Allgemeines Verwaltungsrecht WS 2013/14 Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 1
A. DIE ÖFFENTLICHE VERWALTUNG UND IHRE ORGANISATION I. Der Begriff der öffentlichen Verwaltung Verwaltung im organisatorischen Sinne: Gesamtheit aller staatlichen Verwaltungsträger ( V 2.), ihrer Organe und sonstigen Einrichtungen. Verwaltung im formellen Sinne: Gesamtheit der von der Verwaltung im organisatorischen Sinne ausgeübten Tätigkeiten ohne Rücksicht darauf, ob sie materiell verwaltender Art sind (oder Regierung oder Gesetzgebung). Verwaltung im materiellen Sinne (was ist der Sache nach Verwaltung), Begriffsbestimmung str., Ansätze hierzu: Substraktionsmethode: Alles, was nicht Gesetzgebung (Setzung generellabstrakter Rechtsnormen), Rechtsprechung (unbeteiligte Streitentscheidung auf der Basis des geltenden Rechts durch ein Staatsorgan) und Regierung (Staatsleitung) ist. Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 2
Forsthoff: Soziale Gestaltung im Rahmen der Gesetze. Ehlers: Eigenverantwortliche, ständige Erledigung von Aufgaben des Gemeinwesens in rechtlicher Bindung nach vorgegebener Zwecksetzung. Wolff: Mannigfaltige, konditional oder nur zweckbestimmte, also insofern fremdbestimmte, nur teilplanend selbstbeteiligt entscheidende, ausführende und gestaltende Wahrnehmung der Angelegenheiten von Gemeinwesen und ihrer Mitglieder als solcher durch die dafür bestellten Sachwalter des Gemeinwesens. : Wahrnehmung politischer Handlungsoptionen durch den problemund zielorientierten Einsatz tatsächlicher oder rechtlicher staatlicher Ressourcen. Typische Merkmale des Verwaltungshandelns: Sozialgestaltung, am öffentlichen Interesse orientiert, sowohl Gesetzesvollzug als auch eigeninitiatives Handeln, meist bezogen auf konkrete Lebenssachverhalte. Nicht der Verwaltung, aber der Exekutive zugeordnet werden: Tätigkeit der Rechnungshöfe, Tätigkeit von Wehrbeauftragten, Datenschutz- und Bürgerbeauftragten, Entscheidung der Bundesbank. Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 3
II. Die Aufgabenbereiche der öffentlichen Verwaltung Ordnungsverwaltung: Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere die Wahrung der Rechtsordnung. Leistungsverwaltung: Daseinsvorsorge, durch individuelle Unterstützung und die Bereitstellung von Infrastruktur (Versorgungs-, Bildungs- und Entsorgungsleistungen). Abgabenverwaltung: Beschaffung von Finanzmitteln durch Erhebung und Eintreiben von Abgaben (Steuern, Gebühren, Beiträge). Bedarfsverwaltung: Beschaffung der persönlichen und sachlichen Mittel, die die Verwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt. Vermögensverwaltung: Pflege und Nutzung der staatlichen Vermögensgegenstände. Wirtschaftende Verwaltung: Teilnahme am Wirtschaftsleben mit Gewinnerzielungsabsicht. Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 4
III. Die Unterscheidung nach den Mitteln des Handelns: Eingriffsverwaltung liegt vor, wenn die Verwaltung in die Rechtssphäre des Bürgers eingreift und dessen Freiheit und Eigentum beschränkt. Leistungsverwaltung bezeichnet die Verwaltungstätigkeit, bei der die Verwaltung dem Bürger Leistungen oder sonstige Vergünstigungen gewährt. Unterscheidung ist wichtig, weil bestimmte Bindungen der Verfassung nur für belastende und nicht für begünstigende Maßnahmen gelten (so der Vorbehalt des Gesetzes und das Übermaßverbot) und Eingriffe in Freiheit und Eigentum nur in öffentlich-rechtlichen Formen stattfinden dürfen. Problem: Misch- und Doppelwirkungen: z.b. kann beides miteinander verknüpft sein (Gewährung mit Auflage) oder die Leistung an den Antragsteller einen Eingriff gegenüber einem Dritten darstellen (Subvention führt zur Veränderung der Wettbewerbsbedingungen für Wettbewerber). Die Verweigerung einer Leistung kann einen Eingriff darstellen (Kürzung von Bezügen). Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 5
IV. Die Unterscheidung nach der Intensität der Gesetzesbindung (heuristisch, nicht trennscharf) Sog. gebundene Verwaltung: Das Handeln ist durch Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgenanordnung (mehr oder weniger) gesetzlich determiniert. Ermessensverwaltung: Auf der Rechtsfolgenseite hat die Verwaltung Entscheidungsspielräume. Sog. gesetzesfreie Verwaltung: Neben einer Aufgabenzuweisung fehlen Normen, die die Wahrnehmung der Aufgabe in der Sache regeln. Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 6
