Suchtprävention im Kinder- und Jugendschutz

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Transkript:

Suchtprävention im Kinder- und Jugendschutz Rupert Duerdoth Suchtgefahren und riskanter Suchtmittelgebrauch sind klassische Gefährdungen, denen Jugendliche in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind. Suchtprävention ist eine wichtige Säule des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes. Die Geschichte der Ansätze der Suchtprävention wird in diesem Artikel beschrieben. Abschreckung In den 1970er Jahren erreichte die Drogenwelle in Deutschland ihren Höhepunkt. Die Gesellschaft war beunruhigt und sah die Jugend bedroht. Der suchtpräventive Ansatz war das Konzept der Abschreckung. Dieses Konzept beruht darauf, einseitig die negativen Folgen von Drogenmissbrauch möglichst drastisch aufzuzeigen. Die bevorzugten stoffkundlichen Belehrungen (Plakate, Broschüren usw.) arbeiteten mit einseitigen und z.t. übertriebenen Botschaften. Durch die drastische Darstellung und Bücher wie Wir Kinder vom Bahnhof Zoo erhoffte man sich eine abschreckende Wirkung. Die Stigmatisierung und Verteufelung der Konsumenten wurden in Kauf genommen. Durch die Abschreckung wurden vor allem diejenigen Jugendlichen bestätigt, die ohnehin Drogen ablehnen und keine nehmen würden. Diese waren dann auch überzeugt davon, dass Abschreckung wirkt. Bei risikobereiten oder belasteten Jugendlichen kann Abschreckung jedoch zur Neugierde oder zur Reaktanz führen. Unter Reaktanz versteht man eine komplexe Abwehrreaktion, die als Widerstand gegen äußere oder innere Einschränkungen aufgefasst werden kann. Bei Personen mit bestehendem Risikoverhalten kann Abschreckung auch zu defensivem Optimismus führen, d.h. dass man das eigene Risiko im Gegensatz zu anderen unterschätzt ( Mir kann das nicht passieren ), selektiv nach Informationen sucht (z.b. einen hochbetagten Raucher in der Verwandtschaft findet) oder Alibihandlungen ausführt (z.b. Rauchervitamine nimmt). Die Tendenz, das Ausmaß einer gesundheitlichen Bedrohung abzuwerten, steigt, wenn durch das Verhalten ein unmittelbarer Gewinn erlebt wird (z.b. Reduzierung von Anspannung, Unsicherheit usw.) 1. Aufklärung Seit Mitte bis Ende der 1970er Jahre wurde das Konzept der Aufklärung etabliert. Auch die Aufklärung geht davon aus, dass das Wissen um die negativen Konsequenzen verhaltensändernd wirkt. Ziel war die Abstinenz von Drogen. Der Unterschied zur Abschreckung ist, dass es nicht um eine einseitig verzerrte Risikodarstellung geht, sondern tendenziell wertneutral über die (auch positiven) Wirkungen von Rauschmitteln informiert wird. Durch die wertneutale Darstellung gewinnt die Information mehr Glaubwürdigkeit. Ebenso sind objektive Informationen wichtig, damit Jugendliche fundierte Entscheidungen treffen können. Das Problem ist, dass die Vermittlung kognitiven Wissens als Faktor der Verhaltensbeeinflussung überschätzt wurde. Weiterhin wirken Angstappelle nur, wenn dem Adressaten Handlungs- 1 Hartung 2006, S. 77

