Skriptum zur Vorlesung Mathematische Logik



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Transkript:

Skriptum zur Vorlesung Mathematische Logik Klaus Gloede Mathematisches Institut der Universität Heidelberg Wintersemester 2006/07

INHALTSVERZEICHNIS i Inhaltsverzeichnis I Collegium Logicum 1 1 Die Aussagenlogik 4 1.1 Syntax der Aussagenlogik..................... 5 1.1.1 Definition der aussagenlogischen Formeln......... 5 1.1.2 Induktion und Rekursion.................. 6 1.1.3 Beweis durch Induktion über den Formelaufbau...... 8 1.1.4 Definition durch Rekursion über den Formelaufbau.... 9 1.2 Semantik der Aussagenlogik.................... 10 1.2.1 Wahrheitsfunktionen.................... 10 1.2.2 Interpretation von aussagenlogischen Formeln....... 11 1.2.3 Definition der wichtigsten semantischen Begriffe..... 12 1.2.4 Einige wichtige allgemeingültige Formeln......... 14 1.2.5 Einige wichtige Äquivalenzen............... 14 1.2.6 Boolesche Gesetze..................... 15 1.2.7 Einsetzungsregel...................... 15 1.2.8 Ersetzungsregel....................... 16 1.3 Normalformen............................ 17 1.3.1 Entscheidungsverfahren für Boolesche Normalformen.. 19 1.3.2 Boolescher Repräsentationssatz.............. 20 1.3.3 Das Dualitätsprinzip.................... 21 1.4 Der semantische Folgerungsbegriff: Erfüllbarkeit......... 23 1.4.1 Zusammenhang zwischen Folgerung und Erfüllbarkeit.. 24 1.5 Der syntaktische Folgerungsbegriff: Beweisbarkeit........ 25 1.5.1 Axiomensysteme und Beweise............... 25 1.5.2 Korrektheit und Vollständigkeit.............. 26 1.5.3 Einige Axiomensysteme der Aussagenlogik........ 27 1.6 Vollständigkeit und Kompaktheit.................. 29

INHALTSVERZEICHNIS ii 1.6.1 Verallgemeinerte Expansion................ 31 1.6.2 Lemma über die Negation................. 32 1.6.3 Tautologiesatz....................... 32 1.6.4 Deduktionstheorem..................... 33 1.6.5 Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit von Theorien.. 33 1.6.6 Lemma über Beweisbarkeit und Konsistenz........ 34 1.6.7 Vervollständigung..................... 35 1.6.8 Verallgemeinerter Vollständigkeitssatz........... 35 1.6.9 Kompaktheitssatz der Aussagenlogik........... 36 2 Strukturen und formale Sprachen 37 2.1 Strukturen.............................. 38 2.1.1 Beispiele.......................... 38 2.1.2 Mehrsortige Strukturen................... 39 2.1.3 Symbole für formale Sprachen............... 40 2.2 Unterstrukturen und Morphismen.................. 41 2.2.1 Beispiele.......................... 43 2.2.2 Satz über Unterstrukturen................. 44 2.2.3 Homomorphes Bild, Identifizierung............ 44 2.3 Terme einer Sprache........................ 45 2.3.1 Interpretation von Termen................. 45 2.3.2 Spracherweiterung durch Namen.............. 46 2.3.3 Erzeugte Unterstrukturen.................. 47 2.4 Formeln einer Sprache....................... 48 2.4.1 Beweis durch Induktion über den Formelaufbau...... 49 2.4.2 Freie und gebundene Variable............... 50 2.4.3 Substitution......................... 51 3 Modelle und Theorien 53 3.1 Das Wahrheitsprädikat: Modelle.................. 53 3.1.1 Satz über neue Konstanten................. 55 3.2 Axiome und Theorien........................ 56 3.3 Der Kompaktheitssatz und einige Folgerungen........... 57 3.3.1 Kompaktheitssatz...................... 57 3.3.2 Satz über die Existenz unendlicher Modelle........ 58 3.4 Diagramme............................. 59 3.4.1 Diagrammlemma...................... 59

INHALTSVERZEICHNIS iii 3.4.2 Universelle Theorien.................... 60 3.4.3 Modellerweiterungssatz von Keisler............ 61 3.4.4 Erhaltungssatz für universelle Formeln.......... 62 3.4.5 Satz von Łoś-Tarski.................... 62 3.5 Einige mathematische Theorien.................. 63 3.5.1 Ordnungen......................... 63 3.5.2 Gruppen- und Körpertheorie................ 64 3.5.3 Axiomatisierbarkeit: Elementare Klassen......... 65 3.5.4 Zahlentheorie........................ 66 3.5.5 Mengenlehre........................ 69 4 Gesetze der Prädikatenlogik 70 4.1 Ein Axiomensystem für die Prädikatenlogik............ 70 4.1.1 Axiomensystem von Shoenfield.............. 71 4.1.2 Definition eines Beweises................. 72 4.2 Der Tautologiesatz......................... 73 4.3 Substitution und universeller Abschluß............... 75 4.3.1 Hintere Generalisierung.................. 76 4.3.2 Satz über die Generalisierung............... 76 4.3.3 Substitutionsregel...................... 77 4.3.4 Substitutionssatz...................... 77 4.3.5 Abschlußsatz........................ 79 4.4 Ersetzung und Umbenennung, Gleichheit............. 79 4.4.1 Ersetzungstheorem..................... 79 4.4.2 Eigenschaften des Gleichheitsprädikates.......... 80 4.5 Pränexe Normalformen....................... 82 4.5.1 Umformungen mit der Negation.............. 82 4.5.2 Umformungen mit Konjunktion und Disjunktion..... 82 4.5.3 Umformungen mit der Implikation............. 83 4.5.4 Das Dualitätsprinzip für die Prädikatenlogik........ 85 4.6 Das Deduktionstheorem....................... 87 4.7 Erweiterungen von Theorien, Widerspruchsfreiheit........ 89 4.7.1 Erweiterungen und Expansionen.............. 89 4.7.2 Satz über rein sprachliche Erweiterungen von Theorien.. 91 4.7.3 Widerspruchsfrei/widerspruchsvoll............ 93 4.7.4 Beweisbarkeit und Widerspruchsfreiheit.......... 94 4.8 Termmodelle............................ 95

INHALTSVERZEICHNIS iv 4.8.1 Kanonische Struktur einer Theorie, Termstruktur..... 95 4.8.2 Satz über Termmodelle................... 96 4.9 Vervollständigung von Theorien.................. 97 4.9.1 Satz von Lindenbaum................... 98 4.10 Henkin-Theorien.......................... 99 4.11 Der Gödelsche Vollständigkeitssatz................. 102 4.11.1 Vollständigkeit der Prädikatenlogik / Modellexistenz-Satz 102 4.11.2 Satz von Löwenheim.................... 104 4.11.3 Kompaktheitssatz...................... 105 II Mengenlehre 106 5 Grundlagen der Mengenlehre 107 5.1 Ordinalzahlen............................ 107 5.1.1 Ordnungen......................... 108 5.1.2 Definition der Ordinalzahlen................ 111 5.1.3 Satz: Charakterisierung von Ordinalzahlen........ 112 5.1.4 Die Ordnung der Ordinalzahlen.............. 112 5.2 Mengen und Klassen........................ 114 5.2.1 Komprehensionsaxiom................... 115 5.2.2 Auswege aus den Antinomien............... 116 5.2.3 Die mengentheoretische Sprache mit Klassentermen... 117 5.2.4 Überblick über verschiedene Axiomensysteme...... 120 5.3 Extensionalität und Aussonderung................. 122 5.4 Relationen und Funktionen..................... 124 5.5 Vereinigung und Produkt...................... 127 5.5.1 Vereinigung......................... 127 5.5.2 Potenzmenge und allgemeines Produkt.......... 130 5.6 Überblick über die ZF-Axiome................... 133 6 Mengen von Mengen von... 135 6.1 Induktion und Rekursion...................... 135 6.1.1 Ordnungen auf Klassen................... 135 6.1.2 Minimumsprinzip...................... 136 6.1.3 Induktionsprinzip für Wohlordnungen........... 137 6.1.4 Segmente.......................... 138 6.1.5 Rekursionssatz für Wohlordnungen............ 138

