89 Neugier in Krisensituationen Viktor Frankl schreibt in seinem Buch...trotzdem Ja zum Leben sagen ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager über die ersten Reaktionen im KZ Auschwitz: Außer dem Galgenhumor beginnt ein anderes Gefühl uns zu beherrschen: Neugier. Ich persönlich kenne diese Einstellung als Grundhaltung einer Reaktion auf besondere Lebensumstände von einem anderen Bereich her. Wann immer ich in Lebensgefahr war,..., etwa bei glimpflich abgelaufenen Abstürzen im Gebirge, beim Klettern, kannte ich in den betreffenden Sekunden [...] jeweils nur eine Form der Einstellung zum jäh ablaufenden äußeren Geschehen: Neugier Neugier, ob ich mit dem Leben davonkommen werde oder nicht, mit einem Schädelgrundbruch oder andern Knochenbrüchen usw.. Auch in Auschwitz herrschte diese gleichsam die Welt objektivierende und den Menschen distanzierende Stimmung fast kühler Neugier, die Stimmung des Zusehens und Zuwartens, auf die sich die Seele in solchem Augenblick zurückzieht und hinüberzuretten versucht. Neugierig waren wir, was nun alles geschehen würde und was die Folgen seien. Viktor Frankl
90 wissen Auch nach Berlynes Drive Theory 1 ist Neugier aversiv, produziert also ein unangenehmes Gefühl, was durch exploratives Verhalten reduziert wird. Diese Motivation, etwas zu hinterfragen, kann internal, aber vor allem external durch bestimmte Situationen wie Neuheit, Komplexität, Ungewissheit oder Unsicherheit hervorgerufen werden. i Siehe auch Karten: Welche Bedingungen machen das Auftreten von Neugier wahrscheinlicher? (S. 21) So kann es gelingen, die Neugier als Triebfeder in der Krise zu nutzen. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Neugier lenken, können Hilflosigkeit und Angst dem Drang nach neuen Lösungen weichen. 1 Berlyne, D.E. (1960)
91 Produktive Paranoia Bringen Sie Neugier bewusst ins Spiel! Die amerikanischen Autoren Collins und Hansen haben bei ihren über 10 Jahre währenden Untersuchungen besonders erfolgreicher Unternehmen die Produktive Paranoia als ein wesentliches Element des Erfolgs herausgefiltert. 1 Andernorts trifft man auf Begriffe wie Disruption, Discovery based planning oder Kannibalisierung des eigenen Unternehmens. All diesen Methoden liegt ein Infragestellen des eigenen Geschäftsmodells zugrunde. Am erfolgreichsten sind Unternehmen, die diese Methoden anwenden, BEVOR ihr Unternehmen in die Krise gerät. Hilfreich sind die Methoden aber auch, wenn wir bereits mit einer Krisensituation konfrontiert sind. Sie können folgendermaßen vorgehen: Optimismus und Vertrauen Selbstwirksamkeit Unterstützung durch Andere 1 Collins, J, Hansen, M.T. (2012)
92 In 3 Schritten aus der Krise Starten Sie mit dem ersten Kreis und stellen Sie sich folgende Fragen: Selbstwirksamkeit Auf die Lösung welcher Probleme bin ich besonders gespannt? Worauf kann ich neugierig sein, wenn ich aktiv Lösungen suche? Was wird meine größte Lernerfahrung aus dieser Krise sein? Auf welche neuen Lösungsansätze bin ich besonders neugierig? Wenn ich am Ende das Problem gelöst habe, was habe ich dann an Neuem ausprobiert? Gehen Sie nun zum zweiten Kreis. Unterstützung durch Andere Um welche Art von Unterstützung kann ich Freunde, Geschäftspartner, Kollegen bitten? Auf wessen Ideen und Tipps bin ich besonders neugierig? Wer kann mir noch helfen? An wen habe ich noch gar nicht gedacht? Wenn die Lösung meines Problems ein Forschungsprojekt wäre, wie würde ich es angehen? Wie kann ich Best-Practices Anderer recherchieren, die eine ähnliche Krise erfolgreich überwunden haben? Welche Vorgehensweise würde mich besonders reizen? Als letztes gehen Sie zum äußeren Kreis. Optimismus und Vertrauen, dass alles gut wird. Worauf konnte ich mich bisher immer verlassen? Wie würde ich einem neugierigen Menschen mein Vertrauen, dass alles gut wird, beschreiben? Wie würden Sie den folgenden Satz beenden: Ich bin neugierig darauf, wie mein Optimismus und mein Vertrauen in die Welt...