kompetenzen zur Furchtreduktion zur Verfügung stehen und die Verhaltensänderung auch weitere direkte positive Konsequenzen hat 2. Ursachenorientierung Ab etwa Anfang der 1980er Jahre entwickelte sich das Konzept der Ursachenorientierten Drogenprävention. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf die individuellen und sozialen Ursachen von Suchtproblemen sowie auf die Motive des Drogenkonsums (körperliche Grenzerfahrung, Zugang zu Gleichaltrigen, Bewältigung von Entwicklungsaufgaben usw.). Sucht und nicht der Drogenkonsum wurde als das wesentliche Problem gesehen. Ziel war die Erziehung zum eigenverantwortlichen Gebrauch von Suchtmitteln. So kamen auch legale Substanzen (Alkohol, Tabak, Medikamente oder stoffungebundene Verhaltenssüchte wie Essstörungen und Spielsucht) in den Blick. Es entstand ein funktionales Verständnis von Risikoverhalten und Suchtgefährdung. Es ging darum, funktionale Äquivalente oder Risikoalternativen zum Kick des Drogenkonsums anzubieten (z.b. Erlebnispädagogik) sowie die Prävention auf generalpräventive Persönlichkeits- und Entwicklungsförderung auszurichten, z.b. durch Workshops und Projekte. Als Probleme dieses Ansatzes können das zielgruppen- und suchtunspezifische Vorgehen sowie die mangelnde Problematisierung des Suchtmittelkonsums gesehen werden. Lebenskompetenzen Gegen Ende der 1980er Jahre gab es, eingeleitet durch die Ottawa-Charter der Weltgesundheitsorganisation (WHO), einen Wechsel von einer eher krankheitsorientierten zu einer mehr gesundheitsbezogenen (salutogenetischen) Perspektive. Suchtpräventive Konzepte orientierten sich an Bedingungen, Kompetenzen und Faktoren, die zur Gesundheit befähigen und zur Immunisierung gegenüber Suchtgefährdung beitragen. Suchtprävention ging oft suchtmittelunspezifisch vor und konzentrierte sich auf die Förderung grundlegender Lebenskompetenzen wie z.b. Problemlösungs- und Kommunikationsfähigkeiten, Selbstsicherheit, Durchsetzungsvermögen usw. Die suchtpräventiven Botschaften wurden positiv. Zielgruppen waren nicht mehr nur Jugendliche, sondern auch Kinder und Familien. Die Projektarbeit begann nun schon in den Kindergärten. Die Aktion Jugendschutz Baden- Württemberg (ajs) gab eine Broschüre zur Suchtprävention mit dem Titel Mäxchen, trau Dich! heraus, die Aktion Jugendschutz Bayern (aj) publizierte eine Dokumentation und Materialien zum Spielzeugfreien Kindergarten. Durch eine Expertise zur Primärprävention des Substanzmissbrauchs wurde bestätigt, dass die Förderung projektive Faktoren leichter ist als die Bearbeitung von Risikofaktoren und dass die Förderung von Lebenskompetenzen bei belasteten Jugendlichen, ergänzt durch Alternativen zum Drogenkonsum, die wirksamste präventive Maßnahme ist 3. Die Hinwendung zur Gesundheitsförderung hatte jedoch zur Folge, dass das suchtpräventive Profil unscharf wurde und sich kaum noch von allgemeinen Erziehungsaufgaben und gesundheitspädagogischen Ansätzen unterschied. 2 BZgA 1998, S.123 3 Künzel-Böhmer/Bühringer/Janik-Konecny 1993

Wiederaufnahme der suchtmittelspezifischen Perspektive Durch das Aufkommen von XTC (Mitte der 1990er Jahre) wurde die suchtmittelspezifische Perspektive wieder aufgenommen. Es wurden neue Formen der Drogenaufklärung sowie suchtmittelspezifische Programme entwickelt (z.b. 1996 das Party-Projekt MINDZONE, das mit einem aufsuchenden, niedrigschwelligen Ansatz Beratung und Information direkt auf Partys anbietet, oder 1997 Be Smart Don t Start ein Wettbewerb der Europäischen Union gegen das Rauchen). Neue Themen der Suchtprävention sind zurzeit die Prävention der exzessiven Nutzung digitaler Medien, die Prävention von Glücksspielsucht sowie die Crystal Meth Prävention. Risikokompetenz Da Experimentier- und Risikoverhalten bei Jugendlichen aus entwicklungspsychologischer Sicht normal sind 4 und nicht unbedingt zu problematischen Konsummustern führen müssen 5 und da z.b. der Alkoholkonsum in der deutschen Gesellschaft dazugehört, müssen Jugendliche den Umgang mit der Drogenkultur der Gesellschaft lernen. Anfang 2000 