V. Organisation und Gliederung der Verwaltung 1. Die Erledigung von Verwaltungsaufgaben obliegt Verwaltungsträgern, d.h. rechtsfähigen oder teilrechtsfähigen Rechtssubjekten, die Zuordnungssubjekt der verwaltungsrechtlichen Rechte und Pflichten sind. 2. Originärer Verwaltungsträger ist der Staat, der sich nach dem GG in Bund und Länder gliedert. Handeln deren Organe, spricht man von unmittelbarer Staatsverwaltung (Ministerien, Mittelbehörden, Unterbehörden, nicht-rechtsfähige Einrichtungen wie Eigenbetriebe). Handeln eigens dafür geschaffene, rechtlich verselbständigte Untergliederungen, spricht man von mittelbarer Staatsverwaltung. Organisationsformen hierfür sind (rechtsfähige) Körperschaft = mitgliedschaftlich organisierter, unabhängig vom Wechsel der Mitglieder bestehender, mit Hoheitsgewalt ausgestatteter Verwaltungsträger. (z.b. Gemeinde, Sozialversicherungsträger, IHK, Anwaltskammer) Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 7
(rechtsfähige) Anstalt= nicht mitgliedschaftlich organisierter Verwaltungsträger zur dauerhaften Verfolgung eines bestimmten Zwecks (z.b. Treuhandanstalt) und öffentlich-rechtliche Stiftung = mit Rechtsfähigkeit versehener Verwaltungsträger, der durch oder aufgrund Gesetzes gegründeter, zu einem bestimmten Zweck mit einem Kapital- oder Sachbestand ausgestatteter Verwaltungsträger (z.b. Stiftung Preuß. Kulturbesitz) ferner gehören hierher Organisationen in Privatrechtsform, die dem Staat zuzurechnen sind (Fall der formellen Privatisierung), und der sog. Beliehene (Privatperson wird mit Hoheitsgewalt ausgestattet). Außerhalb der Staatsverwaltung stehen Rundfunkanstalten und Hochschulen (soweit es um die Wahrnehmung von Aufgaben der Forschung und Lehre geht), bei denen die öffentlich-rechtliche Organisationsform nur den äußeren Rahmen zur Verwirklichung grundrechtlich geschützter Freiheit bildet. Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 8
3. Bund und Ländern steht nach dem GG die Organisationsgewalt zu. Darunter versteht man die Befugnis zur Bildung, Errichtung, Einrichtung, Änderung und Aufhebung von weiteren Verwaltungsträgern und ihren Untergliederungen. Wenn ein Organisationsakt die Rechtsstellung der Bürger berührt, fordert der allgemeine rechtsstaatliche Vorbehalt des Gesetzes hierfür eine gesetzliche Grundlage. Das betrifft die Errichtung von Verwaltungsträgern, also die Ausgliederung von Aufgaben aus der staatlichen Verwaltungsorganisation, und die Errichtung von Behörden (sog. institutioneller Gesetzesvorbehalt). 4. Grundsätze der internen Organisation der Verwaltungsträger a) Man unterscheidet allgemeine Verwaltungsbehörden und Sonderverwaltungsbehörden. Dabei geht es um die sachliche Zuständigkeit. Wenn keine spezielle Zuständigkeit einer Sonderverwaltungsbehörde gegeben ist, ist die allgemeine Verwaltungsbehörde zuständig. Bsp.: Landesverwaltungsamt (Allg. Verwaltungsbehörde), Landeskriminalamt (Sonderverwaltungsbeh.) Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 9
b) Die Landesverwaltung ist in der Regel dreistufig gegliedert, man spricht von Instanzen: Die Landesregierung und mögliche Landesoberbehörden als erste Stufe, die Bezirksregierung oder Regierungspräsidenten (Thüringen: Landesverwaltungsamt) als Mittelstufe und der Landrat oder die kreisfreien Städte als untere staatliche Verwaltungsbehörde. c) In der Bundes- und Landesverwaltung bestehen Aufsichts- und Weisungsbefugnisse der übergeordneten Behörde, soweit nicht ausnahmsweise ein weisungsfreier Ausschuss eingerichtet ist. Die übergeordnete Behörde führt die Aufsicht und zwar als Fachaufsicht über die zweckmäßige und rechtmäßige Aufgabeerfüllung und als Dienstaufsicht über die innere Geschäftsverteilung, Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten. Bestehen Selbstverwaltungsrechte beschränkt sich die Aufsicht auf die Rechtmäßigkeit der Aufgabenerfüllung (Rechtsaufsicht). d) Jeder Verwaltungsträger wird durch Organe tätig. Unter Organen verstehe man alle durch Organisationsnormen gebildeten Subjekte, die mit Hilfe von Organwaltern - bestimmte Angelegenheiten des Verwaltungsträgers wahrnehmen. Organwalter heißen diejenigen Personen, die die den Organen zugewiesenen Zuständigkeiten konkret ausüben. Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 10
