Metaphysik und Ontologie Was ist das?

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Transkript:

Ludger Jansen Metaphysik und Ontologie Was ist das? 1. Metaphysik oder Meeeetaaaphyyysiiiiik? 2. TA META TA PHYSIKA 2.1 Aristoteles (384-322 v. Chr.) (Vermutlich) Verfasser der Schriften...... aber nicht Urheber des Titels Metaphysik kommt bei Aristoteles nicht vor! 2.2 Andronikos von Rhodos (1. Jh. v. Chr.) Herausgeber der esoterischen Schriften des Aristoteles (Vermutlich) Urheber des Titels TA META TA PHYSIKA Zu etwa gleicher Zeit belegt bei Nikolaus von Damaskus (* ca. 64 v. Chr., Aristoteliker, Erzieher der Kinder von Kleopatra und Antonius, Berater des Königs Herodes) Notizen des Theophrast (371-287) unter gleichem Titel

2/17 2.3 Die Buchhypothese Metaphysik ist eine Bezeichnung für eine mehr oder weniger zusammenhängende Sammlung Aristotelischer Texte, die von Andronikos nach (meta) den Texten über Naturphilosophie (physika) in seine Edition der Vorlesungen des Aristoteles eingefügt wurden. 2.4 Die Volksetymologie Metaphysik ist die Wissenschaft, die die jenseits (meta) der natürlichen Dinge (physika) liegende Welt erforscht. 2.5 Inhalt des Buches Metaphysik ist diejenige Wissenschaft, die in den von Aristoteles verfaßten und von Andronikos unter dem Namen TA META TA PHYISKA zusammengestellten Schriften behandelt wird.

3/17 Die Einzelbücher der Metaphysik Α Alpha I Aristoteles Philosophiegeschichte α Alpha II Eine Die Suche nach Prinzipien und Ursachen vor Aristoteles Was ist Philosophie? elatton Einführung Β Beta III Aporiensammlung Γ Gamma IV Nichtwiderspruchssatz und Bivalenzprinzip ( Tertium non datur ) Delta V Das Lexikon Erklärung mehrdeutiger Grundbegriffe (polachôs legomena) Ε Epsilon VI Akzidenzien Ζ Zeta VII Die drei Substanzen I Η Eta VIII Substanzbücher Das potentiell Seiende Substanzen II Θ Theta IX und die Vermögen Ι Jota X Abhandlung über Einheit Κ Kappa XI Kurzfassung der Meta- Λ Lambda XII Die Theologie Μ My XIII Philosophie der Ν Ny Mathematik XIV physik (viele Parallelen) Der unbewegte erste Beweger Kritik an Ideenlehre und Zahlen-Hypostasierung

4/17 Was sagt Aristoteles selbst zum Thema der Abhandlung? Weisheit Das Wissen von Prinzipien (archai) und Ursachen (aitiai) Wissenschaft vom Seienden als solchem Es gibt eine Wissenschaft, die das Seiende, insofern es seiend ist (on hê on) betrachtet und das, was ihm an sich zukommt. [...] Da wir aber die Prinzipien und die höchsten Ursachen suchen, so ist es klar, daß diese Ursachen einer bestimmten Natur als solcher sein müssen. [...] Also müssen auch wir die ersten Ursachen des Seienden, insofern es seiend ist, erfassen. (Met. IV 1, 1003a 21-32) Erste Philosophie (Prima Philosophia) Theologie Theologie = Erste Philosophie theoretisch/betrachtend Mathematik Wissenschaften (epistemai) Physik poietisch/bewirkend Herstellung praktisch/handelnd Entscheidung

