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38 UPDATE Moderne Tumorschmerztherapie Stefan Wirz, CURA - katholisches Krankenhaus im Siebengebirge, Bad Honnef Das Auftreten von Schmerzen stellt eine wichtige Einschränkung der Lebensqualität von Palliativpatienten dar. Die Klassifikation in nozizeptive, neuropathische und und somatoforme Anteile ermöglicht die Wahl adäqater Therapieverfahren. Dabei wird auch bei Tumorschmerzpatienten das WHO-Stufenschema angewendet es sollte jedoch in ein multimodales schmerztherapeutisches Gesamtkonzept eingebettet werden. Die International Association for the Study of Pain (IASP) definiert Schmerz als ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen beschrieben wird. Schmerz entsteht durch die strukturelle Beschädigung der betroffenen Organe oder Nerven. Aber auch die onkologische Behandlung mittels Operation, Chemotherapie oder Radiotherapie ist eine mögliche Schmerzursache. Außerdem können sekundäre schmerzhafte Zustände durch tumorassoziierte Komplikationen, wie z.b. eine Thrombose, einen Dekubitus oder einen Herpes zoster auftreten. Deshalb differenziert man ätiologisch bei Tumorschmerzpatienten zwischen tumorbedingten, therapiebedingten und tumorassoziierten Schmerzen. Davon abgrenzen sollte man bereits vorbestehende Schmerzerkrankungen bzw. lang anhaltende Schmerzen bei Patienten, die zusätzlich die Diagnose einer Tumorerkrankung erfahren. [1,2] Die Klassifikation von Schmerzen nach neurophysiologischem Korrelat differenziert klassischerweise nozizeptive, neuropathische und somatoforme Anteile Tab. 1. Der Sinn dieser Differenzierung liegt in der Wahl adäquater Therapieverfahren Tab. 2. Im sogenannten Total-Pain-Konzept werden körperliche, psychische, soziale und spirituelle Dimensionen des Schmerzes zusammengefasst. [3] Nozizeptiver Schmerz Nozizeptive Schmerzen entstehen durch thermische, mechanische oder chemische Noxen über die Aktivierung von Nozizeptoren. Nach topischer Herkunft werden somatonozizeptive Schmerzen, z.b. der Hautoberfläche oder des muskuloskelettalen Systems von viszeronozizeptiven Schmerzen aus dem abdominellen Bereich unterschieden. Nozizeptiv Neuropathisch Somatoform Somatonozizeptiv Viszeronozizeptiv Lokalisation Umschrieben Schwierig lokalisierbar, abdominell Dermatombezogen Ausstrahlend Diffus Panalgesie Charakter Stechend Dumpf Brennend Unbestimmt Reißend Dauer Bewegungs- Dauerschmerz Dauerschmerz Dauerschmerz induziert Dauerschmerz Attacken - - ++ +/- Sensitivierungssymptome + +/- + +/- Neurologische Minusymptomatik - - + - Tab. 1: Schmerzklassifikation und Klinik Bei einer noxenbedingten Aktivierung der Nozizeptoren werden verschiedene Signalwege aktiviert, die letzlich dazu führen dass es über zwei Mechanismen die Axonreflex- Vasodilatation und die neurogene Entzündung zu einer Sensibiliserung der Nozizeptoren kommt. Neuropathischer Schmerz Neuropathische Schmerzen entstehen in direkter Folge einer Schädigung oder Erkrankung somatosensorischer Nervenstrukturen im peripheren oder zentralen Nervensystem. Es liegen dabei Läsionen von Neuronen vor, z.b. im Rahmen einer tumorbedingten Engpasssymptomatik, therapiebedingt als Folge einer Radio- und/oder Chemotherapie oder tumorassoziiert bei einer Herpes zoster Neuralgie. Die Diagnose neuropathischer Schmerzen stützt sich auf die anamnestischen Angaben einer Läsion und die typischen somatosensorischen Symptome und Befunde im betroffenen Areal. Zudem ist der Nachweis einer relevanten Läsion oder Erkrankung des peripheren oder zentralen somatosensorischen Systems erforderlich. Für die Diagnostik gilt: Die Schmerzlokalisation befindet sich in einem neuroanatomisch plausibel nachvollziehbaren Areal. Die Anamnese ist vereinbar mit einer relevanten Läsion oder Erkrankung des peripheren oder zentralen somatosensorischen Systems. Diese lässt sich mittels ONKOLOGIE heute S1/2016

