Algebra und Zahlentheorie c Rudolf Scharlau, 2002 2014 321 4.2 Endliche und algebraische Körpererweiterungen Die beiden ersten Definitionen und Bemerkungen dieses Abschnittes stehen im unmittelbaren Zusammenhang zueinander. Definition und Bemerkung 4.2.1 Es sei K ein Körper und i K : Z! K, n 7! n.1 K der kanonische Ringhomomorphismus von Z nach K. Die Charakteristik char K ist das nicht-negative Erzeugende der Kerns von i K. Diese Zahl ist gleich Null oder eine Primzahl. Bemerkung und Definition 4.2.2 Jeder Körper K enthält einen kleinsten Teilkörper K prim,densog.primkörper von K. Mankannihnwiefolgtexplizitbeschreiben, wobei p := char K die Charakteristik von K ist. a) Im Fall p =0istK prim := {i K (n)i K (m) 1 n 2 Z, m2 N}, und dieser Körper ist isomorph zum Körper Q der rationalen Zahlen. b) Im Fall p>0istk prim := Bild i K = {0, 1 K,, (p 1).1 K },unddieser Körper ist isomorph zu F p = Z/pZ. Im Fall der Charakteristik 0 wird man i. A. eine ganze Zahl n mit ihrem Bild in K identifizieren, also Z als Teilring des Körpers K au assen und oft auch n m 1 als Bruch n schreiben. Dann sieht K m prim auch genauso aus wie Q. Auch im Fall char K>0kannmanentsprechendF p als Teilmenge von K au assen, denn es gibt nur einen Isomorphismus F p! K prim. Wir erinnern daran, dass eine Körpererweiterung eines Körpers K ein Homomorphismus i : K! L ist, wobei L wieder ein Körper ist. Wenn i sich aus dem Kontext ergibt oder keine Rolle spielt, schreiben wir für die Erweiterung kurz L : K. DieEigenschaft,eine Erweiterung zu sein, ist in folgendem Sinn transitiv: Wenn L : K und K : F zwei ( übereinanderliegende oder aufeinanderfolgende ) Erweiterungen sind, dann ist auch L eine Erweiterung von F. Genauer ist folgendes gemeint: wenn die Erweiterung K : F durch einen Homomorphismus i : F! K und L : K durch einen Homomorphismus j : K! L gegeben ist, dann ist L : F durch j i : F! L gegeben. Definition und Bemerkung 4.2.3 (Grad einer Körpererweiterung) a) Unter dem Grad einer Körpererweiterung L : K, bezeichnetmit[l : K], versteht man die Dimension von L als K-Vektorraum: [L : K] = dim K L. Man spricht von einer endlichen Körpererweiterung, falls ihr Grad endlich ist.
Algebra und Zahlentheorie c Rudolf Scharlau, 2002 2014 322 b) Jede endliche Körpererweiterung ist algebraisch. Beweis: Wenn L : K eine endliche Körpererweiterung ist, so ist erst recht K[ ] endlich-dimensional über K, für jedes 2 L, dennk[ ] L. Die Umkehrung der Bemerkung 4.2.3 b) gilt nicht, wie wir unten in Beispiel 4.2.11 noch ausführen werden. Satz 4.2.4 (Gradsatz) Es seien L : K und K : F zwei übereinanderliegende Körpererweiterungen. Dann gilt [L : F ] = [L : K] [K : F ]. Insbesondere ist L : F genau dann endlich, wenn L : K und K : F endlich sind. Im Beweis (siehe Vorlesung) ist L ein beliebiger K-Vektorraum, der immer auch als F -Vektorraum aufgefasst werden kann. Beispiele 4.2.5 a) Es sei F = Q, K = Q[ p 2], L = K[ p 2+ p 2]. Dann ist [L : Q] =4=2 2=[L : K] [K : Q]. b) Für L := Q[ p 2, p 3] := Q[ p 2][ p 3] (s.u.) ist [L : Q] =4,eineBasisvonL ist 1, p 2, p 3, p 6. In Beispiel a) bestimmt man die einzelnen Grade über das Minimalpolynom, also mit Satz 4.2.6. Beispiel b) kann man mit dem gleichen K = Q[ p 2] analog behandeln; siehe auch Bemerkung 4.2.10 unten. Wir spezialisieren nun Satz 4.1.8 auf den Fall, das die K-Algebra selbst ein Körper ist. Definition und Satz 4.2.6 Es sei K ein Körper und L eine Erweiterungskörper von K. a) Ein Element 2 L heißt algebraisch über K, fallsseinminimalpolynom p 2 K[X] nicht Null ist. In diesem Fall ist der Ring K[ ] selbsteinkörper. Anderenfalls heißt transzendent über K. b) Eine Körpererweiterung L : K heißt algebraisch, falls alle Elemente 2 L algebraisch über K sind. Beweis: Da K[ ] L auf jeden Fall nullteilerfrei ist, ist nach 4.1.8 b) auch K[X]/(p )nullteilerfrei,dasideal(p ) nach Satz 3.1.16 a) also ein Primideal in K[X], also p ein Primelement und damit nach 3.3.10 auch irreduzibel. Nach 4.1.4 c) (bzw. direkt nach Lemma 3.3.11 zusammen mit Satz 3.1.16 b)) ist also K[ ] = K[X]/(p )sogareinkörper.