5/17 Die Theologie als erste Philosophie (IV 1) Wir suchen die Prinzipien und Ursachen der Seienden, und zwar insofern sie Seiende sind (hê onta). [...] Wenn es aber Ewiges, Unbewegliches und Abgetrenntes gibt, so ist offenbar dessen Erkenntnis Sache einer betrachtenden Wissenschaft [...]. Doch die erste [Philosophie] handelt vom Abgetrennten und Unbeweglichen. Nun müssen zwar alle Ursachen ewig sein, am meisten aber diese. Denn sie sind die Ursachen für die sichtbaren Dinge des Göttlichen. Demnach dürfte es drei betrachtende Philosophien (philosophiai theôrêtikai) geben: die mathêmatikê, die physikê, die theologikê. Denn es ist klar, ist irgendwo das Göttliche (to theion) vorhanden, ist es in einer derartigen [d.h. unbeweglichen, abgetrennten] Natur vorhanden. (Met. VI 1, 1025b 1-2; 1026a 10-11, 15-21) Die göttlichste Wissenschaft (I 2) Die göttlichste Wissenschaft nämlich ist auch die ehrbarste, und nur diese ist es in zweifacher Hinsicht: die Wissenschaft nämlich, die die Gottheit am meisten besitzen dürfte, ist eine göttliche Wissenschaft, aber auch die, die vom Göttlichen handelt. Und diese allein umfaßt beides. Denn Gott gilt allen als eine Ursache und ein Prinzip, und Gott besitzt wohl diese Wissenschaft allein oder doch am meisten. [...] Somit ist gesagt, welches die Natur der gesuchten Wissenschaft ist und was das Ziel ist, das die Untersuchung und der ganze Durchgang haben muß. (Met. I 2, 983a 5-10, 21-23) Die Metaphysik ist die erste Philosophie, sie untersucht das Seiende insofern es seiend ist, und sucht nach dessen Ursachen und Prinzipien. Sie ist die ehrwürdigste Wissenschaft.

6/17 3. Das Platonische Alternativmodell 3.1 Platon (428/7-348/7) 3.2 Die Ideen: unbewegt und abgetrennt Das Geheimnis der Diotima Wer das Schöne sucht, wird nach langer Suche plötzlich ein von Natur wunderbares Schönes erblicken [...]: welches allererst immer ist, weder entsteht noch vergeht, weder wächst noch abnimmt, nicht in Bezug auf dieses schön, in Bezug auf jenes aber häßlich ist, [...], als sei es für die einen schön, für die andern aber häßlich. Auch erscheint ihm dieses Schöne nicht wie ein Gesicht, wie Hände oder irgend etwas anderes, das am Körper teilhat, nicht als etwas Sprachliches, nicht als Erkenntnis, noch als irgendwo in etwas anderem seiend [...]. Sondern: An sich und für sich und mit sich eingestaltig, immerseiend, alles andere Schöne aber an jenem auf irgendeine solche Weise Anteil habend, daß wenn auch das andere entsteht und vergeht, jenes doch nie irgendeinen Gewinn oder Schaden davon hat noch ihm sonst etwas begegnet. (Symposion 210e-211b) Platons Ideenlehre bietet viele Motive, die Metaphysik als die Wissenschaft von den ewigen und unveränderlichen Ideen zu verstehen: Diese sind das eigentlich Seiende hinter den veränderlichen, wahrnehmbaren Dingen.

7/17 4. Was ist Ontologie? 4.1 Eine neue Wissenschaft? Ontologie = Die Wissenschaft vom Seienden (ontos = Seiendes, logos = hier: Wissenschaft) Rudolph Göckel alias Goclenius (1547-1628) - abstractio physica - abstractio mathematica - abstractio ontologikê - ontologia = philosophia de ente (Lexicon philosophicum, Frankfurt a.m. 1613, ND 1964, Art. abstractio, 16) Bei Aristoteles ist also Metaphysik = Ontologie. Warum ein neuer Name?

