Therapie und Begleitung von unbegleiteten Flüchtlingen in der Traumaambulanz Dipl.-Psychologin Nicole Küfner
Traumaambulanz Regensburg Besteht seit ca. 4 Jahren Anfangs kaum Vorstellung von traumatisierten Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Seit ca. 2 Jahren erste UMF, vorwiegend aus Afrika (Somalia, Eritrea usw.) Seit 1 Jahr zahlreiche Jugendliche vor allem aus Syrien und Afghanistan Kinder mit Familien Seitdem Vorstellung von ca. 1-2 neuen Jugendlichen oder Kindern pro Woche
Ablauf der ambulanten Behandlung Vorstellung der Jugendlichen zusammen mit ihrem Vormund oder Betreuer der jeweiligen Einrichtung, meist zusammen mit einem Dolmetscher Anfangs langes Kennenlerngespräch mit zunächst ausführlicher Aufklärung über Ablauf, Schweigepflicht Tempo der Jugendlichen bestimmt den Ablauf Jugendliche anfangs noch auf der Flucht, erleben extreme Verunsicherung
Anamnese Keine Eltern verfügbar, daher ist der Jugendliche oft die einzige Informationsquelle Eckdaten (welches Land, Muttersprache, Wohnsituation, Seit wann in Deutschland, Aufenthaltsstatus) Entwicklungsgeschichte im Herkunftsland, Schulbildung, Beruf Fluchtgründe und Fluchtanlass, Fluchtweg und Dauer Familiärer Hintergrund (Eltern, Geschwister, weitere Bezugspersonen, Kontakt zu Familie) Talente, Interessen, Religiöse Orientierung
Problembeschreibung Was ist schwierig Auftretenshäufigkeit und Intensität Unmittelbare Auslöser/Bedingungen unter denen das Problem auftritt Welche Lösungsstrategien hat der Jugendliche Einstellung zum Problem
Häufig mehrere Termine notwendig Abgestimmt auf Belastung der Jugendlichen Wechsel von belastenden Ereignissen zu Ressourcen oder neutralen Fragen Jugendliche bestimmt inwieweit er berichtet Weitere Termine mit Untersuchungen schließen sich meist an (Testpsychologie, körperliche Untersuchung)
Häufig geschilderte Schwierigkeiten Schlafstörungen Alpträume Körperliche Beschwerden (häufig Kopfschmerzen) Niedergeschlagene Stimmung Konzentrationsstörungen Reizbarkeit/Wutausbrüche Dissoziative Zustände Suizidgedanken
Wiedererleben Angstzustände Sozialer Rückzug Selbstverletzendes Verhalten Erhöhter Alkohol- oder Drogenkonsum
Häufig gestellte Diagnosen Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) Anpassungsstörung (F43.2) Schlafstörungen, wie Nichtorganische Insomnie (F51.0) Alpträume (F51.5) Dissoziative Störungen (F44) Selbstschädigendes Verhalten (X78) Sucht- und Alkoholerkrankungen
Sequentielle Traumatisierung 1. Phase: Traumatisierung im Heimatland Gewalt durch Krieg, Folter, Vergewaltigung Verlust von Angehörigen, Besitz, gewohnte Ordnung Sequentiell und man made 2. Phase: Traumatisierung auf der Flucht Lebensbedrohung durch Ertrinken, Verhungern, Gewalt, Folter Verlust von Angehörigen Erneute Traumatisierung
Sequentielle Traumatisierung 3. Phase: Ankunftsland Asylsituation: Sammelunterkünfte, Isolation, Übergriffe, Ungewissheit über Zukunft, Zustand und Zurückgebliebene Keine äußere und damit auch keine innere Sicherheit 4. Phase: drohende Abschiebung Angst vor erneuter Verfolgung, Entwurzelung Hohes Risiko für Retraumatisierung
Traumatherapie In der Regel Psychoedukation, Stabilisierung und Ressourcenaktivierung Anfangs keine Traumakonfrontation keine Schränke aufmachen, bevor das Zimmer aufgeräumt ist Therapie als Einzel- oder Gruppenangebot
Traumaspezifische Beziehungsgestaltung Angstfreie Atmosphäre schaffen Tempo des Jugendlichen beachten Entscheidungen des Jugendlichen akzeptieren Wertschätzung des Jugendlichen Parteilichkeit
Psychoedukation Große Angst der Jugendlichen für verrückt gehalten zu werden Dem Jugendlichen behilflich sein, seine Symptome einzuordnen Seelische Verletzung als normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis
Stabilisierung und Ressourcenaktivierung Fähigkeiten zur Selbstberuhigung aneignen, um Gefühl der Kontrolle wiederzuerlangen Aktivierung positiver Ressourcen kann alte Erregungsmuster reduzieren und korrigierende Erfahrungen ermöglichen. eine Aktivierung des Trauma alleine führt nicht zu korrigierenden Erfahrungen Reduzierung des traumatischen Stress
Stabilisierung und Ressourcenaktivierung Sammeln von Ressourcen Positive Freizeitaktivitäten im Alltag (Sport, Vertiefung und Entwicklung von Hobbys) Teils ambivalent, da es der Familie im Land schlecht geht Stabilisierungstechniken sammeln, die der Jugendliche selbst entdeckt und effektiv sind (Musik hören, beten, Kontakt zu anderen suchen)
Verfahren aus der Traumatherapie Sicherer Ort Körper/Achtsamkeitsübungen, sich selbst wieder spüren Körpergefühl mit einer wohltuenden Emotion Orientierung auf der Zeitlinie, Unterscheidung was liegt in der Vergangenheit, was in der Gegenwart
Triggeranalyse Welche Auslöser können Dissoziationen/ungute Gefühle auslösen und die damit verbundenen Erregungszustände Äußere Auslöser wie: Gerüche, Situationen, Körperhaltung, Videos, Wasser, Tonfall usw. Welche inneren Gedanken, Gefühle oder Körperreaktionen werden bemerkt (Kopfschmerzen, innere Anspannung) Was sind Warnsignale (Frühwarnzeichen) für beginnende Dissoziationen
Triggeranalyse Abwertende oder verunsichernde Kognitionen, z. B: ich bin nichts wert, ich bin an allem Schuld, keiner kann mir helfen Verbunden mit starken Emotionen wie Verzweiflung, Wut und Scham Entwicklung von Strategien, die bei Frühwarnzeichen eingesetzt werden
Einsatz ausgewählter Techniken Übungen zur Orientierung im Hier und Jetzt 54321-Übung Erdung Rätselaufgaben
Intensive Sinnesreize setzen Berührungsreize (Igelball, Coolpack, kaltes Wasser) Gerüche (gute Düfte, Ammoniak usw.) Geschmack (scharfe Bonbons, Kaugummi, Chilischoten usw. Akustische Reize: Musik, direkte Ansprache Visuelle Reize: Bild, Spruch Spaziergang
Therapie von Schlafstörungen: Etablierung von Schlafhygieneregeln Medikamentöse Behandlung, z. B. bei Depressionen, Schlafstörungen oder ausgeprägten Dissoziationen mit Antidepressiva oder Neuroleptika
Traumafokussierung und -bearbeitung Nach ausreichender Stabilisierung und ausreichend Deutschkenntnisse z.b. mit EMDR (Eye Movement Desensitization) Narrative Expositionstherapie mit Kinder STI (Strukturierte Traumaintervention)
Arbeit mit Dolmetscher oder Sprachmittler Häufig Kommunikation ohne Dolmetscher nicht möglich, viele Jugendliche haben noch keine ausreichenden Deutschkenntnisse Dolmetscher als Vermittler zwischen den Kulturen Dabei Haltung der anteilnehmenden Neugier und des Nichtwissens (B. Abdallah-Steinkopf)
Besonderheiten der Arbeit mit traumatisierten UMF Ohnmacht und negative Kognitionen sind ansteckend Eigene Zweifel, ob man wirklich helfen kann, ob man die richtige ist Schwere der Traumatisierungen der Jugendlichen: Tod von nahen Angehörigen, Kriegserlebnisse, Foltererfahrungen usw. Ungewisse Zukunft Oft gute Beziehungs- und Reflexionsfähigkeit
Psychohygiene Auf eigene Bedürfnisse, Grenzen und Ressourcen achten Für Ausgleich sorgen Anpassung der Erfolgserwartungen an die Komplexität der Störungsbilder und die Rahmenbedingungen Intervision, Supervision, Weiterbildung
Daher: Freundlich zu sich selbst sein und frei dafür sein, Spaß und Freude zu erleben, ist nicht unangebracht in diesem schwierigen Arbeitsgebiet, sondern es ist eine zwingende Notwendigkeit, ohne die man seine Aufgabe nicht erfüllen kann. (Danieli 1994)