wurde die Förderung von Risikokompetenz und Drogenerziehung in den Zielkatalog der Suchtprävention aufgenommen. Wichtig erscheint dabei aber, das Ziel des Aufschubs von Konsum- und Probierbeginn bei legalen Drogen und eine möglichst lebenslange Abstinenz gegenüber illegalen Drogen nicht aus den Augen zu verlieren. Gerade gefährdete Jugendliche sind nicht immer in der Lage, Substanzkonsum auf einen experimentellen und temporären Konsum zu begrenzen. Safer-Use-Aufklärung sollte sich nur an die Jugendlichen richten, die bereits Suchtmittel konsumieren. Selektive und indizierte Suchtprävention Ungefähr seit 2000 geht es auch darum, die knapper werdenden Mittel effizienter einzusetzen und für besonders gefährdete Gruppen (z.b. Kinder Suchtkranker, missbrauchte oder vernachlässigte Kinder usw.) spezielle Angebote zu entwickeln. Laut der Expertise zur Prävention des Substanzmissbrauchs haben selektive suchtpräventive Maßnahmen dann nachweisbare Effekte auf das Konsumverhalten, wenn sie als schulbasierte soziale Kompetenzprogramme oder als Mentorenprogramme durchgeführt werden 6. Weiterhin wurden Programme für Einzelpersonen entwickelt, bei denen Risikofaktoren (Drogenkonsum, Probleme mit der Polizei usw.) festgestellt wurden. Beispiele für die indizierte Prävention sind FreD Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten, ein spezielles Angebot für Jugendliche, die durch den Konsum von Cannabis auffällig geworden sind, oder HaLT Hart am Limit, ein Präventionsprojekt für Kinder und Jugendliche mit riskantem Alkoholkonsum. Ziel von selektiven und indizierten Ansätzen ist es, drohende Drogenkarrieren zu verhindern. Solche Ansätze sind durchaus nötig, beinhalten aber auch die Gefahr der Stigmatisierung. Weiterhin ist bei selektiven Programmen zu beachten, dass bei homogenen Gruppen wie z.b. Cannabiskonsumenten es nicht dazu kommt, dass sich die Jugendlichen über deviante Gesprächsthemen (das Suchtmittel) unterhalten und sich dabei gegenseitig sozial verstärken 7. 4 Schmitt-Rodermund/Silbereisen 1995, S. 859-873 5 Shedler/Block 1990 6 Bühler/Kröger 2006, S. 83 7 Bühler/Kröger 2006, S. 85

Strukturelle Suchtprävention Durch den Blick auf legale Drogen und eine Vielzahl von Forschungsergebnissen 8, die die Wirksamkeit und Effizienz der Strukturellen Intervention in der Prävention (Verhältnisprävention) bestätigten, wurde seit Anfang 2000 verstärkt auf Gesetzesänderungen gesetzt (z.b. die Heraufsetzung des Alters für Rauchen und Abgabe von Tabakwaren auf 18 Jahre, Steuererhöhungen, z.b. auf Alkopops, Werbeverbote etc.). Die Erfolge bei der Reduzierung der Raucherquote bei Jugendlichen sind durchaus überzeugend. Aus der oben gezeigten Tabelle wird jedoch auch klar, dass nicht Steuererhöhungen allein sondern erst ein Bündel von Maßnahmen Wirkung zeigt. Verhältnisprävention in Deutschland zeigt sich jedoch fast nur in konsumeinschränkenden Gesetzen und Regelungen, nach denen sich die Individuen zu richten haben. Strukturelle Bedingungen, die suchtfördernd wirken, wie Arbeitslosigkeit, Leistungsdruck, Chancenungleichheit, Anomiedruck 9 oder die ungesunde Zeitkultur der Beschleunigungsgesellschaft werden nicht in den Blick genommen. Kritiker wie Alfred Uhl sehen in den Bemühungen, z.b. alle Rauchenden durch stark einschneidende Maßnahmen konsequent zur Tabakabstinenz zu drängen, eine Restauration des Paternalismus 10 und damit die Gefahr einer Abkehr von der emanzipatorisch-demokratisch orientierten Gesundheitsförderung 11. Gemeindeorientierte Suchtprävention