8/17 4.2 Die Ausdifferenzierung der Metaphysik Johannes Micraelius (1597-1658) Der Gegenstand der Metaphysik ist das Seiende, insofern es seiend ist. Daher wird sie auch von einigen Ontologie genannt [...]. Die Metaphysik wird unterteilt in die allgemeine, in der das Seiende in seinem abstraktesten Sinne und in völliger Indifferenz betrachtet wird, [...] und in eine besondere Metaphysik, in der das Seiende in jenen Arten von Substanzen betrachtet wird, die von jeglicher Materie abgetrennt sind. (Lexicon philosophicum, 1653, Stettin 2 1662, ND 1966, 654) Jean Baptist Duhamel (1624-1706) Die Metaphysik (im weiten Sinne) besteht aus drei Traktaten: (1) Ontologie, d.h. der Traktat vom Seienden bzw. die Erste Philosophie. Bezieht sich auf die Natur des Seienden selbst, auf seine Prinzipien, Eigentümlichkeiten und seine ersten gewissermaßen Arten. (2) Ätiologie, d.h. der Traktat von den Ursachen, die eigentliche Metaphysik: Metaphysice proprie dicta. (3) Theologia naturalis, die vor allem Gott und die Seele zum Thema hat im Prinzip aber auch die Engel, von denen wir jedoch nur wenig wissen können. (Philosophia vetus et nova 1-4, Paris 1678)

9/17 Christian Wolf (1679-1754) Metaphysica generalis sive Ontologia Metaphyicae speciales: (1) Cosmologia rationalis (2) Psychologia rationalis (3) Theologia rationalis sive naturalis empirica rationalis naturalis revelata Beobachtung Vernunft Offenbarung Metaphysik ist... [Genus:] die Wissenschaft, die [Inhalt:] das Seiende allgemein und im speziellen den Kosmos, die (unsterbliche) Seele und Gott [Methode:] mit Hilfe von Vernunftsüberlegungen untersucht. Ontologie ist diejenige Unterdisziplin der Metaphysik, die das Seiende allgemein (d.h. insofern es Seiendes ist) mit Hilfe von Vernunftsüberlegungen untersucht.

10/17 5. Ist Metaphysik nach... noch möglich? Immanuel Kant (1724-1804) (nicht von Kant selbst formuliert) Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770-1831) (nicht von Hegel selbst formuliert) Rudolf Carnap (1891-1970) (gleich zwei Einwände von Carnap selbst formuliert) 5.1 Metaphysik nach Kant? Einwand Kant hat gezeigt, daß Metaphysik und Ontologie einer wissenschaftlichen Bearbeitung nicht zugänglich sind. Antwort Kant selbst sah das Schicksal der Metaphysik anders: Er wollte die Metaphysik keineswegs abschaffen, sondern ihr ein neues, wissenschaftliches Fundament geben.

11/17 Metaphysik ist ganz natürlich Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft. (KrV, Vorrede A VII) Metaphysik soll sichere Wissenschaft werden Woran liegt es nun daß hier noch kein sicherer Weg der Wissenschaft hat gefunden werden können? [...] Ich sollte meinen, die Beispiele der Mathematik und Naturwissenschaft, die durch eine auf einmal zustande gebrachte Revolution das geworden sind, was sie jetzt sind, wäre[n] merkwürdig genug, um dem wesentlichen Stücke der Umänderung der Denkart, die ihnen so vorteilhaft geworden ist, nachzusinnen, und ihnen [...], hierin wenigstens zum Versuche nachzuahmen. (KrV, Vorrede B XV-XVI)

12/17 Die kopernikanische Wende Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser vorankommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll. (KrV Vorrede XVI) Metaphysik kann vollendet werden Dafür aber hat auch die Metaphysik das seltene Glück, welches keiner andern Vernunftwissenschaft, die es mit Objekten zu tun hat (denn die Logik beschäftigt sich mit der Form des Denkens überhaupt), zu Teil werden kann, daß, wenn sie durch diese Kritik in den sicheren Gang einer Wissenschaft gebracht worden, sie das ganze Feld der für sie gehörigen Erkenntnisse völlig befassen und also ihr Werk vollenden und für die Nachwelt, als einen nie zu vermehrenden Hauptstuhl, zum Gebrauche niederlegen kann [...]. (KrV, Vorrede B XXIII-XXIV)