mindestens eines Untersuchungsverfahrens nachweisen. Zumindest ein pathologischer Befund sollte innerhalb des Areals der Schmerzausbreitung vorliegen. [4-12] Gemischt neuropathisch-nozizeptive Schmerzen ( mixed pain ) Einige Schmerzsyndrome sind durch ein Nebeneinander von nozizeptiven und neuropathischen Schmerzkomponenten gekennzeichnet, so dass eine klare Zuordnung schwierig ist. Bei Tumoren ist mixed-pain ein häufig übersehener Schmerz, bei dem einerseits intakte Nozizeptoren durch Substanzen aus dem Tumor erregt werden und andererseits der Tumor selbst durch direkte Infiltration Nervengewebe schädigen kann. [4-12] Somatoformer Schmerz Somatoforme Störungen sind komplexe Erkrankungen mit Störung der zentralen Schmerz- und Stressverarbeitung. Charakteristisch ist ein mehr als sechs Monate andauernder, stark ausgeprägter und quälender Schmerz, der weder somatophysiologisch oder durch eine körperliche Störung hinreichend erklärt werden kann. [13,14] Sensitivierung Schmerzchronifizierung bei Tumorpatienten? Sensitivierung, auch Sensibilisierung, beschreibt eine erhöhte Schmerzwahrnehmung. Sensitivierungsprozesse können sowohl peripher als auch zentral lokalisiert sein. Chronifizierung ist ein Begriff, der ein komplexes Krankheitsbild schmerzkranker Patienten beschreibt. Hierbei kommt es neben einer Chronizität anhaltender Schmerzen zu einem von sowohl somatischen als auch psychologischen Faktoren unterhaltenem Krankheitsbild. Dieses wirkt sich auch auf die soziale Komponente aus und ist auf Grund eines sich selbst unterhaltenden Prozesses schwierig therapierbar. Hierbei ist die Schutz- und Warnfunktion des akuten Schmerzes verloren gegangen. Bekannte Beispiele sind die sogenannte Fibromyalgieerkrankung oder der chronifizierte Wirbelsäulenschmerz, die beide häufig zu einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit führen. Allgemein ordnet man die Chronifizierung Nicht-Tumorpatienten zu. In Lehrbüchern findet sich häufig eine Dreiteilung von Schmerz als Akutschmerz, chronifizierter Schmerz und Tumorschmerz, mit der Implikation einer sich gegenseitig ausschließenden Trennung dieser Entitäten. Dass es bei Tumorschmerzpatienten zur Schmerzchronifizierung kommen kann, findet sich in der Literatur nicht explizit. Dennoch liegt es nahe, dass auch Tumorschmerzpatienten klassische Chronifizierungsmechanismen mit den gleichen Chronifizierungsmerkmalen wie Nicht-Tumorpatienten aufweisen. So liegen ähnliche somatische Prädiktoren vor, wie ein hohes initiales Schmerzniveau, lokale Schmerzen durch topisches Tumorwachstum, Metastasenabsiedlung bzw. dessen Folgen, therapiebedingte Schmerzen, z.b. als neuropathische Schmerzen nach Chemooder Radiotherapie oder repetitiven operativen Eingriffen, paraneoplastische, tumorassoziierte Schmerzen und demographische Variablen. [15,16] Es gibt Hinweise auf höhere Schmerzniveaus bei verschiedenen Tumorarten auf Grund genetischer Variationen. Bei bestimmten Genotypen lässt sich