Weiterhin werden in jüngster Zeit systemübergreifende und communitybezogene Maßnahmen erprobt. Analog zu dem afrikanischen Wort: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen oder ein Kind stark zu machen gehen die Theorien der Ökologie der Entwicklung (Bronfenbrenner 1981) und Community Capacity (Stevenson/Mitchell 2003) davon aus, dass Substanzkonsum als Verhalten im sozialen Kontext (Werte, sozialpolitische Rege- 8 Barbor et al. 2005 9 Immer schwächer werdende soziale Normen und Regeln, die zu wenig Orientierung führen, sowie die Dissoziation zwischen kulturellen Zielen und dem Zugang bestimmter sozialer Schichten zu dazu notwendigen Mitteln. 10 Vormundschaftliche Beziehung zwischen Herrscher/Herrschern und Beherrschten. 11 Uhl 2013, S. 3-11

lungen, kulturelle Muster, soziale Bedingungen usw.) gesehen werden muss. Starke kommunale Netzwerke und Institutionen fördern die langfristige Gesundheit der Bevölkerung. Kommunale Netzwerke werden als notwendige Bedingung für die Entwicklung, Implementierung und Aufrechterhaltung effektiver Prävention gesehen 12. So geht es bei diesem Ansatz darum, Eltern und ihre Kinder bei der Erziehung zu unterstützen. Familie benötigt ein positives Umfeld, um richtig stark sein zu können. Nachbarschaft, öffentliche Bildungseinrichtungen, gesundheitliche Versorgungsinstitutionen, Jugendhilfe und die Familienhilfe müssen dabei auf kommunaler Ebene zusammenarbeiten. Der Ansatz ist, in einem Stadtviertel bzw. in einer Gemeinde unter Einbezug von Politik und einer Vielzahl relevanter Organisationen und Individuen sich zu vernetzen und zu einem gemeinsamen Ziel zu verpflichten (z.b. Vernetzung der Hilfsangebote, strukturelle Veränderungen, Implementierung suchtpräventiver Ansätze und Projekte usw.). Evidenzbasierung und Qualität in der Suchtprävention In den letzten Jahren werden in immer mehr Feldern der psychosozialen Versorgung Qualitätsnachweise gefordert, etwa um Fördergelder einzuwerben. So stellte sich auch für die Suchtprävention die Frage, welche Wirksamkeitsnachweise für suchtpräventive Maßnahmen erbracht werden können und wie Qualität systematisch zu planen, zu steuern, zu sichern und zu verbessern ist. Die Methode Evidenzbasierung kommt aus der Medizin und wird immer häufiger für Maßnahmen der Suchtprävention verlangt und auch eingesetzt. Bei Interventionen im biomedizinischen Bereich geht es jedoch um ein schon bestehendes Problem, das vergleichsweise leicht messbar ist und beseitigt oder gelindert werden kann. Bei der Suchtprävention geht es jedoch um ein noch nicht bestehendes, zukünftiges Problem, das viele Jahre im Voraus beeinflusst werden soll 13. Das ist mit kurzfristig angelegten Evaluationen nicht zu beurteilen; und es ist auch durch teurere langfristige Evaluationen kaum möglich, die Evidenz einer Maßnahme zufallssicher zu bestätigen 14. Trotzdem ist es wichtig, zur Verbesserung der Qualität suchtpräventiver Maßnahmen empirisch ermittelte wissenschaftliche Erkenntnisse und gut abgesicherte Theorien mit einzubeziehen. Daneben geht es auch um die Berücksichtigung des Praxiswissens der Akteure und des Wissens der Zielgruppen sowie um die Diskussion von Wertefragen. Zusammenfassung Die Suchtprävention hat sich in den letzten 40 Jahren professionalisiert und differenziert. Es steht eine Vielzahl an Ansätzen und Methoden zur Verfügung. Für den erzieherischen Kinderund Jugendschutz mit dem Ziel, Kinder und Jugendliche dazu zu befähigen, sich vor gefährdenden Einflüssen zu schützen, kritik- und entscheidungsfähig