12 «Wir arbeiten an smarter Mobilität» Mehr Passagiere und Güter transportiert, bei Sicherheit und Pünktlichkeit zugelegt; gestiegene Kundenzufriedenheit und ein höheres Konzernergebnis: Verwaltungsratspräsident Ulrich Gygi und CEO Andreas Meyer blicken auf 2014 zurück und werfen einen Blick in die Zukunft, in der die Mobilität smart wird und wo gleichzeitig handfeste Aufgaben gelöst sein wollen. Text: Martin Stutz, Andreas Stuber Fotos: Beat Schweizer Herr Gygi, wie beschreiben Sie das Geschäftsjahr 2014 in einem Satz? Ulrich Gygi: Die SBB ist 2014 gut vorangekommen aber noch nicht am Ziel. Und welchen Satz wählen Sie, Herr Meyer? Andreas Meyer: Wir haben grundsätzlich positiv abgeschlossen, und besonders freue ich mich über die verbesserte Kundenzufriedenheit und die gestiegene Motivation der Mitarbeitenden. Welches sind aus Ihrer Sicht die grössten Erfolge? Gygi: Mit der gestiegenen Kundenzufriedenheit sind wir gut unterwegs auf dem Weg zum Ziel 2016, nämlich zu den geschätztesten Dienstleistern in der Schweiz zu gehören. Wir haben das am intensivsten genutzte Schienennetz der Welt und sind gleichzeitig die pünktlichste Bahn Europas. Darauf dürfen wir stolz sein. Mit dem Ja zu FABI haben die Stimmberechtigten eine starke Basis für den Schienenverkehr gelegt. Meyer: Bei der Sicherheit konnten wir deutlich zulegen, die Pünktlichkeit ist in einem anspruchsvollen Jahr mit vielen Baustellen leicht höher. Grosse Projekte sind planmässig vorangekommen. Die erste Etappe der Durchmesserlinie in Zürich etwa bringt den Kunden ein deutlich höheres Angebot und verbesserte Qualität. Der Spatenstich zum zehn Jahre dauernden Grossprojekt Léman 2030 markiert den Beginn eines wahren Quantensprungs im Bahnverkehr der Romandie. Die grossen Rollmaterialbeschaffungen sind wieder aufgegleist. Welche Leistung für Kunden streichen Sie speziell heraus? Meyer: Die Mobilfunkverbindungen in Schweizer Fernverkehrszügen. Hier sind wir top, wie der Netztest des führenden Fachmagazins «Connect» ergeben hat. Davon profitieren unsere Kunden, denn Verbindungen aus und in die Züge sind heute gleich wichtig wie die Zugsverbindungen selbst. Mobilfunkverbindungen sind die Basis für den Bahnverkehr von morgen besonders im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung. Zudem haben wir mit dem Swiss- Pass eine wichtige Weiche gestellt und zahlreiche Bahnhöfe modernisiert, so etwa den schönsten Bahnhof der Schweiz, Genf Cornavin.
