Quantitative Methoden in den historischen Sozialwissenschaften

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Transkript:

Quantitative Methoden in anlässlich der Tagung "Wie kommt Wissenschaft zu Wissen?" 30.11. 1.12.2001

Definitionen für Historische Sozialforschung die theoriegeleitete Erforschung sozialer Sachverhalte in historischer Tiefe mit gültigen Methoden (H. Best, 1981) die theoretisch und methodisch reflektierte, empirische, besonders auch quantitativ gestützte Erforschung sozialer Strukturen und Prozesse in der Geschichte (W. Schröder, 1985)

Was ist Wissenschaft? Wissenschaft ist die Verwendung systematischer Forschungsmethoden, theoretischen Denkens und logischer Bewertung von Argumenten, um einen Wissensbestand über eine bestimmten Gegenstandsbereich zu entwickeln. (A. Giddens, 1995)

Wissenschaftliches Arbeiten Kombination kühner gedanklicher Neuerungen mit sorgfältiger Überprüfung des Beweismaterials, das Hypothesen und Theorien stützen oder widerlegen kann. Die durch wissenschaftliche Untersuchungen und Auseinandersetzungen angehäuften Informationen und Einsichten sind stets vorläufig Lichte neuer Beweise oder Argumente können sie stets abgeändert oder verworfen werden. (A. Giddens, 1995)

Gang der Forschung

Theorien / Hypothesen Theorie = hierarchisches System von Hypothesen Hypothesenpyramide Hypothesen = allgemeine oder spezielle Behauptungen ( immer wenn, dann oder für alle gilt, dass ), die nicht unbedingt bewiesen sein müssen Theorie will benennen, was insgesamt das Getriebe zusammenhält. (Th. W. Adorno, 1969)

Theorien in der Geschichte als Wissenschaft (Historie) Verzicht auf Verwendung sozialwissenschaftlicher Theorien sozialwissenschaftlichem Theorieangebot gegenüber als kritischer Konsument auftreten genuin historische Theorien entwickeln an Theoriebildung der (historischen) beteiligen

Methoden Verfahren, nach denen aus gegebenem Material wissenschaftliche Erkenntnis gewonnen werden kann. (V. Sellin, 2001) Methode ist Umweg. (W. Benjamin, 1978)

Messen Messen ist die Zuordnung von Zahlen zu Merkmalsträgern Messen ist menschliche Tätigkeit, daher auch mit möglichen Fehlern behaftet: wird nicht das gemessen, was man eigentlich messen will (Indikatorproblem) unterschiedliche Messergebnisse zum gleichen Merkmal aus verschiedenen Messungen wiederholte Messungen des gleichen Merkmales bringen verschiedene Ergebnisse

Messskalen nominal (qualitative Merkmale) ordinal (Rangskala) intervall (metrische Merkmale) ratio (metrische Merkmale, Wert Null hat empirischen Sinn, absoluter Nullpunkt)

Messung: Gültigkeit: dass gemessen wird, was gemessen werden soll (Validität) Zuverlässigkeit: Messung muss stabil sein (Reliabilität) bei wiederholter Messung gleiche Ergebnisse (intertemporal) gleiche Ergebnisse durch verschiedene Forscher (intersubjektiv) gleiche Ergebnisse trotz veränderter Messinstrumente (interinstrumental)

Verteilung Verteilung ist jener Raum, der durch die Streuung von Werten in einer Menge von Fällen oder um gewisse Kriteriumswerte wie zum Bespiel dem arithmetischen Mittel gebildet wird.

Häufigkeitsverteilung Für diskrete Werte einer Verteilung.

Dichteverteilung Für stetige Merkmale auf metrischem Skalenniveau.

Statistische Kennwerte Lagemaße: geben zentrale Tendenz einer Verteilung wieder. Streuungsmaße: geben die Homogenität einer Verteilung wieder.

Lagemaße Modus = Modalwert = H oder D = häufigste Wert einer Verteilung (nominal) Median = zentraler Wert = Z = jener Wert, vor dem und nach dem gleich viele Werte in der Verteilung vorkommen (ordinal) Arithmetisches Mittel = Summe aller Werte, dividiert durch die Anzahl der Fälle (metrische Skalen)

Streuungsmaße Variationsweite = R = Range = Differenz zwischen dem größten und dem kleinsten Wert einer Verteilung Varianz = Summe der quadrierten Abweichungen vom Mittelwert Standardabweichung = s = standard deviation = Wurzel aus Varianz

Statistisches Modell Ein statistisches Modell ist eine Abbildung der Wirklichkeit in Zahlen, oder auf diesen basierenden Darstellungen (Tabellen, Graphiken, Mittelwerte, Maßzahlen, Zusammenhänge) Der Statistiker wählt aus dem Reservoir empirisch verfügbarer Modelle jenes aus, das seiner Meinung nach die untersuchte Wirklichkeit bzw. den angenommenen Zusammenhang am repräsentativsten, d.h. mit geringstem Informationsverlust, abbildet. Er testet sodann dieses inhaltliche Modell mit einem entsprechenden statistischen Modell, d.h. mit einer rechnerischen Operation und entscheidet dann mit Hilfe bestimmter Regeln, ob er das Modell annimmt oder verwirft.