zu werden sowie Eigenverantwortung und Verantwortung gegenüber Mitmenschen zu übernehmen, empfehlen sich umfassende Ansätze und Programme. Eltern und pädagogische Fachkräfte sollen für die Hintergründe von Suchtentwicklungen sensibilisiert werden. Konkrete Ziele dabei sind einerseits, Regeln im Umgang mit Suchtmitteln aufzustellen bzw. mit Jugendlichen darüber zu verhandeln und auch Konsequenzen durchzu- 12 Bronfenbrenner/Stevenson/Mitchell in Expertise zur Prävention des Substanzmissbrauchs (BZgA 2006, S. 27) 13 Wohlstein 2015, S. 8-10 14 Uhl 2015, S. 6

setzen. Andererseits ist wichtig dafür zu sorgen, dass es zu positiven Erfahrungen (z.b. Erfolgserlebnisse) und Interaktionen zwischen Eltern und Kindern und zwischen Institutionen (z.b. Schule) kommt. So ist die Gefahr geringer, dass sich Jugendliche ihre Bestätigung bei suchtmittelkonsumierenden Gleichaltrigen holen. Programme sollten über Substanzen sachlich informieren. Sie müssen die Lebenskompetenz von jungen Menschen fördern und sie bei ihren Entwicklungsaufgaben unterstützen. Ferner sollten Jugendlichen die Bedürfnisse bewusst gemacht werden, die hinter dem Suchtmittelkonsum stehen, und mit ihnen alternative Formen der Bedürfnisbefriedigung entwickelt werden. Weiterhin sollte die Risikokompetenz im Umgang mit Suchtmitteln in den Blick genommen werden, um lebensbedrohliche Vergiftungen oder riskantes Verhalten unter Drogeneinfluss zu verhindern. Die Programme und Methoden müssen lebensweltorientiert und interaktiv ausgerichtet sein, um ihre Wirkung entfalten zu können. Anmerkung Der Artikel ist eine überarbeitete und ergänzte Version des Artikels Suchtprävention, der in der Fachzeitschrift Thema Jugend, Heft 2/2013, S. 16-17, der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder und Jugendschutz erschienen ist. Literatur Barbor, T. et al.: Alkohol kein gewöhnliches Konsumgut. Forschung und Alkoholpolitik. Göttingen 2005 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hg.): Prävention durch Angst? Stand der Furchtappellforschung. Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung Band 4, 1998 Bronfenbrenner, U./Stevenson, J.F./Mitchell, R.E., zitiert nach Bühler, A./Kröger, C.: Expertise zur Prävention des Substanzmissbrauchs. Köln 2006 Bühler, A./Kröger, C.: Expertise zur Prävention des Substanzmissbrauchs. Köln 2006 Hartung, J.: Sozialpsychologie. Stuttgart, 2. Aufl. 2006 Künzel-Böhmer, J./Bühringer, G./Janik-Konecny, T.: Expertise zur Primärprävention des Substanzmißbrauchs. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit Band 20, 1993 Uhl, A.: Begriffe, Konzepte und Menschenbilder in der Suchtprävention. SuchtMagazin 2007, 33 (4), S. 3-11 Uhl, A.: Wertewandel, Professionalisierung und Qualität in der Suchtprävention. projugend 2015, Heft 2 Schmitt-Rodermund, E./Silbereisen, R.K.: Akkulturation und Entwicklung. Jugendliche Immigranten. In: Oerter, R./Montada, L. (Hg.): Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim, 3. Aufl. 1995, S. 859-873 Shedler, J./Block, J.: Adolescent drug use and psychological health. A longitudinal inquiry. American Psychologist 1990, 45, S. 612-630 Wohlstein, J.: Evidenzbasierung in der Suchtprävention. projugend 2015, Heft 2 Autor Rupert Duerdoth ist Dipl.-Sozialpädagoge (FH), Gesundheitspädagoge (FH) und Genderpädagoge. Seit 2002 arbeitet er als Referent für Suchtprävention bei der Aktion Jugendschutz Bayern. Unter der Website www.bayern.jugendschutz.de können Sie vielfältige Materialien zu jugendschutzrelevanten Themen bestellen.