INHALTSVERZEICHNIS v 6.1.6 Repräsentationssatz für Wohlordnungen.......... 141 6.1.7 Transfinite Rekursion.................... 143 6.2 Die von-neumannsche Hierarchie................. 144 6.3 Die Rolle des Unendlichkeitsaxioms................ 145 6.3.1 PA in mengentheoretischer Sprache............ 146 6.3.2 Die Theorie der endlichen Mengen............. 148 6.3.3 Anwendungen der numerischen Rekursion........ 148 7 Das Auswahlaxiom 151 7.1 Zermelos Axiom.......................... 151 7.1.1 Mengentheoretisch äquivalente Formen.......... 151 7.1.2 Der Zermelosche Wohlordnungssatz............ 152 7.1.3 Maximumsprinzipien von Zorn und Hausdorff...... 153 7.2 Anwendungen des Auswahlaxioms................. 156 7.2.1 Jeder Vektorraum besitzt eine Basis............. 156 7.2.2 Der Satz von Hahn-Banach................. 156 7.2.3 Nicht-meßbare Mengen.................. 156 7.2.4 Äquivalenz verschiedener Stetigkeitsdefinitionen..... 158 7.2.5 Satz von Tychonoff..................... 158 7.2.6 Boolesches Primidealtheorem............... 158 8 Mächtigkeiten und Kardinalzahlen 161 8.1 Endliche und abzählbare Mengen.................. 161 8.2 Abzählbare Mengen......................... 163 8.3 Überabzählbare Mengen...................... 165 8.4 Mächtigkeiten............................ 165 8.4.1 Satz von Cantor-Schröder-Bernstein............ 166 8.4.2 Vergleichbarkeitssatz von Hartogs............. 167 8.4.3 Satz von Cantor....................... 167 8.5 Kardinalzahlen........................... 168 8.5.1 Operationen auf den Kardinalzahlen............ 169 8.5.2 Satz von Hessenberg.................... 170 8.5.3 Satz von Bernstein..................... 171 III Grundlagen der Modelltheorie 172 9 Hin und her: Vollständigkeit und elementare Äquivalenz 173

INHALTSVERZEICHNIS vi 9.1 Elementare Äquivalenz....................... 173 9.2 Die Theorie der dichten linearen Ordnung............. 175 9.3 Kategorizität............................ 178 10 Auf und ab: Elementare Substrukturen 180 10.1 Elementare Substrukturen...................... 180 10.2 Diagrammlemma (Fortsetzung)................... 181 10.3 Kriterium von Tarski........................ 181 10.4 Satz von Löwenheim-Skolem-Tarski (abwärts)........... 182 10.5 Satz von Löwenheim-Skolem-Tarski (aufwärts).......... 183 10.6 Test von Vaught........................... 184 11 Vereinigungen, Durchschnitte und Ketten 185 11.1 Satz über Ketten von Strukturen.................. 186 11.2 Satz von Chang- Łoś-Szusko.................... 188 12 Produkte und Ultraprodukte 189 12.1 Direktes Produkt.......................... 190 12.2 Filter und Ultrafilter......................... 191 12.3 Ultrafiltersatz, Boolesches Primidealtheorem........... 192 12.4 Reduziertes Produkt......................... 192 12.5 Satz von Łoś............................ 193 12.6 Kompaktheitssatz.......................... 196 13 Modellvollständigkeit 198 13.1 Robinsonscher Test......................... 200 IV Unvollständigkeit und Unentscheidbarkeit 202 14 Berechenbare Funktionen 205 14.1 Turing-Maschinen.......................... 205 14.2 URM-berechenbare Funktionen.................. 207 14.3 Churchsche These.......................... 208 14.4 Aufzählbarkeitssätze........................ 209 14.5 Primitiv-rekursive Funktionen................... 209 14.6 Rekursive und partiell-rekursive Funktionen............ 212 14.7 Partielle Entscheidbarkeit...................... 214

INHALTSVERZEICHNIS vii 15 Definierbarkeit berechenbarer Funktionen 215 15.1 Eine endlich-axiomatisierbare Teiltheorie von PA......... 215 15.2 Arithmetische Formeln....................... 217 15.3 Enderweiterungen.......................... 218 15.4 Erhaltungseigenschaften unter Enderweiterungen......... 220 15.5 Lemma............................... 220 15.6 Gödels Lemma........................... 222 15.7 Definierbarkeitssatz für rekursive Funktionen........... 223 15.8 Repräsentierbarkeit......................... 224 16 Die Gödelschen Sätze 227 16.1 Gödel-Nummern.......................... 227 16.2 Diagonalisierungslemma...................... 228 16.3 Satz von Gödel-Rosser....................... 229 16.4 Erster Gödelscher Unvollständigkeitssatz............. 230 16.5 Kombinatorische Prinzipien.................... 231 16.6 Zweiter Gödelscher Unvollständigkeitssatz............ 233 16.7 Wahrheit ist nicht arithmetisch definierbar............. 234 16.8 Unentscheidbarkeit......................... 235 17 Literatur 238

1 Teil I Collegium Logicum

2 Mein teurer Freund, ich rat Euch drum Zuerst Collegium Logicum. Da wird der Geist Euch wohl dressiert In spanische Stiefeln eingeschnürt, Daß er bedächtiger so fortan Hinschleiche die Gedankenbahn. J. W. v. Goethe: Faust I Alle Menschen sind sterblich, Sokrates ist ein Mensch, also ist Sokrates sterblich. So lautet ein bekanntes Beispiel eines logischen Schlusses. Dabei sagt die Logik nichts aus über die Gültigkeit der Einzelaussagen, insbesondere behauptet sie nicht die Sterblichkeit von Sokrates, sondern die Wahrheit dieser Aussage unter Annahme, daß die beiden vorangehenden Aussagen (die Prämissen) wahr sind. Nach dem gleichen Muster könnte man auch folgern: Alle Tappel haben einen Deppel, Knobbel ist ein Tappel, also hat Knobbel einen Deppel. Bereits ARISTOTELES (384-322 v. Chr.) hat in seiner Syllogistik damit begonnen, derartige Schlußweisen zu formalisieren und alle möglichen Schlüsse systematisch auf ihre Gültigkeit zu untersuchen 1. Auch erste Ansätze einer Aussagenlogik finden sich bei ARISTOTELES ; sie wird vor allem in der Stoa und in der Scholastik weiterentwickelt. Den obigen Schluß können wir in moderner Symbolik in der Form X(M(X) T (X)),M(S) also: T (S) 1 I. Susan Russinoff hat 1999 darauf hingewiesen, daß die endgültige Klassifizierung der Syllogismen erst 1883 von einer Schülerin des amerikanischen Logikers C.S. Peirce dargestellt wurde: Christine Ladd-Franklin. Bereits 1882 hatte sie alle Voraussetzungen für eine Promotion an der John Hopkins University erfüllt; da sie aber damals als Frau nicht zugelassen wurde, erhielt sie ihren Ph.D.-Grad erst 1926, und ihre Arbeit blieb über hundert Jahre unbeachtet.

3 schreiben. Daraus wird deutlich, daß der Schluß ganz allgemein und allein aufgrund seiner Form gilt - die Untersuchung derartiger Schlußweisen ist Gegenstand der Mathematischen Logik (auch Formale Logik, Symbolische Logik oder Metamathematik, von Philosophen auch Moderne Logik oder Logistik genannt). Die Mathematische Logik ist (i) eine Logik für die Mathematik; sie untersucht Ausdrucksmöglichkeiten in formalen Sprachen und Schlußweisen, wie sie in der Mathematik insbesondere für axiomatische Theorien gebräuchlich sind. Das bedeutet - thematisch - natürlich eine starke Einschränkung gegenüber der allgemeinen (philosophischen) Logik, aber - methodisch - ermöglicht diese Beschränkung es andererseits, sie selbst als (ii) eine formale mathematischen Theorie zu entwickeln. Dadurch kann die Mathematische Logik (als Metatheorie) über die Mathematische Logik selbst (und zwar nun als formale mathematische Theorie) Aussagen machen. Diese sind möglicherweise rückbezüglich und damit häufig widerspruchsvoll (z. B.: Antinomie des Lügners); in diesem Fall jedoch kann man sie nach K. GÖDEL benutzen, um die Grenzen ihrer eigenen Methode aufzeigen (etwa in Form der GÖDELschen Unvollständigkeitssätze).

