Das Unbewusste in Institutionen oder die psychoanalytische Theorie ist eine Psychologie des Konflikts Univ.-Prof. i.r. Dr. Rainer Richter, Geschf. Direktor des Instituts für Psychotherapie der Universität Hamburg 1
Anwendung psychoanalytisch/psychodynamischer Kompetenzen auf und in Institutionen - zentrale Konstrukte der psychodynamischen Theorie: dysfunktionale Beziehungen, psychodynamische Konflikte, strukturelle Defizite - zentrale Konzepte der psychodynamischen Technik: Übertragung/Gegenübertragung, Abwehr und Widerstand, Abstinenz und Neutralität, Mentalisierung 2
Was ist ein Konflikt? Aufeinandertreffen entgegengesetzter, unvereinbarer Verhaltenstendenzen (Motivationen, Bedürfnisse, Wünsche, Triebe, Strebungen) 3
Äußere und innere bewusste und unbewusste Konflikte Äußerer Konflikt: z.b. Konflikt zwischen Freiheitsbedürfnis und der äußeren Gewalt, die Freiheit entzieht. Innerer Konflikt: Nicht erscheiden können zwischen Ruhe und Passivität oder einem ehrgeizigen Ziel. Innerer unbewusster Konflikt: Wunsch nach erotischer Annäherung steht Widerstand z.b. aufgrund Angst vor Ablehnung oder Inzesttabu gegenüber. 4
Die Konflikte manifestieren sich in den wesentlichen Lebensbereichen eines Menschen: > Familie und Partnerschaft > Herkunftsfamilie > Beruf und Arbeit > Besitzverhältnisse > gesellschaftliches Umfeld (Institutionen, Gruppen) > Bedeutung der Erkrankung 5
äußere vs innere Konflikte Äußere, bewußte Konflikte bedeuten eine emotionale Belastung und können das Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen. Sie sind aber nicht zwangsläufig krankmachend in dem Sinne, daß sie psychische oder psychosomatische Symptome auslösen müßten. Der eigentlich krankmachende (psychodynamische) Konflikt ist ein innerseelischer Konflikt und ist unbewusst 6
Das psychodynamische Konfliktmodell I Entwicklungskonflikt Reaktualisierung Kompromiss Symptom 7
Kriterien des psychodynamischen Konflikts unbewußt Erlebens- und verhaltensbestimmend dysfunktional durch Leitaffekt identifizierbar in Übertragung und Gegenübertragung validierbar 8
Welche psychodynamischen Konflikte lassen sich beschreiben und von einander unterscheiden? 9
Zeitlich überdauernde Konflikte OPD-2 Individuation versus Abhängigkeit Unterwerfung versus Kontrolle Versorgung versus Autarkie Selbstwertkonflikt Schuldkonflikt (Selbst- vs. Fremdbeschuldigung) Ödipaler Konflikt Identitätskonflikt + abgewehrte Konflikt- und Gefühlswahrnehmung + konflikthafte Belastung
Thema: Verlust Leitaffekt:, Verlustangst und Depression, Trauer Konfliktverarbeitung Gegenübertragung Versorgung vs. Autarkie
Thema des Konflikts: Verlust Beziehungsgestaltung durch Versorgungswünsche etwas bekommen oder verlieren vs. keiner Versorgung oder Geborgenheit zu bedürfen: Es geht um Abhängigkeit in der Beziehung (nicht von der Beziehung) einer Zuwendung sicher zu sein oder sie zu geben vs völlig selbstgenügsam zu sein Ausbeutung anderer und anklammerndes Verhalten ( depending and demanding ) vs emotionale Anspruchslosigkeit als Abwehr