z.b. beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom und Pankreaskarzinom eine verstärkte Expression der Interleukine 6 und 8 und des TNFα nachweisen, was klinisch mit einer erhöhten Schmerzwahrnehmung assoziiert ist. Des Weiteren existieren Hinweise auf eine erhöhte neuronale Aktivität von Tumorzellen durch nerve-sprouting, was möglicherweise zu Sensibilisierungsprozessen führt. [17-20] UPDATE 39 Nozizeptiver Schmerz NSAR, Coxibe, Opioide, Muskelrelaxanzien Minimalinvasive Verfahren, Physiotherapie Neuropathischer Schmerz Antiepileptika, trizyklische Antidepressiva, topische Therapie, Opioide nach Austestung Minimalinvasive Verfahren Somatoformer Schmerz Multimodale Schmerztherapie Psychosomatische Behandlung Tab. 2: Therapeutische Konsequenzen der Schmerzanalyse Auch die Entstehung weiterer Nicht-Tumorschmerzen nach tumorchirurgischen Eingriffen ist beschrieben, so findet eine prospektive Studie mit fast 50% eine hohe Prävalenz myofaszialer Schmerzen nach Mammatumorchirurgie [21]. Die psychologischen Prädiktoren für die Entwicklung chronischer Schmerzen bei einer Tumorerkrankung scheinen die Gleichen wie beim Nicht-Tumorschmerz zu sein. Diese sind verschiedenen Publikationen zufolge: soziale Stellung, finanzielle Probleme, Depression, fatalistische Grundeinstellung als Korrelat für eine passive Haltung i.s. eines fear avoidance belief und weibliches Geschlecht. Hierbei wird deutlich, dass das bio-psycho-soziale Modell chronifizierter Schmerzen ebenso bei Tumorschmerzpatienten zutrifft. [22-26] Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen: 1. eine frühe und konsequente Schmerztherapie ist erforderlich, um der Schmerzchronifizierung bereits präventiv zu begegnen. 2. auch bei Tumorschmerzpatienten ist ein multimodaler Ansatz sinnvoll mit koordiniertem Einsatz der verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten, wie der individualisierten Kombination medikamentöser, minimal-invasiver, physiotherapeutischer, ergotherapeutischer, psychologischer und weiterer Therapieformen. S1/2016 ONKOLOGIE heute

40 UPDATE Probleme der Tumorschmerztherapie Tumorschmerzen haben bei fast allen Patienten eine positive Prognose, da effektive medikamentöse und nicht-medikamentöse schmerzmedizinische Verfahren zur Verfügung stehen. Paradox dazu erscheint die Tatsache, dass viele Patienten unter inadäquat behandelten Schmerzen leiden. [27-29] Gründe dafür sind ein insgesamt niedriger Ausbildungsstand in punkto Schmerzmedizin bei Ärzten, Pflegenden und Angehörigen anderer medizinischer Berufe. Dies äußert sich in einer mangelhaften Schmerzerfassung, unzureichender Verschreibung von Analgetika, Angst vor Nebenwirkungen und Sucht. Weitere Ursachen für eine nicht ausreichende Schmerzbehandlung sind Interaktions- und patientenbezogene Faktoren. Dazu gehören z.b. mangelnde Schmerzangaben, um den Arzt nicht zu enttäuschen oder um nicht von der Tumorbehandlung abzulenken, aber auch Ängste, dass durch eine frühzeitige Schmerztherapie später keine effektive Therapie mehr möglich ist oder eine Toleranzentwicklung bzw. analgetische slosigkeit auftritt [30]. Andere Vorbehalte betreffen Nebenwirkungen, Sucht und die Angst, als Süchtiger angesehen zu werden [31,32]. Auch Verdrängungsmechanismen, wie die Einschätzung von Schmerz als unvermeidbares Übel oder als Ausdruck der Tumorprogression spielen in der Interaktion eine wichtige Rolle [33,34]. Medikamentöse Therapie: Das WHO-Stufenschema Im