13 Rund zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung zählt die SBB zu ihren Kunden.
14 «Der Netzzustand liegt mir am Herzen. Wir sind aber noch lange nicht am Ziel.» Andreas Meyer, CEO Mit ihrem Ja zu FABI haben die Stimmbürger einen wegweisenden Entscheid gefällt. Wie geht es nun weiter? Gygi: FABI bedeutet vor allem eine gesicherte Finanzierung der gesamten Bahninfrastruktur. Und es gilt der Grundsatz: Unterhalt und Substanzerhalt geht vor Neubau. Dort, wo ausgebaut wird, soll dies mit Augenmass und nicht nach dem Giesskannenprinzip erfolgen. Also Ausbau nur dort, wo wir grosse Engpässe beseitigen und attraktive Angebote gestalten können. Wir müssen auch den Kostendeckungsgrad im Auge behalten. Eine Vollkostendeckung ist im Öffentlichen Verkehr zwar kaum möglich. Aber wir sollten darauf achten, dass der Anteil der effektiven Verkehrserträge an der Kostendeckung gesteigert und nicht geringer wird. Das ÖV-System muss für Bund und Kanton bezahlbar bleiben. Meyer: Bei Ausbauten müssen Kundenbedürfnisse, Rentabilität und Wirtschaftlichkeit ein hohes Gewicht erhalten. Zudem hat der Ausbauschritt 2030 einen Horizont bis rund 2100. Wir müssen uns also heute intensiv mit den Kundenbedürfnissen und dem Mobilitätsverhalten in der Zukunft befassen sonst investieren wir am falschen Ort. Das Konzernergebnis ist gestiegen, auch weil die Sparund Effizienzprogramme greifen? Gygi: Die Verbesserung von Effizienz und Rentabilität eines Unternehmens ist eine Daueraufgabe. Zudem müssen wir differenzieren. Die Ergebnissteigerung erklärt sich zur Hauptsache aus den Immobilienverkäufen. In unserem Kerngeschäft Transportleistungen haben wir weit weniger zugelegt. Die finanzielle Lage bleibt angesichts der eher schwachen Ertragskraft und der hohen Unterhaltskosten anspruchsvoll. Meyer: Der Fokus auf Kundenzufriedenheit und Ergebnis / Finanzierung ist wichtig und richtig. Deshalb freue ich mich sehr, dass der Güterverkehr die schwarzen Zahlen trotz kompetitivem Marktumfeld bestätigen konnte. Allerdings wird es gerade für den Güterverkehr schwierig werden wegen des starken Frankens. Bei der 373 Mio. CHF betrug das Konzernergebnis 2014. 135 Mio. mehr als im Vorjahr. 2014 Alle 1081 Wagen des Fernverkehrs wurden mit Signalverstärkern für bestmöglichen Mobilfunkempfang ausgerüstet. Infrastruktur konnten wir das Defizit verringern, trotz fast 100 Millionen Franken, die wir selber für den Unterhalt des Schienennetzes bezahlt haben. Der Netzzustand liegt mir am Herzen. Wir sind hier noch lange nicht am Ziel: Der Nachholbedarf ist 2014 weiter gestiegen, um rund 200 Millionen Franken auf 2,5 Milliarden. Wie schätzen Sie die Frankenstärke ein, Herr Gygi? Gygi: Sie erschwert uns das Geschäft vor allem im internationalen Güterverkehr und im touristischen Verkehr. Die Konzernleitung hat umgehend Massnahmen zum Schutz unserer Ergebnisse eingeleitet. So werden beispielsweise die Investitionsprogramme überprüft. Möglicherweise muss auch der geltende Einstellungsstopp auf Bereiche mit Euro-Umsätzen ausgeweitet werden. Keine gute Nachrichten für die Mitarbeitenden Meyer: Wenn sich die Wirtschaftslage verschlechtert, müssen wir reagieren. Für uns ist aber klar: Wir werden eine attraktive und verlässliche Arbeitgeberin bleiben, mit sichereren Arbeitsplätzen im Vergleich mit andern. Mit den Sozialpartnern sind wir im Dialog für weitere Massnahmen der SBB zur Stabilisierung der Pensionskasse, auch wenn dies vor dem Hintergrund von Frankenstärke und Negativzinsen sehr anspruchsvoll ist. Und für die Kunden? Meyer: Von der Frankenstärke sind auch die Kunden betroffen. Deshalb werden wir uns dafür einsetzen, dieses Jahr auf Preiserhöhungen zu verzichten. Bei allen Sparanstrengungen ist klar: Die Kunden dürfen davon nichts spüren. Das heisst, Qualitätseinbussen bei unseren Basisleistungen wie Sicherheit, Pünktlichkeit und Sauberkeit akzeptieren wir nicht. Bei der Sicherheit haben wir 2014 ein Topergebnis erzielt. Doch der Unfall von Rafz hat uns im Februar 2013