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passiver Verarbeitungsmodus - Beruf und soziales Umfeld - an andere gefühlsmäßig stark gebunden, Wünsche nach Geborgenheit und Versorgung Arbeitssituationen, die Unterstützung und Geborgenheit vermitteln andere Menschen erleben sie als anklammernd oder fordernd und anstrengend wenige, aber extrem enge soziale Kontakte neue Anforderungen und sozialer Aufstieg können als Verlust der Unterstützung erlebt werden Phantasien über Verlust der Arbeit lösen Ängste, Minderwertigkeitsgefühle sowie Kontrollimpulse aus Gegenübertragung: Gefühle von Sorge, Anklammerung und Erpressung, auch Ungeduld und Ärger aktiver Verarbeitungsmodus - Beruf und soziales Umfeld - Altruismus; Kompensation der Versorgungswünsche durch Bescheidenheit, Anspruchslosigkeit Unersetzbare, aufopfernd fleißige Mitarbeiter, die aber permanentes Wohlwollens erwarten, Gesundheitsgefährdung als Folge der Selbstausbeutung andere fühlen sich jedoch nicht verpflichtet, sondern neigen zur Ausbeutung bei Verlust der Arbeit/der Anerkennung droht Depression Die nach außen gezeigte Selbstlosigkeit erscheint oft unbewußt berechnend. Kontakte dienen der Versorgung anderer, schaffen jedoch keine echten Freundschaften Gegenübertragung: nicht zur Last fallen, untergründige Sehnsucht nach Versorgung, Mitleid, Traurigkeit
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Themen: Attraktivität, erotischzärtliche Beziehungsgestaltung, Rivalität Leitaffekte: Erotisierung/ Sexualisierung, Scham, Aggression Konfliktverarbeitung Gegenübertragung: Abwehr vs. Übertreibung von Erotisierung/ Sexualität und Rivalität Ödipaler Konflikt
Themen des Konflikts: Erotik/Sexualität, Rivalität Beziehungsgestaltung durch erotisch-zärtliche Attraktivität, Rivalität, Übernahme geschlechtsspezifischer Rollen sich anderen Menschen gegenüber als besonders attraktiv und begehrenswert zeigen, um ihre Aufmerksamkeit und Anerkennung vor anderen zu gewinnen den Kontakt erotisch-zärtlich gestalten und sich des eigenen Mann- bzw. Frauseins versichern etwas gelten wollen vs. sich im Hintergrund halten, rivalisieren vs. nachgeben, körperliche Lust genießen vs. darauf verzichten
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passiver Verarbeitungsmodus - Beruf und soziales Umfeld - als graue Maus, harmlos, unattraktiv und geschlechtslos im Hintergrund halten stabile, unauffällige Beziehungen werden - unter Zurückstellung des rivalisierend anerkennen sexuellen Momentes - bevorzugt Vermeiden von sozialen Beziehungen, die Geschlechtsrollen und Konkurrenz betonen ( den Schwanz einziehen ) Einnahme eher nach- bzw. untergeordneter Positionen Leistungsfähigkeit, interpersonelle Kompetenzen werden heruntergespielt kaum einer kann sich ihrer nachhaltig erinnern, obwohl sie nicht unbeliebt oder inkompetent sind Gegenübertragung: Abwesenheit von Erotik/Sexualität in Affekten und Wahrnehmung, gelangweilt aktiver Verarbeitungsmodus - Beruf und soziales Umfeld - phallisch-hysterisch im Mittelpunkt stehen Neigung zum Rivalisieren und Sexualisieren, bis hin zum Zerstören partnerschaftlicher Bindungen anderer häufiges Fehlen beständiger Leistung zeitweilig reale Erfolge, eher aber Positionen unter den individuellen Fähigkeiten und häufig wechselnde Berufskonstellationen berufliche Kontakte dienen durch vielfältige und meist rasch wechselnde Aktivitäten dazu, sich in den Mittelpunkt zu stellen ( Platzhirsch, Königin ) Beziehungen werden oft persönlicher beurteilt, als sie es tatsächlich sind Gegenübertragung: Erotisierung/Sexualisierung; Interesse wechselt - bei Zurückweisung ärgerliche Enttäuschung