WHO-Stufenschema wird das eskalierende Vorgehen bei Schmerzen mit dem primären Einsatz von Nicht- Opioiden und Opioiden beschrieben. In der Stufe 1 ( Tab. 3) werden nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR) bzw. Coxibe, Novaminsulfon (Metamizol) und Paracetamol eingesetzt, bevor zunächst in der Stufe 2 sogenannte schwache Opioide angewendet werden. Bei ungenügender Effektivität tauscht man diese in Stufe 3 gegen starke Opioide aus. Substanz Tagesdosis Zeitintervall Limitationen Flupirtin maximal 400 mg 4 6 h Leberfunktion, maximal 14 Tage anzuwenden Metamizol bis 5 g 4 h Schwitzen, Übelkeit, Agranulozytose Paracetamol bis 4 g 4 h Leberfunktion Ibuprofen bis 2400 mg 8 h gastrointestinale, kardiovaskuläre, renale Toxizität, Inaktivierung von Aspirin Diclofenac bis 150 mg 12 h gastrointestinale, kardiovaskuläre und renaletoxizität Celecoxib bis 400 mg 12 h kardiovaskuläre und renale Toxizität Etoricoxib 60 bis 120 mg 24 h kardiovaskuläre und renale Toxizität Tab. 3: WHO-Stufe 1: Nichtopioidanalgetika WHO-Stufe 1 Bei der Bewertung von Stufe-1-Substanzen wird gerade in den vergangenen Jahren deren Toxizität diskutiert. Polemisch wurde die sogenannte 1000er Regel für NSAR aufgestellt, nach der 100 von 1000 Patienten unter Magenschleimhauterosionen leiden, 10 davon mit Blutungsneigung, von denen 1 letal ausgeht. Selektive Cyclooxygenase-II-Inhibitoren (Coxibe) stellten eine Entwicklung zur Minimierung des gastrointestinalen Risikos dar. Der sogenannte Coxib-Skandal machte allerdings das kardiovaskuläre Risiko der Coxibe publik. Später wurde deutlich, dass Coxibe und NSAR gleichermaßen dieses Risiko beinhalten, was in den Rote-Hand-Briefen der vergangenen Jahre allgemein der deutschen Ärzteschaft mitgeteilt wurde. Eine bedenkliche pharmakologische Eigenschaft des NSAR Ibuprofen ist die Inaktivierung von Aspirin, welches zur Standardtherapie der KHK gehört. Auch die renale Toxizität der Coxibe und NSAR stellt ein Problem dieser Substanzgruppen dar. Insofern stellt sich die Frage nach Alternativen. Bezüglich Novaminsulfon existieren Vorbehalte hinsichtlich der Gefahr einer Agranulozytose, wenngleich es sich um eine nach derzeitigem Wissensstand wenig organschädigende Substanz handelt. Bei Paracetamol ist besonders bei multimorbiden Patienten die Hepatotoxizität hervorzuheben bei nur begrenzter Effektivität. Aus diesen Gründen ist der Einsatz von Opioiden häufig die einzige Rationale neben der großen Spannbreite anderer schmerzmedizinischer Therapieoptionen wie z.b. Regionalverfahren oder psychologischen Bewältigungsstrategien. Zusammenfassend ist die Anwendbarkeit des WHO-Stufenschemas gerade bei Patienten mit einer Organinsuffizienz begrenzt und erfordert ein multimodales Gesamtkonzept. [35-46] WHO-Stufe 2 und 3: Opioide In der Therapie schwerer chronischer Schmerzen und in der Anästhesie haben Opioide aufgrund ihrer starken analgetischen einen festen Stellenwert Tab. 4 und 5. Opioidhaltige Schmerzmedikamente wirken ähnlich wie die körpereigene Schmerzdämpfung durch Endorphine an Opioidrezeptoren an der grauen Substanz des Rückenmarks und zentralen zerebralen Strukturen. Der Vorteil der Opioide zur Schmerztherapie liegt in ihrer fehlenden Organtoxizität. Opioide sind jedoch nicht unproblematisch, da sie zu Abhängigkeit und Toleranz führen können und das Risiko für unerwünschte Begleitreaktionen relativ hoch ist. Der Erfolg einer Opioidtherapie wird daher nicht allein ONKOLOGIE heute S1/2016

