Einleitung: Privatkonsum zwischen. Individualität und Nachhaltigkeit

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Einleitung: Privatkonsum zwischen 1 Individualität und Nachhaltigkeit Manchmal sagt ein Bild mehr als 1000 Worte: Obwohl die Fotografie des amerikanischen Fotografen Richard Stultz (Abb. 1.1) auch in zahlreichen deutschen Drogerien entstanden sein könnte, wirft sie unmittelbar die Frage auf, ob eine so große Produktvielfalt wirklich nötig ist. Über 50 verschiedene Brauntöne stehen exemplarisch für die Entwicklung der Produktvielfalt der letzten Jahrzehnte: Während in den 1980er Jahren noch 6000 verschiedene Produkte in deutschen Supermärkten erhältlich waren, sind es heute über 50.000. Inzwischen üben immer mehr Verbraucher Kritik an der Überflussgesellschaft und führen einen auf Nachhaltigkeit und Einfachheit beruhenden Lebensstill. Angesichts des scheinbaren Überangebots von Produkten wird deutlich, dass Kaufentscheidungen von Verbrauchern nicht nur auf die Befriedigung materieller Bedürfnisse abzielen: Wer sich Winterkollektionen der angesagtesten Designer kauft, der gibt sein Geld nicht nur aus, um bei Minusgraden nicht zu frieren. Vielmehr spielen immaterielle Gründe, wie Ansehen und Reputation, eine große Rolle bei der Art und Weise, wie wir konsumieren. In diesem Sinne kann auch die Entscheidung zum Konsum nachhaltiger Lebensmittel etwa eigene ethische Ideale widerspiegeln. Nachhaltiger Konsum gilt nicht zuletzt deshalb als ein zentraler Konsumtrend des letzten wie auch kommenden Jahrzehnts. Ein weiteres zentrales immaterielles Bedürfnis ist Individualität. Für Christian Rätsch, Geschäftsführer des Agenturnetzwerks Saatchi & Saatchi, steckt das Streben nach Individualität in der DNA des Menschen. Aus dieser Perspektive scheint selbst die Vielfalt von über 50 verschiedenen braunen Haarfarbtönen einigermaßen nachvollziehbar: Am Ende entscheidet nicht nur die Haarfarbe über die Wahl eines Haarprodukts, sondern zum Beispiel auch, ob die Marke eigenen Idealen entspricht. Individualität beschreibt nicht nur aus diesem Grund für viele Branchenexperten wie Rätsch, aber auch Mark Sievers, Head of Consumer Markets der KPMG, einen Megatrend im Privatkonsum der kommenden Jahre. Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 A. Ternès et al., Konsumentenverhalten im Zeitalter der Mass Customization, essentials, DOI 10.1007/978-3-658-09846-9_1 1

2 1 Einleitung: Privatkonsum zwischen Individualität und Nachhaltigkeit Abb. 1.1 Produktvielfalt in einer Drogerie. (Stultz 2014) Ziel dieses Essentials ist es, eine möglichst präzise Einschätzung darüber liefern zu können, inwiefern die beiden kurz skizzierten Trends Individualisierung und nachhaltiger Konsum das Potenzial besitzen, neue Konsummuster zu bilden. Neben den Trends Individualisierung und nachhaltiger Konsum spielen hierbei außerdem kollaborative Konsumformen eine Rolle. Zentrale Schlagworte dafür sind Crowdsourcing bzw. Crowdfunding, bei dem mehrere oder viele Konsumenten die Realisierung einer Produkts oder einer Geschäftsidee finanzieren, sowie Share Economy, die gemeinsame Nutzung von Gütern durch mehrere Verbraucher. Obwohl sowohl nachhaltiges Konsumverhalten als auch individualisierte Produkte in Deutschland bereits auf eine jahrelange Tradition zurückblicken, weisen sie den Trend einer starken Zukunftsorientierung auf, die bisher in nur wenigen wissenschaftlichen Publikationen untersucht wurde. Eine wichtige Informationsquelle stellen daher Onlineartikel einschlägiger Medien und Onlineportale, aber auch Studien und weitere Publikationen von Unternehmen aus Konsumgüterindustrie und Consulting, dar. Außerdem wurden für das Essential fünf Branchenexperten befragt, deren Einschätzungen in die Untersuchung einfließen. Die Interviewtexte liegen im Anhang vor.