4 Kapitel 1 Die Aussagenlogik Die Aussagenlogik untersucht die Verknüpfungen nicht, und, oder, wenn... dann und genau dann, wenn. Diese Operationen kommen auch in der Umgangssprache vor, allerdings möglicherweise mit zusätzlichen Aspekten, die über den Gebrauch in der Mathematik hinausgehen und hier natürlich unberücksichtigt bleiben sollen. Aufgrund dieser Einschränkung wird die Aussagenlogik (AL) zu einem einfachen Kalkül (dem Aussagenkalkül) der beiden Wahrheitswerte W und F; mathematisch gesehen handelt es sich um eine sehr einfache Theorie - die Algebra der zwei Werte 0 und 1. Wir wollen sie hier trotzdem ausführlicher behandeln, denn die AL ist Grundlage der Computerlogik mit zahlreichen Anwendungen (etwa auf die Untersuchung von Schaltungen) und sie ist Bestandteil fast jeder weiteren Logik, insbesondere der später einzuführenden Prädikatenlogik (PL). Grundlegende Begriffsbildungen, die besonders für die PL wichtig werden, können hier in einer einfachen Situation vorbereitet werden. Beginnen werden wir mit dem Aufbau einer formalen Sprache: Aus einer vorgegebenen Liste von Zeichen oder Symbolen (entsprechend dem Alphabet einer natürlichen Sprache) werden nach bestimmten formalen Gesetzen Zeichenreihen gebildet und als Formeln (entsprechend den Wörtern einer natürlichen Sprache) ausgezeichnet; die Bedeutung der Formeln wird dann durch Interpretationen (Modelle) festgelegt.

1.1. SYNTAX DER AUSSAGENLOGIK 5 1.1 Syntax der Aussagenlogik Mit Hilfe der Symbole (nicht), (und), (oder), (wenn... dann), (genau dann... wenn) und den Aussagenvariablen (für aussagenlogisch nicht weiter zerlegbare Grundaussagen) definieren wir den Begriff einer aussagenlogischen Formel, abgekürzt a. F., wie folgt: 1.1.1 Definition der aussagenlogischen Formeln (F1) A 0,A 1,A 2,... sind a. F., und zwar Aussagenvariable. (F2) Ist ϕ eine a. F., so auch ϕ. (F3) Sind ϕ und ψ a. F., so auch (ϕ ψ), (ϕ ψ), (ϕ ψ) und (ϕ ψ). (F4) Das sind alle a. F. Aussagenlogische Formeln werden wir wie oben mit kleinen griechischen Buchstaben ϕ, ψ, χ,... bezeichnen, Aussagenvariable auch mit A, B,C,... Achtung: Formeln sind formale endliche Zeichenreihen; ihre Bedeutung haben wir zwar oben bereits in Klammern angegeben, aber davon werden (und dürfen) wir zunächst keinen Gebrauch machen! Beispiele für aussagenlogische Formeln sind: A, A, B, ((( A B) A) (A C)), während A, B ), A C keine aussagenlogischen Formeln sind! Klammerregeln Klammern dienen der eindeutigen Darstellbarkeit von Formeln, können zur besseren Lesbarkeit jedoch in einigen Fällen eingespart werden: Äußere Klammern können fortgelassen werden: Schreibe A C statt (A C).

1.1. SYNTAX DER AUSSAGENLOGIK 6 und binden stärker als und : schreibe B A A C statt ((B A) (A C)). Dagegen werden wir und gleichberechtigt behandeln, d. h. bei ( A B) A sowie (A B) C bzw. A (B C). kann man keine weiteren Klammern einsparen. Für und benutzen wir die assoziative Schreibweise: A B C steht für (A (B C)) und A B C für (A (B C)). Die andere mögliche Klammerung führt formal zu einer anderen, inhaltlich jedoch äquivalenten Formel. Rechtsklammerung werden wir später auch wählen bei A B C für A (B C), welches jedoch nicht äquivalent zu (A B) C ist! Gelegentlich findet man weitere Vereinbarungen über das Fortlassen von Klammern; gänzlich entbehrlich sind sie bei der polnischen Notation: Hier schreibt man etwa Nϕ für ϕ, Aϕψ für ϕ ψ, Kϕψ für ϕ ψ, so daß (p q) (p q) in polnischer Notation KNApqK pnnq geschrieben wird. 1.1.2 Induktion und Rekursion Eine explizite Definition des Begriffs a. F. würde diesen auf bereits bekannte zurückführen und von der Form sein ϕ ist a.f. :..., wobei rechts eine Eigenschaft von ϕ steht (das Definiens), in welcher das Definiendum, nämlich a. F., selbst nicht vorkommt. Dagegen ist die Definition 1.1.1 rekursiv, indem zwar auf der rechten Seite auch das zu Definierende vorkommt, aber zurückgeführt auf kürzere Ausdrücke. Eine rekursive Definition hat den Vorzug, daß sie in der Regel zugleich ein Verfahren enthält, in endlich vielen Schritten effektiv nachzuprüfen, ob der vorgelegte Ausdruck der Definitionsanforderung genügt oder nicht. Man sagt in diesem Fall auch: Das Prädikat

1.1. SYNTAX DER AUSSAGENLOGIK 7 z 1...z n ist eine aussagenlogische Formel ist entscheidbar, d. h. es gibt ein mechanisches Verfahren, das - angewandt auf eine vorgegebene endliche Zeichenreihe z 1...z n - nach endlich-vielen Schritten feststellt, ob z 1...z n eine aussagenlogische Formel ist oder nicht. Eine Präzisierung der Begriffe entscheidbar, effektives Verfahren werden wir später vornehmen. Ein weiterer Vorteil einer rekursiven Definition liegt darin, daß man eine Aussage über den neuen Begriff beweisen kann, indem man sie (1) zunächst für den Anfangsfall und dann (2) für die aufbauenden Fälle nachweist, also vom einfachen Fall zum komplizierten übergeht - man spricht dann von einem Beweisverfahren durch Induktion. Dieses Prinzip ist bekannt aus der Theorie der natürlichen Zahlen: Induktionsprinzip für die natürlichen Zahlen Es sei E eine Eigenschaft mit (i) E(0), Induktionsanfang (ii) falls E(n), so auch E(n ). Induktionsschluß Dann gilt E(n) für alle natürlichen Zahlen n. Dabei besteht der Induktionsschluß aus der Induktionsvoraussetzung E(n) und der Induktionsbehauptung E(n ). Wenn man die gewöhnliche Ordnung auf den natürlichen Zahlen benutzt, kann man das Induktionsprinzip auch in der folgenden Form anwenden: (Starkes) Induktionsprinzip für die natürlichen Zahlen Es sei E eine Eigenschaft mit (ii ) falls E(m) für alle m < n, so auch E(n). Induktionsschluß Dann gilt E(n) für alle natürlichen Zahlen n. Diese beiden Induktionsprinzipien sind untereinander und mit dem Minimumsprinzip äquivalent:

1.1. SYNTAX DER AUSSAGENLOGIK 8 Minimumsprinzip für die natürlichen Zahlen Falls es eine natürliche Zahl m mit der Eigenschaft E(m) gibt, so gibt es eine kleinste derartige Zahl. Aussagen über alle Formeln kann man durch Induktion beweisen, indem man ein Komplexitätsmaß einführt, d. h. eine Funktion k, die allen Formeln eine natürliche Zahl zuordnet, so daß k(ϕ) < k( ϕ), k(ϕ),k(ψ) < k(ϕ ψ), z. B.: lz(ϕ) = Anzahl der logischen Verknüpfungen,,,, in ϕ, l(ϕ) = Anzahl aller Zeichen in ϕ (Länge von ϕ). Besonders nützlich ist dafür die Rangfunktion, rekursiv definiert durch ρ(a i ) = 0, ρ( ϕ) = ρ(ϕ) + 1, ρ(ϕ ψ) = max(ρ(ϕ),ρ(ψ)) + 1, wobei =,,,. 1.1.3 Beweis durch Induktion über den Formelaufbau Es sei E eine Eigenschaft mit (i) E(A) gilt für alle Ausagenvariablen A, (ii) gilt E(ϕ), so auch E( ϕ), und (iii) gelten E(ϕ) und E(ψ), so auch E(ϕ ψ) für =,, und. Dann gilt E(ϕ) für alle a. F. ϕ. Legt man ein Komplexitätsmaß k zugrunde, so kann man die drei Bedingungen (i) - (iii) ersetzen durch eine einzige: (ii ) Gilt E(ψ) für alle ψ mit k(ψ) < k(ϕ), so auch E(ϕ). Die Rangfunktion haben wir oben durch Rekursion definiert; damit dies zulässig ist, benötigen wir die