Algebra und Zahlentheorie c Rudolf Scharlau, 2002 2014 323 Der eben gegebene Beweis der Körpereigenschaft von K[ ] (bzw.auchschonder Beweis von 4.1.4 c)) illustriert die allgemeine Theorie von Idealen und Restklassenringen von Hauptidealringen. Tatsächlich kommt man mit reiner linearer Algebra schneller zum Ziel: Es sei 2 K[ ] beliebig,6= 0. Als Element des Körpers L ist jedenfalls kein Nullteiler, die K-lineare Abbildung µ : L! L, x 7! x also injektiv, ebenso µ : K[ ]! K[ ] injektiv. Da K[ ] ein endlich-dimensionaler K-Vektorraum ist, ist µ auf K[ ] auch surjektiv, insbesondere liegt 1 in Bild. D.h. Es existiert ein 2 K[ ] so,dass =1.Somitbesitzt ein Inverses in K[ ], wie gewünscht. Für die explizite Berechnung von Inversen sind allerdings doch die Polynome das Mittel der Wahl; man geht genau so vor wie im Restklassenring Z/mZ: Bemerkung 4.2.7 (Explizite Berechnung von Inversen) Gegeben sei ein Polynom h 2 K[X], o.b.d.a. von Grad <n=gradp (vergl. 4.1.4 b)), das ein beliebiges Element h( ) 6= 0vonK[ ] = K[X]/(p )repräsentiert. Finde mit dem erweiterten euklidischen Algorithmus im Polynomring K[X] (siehe3.2.15,3.3.6, 4.1.5 b)) Polynome f,g 2 K[X] mitp f + hg =1.Dannistg( ) dasinversevon h( ). Unter einer algebraischen Zahl (ohne weiteren Zusatz) versteht man eine komplexe Zahl, die algebraisch über Q ist. Der Grad einer algebraischen Zahl ist definitionsgemäß der Grad ihres Minimalpolynoms, also der Grad von Q[ ] über Q. KomplexeZahlen,dienachobigerDefinitiontranszendentüber Q sind, heißen einfach nur transzendente Zahlen. Ein Element eines Erweiterungskörper ist genau dann algebraisch über K, wenn K[ ] endlich-dimensionalüber K ist, und die Dimension ist dann nach Satz 4.1.8 b) gleich dem Grad von. Bevor wir das nächste Lemma formulieren, erweitern wir noch die Notation für das Adjungieren von Elementen (siehe Lemma 3.2.5) in naheliegender Weise: Es sei R ein kommutativer Ring und 1, 2,..., m Elemente eines kommutatven Erweiterungsringes. Dann setzen wir für m 2induktiv R[ 1,..., m ]:=R[ 1,... m 1 ][ m ]. Zum Beispiel ist etwas konkreter für m =2 ( ) X R[, ]= r ij i j r ij 2 R, fast alle r ij =0. i,j2n 0 Lemma 4.2.8 Es sei L : K eine Körpererweiterung und 1, 2,..., m 2 L algebraisch über K. DannistderRingK[ 1,..., m ]endlich-dimensionalüber K und ein Körper.