15 2015 vor Augen geführt: Im Sicherheits- und Qualitätsmanagement dürfen wir nie nachlassen. Die Verkehrsnachfrage steigt aber stetig. Wie kann das Bahnsystem dies bewältigen? Gygi: Wo sich die Nachfrage dynamisch entwickelt, werden wir das Bahnnetz weiter ausbauen und allfällige Engpässe beseitigen. Insgesamt aber sind unsere Züge nur zu rund einem Drittel ausgelastet. Wenn wir das Bahnsystem immer nur mit Blick auf die Spitzenzeiten ausbauen, ist das teuer und auf Dauer nicht finanzierbar. Es braucht Anstrengungen, um die Nachfrage regelmässiger über den Tag zu verteilen. Meyer: Wir können die Bahn smarter nutzen. Flexible, ortsunabhängige Arbeitsformen können die Hauptverkehrszeiten entlasten auf bestimmten Zügen um bis zu 30 Prozent. Die Technologie dazu ist längst da. So rüsten wir bis Ende 2015 alle Mitarbeitenden mit einem Smartphone oder Minitablet aus. Zusammen mit anderen grossen Arbeitgebern unterstützen wir die «Work Smart»-Initiative zur Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Davon profitieren Mitarbeitende mit einer besseren Work-Life- Balance und Unternehmen von motivierten Mitarbeitenden. Auch die Besteller sind gefordert, die Auslastung besser zu verteilen, so wie es zum Beispiel der Kanton Bern mit späterem Start der Schulzeiten auf der Oberstufe plant. Frankenstärke: So sind SBB und die Schweiz betroffen Kosten in Franken Erträge in Euro. Wer so auf gestellt ist, bekommt die Franken stärke zu spüren. Dies betrifft die Schweizer Exportwirtschaft und auch die SBB, beispielsweise im grenzüberschreitenden Güterverkehr. Zudem: Ferien in der Schweiz sind für Touristen aus Europa deutlich teurer geworden. Zu erwarten sind deshalb Auswirkungen auf den Personenverkehr. Klar ist weiter: Die Hochpreis- und Hochlohninsel Schweiz steht mit der Frankenstärke unter zusätzlichem Druck. Hinzu kommt, dass die Konjunktur in Europa nach wie vor schwächelt. zeitig verändern sich die Kundenbedürfnisse rasant. Die sogenannte «Wired Generation» will unterwegs arbeiten, sich informieren, in sozialen Netzwerken kommunizieren oder sich unterhalten lassen. Deshalb brauchen wir auch Investitionen in neue Technologien, etwa für den Mobilfunkempfang in Zügen. Zudem nutzen wir die Chancen der Digitalisierung: SBB Online ist mit fünf Millionen Downloads die erfolgreichste App der Schweiz. Wir arbeiten an der smarten Mobilität. Neue Kundenbedürfnisse bringen auch neue Kundenansprüche mit sich kann die SBB diesen gerecht werden? Gygi: Der Kunde will heute im Zug alle Optionen haben: lesen, schlafen, die Landschaft geniessen, aber eben auch ununterbrochen via Netz mit der Welt verbunden sein. Letzteres ist technisch in Zügen anspruchsvoll und kostspielig, aber völlig unumgänglich. Reisezeit ist eben auch Arbeitszeit. Immer wichtiger wird es, den Kunden in seiner ganzen Reisekette von Tür zu Tür zu assistieren und noch bestehende Schranken abzubauen. Ein smarterer Umgang mit der Mobilität was heisst das für die SBB? Meyer: Die Basisleistungen müssen stimmen, heute und auch in Zukunft. Deshalb investieren wir einerseits rund eine Milliarde Franken jährlich in neues Rollmaterial und bauen das Schienennetz wo sinnvoll weiter aus. Gleich- Verwaltungsratspräsident Ulrich Gygi: den Kunden in der ganzen Reisekette zur Seite stehen. Sondernummer zum Geschäftsbericht 2014