1.1. SYNTAX DER AUSSAGENLOGIK 9 Eindeutige Lesbarkeit von Formeln Es sei ϕ eine a. F. Dann ist ϕ entweder eine Aussagenvariable oder läßt sich auf genau eine Weise in der Form ψ,(ψ χ), (ψ χ), (ψ χ) oder (ψ χ) schreiben. Zum Beweis benutze man das folgende (technische) Lemma: Lemma Es sei ϕ eine a. F., w eine endliche Zeichenreihe. Dann gilt: Falls die Zeichenreihe ϕw eine a. F. ist, so ist w leer, also ϕw = ϕ. Dieses Lemma - zugleich ein gutes Beispiel für eine syntaktische Aussage! - beweist man am besten durch Induktion über die Anzahl l(ϕw) der Zeichen in ϕw. Neben der rekursiven Definition eines Prädikats (wie im Falle des Formelbegriffs) haben wir im Falle der Rangfunktion eine rekursive Definition einer Funktion. Auch derartige Funktionen haben ihr Vorbild in der Zahlentheorie, wo man etwa die Funktion n! rekursiv definiert durch 0! = 1,(n + 1)! = n!(n + 1). Diese Definition liefert nur deshalb eine Funktion, weil für eine Zahl n 0 der Vorgänger m von n (mit m = n) eindeutig bestimmt ist. Die entsprechende Voraussetzung für den Formelbegriff haben wir gerade mit der eindeutigen Lesbarkeit der Formeln bewiesen. 1.1.4 Definition durch Rekursion über den Formelaufbau Zu gegebenen Funktionen g 0,...,g 5 (geeigneter Stellenzahl) läßt sich eine Funktion g auf der Menge der a. F. definieren durch: g(a) = g 0 (A) g( ϕ) = g 1 (g(ϕ)) g(ϕ ψ) = g 2 (g(ϕ),g(ψ)) g(ϕ ψ) = g 3 (g(ϕ),g(ψ)) g(ϕ ψ) = g 4 (g(ϕ),g(ψ)) g(ϕ ψ) = g 5 (g(ϕ),g(ψ))

1.2. SEMANTIK DER AUSSAGENLOGIK 10 1.2 Semantik der Aussagenlogik Die Bedeutung der aussagenlogischen Verknüpfungen wird üblicherweise durch die Wahrheitstafeln festgelegt - die aussagenlogischen Verknüpfungen werden dadurch zu Funktionen auf den Wahrheitswerten W ( wahr ), manchmal auch mit 1 oder V bezeichnet, und F ( falsch ), manchmal auch mit 0 oder Λ bezeichnet. (Wir behandeln hier die 2-wertige Logik, nehmen also an, daß es genau zwei Wahrheitswerte gibt, nämlich W und F.) 1.2.1 Wahrheitsfunktionen 1-stellige Wahrheitsfunktionen W id F W W W F F F W F W F Unter den vier 1-stelligen gibt es nur eine nicht-triviale Wahrheitsfunktion, die die Wahrheitswerte vertauscht und der Negation entspricht. Es gibt 2 22 = 16 2-stellige Wahrheitsfunktionen; lassen wir die trivialen weg, so erhalten wir: 2-stellige (nichttriviale) Wahrheitsfunktionen W W W W W W F W F F F F W F F W F W W F W F F W F W F W W F W F F W F W F F F F W W F W F F W W Neben den bereits eingeführten tritt hier noch das entweder-oder auf, das weder-noch ( nor, PEIRCE) sowie ( nand, SHEFFER s stroke). Weiterhin gibt es bereits 2 23 = 256 3-stellige Wahrheitsfunktionen, allgemein 2 2n n-stellige Wahrheitsfunktionen, auf die wir später noch zurückkommen werden.

1.2. SEMANTIK DER AUSSAGENLOGIK 11 Wir wollen nun jeder aussagenlogischen Formel ϕ(a 1,...,A n ) in den Aussagenvariablen A 1,...,A n den Wahrheitswert zuordnen, der sich durch Auswertung gemäß den Wahrheitstafeln ergibt. Dieser Wert hängt ab (1) von den Wahrheitswerten, die die Aussagenvariablen erhalten, sowie davon, (2) wie ϕ aus den Aussagenvariablen mit Hilfe der aussagenlogischen Verknüpfungen zusammengesetzt ist: 1.2.2 Interpretation von aussagenlogischen Formeln ϕ sei eine aussagenlogische Formel, V sei eine beliebige (u. U. unendliche) Menge von Aussagenvariablen. Man bezeichnet mit f: V {W,F} Belegung von V (mit Wahrheitswerten), B(V) := { f f : V {W,F}} Menge der Belegungen von V. V (ϕ) Menge der Aussagenvariablen in ϕ F(V) := {ϕ V (ϕ) V } Menge der Formeln mit Variablen in V. Es sei nun ϕ eine aussagenlogische Formel mit Variablen in V, f : V {W,F} eine Belegung mit V (ϕ) V. Dann definieren wir f(ϕ) als Wahrheitswert (oder: Interpretation) von ϕ unter der Belegung f durch Rekursion über den Aufbau von ϕ wie folgt: f (ϕ) = f (A), f alls ϕ = A eine Aussagenvariable ist, f ( ϕ) = f (ϕ), f (ϕ ψ) = f (ϕ) f (ψ). Dabei steht * für die 2-stelligen Operationen. Zu beachten ist, daß auf der linken Seite innerhalb der Klammern die Symbole für die aussagenlogischen Verknüpfungen, auf der rechten Seite aber die zugeordneten Operationen stehen, die man aus den Wahrheitstafeln entnimmt (und die wir dort der Einfachheit halber auch mit den entsprechenden Symbolen bezeichnet haben). Beispiel Es sei ϕ = (A C) D, also V (ϕ) = {A,C,D}. Ferner sei V = {A,B,C,D}, und f : V {W, F} sei definiert durch

1.2. SEMANTIK DER AUSSAGENLOGIK 12 f (A) = W, f (B) = W, f (C) = F, f (D) = W. Dann erhält man durch sukzessive Berechnung (entsprechend der rekursiven Definition): A B C D A C (A C) D D ϕ f W W F W F W W F F f (ϕ) hängt hier natürlich nicht von f (B) ab, da B nicht in ϕ vorkommt. Allgemein gilt: Satz f (ϕ) hängt nur von f V (ϕ) (und natürlich von ϕ) ab, d. h. sind f und g zwei Belegungen, die (mindestens) auf V (ϕ) definiert sind und dort übereinstimmen, so ist f (ϕ) = g(ϕ). Beweis: durch Induktion über den Formelaufbau von ϕ. 1.2.3 Definition der wichtigsten semantischen Begriffe Es seien ϕ,ψ F(V ). ag[ϕ] : f ür alle f B(V ) gilt: f (ϕ) = W ϕ ist allgemeingültig kd[ϕ] : f ür alle f B(V ) gilt: f (ϕ) = F ϕ ist kontradiktorisch er f b[ϕ] : esgibt ein f B(V ) mit: f (ϕ) = W ϕ ist erfüllbar ϕ äqψ : f ür alle f B(V ) gilt: f (ϕ) = f (ψ) ϕ ist äquivalent zu ψ ϕ impl ψ : f ür alle f B(V ) gilt: f (ϕ) = W f (ψ) = W ag[ϕ ψ] ϕ impliziert ψ Einfache Beispiele ag[a A], kd[a A], er f b[a], er f b[ A], aber A (und auch A) sind weder allgemeingültig noch kontradiktorisch.