UPDATE 41 durch die analgetische bestimmt, sondern ganz entscheidend auch durch die Verträglichkeit und Sicherheit der Behandlung. Auswahl des Opioids Die Auswahl bemisst sich nach der S3- Leitinie Palliativmedizin u.a. am Schmerzniveau. So wird formuliert: Patienten mit leichten bis mittleren Tumorschmerzen, oder Patienten, deren Schmerzen nicht adäquat durch orale, regelmäßige Verabreichung von Nicht-Opioid-Analgetika kontrolliert werden können, sollten zusätzlich orale Stufe-II Opioide oder alternativ, niedrig dosierte Stufe-III- Opioide verabreicht werden. Bei Patienten mit mittleren bis starken Tumorschmerzen sollen Stufe-III- Opioide verwendet werden. Als Stufe-III-Opioide der ersten Wahl können Morphin, Oxycodon und Hydromorphon verwendet werden. Bei Patienten mit mittleren bis starken Tumorschmerzen kann Levomethadon als Stufe-III-Opioid der ersten oder späteren Wahl verwendet werden. Levomethadon soll aufgrund seines komplexen pharmakokinetischen Profils mit einer unvorhersehbaren Halbwertszeit nur von erfahrenen Ärzten eingesetzt werden. Opioide und ihre Eigenschaften Substanz Tramadol wirkt neben seinem µ- Agonismus als Noradrenalin- und Serotonin-Wiederaufnahmeinhibitor, was ein erhöhtes Interaktionspotential bewirkt. Es wird wie auch Codein über das Cytochrom P450 2D6-Enzym in seine aktive Wirkform überführt. Da ca. 5-10 % der mitteleuropäischen Bevölkerung eine Defizienz des Isoenzyms aufweisen, sind bei diesen Menschen diese Substanzen unwirksam. Obwohl Morphin als Referenzsubstanz zur Umrechnung der Wirkstärke der verschiedenen Opioide benutzt wird, zeigt es im Gegensatz zu anderen Opioiden bei der Metabolisierung zu Glukuroniden ein erhöhtes Nebenwirkungspotential, besonders bei renaler Insuffizienz. Hydromorphon unterliegt einer solchen Glukuronidierung in geringerem Maße, weist eine geringe Plasmaeiweißbindung auf und ist cytochromunabhängig. Oxycodon besitzt keine aktiven Metaboliten und ist ebenso cytochromunabhängig. Die Kombination mit Naloxon wirkt einer opioidinduzierten Obstipation entgegen. Auch beim Abbau von Methadon entstehen keine aktiven Metabolite, was diese Substanz bei renaler Insuffizienz vorteilhaft erscheinen lässt. Eine lange Halbwertszeit jedoch beeinträchtigt die Steuerbarkeit und damit die Sicherheit. Bei multimorbiden Patienten kann die transdermale Applikation von Fentanyl zur Kumulation führen. Für die transdermale Gabe von Buprenorphin gelten die gleichen Einschränkungen wie für transdermales Fentanyl. Für die Therapie von Schmerzspitzen steht zusätzlich die sublinguale Applikationsform (s.l.) zur Verfügung. Eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz entfällt. Tapentadol könnte als Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer einen schmerzinhitorischen Effekt im ZNS aufweisen und bietet möglicherweise aufgrund seines internen opioideinsparenden Effektes ein günstiges Nebenwirkungsprofil auch für ältere Patienten. Entsprechende Studien stehen aus. Applikationsform Tagesdosis Zeitintervall Die orale Applikation ist zu bevorzugen. Die parenterale oder transdermale Gabe sollte nur bei gravierender Störung der oralen Aufnahme Morphinäquivalenter Umrechnungsfaktor (po) erwogen werden, z.b. bei Dysphagie oder Stomatitis. Sie setzt jedoch ein stabiles Schmerzniveau voraus. Für die Therapie von Schmerzen mit starken Intensitätsschwankungen ist die alleinige transdermale Applikationsform