1 Einleitung: Privatkonsum zwischen Individualität und Nachhaltigkeit 3 Das vorliegende Essential baut methodisch auf dem Essential Konsumentenverhalten im Zeitalter der Digitalisierung auf, das sich inhaltlich vorwiegend mit der Bedeutung des künftigen Zusammenspiels zwischen Onlinehandel und stationärem Einzelhandel für Verbraucher beschäftigt. Die dort tiefergehend dargestellten Informationen und Hintergründe zu Vorgehensweise und Recherche beider Untersuchungen seien deshalb an dieser Stelle nur kurz skizziert. Beide Essentials stützen sich zum großen Teil auf Trends, ein Begriff, der in letzter Zeit allerdings geradezu überstrapaziert zu sein scheint. Horx (2010a, S. 1), einer der bekanntesten Trendforscher Deutschlands, bezeichnet einen Trend als Veränderungsbewegung und Wandlungsprozess. Als gegenwärtige Prozesse transformieren Trends damit Zustände der Vergangenheit und verweisen gleichzeitig auf deren zukünftige Beschaffenheit (Abb. 1.2). Im Sinne von Veränderungsbewegungen kommt Trends zudem eine soziale Komponente zu, indem sie von Individuen bzw. ganzen Gruppen getragen werden und sich so entweder immer weiter in die Mitte der Gesellschaft ausbreiten oder schnell wieder verpuffen. Seine Virulenz rückte den Trendbegriff auch in den Fokus der Wissenschaft. Als Trendforschung versteht Horx (2010b, S. 1) die Analyse von Trends als Instrument zur Beschreibung von Veränderungen und Strömungen in allen Bereichen der Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund weist die Forschungsrichtung für Pfadenhauer (2004, S. 3 f.) Parallelen zur Zukunftsforschung auf. Zwei Hauptprämissen von Zukunftsforschern sollten dabei ebenfalls für Trendforscher von zentraler Bedeutung sein: zum einen die stets vorhandene Möglichkeit verschiedener Zukünfte, zum anderen aber auch die Annahme, dass Zukunft nicht vollständig bestimmbar ist (Pfadenhauer 2004, S. 3 f.). Denn auch Trends zielen lediglich auf einen von mehreren möglichen zukünftigen Zuständen ab, sind jedoch aufgrund ihres Bezugs zur Gegenwart in gewisser Weise auch greifbar. Dadurch, dass Trends immer einen direkten Bezug zur Zukunft aufweisen, besitzen verschiedene Betrachter unterschiedliche Einschätzungen über deren zukünftige Relevanz im Konsumalltag. Zitierte Quellen sowie eigene Wertungen können daher ebenso nicht als absolut gelten. Im Gegenteil versteht sich das Essential als temporäre Diskussionsgrundlage, welche versucht, die zahlreichen möglichen Ausprägungen neuer Konsummuster anschaulich zu illustrieren. Sowohl die Art der verwendeten Quellen als auch der klare Zukunftsbezug des Themas verhindern absolute Vorhersagen über das Konsumentenverhalten von Verbrauchern

4 1 Einleitung: Privatkonsum zwischen Individualität und Nachhaltigkeit Abb. 1.2 Trends und Technologien für die Welt im Jahr 2020. (Watson 2014)

1 Einleitung: Privatkonsum zwischen Individualität und Nachhaltigkeit 5 in den kommenden Jahren. Vielmehr sollten sowohl eigene als auch in den Quellen getätigte Einschätzungen lediglich als mögliche Zukunftstrends betrachtet werden, die in ihrer Vorhersagekraft jedoch einerseits stark davon abhängen, wann und unter welchen Begebenheiten sie getätigt wurden, andererseits aber auch davon, von wem und mit welchem Motiv sie kommuniziert wurden. Das Essential gliedert sich in drei wesentliche Komponenten. Im folgenden Kapitel werden die Begrifflichkeiten Konsum und Konsummuster geklärt; außerdem dient dieser überblicksartige Abschnitt der Betrachtung gegenwärtiger Rahmenbedingungen des Privatkonsums in Deutschland. Im anschließenden Kapitel werden aktuelle Trends aus Privatkonsum und Konsumgüterindustrie aus Perspektive der genannten Schlagworte näher beleuchtet. Abgerundet wird dieser Querschnitt von einem Fazit, in dem die grundlegenden Erkenntnisse der Untersuchung zu mehreren möglichen künftigen Konsummustern aggregiert werden. Daraus ergibt sich eine begrenzte Auswahl von Konsummustern, welche genügend Spielraum für weitere Diskussionen und Untersuchungen im Bereich der Konsummuster von morgen bieten.

http://www.springer.com/978-3-658-09845-2