1.2. SEMANTIK DER AUSSAGENLOGIK 13 Es gilt offenbar: ag[ϕ] kd[ ϕ] er f b[ϕ] nicht kd[ϕ] ag[ ϕ] = nicht ag[ϕ] (aber die Umkehrung gilt i. a. nicht) ag[ϕ ψ] ag[ϕ] und ag[ψ] er f b[ϕ ψ] er f b[ϕ] oder er f b[ψ] ag[ϕ] oder ag[ψ] = ag[ϕ ψ] (i. a. ohne Umkehrung!) er f b[ϕ ψ] = er f b[ϕ] und er f b[ψ] (i. a. ohne Umkehrung!) Bemerkung Die hier eingeführten Prädikate sind entscheidbar. Ein Entscheidungsverfahren liefert (unmittelbar nach Definition) die Wahrheitstafelmethode; dieses Verfahren besitzt jedoch exponentielle Komplexität: Hat ϕ n Variable, so hat B(V (ϕ)) bereits 2 n Elemente! Für jedes einzelne f B(V (ϕ)) muß man f (ϕ) berechnen, wobei die Komplexität dieser Berechnung abhängig ist von der Anzahl der logischen Symbole in ϕ. Damit läßt sich die Aussagenlogik kalkülmäßig behandeln - man spricht daher auch vom Aussagenkalkül. Dagegen wird sich später zeigen, daß die Allgemeingültigkeit einer prädikatenlogischen Aussage sich i. a. nicht mehr entscheiden läßt; trotzdem spricht man (aus Gründen, die später im Rahmen einer Axiomatisierung deutlicher werden) auch vom Prädikatenkalkül.

1.2. SEMANTIK DER AUSSAGENLOGIK 14 1.2.4 Einige wichtige allgemeingültige Formeln A A tertium non datur A A Selbstimplikation (A A) Gesetz vom Widerspruch (A A) Gesetz vom Widerspruch A (A B) regula falsi A (A B) B modus ponens (als Gesetz) B (A B) A modus tollens (als Gesetz) A A B (hintere) Abschwächung A B A (vordere) Abschwächung (A B) (B C) (A C) Kettenschluß (A B) (A C) (B C) C Gesetz der Fallunterscheidung ((A B) A) A Formel von Peirce Einige dieser allgemeingültigen Formeln ergeben gültige Implikationen, wie z. B. 1.2.5 Einige wichtige Äquivalenzen A impl A, A impl B und B impl C = A impl C, A impl B und B impl A = A äq B. A äq A Gesetz der doppelten Verneinung A B äq B A Kontraposition (A B) äq (A B) (A B) äq ( A B) de MORGANsches Gesetz (A B) äq ( A B) de MORGANsches Gesetz A (B C) äq A B C Importation / Exportation A B C äq (A B) (A C) Distrib. der Implikation von rechts A B C äq (A B) (A C) Distrib. der Implikation von rechts A B C äq (A C) (B C) A B C äq (A C) (B C) Zu beachten ist der Wechsel von zu (und umgekehrt) in den beiden letzten Formeln!

1.2. SEMANTIK DER AUSSAGENLOGIK 15 1.2.6 Boolesche Gesetze A B = B A A B = B A A (B C) = (A B) C A (B C) = (A B) C A A = A A A = A A (B C) = (A B) (A C) A (B C) = (A B) (A C) A (B A) = A A (B A) = A A A = V, A A = /0 A = A /0 = V, V = /0 (A B) = A B (A B) = A B Kommutativgesetze Assoziativgesetze Idempotenzgesetze Distributivgesetze Absorptionsgesetze Komplementgesetze de MORGANsche Gesetze Dieses sind die Gesetze einer BOOLEschen Algebra, und zwar in mengentheoretischer Form ausgedrückt. Die entsprechenden aussagenlogischen Gesetze erhält man, wenn man folgende Ersetzungen vornimmt: mengentheoretisch aussagenlogisch = äq /0 A A V A A Die obigen Gesetze haben wir für Aussagenvariable aufgeschrieben; sie gelten aber allgemeiner für a. F. anstelle der Aussagenvariablen. Diese Tatsache ergibt sich aus der 1.2.7 Einsetzungsregel ϕ(a) ϕ[ψ/a]

1.2. SEMANTIK DER AUSSAGENLOGIK 16 Damit ist gemeint: Wenn der obere Teil allgemeingültig ist, so auch der untere. Dabei schreiben wir auch ϕ(a), um anzudeuten, daß die Aussagenvariable A in ϕ(a) vorkommt, und mit ϕ[ψ/a] bezeichnen wir die Formel, die aus ϕ wie folgt hervorgeht: Setze in ϕ an allen Stellen, an denen die Aussagenvariable A vorkommt, die Formel ψ ein. Beispiel Es ist ag[a A] und damit auch ag[ϕ ϕ] für jede Formel ϕ. 1.2.8 Ersetzungsregel Dabei bezeichnet ϕ ψ χ χ(ψ/ϕ) χ(ψ/ϕ) die Formel, die aus der Formel χ wie folgt hervorgeht: Ersetze in χ an einigen (möglicherweise allen) Stellen die Formel ϕ durch die Formel ψ. Beispiel Es ist ag[ A A], nach der Einsetzungsregel also auch ag[ ϕ ϕ], und somit erhält man aus einer Formel χ eine äquivalente Formel, indem man an einigen (oder allen Stellen) ϕ durch ϕ ersetzt. Beweis der Einsetzungsregel: Es sei ϕ := ϕ[ψ/a] mit V (ϕ) = {A,A 1,...,A n } und V (ψ) = {B 1,...,B m }, somit: V (ϕ ) = {A 1,...,A n,b 1,...,B m }. Für eine beliebige Belegung g : V (ϕ ) {W,F} ist zu zeigen: g(ϕ ) = W. Dazu definiere man eine Belegung f : V (ϕ) {W, F} durch f (A) = g(ψ), f (A i ) = g(a i ) und zeige: g(ϕ ) = f (ϕ), also = W, da ag[ϕ]. Beweis der Ersetzungsregel: Es sei χ := χ(ψ/ϕ) und f : V (χ) V (χ ) {W,F} eine beliebige Belegung. Zeige: f (χ) = f (χ ) durch Induktion über den Formelaufbau von χ.

1.3. NORMALFORMEN 17 1.3 Normalformen In diesem Abschnitt werden wir uns mit aussagenlogischen Formeln beschäftigen, die nur die Operationen,, enthalten und BOOLEsche Formeln genannt werden. Boolesche Umformung Zu jeder aussagenlogischen Formel ϕ gibt es eine äquivalente BOOLEsche Formel ϕ b, die dieselben Aussagenvariablen wie ϕ enthält: ϕ äq ϕ b, wobei V (ϕ) = V (ϕ b ). Beweis: Eliminiere die Symbole und durch Umformungen zu äquivalenten Formeln; d. h. ersetze in ϕ jede Teilformel der Form ψ χ durch die äquivalente Formel ψ χ, ψ χ durch die äquivalente Formel ( ψ χ) ( χ ψ). Bemerkung Indem man die entsprechenden Äquivalenzen benutzt, kann man auch noch durch und (bzw. durch und ) ausdrücken und erreichen, daß ϕ b nur noch und (bzw. und ) enthält, was im Hinblick auf manche Anwendungen (z. B. Dualitätssatz) aber nicht immer erwünscht ist. Tatsächlich kann man eine aussagenlogische Formel in eine äquivalente umformen, die nur noch eine aussagenlogische Operation (nämlich bzw. ) enthält. Endliche Konjunktionen und Disjunktionen ϕ 1 ϕ 2 ϕ 3 := ϕ 1 (ϕ 2 ϕ 3 ), allgemein: i=1,...,n ϕ i = ϕ 1 für n = 1, i=1,...,n ϕ i = ϕ 1 i=2,...,n ϕ i für n > 1, und analog definiert man die endlichen Disjunktionen i=1,...,n ϕ i. Eine Formel ist in konjunktiver Normalform (KNF) gdw sie eine Konjunktion von Disjunktionen ist, wobei die einzelnen Disjunktionsglieder kein und kein mehr enthalten, d. h. wenn sie von der folgenden speziellen Form ist i=1,...,n j=1,...,m i ϕ i j,