nicht geeignet. Ein günstigeres Nebenwirkungsspektrum für transdermales Fentanyl verglichen mit nicht-transdermalen Opioiden wurde nie bewiesen. Die Kumulationsgefahr ist bei transdermaler Applikation erhöht, insbesondere bei renaler Einschränkung. Dosisermittlung Limitation Tramadol bis 600 mg 8 12 h 0,1 Cytochrom P450 2D6 Defizienz, serotonerge en, zentrale Symptome, Übelkeit, Interaktion mit Antidepressiva Tilidin/ Naloxon bis 600 mg 8 12 h 0,1 Tab. 4: WHO-Stufe 2: Retard-Opioidanalgetika Zur Dosistitration kann ein nichtretardiertes, kurzwirksames Opioid (SAO=Short acting Opioid) benutzt werden. Hierbei wird die benötigte Tagesdosis errechnet und dann auf 1-2 Gaben des Retardpräparates umgelegt. Tnasdermale Opioide müssen gemäß der erwarteten Halbwertzeit titriert werden. Zeitplan mit langwirksamen und kurzwirksamen Opioiden Bei Dauerschmerzen sollten grundsätzlich langwirkende Retardpräparate (LAO=long acting Opioid) eingesetzt werden, die eine 12- oder 24- stündige Kinetik aufweisen. Aber auch Schmerzspitzen, wie sie bei Incident pain auftreten, z.b. durch Aktivitäten wie Gehen, Schlucken, Husten, Bewegung oder Lagerungsmanöver, sollten analgetisch abgedeckt werden. Dazu wird empfohlen zusätzlich 1/10 bis 1/6 der Opioidtagesdosis in Form einer kurzwirksamen Formulierung (SAO) der gleichen Substanz als Rescue -Dosis zu S1/2016 ONKOLOGIE heute

42 UPDATE Entsprechend der Schmerzsymptomatik kann der Einsatz von Substanzen mit muskelrelaxierender sinnvoll sein. Dazu zählen die Gruppe der Benzodiazepine als Gammaaminobuttersäureagonisten (GABA), Tolperison mit auf Ionenkanäle, der alpha-2-agonist Tizanidin und Methocarbamol, wel- Substanz Tagesdosis Zeitintervall Morphinäquivalenter Umrechnungsfaktor (po) Limitation Tapentadol bis 250 mg 12 h 0,4 Morphin Dosis entspr. 12 h 1 aktive Metabolite Oxycodon Dosis entspr. 12 h 1,5 2 bzw. Oxycodon /Naloxon Hydromorphon Dosis entspr. 12 h 5 7,5 Buprenorphin Dosis entspr. 3/4/7 Tage 75 (transdermal) Fentanyl Dosis entspr. 3 Tage (transdermal) 100 Kumulationsgefahr, Serotoninsyndrom Levomethadon Dosis entspr. verwenden. Die Therapie kann auch präemptiv, vor der intendierten Aktion erfolgen. Das Mischen verschiedener Substanzen, wie z.b. Tramadol-Tropfen als SAO zusätzlich zu einer Retardtablette Morphin hat Nachteile. So ist z.b. im Falle von Nebenwirkungen das dafür verantwortliche Opioid schwierig zu ermitteln. Außerdem ist die Gefahr von Interaktionen mit vermehrten zentralen Nebenwirkungen erhöht. Durchbruchsschmerzen breakthrough pain Berechnung durch lange Halbwertszeit erschwert Zur Therapie von starken, unvorhersehbaren Schmerzspitzen wurden in den vergangenen Jahren schnell freisetzende analgetische Opioidzubereitungen eingeführt (RAO= Rapid onset Opioid), z.b. buccaltransmukosal oder nasal anwendbare Opioide. Auch die s.l. und i.v.- Applikation erfüllen die Kriterien eines RAOs. Die ultraschnellwirksamen Fentanylapplikationen verlassen das Prinzip der Substanzkonformität und stehen nicht in Korrelation mit der Tagesdosis des retardierten Opioids. Daher sollte hierbei zunächst die jeweils niedrigste Dosis eingesetzt und je nach Bedarf und eventuellen Nebenwirkungen höher dosiert werden. Nebenwirkungsprophylaxe Opioide können zu gastrointestinalen, zentralen, dermatologischen und sonstigen Nebenwirkungen führen. Insbesondere gastrointestinale Nebenwirkungen sollten bereits prophylaktisch behandelt werden. Opioidrotation