93 Workshop: Kristenintervention oder -prävention Die nachfolgende Workshop-Anleitung können Sie also sowohl als Krisenintervention als auch präventiv einsetzen. 1. 2. 3. 4. Geben Sie eine Einführung in den Workshop (Hintergründe, Ziel). Arbeiten Sie nun in Kleingruppen. Jede Gruppe einigt sich auf ein Worst-Case-Szenario und geht dabei von folgenden Grundannahmen aus: Ich habe keine Ahnung, wie der Markt sich entwickeln wird. Es ist ungewiss, ob die von uns entwickelten Strategien greifen. Die Lernerfahrungen liegen abseits des uns bekannten Wissens. Jede Gruppe erhält folgende Aufgabe: Malen Sie sich Ihr gewähltes Worst-Case-Szenario in den schlimmsten Farben aus: Wie viele Mitarbeiter müssen entlassen werden? Welche kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen hat die Krisensituation auf Ihr Unternehmen? Welche Ihrer schlimmsten Befürchtungen sind nun eingetreten? Lassen Sie die Arbeiten im Plenum präsentieren. und...
94 5. Lassen Sie die Kleingruppen nun wandern (Gruppe 1 bearbeitet das Worst Case-Szenario von Gruppe 2, 2->3, 3->4 usw.) und erarbeiten Sie in den Kleingruppen Antworten auf folgende Fragen: Was ist unsere wichtigste Erkenntnis aus dem Desaster? Worauf sind wir jetzt neugierig? Wie kann unsere Entdeckungsreise aussehen? Wie können wir die Neugier als Ressource nutzen? 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. Gehen Sie als Workshop-Moderator von einer Gruppe zur anderen und tragen Sie im Plenum die wichtigsten Erkenntnisse zusammen. Lassen Sie die Gruppen erneut wandern und entwickeln Sie nun in einem Brainstorming Lösungen für das Ihnen vorliegende Worst-Case-Szenario auf Metaplankarten. Tragen Sie die Ergebnisse in der Gruppe zusammen (z.b. auf dem Fußboden in der Stuhlkreismitte). Clustern und sortieren Sie die Metaplankarten. Welche der entwickelten Ideen ist am besten geeignet, Ihr Unternehmen voranzubringen? Priorisieren Sie die Ideen, indem Sie die Teilnehmer eine Auswahl treffen lassen (Jeder Teilnehmer hat 3 Punkte zu vergeben, die er nach eigenem Wunsch verteilen kann). Planen Sie die Umsetzung der wichtigsten Ideen legen Sie hierfür einen Zeitstrahl sowie persönliche Verantwortlichkeiten für die Umsetzung fest. Wer übernimmt die Kontrolle?
95 Beispiel Bill Gates Nightmare Memo Ich ziehe regelmäßig in Betracht, dass etwas schief gehen könnte, so Bill Gates. Bekannt ist Gates Nightmare Memo aus dem Juni 1991, das eine Liste von Befürchtungen und Albtraumszenarien in Bezug auf Konkurrenten, Technologien, geistiges Eigentum, Rechtsfälle und einen schlechten Kundenservice von Microsoft enthielt und das zu einer Zeit, da Microsoft dabei war, sich zu einem der mächtigsten Unternehmen der Branche zu entwickeln. 1 Entwicklung von Lösungen, bevor Katastrophen eintreten, ist ein wesentliches Kriterium besonders erfolgreicher Unternehmen. 1 Collins, J., Hansen, M.T. (2012), S. 50 f.