13/17 5.2 Metaphysik nach Hegel? Einwand Hegel hat das System der Metaphysik in vollkommener Weise erfaßt und niedergeschrieben. Eine weitere Beschäftigung mit Metaphysik ist daher unnötig. Antwort (1) Natürlich ist es unwahrscheinlich, daß Hegel die Metaphysik wirklich in vollkommener Weise erfaßt hat. (2) Selbst wenn man die Voraussetzung zugibt, folgt daraus auch nach Hegelschen Maßstäben nicht, daß eine weitere Beschäftigung mit Metaphysik nicht notwendig ist: Hic Rhodus, hic saltus. Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft. Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfaßt. Es ist ebenso töricht zu wähnen, irgendeine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als, ein Individuum überspringe seine Zeit, springe über Rhodus hinaus. (Rechtsphilosophie, Vorrede XI-XII) (3) Leider hat Hegel sein angeblich vollkommenes System sehr unvollkommen will sagen: schwer bis unverständlich niedergeschrieben. Um Hegels Texte über Metaphysik verstehen zu können, muß man selbst schon über Metaphysik nachgedacht haben.

14/17 5.3 Metaphysik nach Carnap? Carnap I: Mit logischer Syntax gegen Heidegger Einwand Metaphysische Aussagen sind logischer oder grammatischer Unsinn. Beispiele Erforscht werden soll das Seiende nur und sonst nichts... Wir kennen das Nichts. Die Angst offenbart das Nichts... Wie steht es um das Nichts?... Das Nichts selbst nichtet. (alle aus: Martin Heidegger, Was ist Metaphysik?, 1929) Was ist draußen? Draußen ist Regen. D(r) Draußen ist nichts. ( x) D(x) Wir kennen den Regen. K(w, r) Wir kennen das Nichts.??? Der Regen regnet. R(r) Das Nichts nichtet.???

15/17 Lieber komponieren? Die (Schein-)Sätze der Metaphysik dienen nicht zur Darstellung von Sachverhalten, weder von bestehenden (dann wären es wahre Sätze) noch von nicht bestehenden (dann wären es wenigstens falsche Sätze); sie dienen zum Ausdruck des Lebensgefühls. [...] Hierbei ist für unsere Überlegung nur dies wesentlich, daß die Kunst das adäquate, die Metaphysik aber ein inadäquates Ausdrucksmittel für das Lebensgefühl ist. [...] Vielleicht ist die Musik das reinste Ausdrucksmittel für das Lebensgefühl, weil sie am stärksten von allem Gegenständlichen befreit ist. [...] Metaphysiker sind Musiker ohne musikalische Fähigkeit. (Carnap, Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache, in: Erkenntnis 2, 1931, 219-241; hier 238-240) Antwort (1) Carnaps Einwand trifft nicht die Metaphysik, sondern eine bestimmte Form Heideggerschen Mißbrauchs der Sprache. (2) Carnap übersieht die Möglichkeit, daß man sich auch über Lebenseinstellungen rational unterhalten kann. (Aber ist dies Aufgabe der Metaphysik?)

16/17 Carnap II: Mit Empirismus gegen Scheinprobleme Einwand Metaphysische Probleme sind bloße Scheinprobleme: Wie man sie auch entscheiden mag, hat keinen Einfluß auf das, was wir wahrnehmen und beobachten. Definition Eine Ja/Nein-Frage ist ein genau dann Scheinproblem, wenn man sie (1) nicht mit logischen Mittel entscheiden kann und (2) ihre Beantwortung auch keinerlei Unterschiede hinsichtlich irgendwelcher beobachtbarer Sachverhalte macht.

17/17 Beispiele (1) Gibt es eine externe Welt? (2) Gibt es hinter mir eine Wand? (3) Ist die Welt vor langer Zeit oder erst vor fünf Minuten entstanden? (4) Ist NN eine Person mit Gedanken, Gefühlen,... oder aber ein Zombie? (5) Gibt es Phlogiston, den Äther, Schwarze Löcher und Elektronen? (6) Hat das Entzünden des Streichholzes die Explosion verursacht? Der Glaube an den Kausalnexus ist ein Aberglaube. (Wittgenstein, Tractatus 5.1361) Antwort Der Empirismus des frühen Carnaps ist viel zu stark. Uns interessieren viele Dinge, die nach strengen empiristischen Kriterien Gegenstand bloßer Scheinprobleme sind. Diese sind von Interesse für unser Alltagsleben, aber auch für die Formulierung von Theorien der empirischen Wissenschaften und eben für die Metaphysik.