Kumulationsgefahr Transdermale Opioide: 60 mg orales Morphin entspricht 35 μg/h TD Buprenorphin (gleich 0,8 mg pro 24 h) 60 mg orales Morphin entspricht 25 μg/h TD Fentanyl (gleich 0,6 mg pro 24 h) GNRH-Inhibition durch alle Opioide außer Buprenorphin, opioidtypische Nebenwirkungen (Obstipation, Übelkeit, Erbrechen, zentrale Symptome) bei allen Substanzen möglich Tab. 5: WHO-Stufe 3: Retard-Opioidanalgetika Patienten, die unter einer Therapie mit starken Opioiden, schwere Nebenwirkungen oder keine ausreichende Analgesie erfahren, kann die Technik der Opioidrotation Linderung verschaffen. Allerdings ist zu beachten, dass auch unter einer Opioidrotation unerwünschte Wirkverstärkungen mit vitaler Gefährdung auftreten können. Es empfiehlt sich daher eine Umrechnung der morphinäquivalenten Tagesdosen auf lediglich 50 66% der Ursprungsdosis anzuwenden, um dann ggf. die Dosis des Zielopioides schrittweise zu erhöhen. [47-56] Therapie mit antineuropathisch wirksamen Substanzen Antidepressiva und Antikonvulsiva werden bei neuropathischen Schmerzen bzw. mixed-pain eingesetzt. Bei den Antidepressiva sind vor allem die trizyklischen Antidepressiva und die selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) erprobt Tab. 6. Der analgetische Effekt erklärt sich über die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung mit Verstärkung der Schmerzinhibition. Zusätzlich reduziert eine Natriumkanalblockade die Aktionspotenziale im nozizeptiven System. Dies ist gerade bei dem Vorhandensein ektoper Erregungen durch Nervenläsionen effektiv. Bei den Antikonvulsiva unterscheidet man natriumkanalwirksame und kalziumkanalmodulatorische Antikonvulsiva. Erstere bewirken ebenso wie trizyklische Antidepressiva am Natriumkanal eine Reduktion von Aktionspotentialen. Es handelt sich um die Wirkstoffe Carbamazepin, Lamotrigin und Phenytoin, wobei Carbamazepin häufiger eingesetzt wird. Die kalziumkanalwirksamen Antikonvulsiva vom Typ Gabapentin oder Pregabalin vermindern den präsynaptischen Kalziumeinstrom, reduzieren die spinale Glutamatfreisetzung und können die Rekrutierung spinaler multimodaler Neurone ( wide dynamic range neurons, WDR-Neurone) vermindern. Bei den Nebenwirkungen von Antidepressiva und Antikonvulsiva handelt es sich zumeist um zentrale Nebenwirkungen. Unter Umständen kann es sinnvoll sein, z.b. die schlafanstoßende Nebenwirkung therapeutisch zu nutzen. [57-60] Weitere medikamentöse Therapieoptionen ONKOLOGIE heute S1/2016

UPDATE 43 m Substanz Tagesdosis Zeitintervall Limitationen Amitriptylin bis 75 mg 12 24 h anticholinerge Nebenwirkungen* zentrale Nebenwirkungen, Müdigkeit Doxepin bis 75 mg 12 24 h anticholinerge Nebenwirkungen, zentrale Nebenwirkungen, Müdigkeit Duloxetin 60 120 mg 24 h Übelkeit, zentrale Nebenwirkungen, anticholinerge Nebenwirkungen Venlafaxin bis 150 mg 24 h Übelkeit, zentrale Nebenwirkungen, anticholinerge Nebenwirkungen Pregabalin 150 600 mg 12 h zentrale Nebenwirkungen, Müdigkeit, Schwindel, Sehstörungen Gabapentin 600 2400 mg 8 h zentrale Nebenwirkungen, Müdigkeit, Schwindel, Sehstörungen * anticholinerge Nebenwirkungen: Mundtrockenheit, Obstipation, Miktionsprobleme, Arrhythmien Tab. 6: Antineuropathische Medikation ches zu einer Verstärkung der hemmenden spinalen Interneurone führt. Flupirtin wirkt über selektive neuronale Kaliumkanäle und weist zentral analgetische en auf. Wegen potentieller hepatotoxischer en wurde die Anwendung