Algebra und Zahlentheorie c Rudolf Scharlau, 2002 2014 324 Beweis: Wir wenden Induktion über die Anzahl m der Elemente an. Für m =1 steht die Behauptung in Satz 4.2.6. Für m 2istK 0 := K[ 1,... m 1 ]nach Induktionsannahme eine endliche Körpererweiterung. Weiter ist m algebraisch über K, erstrechtüber K 0,unddeshalbwiedernach4.2.6K[ 1,..., m ] = K 0 [ m ]einkörper und K 0 [ m ]:K 0 eine endliche Erweiterung. Nach dem Gradsatz 4.2.4 ist auch K 0 [ m ]:K endlich. Wir werden jetzt zeigen, dass nicht nur die Eigenschaft endlich, sondern auch die Eigenschaft algebraisch für Körpererweiterungen transitiv ist. Satz 4.2.9 Es seien L : K und K : F zwei übereinanderliegende algebraische Erweiterungen. Dann ist auch L : F algebraisch. Beweis: Für 2 L seien 0, 1, 2, 2 K die Koe zienten des Minimalpolynoms von über K. DannistK 0 := K[ 0, 1, 2,...,]nach4.2.8b)eineendliche Erweiterung von K, weiter ist K 0 [ ]eineendlicheerweiterungvonk 0. Nach 4.2.4 ist also K 0 [ ]:K eine endliche Erweiterung und somit jedes Element von K 0 [ ], insbesondere selbst, algebraisch über K. Oft (z.b. im Beispiel 4.2.5 b)) wird eine Erweiterungskörper aus zwei Teilkörpern eines großen Körpers, etwa der komplexen Zahlen, zusammengesetzt. Dieses führt auf folgende Definition und Bemerkung. Definition und Bemerkung 4.2.10 (Kompositum) a) Es sei R ein kommutativer Ring und R 1,R 2 R Teilringe. Dann ist die Menge aller Summen (beliebiger Länge) von Produkten xy, x 2 R 1,y2 R 2 ein Teilring von R. Diesesisto enbarderkleinsteteilringvonr, derr 1 und R 2 enthält; er heißt das Kompositum von R 1 und R 2. b) Es sei e K K eine Körpererweiterung und L 1 e K, L 2 e K Teilkörper von ek, diebeidek enthalten und endlich über K sind. Dann ist das Kompositum L 1 L 2 eine endliche Körpererweiterung von K; esist [L 1 L 2 : K] apple [L 1 : K] [L 2 : K]. c) In der Situation von b) heißen L 1 und L 2 linear disjunkt über K, wenn [L 1 L 2 : K] =[L 1 : K] [L 2 : K] ist.diesesgiltinsbesonderedann,wenn [L 1 : K] und[l 2 : K] teilerfremdsind. Zwei verschiedene quadratische Erweiterungen Q[ p a]undq[ p b]vonq sind immer linear disjunkt. Die beiden Körper Q[ 3p 2] und Q[ p 3 3 2] vom Grad 3, wobei 3 = 1+p 3 eine primitive dritte Einheitswurzel ist, sind nicht linear disjunkt, 2 denn ihr Kompositum ist gleich Q[ 3, 3p 2] und hat folglich (nach Teil c)) den Grad 6 über Q. (Eshandeltsichumden Zerfällungskörper des Polynoms X 3 2.)
Algebra und Zahlentheorie c Rudolf Scharlau, 2002 2014 325 Bemerkung 4.2.11 Die Umkehrung der Bemerkung 4.2.3 b) gilt nicht, wie folgende allgemeine Konstruktion zeigt: Es sei K 0 K 1 K n K n+1 eine unendliche Kette von Körpern, die alle Teilkörper eines sehr großen Körpers K e sind (etwa K 0 = Q, K e = C). Dann ist die Vereinigung K := S n2n 0 K n ein Teilkörper von K, e wie man sich schnell überlegt. Wenn weiter jedes K n+1 endlich über K n ist, so ist K algebraisch über K 0.Dennjedes 2 K liegt in K n für ein passendes n = n( ), und K n ist endlich über K 0. Andererseits ist o enbar K nicht endlich über K 0,denn[K n : K 0 ] apple [K : K 0 ], und [K n : K 0 ]strebtgegen unendlich für n!1. Wir wollen zum Schluss dieses Abschnittes noch die Grundlagen von Kapitel 3.6 vertiefen. Definition und Bemerkung 4.2.12 a) Ein algebraischer Zahlkörper ist eine endliche Körpererweiterung der rationalen Zahlen. Eine algebraische Zahl ist eine Element eines algebraischen Zahlkörpers. b) Ein quadratischer Zahlkörper Erweiterung vom Grad [K : Q] =2. Erheißt reell-quadratisch, fallseineeinbettungk,! R existiert, anderenfalls imaginär-quadratisch. c) Jeder quadratische Zahlkörper K ist von der Form Q[ p d], wobei d 2 Zr{0, 1} quadratfrei ist. Dabei ist d durch die Isomorphieklasse von K eindeutig bestimmt. K ist reell-quadratisch, wenn d>0, und imaginärquadratisch, wenn d<0. Wir erinnern an Abschnitt 4.1, insbesondere an Beispiel 4.1.7 (2) für die verschiedenen Bedeutungen von p d.insbesonderekommenwirjetzt andersalsinder vorläufigen Definition 3.6.1 ohne die komplexen Zahlen aus, da wir inzwischen von unten her neu konstruieren, nicht nur als Teilkörper eines schon vorhandenen großen Körpers. Wenn wir im folgenden einen quadratischen Zahlkörper in der Form Q[ p d]mitd 2 Z schreiben, werden immer voraussetzen, dass d quadratfrei ist, ohne dieses ständig zu wiederholen. Definition 4.2.13 Ein Element eines Erweiterungskörpers K : Q heißt ganzalgebraisch, oderganze algebraische Zahl,wenneseinnormiertesPolynomf = a 0 +a 1 X + +X n 2 Z[X] gibtmitf( ) =0.DieMengeallerganz-algebraischen Elemente in K wird mit Z K bezeichnet. Jede ganz-algebraische Zahl ist insbesondere algebraisch.