1.3. NORMALFORMEN 18 wobei jedes ϕ i j eine Aussagenvariable oder eine negierte Aussagenvariable ist, in disjunktiver Normalform (DNF) gdw sie von der Form i=1,...,n j=1,...,m i ϕ i j ist, wobei wiederum jedes ϕ i j eine Aussagenvariable oder eine negierte Aussagenvariable ist. (Insbesondere sind A B sowie A B in konjunktiver und zugleich in disjunktiver Normalform.) Satz (Boolesche Normalform) Zu jeder aussagenlogischen Formel ϕ gibt es äquivalente Formeln ϕ k bzw. ϕ d in konjunktiver bzw. disjunktiver Normalform, die dieselben Aussagenvariablen wie ϕ enthalten: ϕ äq ϕ k äq ϕ d, wobei V (ϕ) = V (ϕ k ) = V (ϕ d ), ϕ k in KNF,ϕ d in DNF. Beweis: Eine disjunktive NF läßt sich aus ϕ mittels folgender Umformungen konstruieren: (1) ϕ äq ϕ b für eine BOOLEsche Formel ϕ b. (2) ϕ b äq ϕ n für eine Formel ϕ n, wobei in ϕ n ein Negationszeichen höchstens vor Aussagenvariablen vorkommt; dazu benutze man folgende Äquivalenzen: ψ äq ψ, (ψ χ) äq ψ χ, (ψ χ) äq ψ χ (3) eliminiere in ϕ n vor mittels der Distributivgesetze: (De Morgan). ψ (χ δ) äq (ψ χ) (ψ δ) (ψ χ) δ äq (ψ δ) (χ δ) Als Ergebnis erhält man eine disjunktive NF ϕ d, welche zu ϕ äquivalent ist. Die im 2. Schritt erhaltene Formel ϕ n, in welcher das Negationszeichen höchstens vor Aussagenvariablen vorkommt, nennt man auch eine Negationsnormalform von ϕ. Um eine konjunktive NF zu erhalten, bilde man zuerst wieder eine Negationsnormalform und wende im 3. Schritt die dualen Distributivgesetze an (vertausche mit ). (Der Beweis liefert ein effektives Verfahren, um ϕ zu einer äquivalenten konjunktiven bzw. disjunktiven Normalform umzuformen.)

1.3. NORMALFORMEN 19 1.3.1 Entscheidungsverfahren für Boolesche Normalformen (i) ϕ sei in KNF. Dann gilt: ag[ϕ ] in jedem Konjunktionsglied von ϕ kommt mindestens eine Aussagenvariable zusammen mit ihrer Negation vor. (ii) ϕ sei in DNF. Dann gilt: kd[ϕ ] in jedem Disjunktionsglied von ϕ kommt mindestens eine Aussagenvariable zusammen mit ihrer Negation vor. Beispiel (A D A) ( B A A B) ( A B B A C) ist allgemeingültig, nicht aber ( A B A) ( B A A D). Beweis von (i): Es ist ag[ i=1,...,n j ϕ i j ] für alle i = 1,...,n : ag[ j ϕ i j ]. Gibt es zu jedem i ein j und ein k, so daß ϕ i j = A und ϕ ik = A für eine Aussagenvariable A ist, so ist für jedes i j ϕ i j allgemeingültig, also gilt. Zum Beweis der Umkehrung sei ϕ = i=1,...,n j ϕ i j in KNF, aber in (mindestens) einem Konjunktionsglied, etwa ϕ i = j ϕ i j, komme keine Aussagenvariable mit ihrer Negation vor. Dann können wir eine Belegung f : V (ϕ) {W,F} definieren mit W, falls A in ϕ i negiert vorkommt, f (A) = F, falls A in ϕ i unnegiert vorkommt, beliebig, etwa W, falls A in ϕ i nicht vorkommt. Dann wird f (ϕ i ) = F und damit auch f (ϕ) = F, also ist ϕ nicht allgemeingültig. Hiermit erhält man ein weiteres Verfahren, die Allgemeingültigkeit einer aussagenlogischen Formel ϕ zu testen: Forme ϕ in eine KNF um und prüfe nach, ob die Bedingung von 1.3.1 (i) erfüllt ist. Auch dieses Entscheidungsverfahren ist von exponentieller Komplexität wegen der Notwendigkeit, bei der Umformung in eine KNF das Distributivgesetz anzuwenden. Dabei werden aus Konjunktionen von Disjunktionen wesentlich längere Disjunktionen von Konjunktionen (und umgekehrt): Das allgemeine Distributivgesetz lautet:

1.3. NORMALFORMEN 20 i=1,...,n j=1,...,m i ϕ i j äq f P i=1,...,n ϕ i f (i), wobei P = { f f : {1,...,n} N mit 1 f (i) m i f ür alle i = 1,...,n}. Falls alle m i = 2 sind, so hat P die Anzahl 2 n. Der folgende Satz besagt, daß sich jede n-stellige Wahrheitsfunktion mittels der BOOLEschen Operationen,, darstellen läßt, und aus dem Beweis ergibt sich zugleich eine Darstellung in disjunktiver bzw. konjunktiver Normalform: 1.3.2 Boolescher Repräsentationssatz Es sei G eine beliebige n-stellige Wahrheitsfunktion, also G : B(V ) {W, F}, wobei V die Menge der Aussagenvariablen {A 1,...,A n }ist. Dann existiert eine BOOLEsche Formel ϕ in diesen Ausagenvariablen, d. h. mit V (ϕ) = V, deren Auswertung nach den Wahrheitstafeln gerade die Funktion G ergibt: G(g) = g(ϕ) für alle g B(V ). Beweis: Wir definieren zunächst für jedes f B(V ) eine Formel ϕ f, die genau bei der Belegung f wahr wird (was wir unten mit (*) zeigen werden): ϕ f = A f (A 1) 1... A f (A n) n, wobei A W i = A i, A F i = A i. Es sei M := { f B(V ) G( f ) = W}. Dann ist ϕ := f M ϕ f eine BOOLEsche Formel (in disjunktiver NF), die die Behauptung erfüllt, weil sie gerade für alle f M wahr und sonst falsch wird: g(ϕ) = W g(ϕ f ) = W für ein f M (*) f = g für ein f M g M G(g) = W. Zum Beweis von (*) beachte, daß für alle i = 1,...,n: g(ϕ f ) = W = g(a f (A i) i ) = W = [ f (A i ) = W = g(a i ) = W] und = [ f (A i ) = F = g(a i ) = F], also f = g,

1.3. NORMALFORMEN 21 und offenbar gilt auch umgekehrt f (ϕ f ) = W. Was passiert, wenn die Funktion G überall den Wert F annimmt? Dann ist die Menge M leer und die zugehörige Formel ϕ eine Disjunktion über eine leere Indexmenge, und eine solche Disjunktion erklärt man als falsch. Da wir hierfür keine Konstante in der aussagenlogischen Sprache haben, benutzen wir dafür (wie auch im Satz von BOOLE) die Formel A 0 A 0, ähnlich erklärt man die Konjunktion über eine leere Indexmenge für stets wahr (und kann sie mit A 0 A 0 gleichsetzen). Ein alternativer Beweis (welcher zugleich eine konjunktive NF liefert) geht aus von der Menge N := { f B(V ) G( f ) = F}. Folgerungen aus dem obigen Satz (bzw. aus dem Beweis) ergeben sich für die Schaltalgebra, den Übergang von einer DNF zu einer äquivalenten KNF, die Existenz nur endlich-vieler Formeln ϕ mit Variablen A 1,...,A n, die nicht miteinander äquivalent sind (dagegen gibt es stets unendlich viele zueinander äquivalente Formeln). 1.3.3 Das Dualitätsprinzip Im folgenden betrachten wir nur BOOLEsche Formeln! Wir definieren drei syntaktische Operationen für BOOLEsche Formeln: D(ϕ) : vertausche mit in ϕ : duale Formel zu ϕ, N(ϕ) : setze vor jede Aussagenvariable in ϕ ein -Zeichen, N (ϕ) : setze vor jede Aussagenvariable in ϕ ein -Zeichen, falls dort Beispiele keines steht, sonst streiche es! D( ( A B) C) = ( A B) C N( ( A B) C) = ( A B) C N ( ( A B) C) = (A B) C DN ( ( A B) C) = (A B) C

1.3. NORMALFORMEN 22 DN (A) = A DN (A B) = A B äq (A B) DN (A B) = A B äq (A B) Offensichtlich sind N(ϕ) und N (ϕ) miteinander äquivalent, und die letzten drei Formeln kann man verallgemeinern zum Teil a) von Satz a) ϕ äq D(N (ϕ)) Bildung der Negation b) ϕ äq ψ Dϕ äq Dψ Dualitätssatz und b) leicht aus a) folgern, was wir hier nicht ausführen. Natürlich kann man eine Aussage negieren, indem man einfach das Negationszeichen davorschreibt; Teil a) des obigen Satzes gibt eine sinnvollere Darstellung, in welcher das Negationszeichen nach innen verschoben wird (obwohl man in praktischen Fällen es nicht gleich bis vor die atomaren Teilformeln verschieben wird). Der Dualitätssatz erklärt u. a., weshalb die BOOLEschen Gesetze stets in jeweils doppelter Form auftreten.