auf zwei Wochen begrenzt. Bei Knochenschmerzen kann die Gabe von Bisphosphonaten erwogen werden. Nichtmedikamentöse Verfahren Minimalinvasive Verfahren Die Option invasiver Verfahren sollte vor dem Hintergrund der Nebenwirkungen systemischer Verfahren individuell geprüft werden. Es kommen verschiedene Verfahren in Betracht: rückenmarksnahe Applikation von Opioiden, Ziconitid, Lokalanästhetika, α2-agonisten bzw. weiterer Substanzen, Sympathikusblockaden, periphere Nervenblockaden, periphere Katheterverfahren, implantierbare Systeme, Pumpensysteme, stereotaktische Verfahren, Radiofrequenzläsion, Kryoläsion, Vertebroplastie/Kyphoplastie und neurolytische Verfahren. So ist die Blockade des Ganglion stellatum oder cervicale superius z.b. bei Schmerzen im Kopf- und Gesichtsbereich eine effektive therapeutische Möglichkeit. Neurolytische Verfahren, wie z.b. der Plexus coelicus-block können bei begrenzter Lebenserwartung sinnvoll sein. Mit den zunehmenden Möglichkeiten der systemischen Opioid- und Koanalgetikatherapie sollte die Notwendigkeit solcher Verfahren immer im Einzelfall abgewogen werden, denn auch interventionelle Verfahren können zu Komplikationen führen. Es besteht auf Grund einer unzureichenden Studienlage nur eine geringe wissenschaftliche Evidenz für die Überlegenheit minimalinvasiver Verfahren. [61-65] Physiotherapie, Ergotherapie Über physio- und ergotherapeutische Therapien können z.b. funktionelle Bewegungseinschränkungen, Koordination, Kraft, Trainingszustand und allgemeine Mobilität verbessert werden. Dies führt zu einer höheren Lebensqualität. Psychoonkologie Die Aufgabe der Psychoonkologie ist die Unterstützung von Tumorpatienten bei der Krankheitsverarbeitung. Dazu werden verschiedene Techniken, z.b. Krisenintervention, ressourcenorientierte Intervention, Entspannungstechniken oder imaginative Verfahren eingesetzt. [66-68] Fazit Die Analyse von Tumorschmerzen nach Ursache und neurophysiologischem Korrelat ist essentiell für die richtige Auswahl der Therapieoptionen. Bei der Auswahl der medikamentösen Therapieverfahren ist die Anwendung des WHO-Stufenschemas durch potentiell toxische Effekte der Stufe 1 in der Langzeitanwendung eingeschränkt. Die Auswahl von Opioiden folgt nach festgelegten Regeln, bei der pharmakodynamische, pharmakokinetische und pharmakogenetische Faktoren maßgeblich sind. Auf das Vorhandensein neuropathischer Anteile sollte geachtet werden, um eine entspechende Therapie mit Antidepressiva und/oder Antikonvulsiva einzuleiten. Auch nicht-medikamentöse, also minimalinvasive, physiotherapeutische und psychologische Verfahren, sollten innerhalb eines Gesamtkonzeptes bei Tumorschmerzpatienten eingesetzt warden. Auch bei Tumorpatienten können Sensitivierungsprozesses und biopsycho-soziale Chronifizierungsmechanismen auftreten, da durch die verbesserten kausalen Therapiemöglichkeiten die Überlebenszeiten verlängert wurden und therapiebedingte Schmerzen eine zunehmende Bedeutung erfahren. Die Notwendigkeit multimodaler Therapieprogramme wird hierbei deutlich. Korrespondenzadresse: Priv.-Doz. Dr. med. Stefan Wirz Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, Interdisziplinäre Intensivmedizin, Schmerzmedizin/Palliativmedizin CURA - katholisches Krankenhaus im Siebengebirge Schülgenstr. 15 53604 Bad Honnef email: stefan.wirz@cura.org Literatur: www.onkologie-heute.info Priv.-Doz. Dr. med. Stefan Wirz Bad Honnef S1/2016 ONKOLOGIE heute