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Thema: Befriedigung und Anerkennung des Selbstwertgefühls Leitaffekt: Scham oder Verärgerung/narz. Wut Konfliktverarbeitung Gegenübertragung: bestätigen (oder abwerten) müssen vs sich abgewertet fühlen Selbstwertkonflikte (narzißtische Konflikte) Selbstwert vs. Objektwert
Thema des Konflikts: Befriedigung und Anerkennung des Selbstwertgefühls Beziehungsgestaltung durch Selbstwertregulation Kompensatorische Vorstellungen von eigener Größe und Macht dominieren Handlungen und Beziehungen vs. Thematik der eigenen Minderwertigkeit herrscht vor Symptome als Wiederherstellungsversuch für das angeschlagene Selbstbild
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passiver Verarbeitungsmodus - Beruf und soziales Umfeld - Selbstbild eines Menschen, der sich im Vergleich zu anderen weniger wertvoll ist Arbeit und Anstrengung als Kompensation von Kränkungen erhöhte Verletzbarkeit bei Einsatz, wenn dieser nicht gesehen oder anerkannt wird Leistungsverweigerung ( Ich schaffe es nicht ) mit dem Hinweis auf eigenes Unvermögen Übertragung: idealisierende Bewunderung Gegenübertragung: Gefühle des Bestätigenmüssens (wobei untergründig durchaus Abwertung spürbar sein kann) oder Herabsetzungsimpulse aktiver Verarbeitungsmodus - Beruf und soziales Umfeld - forcierte Selbstsicherheit gegenü+ber anderen eigene Position und Leistungsfähigkeit werden überbewertet Probleme in der eigenen Leistung werden verleugnet ud bedingen Konflikte mit Arbeitskollegen entstehen Abgrenzung gegenüber (vermeintlichen) Versagern Kontakte mit idealisierten Personen (Vorgesetzten, Berühmtheiten oder bekannten Persönlichkeiten werden zur Selbstbestätigung gesucht oder herausgestellt Gegenübertragung: Arbeitskollegen fühlen sich in Frage gestellt, bis hin zur entwertenden Kränkung; in der Folge Rechtfertigungsimpulse, Ärger und Abwertungsimpulse
Fazit der Anwendung psychoanalytisch/ psychodynamischer Kompetenzen auf und in Institutionen - Psychodynamisches Coaching - zentrale Konstrukte der psychodynamischen Theorie: dysfunktionale Beziehungen, psychodynamische Konflikte, strukturelle Defizite - zentrale Konzepte der psychodynamischen Technik: Übertragung/Gegenübertragung, Abwehr und Widerstand, Abstinenz und Neutralität, Mentalisierung 25
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Herr S., 27 J. 27
Großvater I Herr S., 27 J. 28
Großvater II Herr S., 27 J. Der Pat. kann sich nicht um den Großvater kümmern, weil er selber intensive (und unbefriedigte) Versorgungswünsche auch an ihn hat. 29
Trennung von Freundin Herr S., 27 J. Die Beziehung zur Freundin geht auseinander, weil der Pat sich nicht genügend um sie kümmern (sie versorgen) konnte, was sie wiederum brauchte 30
depressiver Rückzug Herr S., 27 J. 31
Eckpunkte einer Therapie bewusstseinsnaher Konflikte Stärkung der Bewältigungsressourcen und Ich-Funktionen. Konfliktformulierung bei bewusstseinsnahen Konflikten; Formulierung von Konflikt und Affekt; Formulierung von Wunsch und der dahinterliegenden Angst vor Realisierung. Formulierung von Wunsch und der verinnerlichten negativen Erfahrungen. (Wunsch nach Versorgung und Angst vor Zurückweisung) Unterstützung bei Zurückweisung Ich-schädlicher Wünsche; Aushalten der durch Konflikte erzeugten Affekte. Konfliktformulierung bei bewusstseinsfernen Konflikten; Konfliktformulierung führt zu einem Anstieg der Abwehr. Die Abwehr richtet sich gegen das Bewusstwerden. 32