1.4. DER SEMANTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFF: ERFÜLLBARKEIT 23 1.4 Der semantische Folgerungsbegriff: Erfüllbarkeit Eine Formel ist allgemeingültig, wenn sie uneingeschränkt den Wert W erhält. Diesen Begriff werden wir jetzt relativieren zum Folgerungsbegriff: Aussagenlogische Folgerungen ϕ sei eine Formel, T eine (möglicherweise unendliche) Menge von Formeln, V eine Menge von Aussagenvariablen mit T F(V ), ϕ F(V ), und schließlich sei f : V {W, F} eine Belegung der Variablen in V. f = ϕ : f (ϕ) = W f erfüllt ϕ f = T : für alle ψ T : f = ψ f erfüllt T erfb[ϕ] : es gibt ein f mit f = ϕ ϕ ist erfüllbar erfb[t] : es gibt ein f mit f = T T ist erfüllbar T = ϕ : für alle f : falls f = T, so f = ϕ ϕ folgt aus T T = ϕ besagt also: alle Belegungen f, die T erfüllen, erfüllen auch ϕ, oder vereinfacht: ϕ ist immer dann wahr, wenn alle Formeln in T wahr sind. Falls T endlich ist, schreiben wir auch ϕ 1,...,ϕ n = ϕ für {ϕ 1,...,ϕ n } = ϕ, und aus /0 = ϕ wird natürlich = ϕ, so daß = ϕ ag[ϕ]. Beispiele (a) ϕ = ϕ, (b) ϕ = ϕ ψ, (c) ϕ,ψ = ϕ ψ, (d) ϕ ψ δ,δ ψ = ϕ, aber: A = A B. Im Falle der Ersetzungsregel gilt: ϕ ψ = χ χ(ϕ/ψ); im Falle der Einsetzungsregel gilt jedoch i. a. nicht: ϕ(a) = ϕ[ψ/a]!

1.4. DER SEMANTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFF: ERFÜLLBARKEIT 24 Satz ϕ 1,...,ϕ n = ϕ = ϕ 1... ϕ n ϕ Der Folgerungsbegriff für endliche Formelmengen läßt sich somit zurückführen auf den Begriff der Allgemeingültigkeit, der allgemeine Folgerungsbegriff aber auch auf den Erfüllbarkeitsbegriff: Als Verallgemeinerung von erhalten wir den ag[ϕ] nicht erfb[ ϕ] 1.4.1 Zusammenhang zwischen Folgerung und Erfüllbarkeit Lemma T = ϕ nicht erfb[t { ϕ}] T = ϕ erfb[t { ϕ}] erfb[t] es existiert kein ϕ mit T = ϕ und T = ϕ es existiert ein ϕ mit T = ϕ Bemerkungen 1. Ist T endlich, so ist entscheidbar, ob T = ϕ oder T = ϕ. Es ist aber möglich, daß weder T = ϕ noch T = ϕ gilt (wenn T nämlich zu wenig Information über die Variablen in ϕ enthält, z. B. A = B und A = B für zwei verschiedene Variable A und B)! Denn es gilt zwar T = ϕ = T = ϕ (für erfüllbares T), aber nicht umgekehrt! 2. Ist T endlich, so gibt es eine effektive Aufzählung der Folgerungsmenge {ϕ T = ϕ}. 3. Allgemeiner: Gibt es eine effektive Aufzählung von T, so gibt es auch eine effektive Aufzählung der Folgerungsmenge {ϕ T = ϕ}.

1.5. DER SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFF: BEWEISBARKEIT 25 1.5 Der syntaktische Folgerungsbegriff: Beweisbarkeit 1.5.1 Axiomensysteme und Beweise Ein (formales) Axiomensystem A wird bestimmt durch 1. die Sprache von A, gegeben durch eine (i. a. abzählbare) Menge von Symbolen, dem Alphabet der Sprache von A, z. B. A 0,A 1,...,,,,,,(,) im Falle der Aussagenlogik, 2. eine Menge von Formeln als bestimmte endliche Folgen von Symbolen, z. B. den aussagenlogischen Formeln, 3. eine Menge von Axiomen, wobei jedes Axiom eine Formel ist, z. B. ϕ ϕ, ϕ ϕ, 4. eine Menge von Regeln der Form ϕ ψ oder ϕ, ψ δ, ϕ z. B. ϕ, ϕ, ϕ ψ modus ponens:. ψ Es sei nun A ein Axiomensystem, ϕ eine Formel, T eine Menge von Formeln (der Sprache von A). Ein (A-)Beweis von ϕ aus T ist eine endliche Folge (ϕ 1,...,ϕ n ) von Formeln, so daß (B1) ϕ n = ϕ, (B2) für jedes m n gilt: (1) ϕ m ist Axiom von A oder (2) ϕ m ist Formel aus T oder (3) es gibt ein i < m, so daß ϕ m aus ϕ i hervorgeht durch Anwendung einer Regel von A oder (4) es gibt i, j < m, so daß ϕ m aus ϕ i und ϕ j hervorgeht durch Anwendung einer Regel von A mit 2 Prämissen. Wir schreiben (analog zum semantischen Folgerungsbegriff): T A ϕ : es gibt einen A-Beweis von ϕ aus T A ϕ : /0 ϕ ϕ ist aus T beweisbar, ϕ ist (in A ) beweisbar.

1.5. DER SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFF: BEWEISBARKEIT 26 Statt T A ϕ werden wir auch kurz T ϕ schreiben, wenn das Axiomensystem aus dem Zusammenhang bekannt (oder unwesentlich) ist, statt ϕ ist aus T beweisbar auch ϕ folgt aus T oder ϕ ist aus T ableitbar sagen. 1.5.2 Korrektheit und Vollständigkeit A korrekt : für alle ϕ: A ϕ = ϕ, A korrekt bzgl. Folgerungen : für alle ϕ,t: T A ϕ T = ϕ, A (syntaktisch) widerspruchsfrei : es gibt ein ϕ mit A ϕ, A (semantisch) vollständig : für alle ϕ: = ϕ A ϕ. A vollständig bzgl. Folgerungen : für alle ϕ,t: T = ϕ T A ϕ. In einem korrekten Axiomensystem sind alle beweisbaren Aussagen allgemeingültig, für ein vollständiges Axiomensystem gilt die Umkehrung. Vollständigkeit und Korrektheit zusammen besagen also, daß genau die allgemeingültigen Aussagen beweisbar sind. Ein korrektes Axiomensystem ist widerspruchsfrei: die Aussagenvariable A ist nicht allgemeingültig, kann dann also auch nicht beweisbar sein. In einem widerspruchsvollen (d. h. nicht widerspruchsfreien) Axiomensystem ist alles beweisbar; ein widerspruchsfreies Axiomensystem (mit modus ponens als Regel) enthält keinen Widerspruch in dem Sinne, daß keine Formel und zugleich auch ihre Negation beweisbar ist: Bemerkung Enthält A den modus ponens als Regel und gilt A ϕ ( ϕ ψ) oder A ϕ (ϕ ψ), so: A widerspruchsfrei es gibt keine Formel ϕ mit A ϕ und A ϕ.