Algebra und Zahlentheorie c Rudolf Scharlau, 2002 2014 326 Beispiele 4.2.14 1. 1+ p 5 2 ist eine ganz-algebraische Zahl. 2. Jede Einheitswurzel, dabei m =1isteineganz-algebraischeZahl. 3. 1+ p 3 2 ist keine ganz-algebraische Zahl. Das negative Resultat im dritten Beispiel wird im nächsten Satz verallgemeinert und bewiesen. Satz 4.2.15 Eine algebraische Zahl ist genau dann ganz-algebraisch, wenn ihr Minimalpolynom Koe zienten in Z hat. Der Beweis folgt unmittelbar aus dem Lemma von Gauß für Polynome, Satz 3.4.5: Wenn es überhaupt ein normiertes Polynom f mit ganzen Koe zienten und f( ) =0gibt,dannhatauchdasMinimalpolynomüber Q von ganze Koe zienten, denn es teilt f. Als nächstes wollen wir die ganz-algebraischen Zahlen in einem quadratischen Zahlkörper explizit bestimmen. Sei also K = Q[ p d]mitd 2 Zr{0, 1} und d quadratfrei. Wir benutzen wie in Definition 3.6.4 die Konjugation 7! 0 sowie die Norm N( ) undspurs( ) vonelementenvonk. Man beachte, dass 2 S( ) + N( ) = 0 ist, also S( ) undn( ) die Koe zienten des Minimalpolynoms von sind, sobald /2 Q, also 6= 0 bzw. y 6= 0 ist. Unter Berücksichtigung von Satz 4.2.15 beweist dieses Teil a) des nächsten Satzes. Satz 4.2.16 Es sei K = Q[ p d] ein quadratischer Zahlkörper, N : K! Q die Norm und S : K! Q die Spur. Dann gilt für Menge Z K der ganz-algebraischen Zahlen in K folgendes: a) Z K = { 2 K S( ) 2 Z und N( ) 2 Z}; ( p 1+ d für d 2 4 1 b) Z K = Z.1+Z.!, wobei! = p d für d 4 2, 3; c) Z K = Z[!], dabei! wie in b); d) Z K ist ein Teilring von K. Die Bezeichnung Z K wird für jeden algebraischen Zahlkörper K benutzt (sogar für eine beliebige Erweiterung von Q, d.h.für einen beliebigen Körper der Charakteristik Null). Man spricht auch kurz von den ganzen Zahlen in K. Der Teil d) des Satzes gilt für jeden Körper K : Q; deshalb nennt man Z K auch den Ring der ganzen Zahlen von K. DerBeweisistkomplizierterundwirdinder algebraischen Zahlentheorie geführt. Teil b) des Satzes besagt, dass Z K eine Z-Basis, genauer, eine Basis als Z-Modul, aus zwei Elementen besitzt, nämlich 1,!. Der hier verwendete Begri des Moduls, genauer, R-Moduls für einen kommutativen Ring R, istdabeieine
Algebra und Zahlentheorie c Rudolf Scharlau, 2002 2014 327 natürliche Verallgemeinerung des Vektorraum-Begri s, wobei die Skalare jetzt in einem kommutativen Ring R (hier R = Z) statteineskörpers liegen. Wenn der quadratische Zahlkörper K durch einen algebraischen Zahlkörper vom Grad n = [K : Q] ersetzt wird, gilt Teil b) entsprechend, wobei dann die Z-Basis von Z K aus n Elementen besteht (und gleichzeitig auch eine Basis von K als Q-Vektorraum ist).