16 Top-Unternehmen bei der Kundenzufriedenheit gehören. Dies wird gelingen, wenn sich alle Mitarbeitenden auf die Kundenbedürfnisse ausrichten, und wir gleichzeitig unser Ergebnis und die notwendigen Finanzierungen sicherstellen. Meyer: Ende Jahr wird der Fahrplanwechsel 2015/16 der anspruchsvollste seit Bahn 2000 zahlreiche Verbesserungen und Veränderungen für die Kunden bringen. Für die SBB ist er eine besondere Herausforderung, und wir bereiten uns seit mehreren Jahren darauf vor. Mit der zweiten Etappe Durchmesserlinie und der erneuerten Nord-Süd-Achse stehen eigentliche Jahrhundertvorhaben vor ihrer Vollendung. Beide sind Leuchtturmprojekte für «Das System des Direktverkehrs wollen wir mit dem nötigen Tempo ausbauen.» Ulrich Gygi, VRP die SBB, und auf beide dürfen wir stolz sein. Mit dem neuen Gotthardtunnel wird die SBB 2016 auf der Nord-Süd-Achse Geschichte schreiben. Eine einmalige Chance für die Schweiz und die SBB. 2017 wird das Jahr von West-Ost werden, weil dann nämlich gemäss Lieferplan von Bombardier endlich die ersten Fernverkehrs-Doppelstockzüge rollen werden. CEO Andreas Meyer: die Bahn spielt eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung eines neuen, smarten Mobilitäts systems. Meyer: Die Technik ist smart, die Kunden sind es auch, also muss die Mobilität smart werden. Wir möchten es allen Kunden ermöglichen, die Stärken der verschiedenen Verkehrsträger optimal zu verbinden. Dazu gehören nicht zuletzt ein einfacher Zugang zum ÖV-System und faire Nutzungsbedingungen. Hier besteht noch Handlungsbedarf. Als grösstes der rund 250 Verkehrsunternehmen der Schweiz sind wir in der Branche und mit den Verbünden besonders gefordert. Ganz entscheidend ist zudem die Kundeninformation, die wir schrittweise ausbauen werden. Sie basiert auf Echtzeitdaten, wird persönlicher, punktgenauer, schneller und wird zur persönlichen Mobilitätsberatung. Welche Meilensteine erwarten die SBB 2015 und in den Jahren danach? Gygi: Grundsätzlich gilt es, den Weg der SBB in Richtung mehr Kundenorientierung weiterzuführen. Ich bin überzeugt, es wird gelingen. Die SBB hat rund 33 000 motivierte Mitarbeitende, moderne Arbeitsbedingungen, eine dynamische Führung und legt den Fokus klar auf Kundenzufriedenheit. Bis 2016 will die SBB zu den Welche Herausforderungen sehen Sie, wenn Sie etwas weiter in die Zukunft blicken? Meyer: Sicher ist, es werden uns neue Konkurrenten erwachsen. Die Fernbusse etwa sind schon da und Vorboten für weitere Veränderungen. Selbstfahrende Autos sind mehr als nur Zukunftsmusik: Sie haben das Potenzial, den Mobilitätsmarkt nachhaltig zu verändern. Und sie bieten uns Chancen für die Tür-zu-Tür- Mobilität und die Entwicklung eines öffentlichen Individualverkehrs. Hier gilt es, sich auf die Stärken der Eisenbahn in Kombination mit anderen Verkehrsträgern zu konzentrieren. Und wir brauchen in der Schweiz eine Diskussion über die Mobilität der Zukunft. Bei deren Ausgestaltung werden wir eine wichtige Rolle spielen. Bei allen Anstrengungen zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit und von Ergebnis / Finanzierung müssen wir uns stets vor Augen halten: Es zählt nur, was auf der Schiene und bei den Kunden ankommt. Gygi: Eine grosse Herausforderung besteht darin, mit unseren über 200 Partnern das System des Direktverkehrs mit dem nötigen Tempo auszubauen. Der SwissPass als Eintrittskarte zum schrankenlosen ÖV! Gleichzeitig sind politische Bestrebungen im Gang, sowohl international, national und regional, Wettbewerbselemente im ÖV-System einzubauen. Die Eisenbahnunternehmen werden sich dieser neuen Umgebung anpassen müssen.