1.5. DER SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFF: BEWEISBARKEIT 27 Satz T und S seien Formelmengen, ϕ eine Formel. 1. Ist ϕ T oder ϕ Axiom von A, so gilt T A ϕ. 2. (Endlichkeitssatz für ) Falls T A ϕ, so existiert ein endliches T 0 T mit T 0 A ϕ. 3. (Transitivität von ) Falls T A ϕ und S A ψ für jedes ψ T, so S A ϕ. 4. A enthalte den modus ponens als Regel. Dann gilt: T A ϕ und T A ϕ ψ = T A ψ.. 1.5.3 Einige Axiomensysteme der Aussagenlogik Es gibt zahlreiche Beispielen für Axiomensysteme der Aussagenlogik mit unterschiedlichen Vorzügen und Nachteilen, wir erwähnen nur die folgenden: (a) Hilbert-Bernays Sprache: A,B,C,...,,,,,,(,) Axiome: 1. A (B A) (A (A B)) (A B) (A B) ((B C) (A C)) 2. A B A A B B (A B) ((A C) (A B C)) 3. A A B B A B (A C) ((B C) (A B C)) 4. (A B) (A B) (A B) (B A) (A B) ((B A) (A B)) (bis hier: Positive Logik) 5. (A B) ( B A) (bis hier: Minimalkalkül) A A (bis hier: Intuitionistische Logik) A A (klassische Logik)

1.5. DER SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFF: BEWEISBARKEIT 28 Regeln: Einsetzungsregel: ϕ(a) ϕ[ψ/a] und modus ponens: ϕ, ϕ ψ ψ Interessant ist hier die Gruppierung der Axiome nach den einzelnen aussagenlogischen Operationen, zudem ist die Anordnung der letzten Axiome so gewählt, daß man durch Weglassen verschiedene Teilsysteme der Aussagenlogik erhält, die sich durch ihre jeweiligen Anforderungen an die Negation unterscheiden. (b) Shoenfield Sprache: A,B,C,...,,,(,) Die übrigen aussagenlogischen Operationen werden wie üblich definiert, endliche Folgen von Disjunktionen und Implikationen werden durch Klammerung von rechts definiert: ϕ 1 ϕ 2... ϕ n : ϕ 1 (ϕ 2 (...ϕ n )), ϕ 1 ϕ 2... ϕ n : ϕ 1 (ϕ 2 (...ϕ n )). Axiome: ϕ ϕ (tertium non datur) Regeln: Expansion: ψ ϕ ψ Assoziativität: ϕ (ψ δ) (ϕ ψ) δ Kürzung: ϕ ϕ ϕ Schnitt: ϕ ψ, ϕ δ ψ δ Die Axiome sind hier als Formelschemata aufgeschrieben, so daß keine Einsetzungsregel erforderlich ist. (c) Nicod Dieses Axiomensystem kommt allein mit einer aussagenlogischen Verknüpfung aus, nämlich mit (wobei A B bedeutet: nicht A oder nicht B), außerdem wird auch nur nur ein Axiomenschema und nur eine Regel benötigt: (α (β γ)) {[δ (δ δ)] [(ε β) ((α ε) (α ε))]} α,α (β γ) γ

1.6. VOLLSTÄNDIGKEIT UND KOMPAKTHEIT 29 Das ist wohl das allerkürzeste (wenn auch nicht besonders intuitive) Axiomensystem. Hat ein Axiomensystem wenig Grundsymbole und/oder wenig Axiome und Regeln, so läßt sich seine Korrektheit i. a. sehr schnell zeigen, dagegen werden Beweise in einem solchen System sehr lang und umständlich, und die Vollständigkeit ist dann entsprechend mühsam zu zeigen. Alle diese Axiomensysteme sind korrekt, widerspruchsfrei und vollständig, jedoch nicht bezüglich Folgerungen, wenn sie die Einsetzungsregel enthalten. Um diese Regel zu vermeiden, muß man die Axiome (wie in den letzten beiden Axiomensystemen) als Formelschemata schreiben! Die Korrektheit beweist man in allen Fällen durch Induktion über die Länge eines Beweises, d. h. man zeigt die Axiome sind allgemeingültig und sind die Prämissen einer Regel allgemeingültig, so auch die Konklusion. Gilt außerdem: aus der (den) Prämisse(n) einer Regel folgt die Konklusion, so sind die Axiomensysteme auch korrekt bzgl. Folgerungen; modus ponens und die übrigen betrachteten Regeln - außer der Einsetzungsregel! - erfüllen diese Bedingung. So kann man leicht nachweisen, daß das Axiomensystem von SHOEN- FIELD korrekt bezüglich Folgerungen ist. 1.6 Vollständigkeit und Kompaktheit Die Vollständigkeit eines Axiomensystems ist i. a. schwieriger als seine Korrektheit zu beweisen, und wie es auch kein irgendwie kanonisches Axiomensystem für die Aussagenlogik gibt, so gibt es auch keine Standardmethode zum Nachweis der Vollständigkeit, vielmehr muß man die Beweismethode dem Charakter des jeweiligen Axiomensystems anpassen. Hier wollen wir als Beispiel das Axiomensystem von SHOENFIELD behandeln. Der Beweisbegriff bezieht sich also auf dieses System; die Ergebnisse gelten jedoch (mit möglicherweise anderen Beweisen) auch für andere vollständige Axiomensysteme der Aussagenlogik! Kommutativität ϕ ψ ψ ϕ

1.6. VOLLSTÄNDIGKEIT UND KOMPAKTHEIT 30 Beweis: Aus der Voraussetzung ϕ ψ und dem Axiom ϕ ϕ erhält man mittels der Schnittregel: ψ ϕ. Das bedeutet also, daß man ϕ ψ ψ ϕ als Regel hinzunehmen kann (man sagt auch, daß diese Regel ableitbar sei). Modus Ponens ϕ,ϕ ψ ψ d. h. auch der modus ponens ist eine ableitbare Regel. ϕ,ϕ ψ ψ Beweis: Aus ϕ (Voraussetzung) ψ ϕ (Expansion) erhalten wir mit Komm. und der Vor. ϕ ψ ϕ ψ, ϕ ψ (Schnitt) ψ ψ ψ (Kürzung) Die Kommutativregel, Expansionsregel und die Assoziativregel lassen sich verallgemeinern, wobei wir mit einem Spezialfall beginnen: Lemma Für 1 i < j n gilt: ϕ i ϕ j ϕ 1... ϕ n. Beweis durch Induktion über n, wobei man n > 2 annehmen kann: Setze ϕ := ϕ 3... ϕ n. Dann ist zu zeigen: ϕ i ϕ j ϕ 1 (ϕ 2 ϕ). Fall 1: i 2. Dann gilt ϕ i ϕ j ϕ 2 ϕ nach Induktionsvoraussetzung (da ϕ 1 weggelassen wurde, handelt es sich nur noch um n 1 Formeln). Also gilt nach der Expansionsregel: ϕ i ϕ j ϕ 1 (ϕ 2 ϕ). Fall 2: i = 1, j 3. Dann ist aus der Voraussetzung ϕ i ϕ j beweisbar:

1.6. VOLLSTÄNDIGKEIT UND KOMPAKTHEIT 31 ϕ 1 ϕ nach Ind.vor. für die n 1 Formeln ohne ϕ 2 ϕ ϕ 1 nach Komm. ϕ 2 (ϕ ϕ 1 ) mit der Expansionsregel (ϕ 2 ϕ) ϕ 1 mit der Assoziativregel ϕ 1 (ϕ 2 ϕ) nach Komm. Fall 3: i = 1, j = 2. Dann ist aus der Voraussetzung ϕ i ϕ j, d. h. ϕ 1 ϕ 2 beweisbar: ϕ (ϕ 1 ϕ 2 ) mit der Expansionsregel (ϕ ϕ 1 ) ϕ 2 mit der Assoziativregel ϕ 2 (ϕ ϕ 1 ) nach Komm. (ϕ 2 ϕ) ϕ 1 mit der Assoziativregel ϕ 1 (ϕ 2 ϕ) nach Komm. Mit ähnlichen kombinatorischen Überlegungen zeigt man: 1.6.1 Verallgemeinerte Expansion Für n,m 1,i 1,...i m {1,...,n} gilt: ϕ i1... ϕ im ϕ 1... ϕ n. Beweis durch Induktion über m: Fall 1: m = 1,i 1 = i. Dann gilt ϕ i nach Induktionsvoraussetzung, also: (ϕ i+1... ϕ n ) ϕ i mit der Expansionsregel ϕ i ϕ i+1... ϕ n nach Komm. ϕ 1... ϕ n mit der Expansionsregel (i 1)-mal. Fall 2: m = 2. Dieser Fall ergibt sich aus dem vorigen Lemma zusammen mit Komm. Fall 3: m 3. Setze ϕ := ϕ 1... ϕ n. Aus der Voraussetzung ϕ i1... ϕ im folgt (ϕ i1 ϕ i2 )... ϕ im mit der Assoziativregel (ϕ i1 ϕ i2 ) ϕ nach Ind.vor. für m 1 Formeln (ϕ ϕ i1 ) ϕ i2 mit Komm.- und Assoziativregel (ϕ ϕ i1 ) ϕ nach Ind.vor. für 2 Formeln (m = 2)