e) Ein Verwaltungsträger besitzt normalerweise mehrere Organe (z.b. Gemeinde: Rat und Bürgermeister). Die Beziehungen zwischen diesen und zwischen ihnen und dem Verwaltungsträger, ferner über die Aufgabenzuweisung, die Besetzung und das Verfahren der Willensbildung, werden durch Organisationsrecht oder Innenrecht geregelt (kann in Gesetzen, Satzungen, Geschäftsordnung oder Verwaltungsvorschriften enthalten sein). f) Die dort getroffenen Regelungen begründen für das Organ aber nicht automatisch ein Recht im Sinne einer einklagbaren Anspruchsposition. g) Der wichtigste Unterfall des Organbegriffs ist der der Behörde. Behörde sind die Organe, die zur hoheitlichen Durchführung konkreter Verwaltungsmaßnahmen im Außenverhältnis berufen sind (= Behörde als Außenorgan), 1 IV VwVfG. h) Nach dem funktionellen Behördenbegriff ( 1 IV VwVfG) kommt es nicht darauf an, ob die Behörde einem Verwaltungsträger angehört, auch Organe der Legislative und Judikative können im Einzelfall Verwaltung im materiellen Sinne betreiben (z.b. BT-Präsident erlässt ein Hausverbot). Enger insoweit der organisatorische Behördenbegriff (nur die der Verwaltung im organisatorischen Sinn zuzurechnenden Stellen). Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 11
i) Ihrer inneren Organisation nach ist zwischen kollegialen und monokratisch organisierten Verwaltungsbehörden zu unterscheiden. j) Die kleinste Verwaltungseinheit in einer Behörde ist das Referat oder Dezernat, in der Kommunalverwaltung auch das Amt. Als Amt im organisatorischen Sinne bezeichnet man den konkreten Dienstposten eines Menschen, der mit einer konkreten Aufgabe und einer Zuständigkeit versehen ist, z.b. das Amt des Leiters der Haushaltsabteilung. Daneben gibt es den dienstrechtlichen Amtsbegriff. Dabei handelt es sich um die abstrakte Dienststellung oder den Dienstgrad eines Beamten ohne Rücksicht auf konkrete Aufgaben, z.b. das Amt eines Ministerialdirektors. Schließlich gibt es noch einen dritten rechtstechnischen Amtsbegriff, damit bezeichnet man eine Behörde oder den Teil einer Behörde: das Ordnungsamt, das Finanzamt. Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 12
5. Die Zuständigkeit Die Zuständigkeit betrifft die Frage, welcher Verwaltungsträger und welches Organ zur Wahrnehmung einer Aufgabe berufen sind. Eine Behörde kann naturgemäß nur innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Verwaltungsträgers tätig werden, dem sie angehört. Es gibt verschiedene Arten der Zuständigkeit: Verbandszuständigkeit (Zuständigkeit des Verwaltungsträgers), sachliche Zuständigkeit (Aufgabenzuweisung an eine bestimmte Behörde des Verwaltungsträgers), örtliche Zuständigkeit (räumliche Tätigkeitsbereich der Behörde), instantielle Zuständigkeit (Zuständigkeit der Instanz im Behördenaufbau) und funktionelle Zuständigkeit (Zuständigkeit des Amtes innerhalb der Behörde). Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 13
Eine Zuständigkeit berechtigt dazu, eine bestimmte Sachaufgabe wahrzunehmen. Sie begründet keine Befugnis, dabei alle geeigneten Mittel einzusetzen, z.b. zur Vergabe von Mitteln oder zur Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Interessen. Der Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis ist unzulässig. Deshalb bedürfen Eingriffe in Rechte der Bürger neben der Aufgabenzuweisung auch einer gesetzlichen Grundlage in einer sog. Befugnisnorm. Das Fehlen der funktionellen Zuständigkeit beeinträchtigt die Rechtmäßigkeit des Handelns grundsätzlich nicht. 6. Wichtige Begriffe (Zusammenfassung) Amts- bzw. Organwalter: Natürliche Person, die einen Dienstposten innehat bzw. für ein Organ handelt und dessen Zuständigkeit wahrnimmt. Organ: Durch Organisationsrechtssätze gebildete, organisatorisch verselbständigte Institution, die Aufgaben des Verwaltungsträgers wahrnimmt, dem sie angehört. Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 14
Behörde: Organ mit Befugnis zum Handeln nach außen. Verwaltungsträger: Juristische Personen des öffentlichen Rechts als Zurechnungsendpunkt staatlicher Handlungen; Hauptverwaltungsträger sind Bund und Länder. Verbandskompetenz: Reichweite der Aufgaben und Funktionen eines Verwaltungsträgers. Unmittelbare Staatsverwaltung: diejenigen Verwaltungseinheiten, die als Organe von Bund und Ländern tätig sind; i.d.r. dreigliedriger Verwaltungsaufbau - Oberste Behörden (Ministerien) - Mittelbehörden (Bezirksregierung, LVwA) - Untere Verwaltungsbehörden Mittelbare Staatsverwaltung: Diejenigen Verwaltungseinheiten, die selbst Verwaltungsträger sind = Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, sowie privatrechtliche, dem Staat zuzurechnende Organisationseinheiten. Allgem. Verwaltungsrecht - 1. VL 15