Nutzen der HSF/HSW überprüfen der Gültigkeit und Reichweite empirischer Generalisierungen und theoretischer Aussagen über strukturelle Zusammenhänge verschiedener Variablen liefern Fülle deskriptiver Informationen, deren Analyse zur schrittweisen Ausarbeitung von Theorien anregt liefern Hintergrundwissen, das SozialwissenschaftlerInnen darüber informiert, wie vielfältig Formen sozialen Lebens sind, wie gegenläufig oder ungleichzeitig gesellschaftliche Entwicklungsprozesse ablaufen, wie Überliefertes und Neues sich mischen oder nebeneinander bestehen können wichtig als Material für sozialwissenschaftliche Komparativistik systematische Verknüpfungen quantitativer und qualitativer Verfahren praktiziert historische Verankerung sozialwissenschaftlicher Trendaussagen in langen Zeitreihen erhöht Qualität sozialwissenschaftlicher Prognosen bzw. erlaubt bessere Abschätzung von Prognoserisiken

weiterführende Literatur und Links Benjamin, Walter, Ursprung des deutschen Trauerspiels. Erkenntniskritische Vorrede, Frankfurt am Main 1978. Adorno,Theodor W., Soziologie und empirische Forschung, in: Adorno, Theodor W. et.al., Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Neuwied-Berlin 1969. Best, Heinrich/Schröder, Wilhelm Heinz, Basiscurriculum für eine quantitative historische Sozialforschung. Vorschläge für eine Einführungsveranstaltung am Beispiel des ZENTRUM-Herbstseminars, in: Historical Social Research/Historische Sozialforschung 17 (1981), S. 3-50. Best, Heinrich/Schröder, Wilhelm Heinz, Quantitative historische Sozialforschung, in: Meier, Christian/Rüsen, Jörn (Hg.), Historische Methode (Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik 5), München 1988, S. 235-266. Denz, Hermann, Einführung in die empirische Sozialforschung. Ein Lern- und Arbeitsbuch mit Disketten, Wien-New York 1989. Floud Roderick, Einführung in quantitative Methoden für Historiker, Stuttgart 1980. Giddens, Antony, Soziologie, Graz-Wien 1995. Jarausch, Konrad H. (Hrsg.), Quantifizierung in der Geschichtswissenschaft. Probleme und Möglichkeiten, Düsseldorf 1978. Katzmair, Harald, Ordnung des Zählens. Zur quantitativen Konstruktion des Sozialen (1550-1870), in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 11 (2000), Heft 4, S. 34-76. Kennedy, Gavin, Einladung zur Statistik (Campus Studien 562), Frankfurt am Main/New York 1985. Krüger, Kersten, Historische Statistik, in: Goertz, Hans-Jürgen (Hg.), Geschichte. Ein Grundkurs (rowohlts enzyklopädie 55576), Reinbek bei Hamburg 1998, S. 59-82. Ruloff, Dieter, Historische Sozialforschung. Einführung und Überblick (Teubner Studienskripten 124), Stuttgart 1985. Schröder, Wilhelm Heinz, Historische Sozialforschung: Identifikation, Organisation, Institution (Historical Social Research/Historische Sozialforschung, Supplement/Beiheft 6), Köln 1994. Sellin, Volker, Einführung in die Geschichtswissenschaft, 2. Aufl., Göttingen 2001. Teibenbacher, Peter, Grundlagen der Statistik (virtuelles Skriptum) Historische Fachinformatik Graz 1998. Thaller, Manfred, Entzauberungen. Die Entwicklung einer fachspezifischen historischen Datenverarbeitung in der Bundesrepublik, in: Prinz, Wolfgang/Weingart, Peter (Hg.), Die sogenannten Geisteswissenschaften: Innenansichten (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 854), Frankfurt am Main 1990, S. 138-158. Thome, Helmut, Grundkurs Statistik für Historiker. Teil I: Deskriptive Statistik (Historical Social Research/Historische Sozialforschung, Supplement/Beiheft 2), Köln 1989. Thome, Helmut, Grundkurs Statistik für Historiker. Teil II: Induktive Statistik und Regressionsanalyse (Historical Social Research/Historische Sozialforschung, Supplement/Beiheft 3), Köln 1990.