biliäre (PBC) DR8, DR3 3 6,8 Zöliakie DQ2/DQ7/DQ8 52 * Relatives Risiko zu erkranken im Vergleich zu Nicht-Merkmals-Trägern
Erkrankung HLA-Merkmal RR* AGS late onset Form B14 48.5 AGS Sakzverlustform B47 51 Anti-Phospholipid-Syndrom DR4, DR7 5.1 Arthritis - juvenile chronische DR8 8 Birdshot-Chorioretinopathie A29 224 Cholangitis, primär sklerosierend (PSC) DR3, DR8 4.5-15 Dermatitis herpetiformis DR3, DR7 17.3 Diabetes mellitus Typ1 DQ2/DQ3 > 50 Diabetes mellitus Typ1 DQ06:02 protektiv Goodpasture-Syndrom DR2 15.9 Glomerulonephritis (idiop. membranös) DR3 12 Hepatitis B, autoimmun, chronischer Verlauf DR3/DR4 4.7 Hepatitis B, chronischer Verlauf B35 158 HIV Abacavir Hypersensitivität B*57:01 117 IgA-Mangel, selektiver DR3 17 Lichen planus DR1 11,8 Lupus erythematodes, systemisch (SLE) DR2/DR3 5,8 Lupus, medikamentös induziert DR4 5,6 M. Addison (idiopathisch) DR3 6,3 M. Bechterew B27 (Subtypen) 87,4 M. Behcet B51 6,3 * Relatives Risiko zu erkranken im Vergleich zu Nicht-Merkmals-Trägern
Zusammenfassung Immuntoleranz ist die Fähigkeit eines intakten Immunsystems, Immunreaktionen gegen definierte Antigene zu unterlassen. Träger der Immuntoleranz sind v.a. regulatorische T-Lymphozyten. T reg -Zellen sezernieren IL-10 und TGF- Umwelttrigger können die Immuntoleranz stören (v.a. durch Induktion von Entzündung, Mitochondriopathie und oxidativem/ nitrosativem Stress). Eine gestörte Immuntoleranz macht den Organismus selbt empfindlicher gegen Umwelttrigger ( circulus vitiosus).