WS 2003/04 Fakultät IV, Psychologie Seminar: Leiter: Lernen als Handeln und Verstehen Prof. Dr. Peter Viebahn Datum: 20.01.2004 Referentin: Doris Schmuland Matrikel-Nr.: 7463510 Thema des Referats: Gruppenarbeit in der Schule Soziale Ziele der Gruppenarbeit Soziale Ziele als Voraussetzung für gute Gruppenarbeit: Fähigkeit zur Kommunikation Aktiv zuhören um Hilfe bitten können, einander ermutigen, sich bedanken können prosoziale Werte wie: Fairness, Rücksicht, Verantwortung schätzen lernen Ressourcen miteinander teilen können ( Wissen, Ideen, Material ) Ablenkungen widerstehen Frustrationstoleranz entwickeln (mit widersprüchlichen Erwartungen vernünftig umgehen) Individuelle Verantwortlichkeit für die Gruppenleistung Wechselseitige Verantwortlichkeit und Unterstützung für das Lernen der Gruppenmitglieder Lernen das nicht das Recht des Stärkeren, sondern dass des besseren Arguments zu gelten hat Abbau statusbezogener negativer Erwartungen der Gruppenmitglieder ( z.b.: Jeder ist - lernfähig!... ) Soziale Ziele die durch Gruppenarbeit erreicht werden können: Verständnis für andere Menschen entwickeln Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gruppe entwickeln und festigen Freude am gemeinsamen Tun Solidarisches Handeln
Motivation bei Gruppenarbeit Seit mehreren Jahrzehnten haben sich David und Roger Johnson in ihren Studien mit der Frage beschäftigt, wie sich verschiedene Interaktionsformen im Klassenzimmer auf die Lernmotivation auswirken. Das Ergebnis ihrer Studien besagt, dass die Motivation der Schüler im hohem Maße von seinen Beziehungen zu anderen abhängt, die sich ebenfalls um die Erreichung bestimmter Ziele bemühen würden. Die Art der Sozialbeziehung zwischen den Schülern einer Klasse, bestimmt der Lehrer durch Festlegung der Zielstruktur einer Aufgabe. Johnson et al. unterscheiden drei Zielstrukturen: die individualisierten, die wettstreitorientierten, rivalisierenden und die kooperativen Zielstrukturen Bei der Anwendung individualisierter Zielstrukturen gelangt der Schüler zu einer Bewertung seiner aktuellen Leistungsergebnisse indem er sie mit früheren in Beziehung setzt. Er lernt Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Die Schüler gehen davon aus, dass ihre eigenen Bemühungen zur Erreichung eines Ziels unabhängig von den Bemühungen ihrer Mitschüler sind. Rivalisierende, wettstreit-orientierte Zielstrukturen Bei der sozialen Bezugsnorm-Orientierung bzw. bei einem sozialen Vergleichsmaßstab, der bei einer wettstreit-orientierten Zielstruktur angewandt wird, werden Leistungen mehrerer Schüler entsprechend ihrer Güte in eine Rangordnung gebracht, wobei die höchsten Rangplätze am schwächsten bewertet werden, schreibt Mietzel. Das heißt, dass Leistungen von Schülern unter einer wettstreit-orientierten Zielstruktur miteinander verglichen werden. Es gibt unter dieser Wettstreitsituation somit Gewinner und Verlierer. Ressourcen stehen nur in begrenztem Umfang zur Verfügung, die entsprechen aufgeteilt werden. Die Teilnehmer eines Wettstreits begegnen sich deshalb als Rivalen. Jeder bemüht sich um ein Ergebnis, das für ihn persönlich mit Vorteilen verbunden ist, das aber nur auf Kosten anderer zu erringen ist. Die Schüler stehen somit untereinander in einem Verhältnis negativer Interdependenz. Da eine Kontrolle von außen erfolgt, spricht man von einer extrinsischen Motivation. Extrinsisch motivierte Schüler tun etwas, weil andere eine Belohnung oder eine unangenehme Konsequenz in Aussicht stellen. Kooperative Zielstrukturen Johnson et al. machten auf die Bedeutung des Miteinanders für das Lernen aufmerksam : Die Motivation zu lernen ist von Natur aus auf Zwischenmenschlichkeit angelegt. Es ist die Interaktion mit anderen Menschen, durch die Schüler das Lernen als eine Erfahrung an sich zu bewerten lernen, Freude am Prozess des Lernens gewinnen, sich stolz fühlen, wenn sie Wissen erwerben und ihre Fertigkeiten entwickeln. Angesichts der zwischenmenschlichen Beziehungen, die im Klassenzimmer möglich sind, können Gleichaltrige den größten Einfluss auf die Motivation zum Lernen ausüben. ( Mietzel 1998,S.376 ) Voraussetzung für eine gute Interaktion zwischen Schülern, die in einer Gruppe zusammenarbeiten ist die Anwendung der individuellen Bezugsnorm-Orientierung durch den Lehrer. Hierbei bewertet der Lehrer das aktuelle Leistungsverhalten eines Schülers und setzt es in Vergleich zu seinen eigenen vorangegangenen Leistungen. Wenn die Gruppenarbeit so gestaltet wird, dass die verbindlich vorgegebenen Lernziele nur dann erreicht werden können, wenn die anderen Mitglieder der Lerngruppe ihre Ziele ebenfalls erreichen, so besteht zwischen ihnen ein Verhältnis positiver
Interdependenz. Die Schüler sind dann motiviert, einander wechselseitig beim Lernen zu unterstützen und leistungsbejahende Normen zu entwickeln. Unter diesen Bedingungen kann eine intrinsische Motivation bei den Schülern entstehen. Die Lernaktivitäten werden um ihrer selbst willen durchgeführt, weil sie als herausfordernd, spannend usw. erfahren werden. ( Mietzel 1998, S.344 ) Vergleich der drei Zielstrukturen: Im Vergleich von wettbewerblichen bzw. individuellen Lehrengagements mit kooperativen Lehrformen ergab eine Metastudie von Johnson und Johnson, dass das kooperative Lernen die besten Resultate im Bezug auf das Erreichen dreier Ziele erbrachte: Leistung, soziale Kooperation und psychisches Wohlbefinden. Weitere 185 Studien bestätigen, dass professionell geführte kooperative Lehrengagements sowohl bessere Einzelleistungen als auch eine höhere Gruppenproduktivität erzielen als wettbewerbliche Arrangements. Empirische Studien haben weiterhin, dass in kooperativen Lernarrangements häufiger als in individualistischen Lehrengagements komplexere Denkstrategien auf einem höheren kognitiven Niveau sowie Formen der Metakognition und -reflexion eingesetzt werden. Drittens führen kooperative Lernarrangements zu einer besseren Transferfähigkeit des Gelernten, d.h. Lernende können Sachverhalte, die sie sich in professionell geführten kooperativen Lernarrangements angeeignet haben, besser individuell in anderen Kontexten umsetzen. Praktische Durchführung eines kooperativen Lernprogramms Robert Slavin entwickelte folgendes Lernprogramm, es wurde bereits häufig im Unterricht angewandt: STAD (engl.: Student Teams Achievement Division ) Eine Schulklasse wird in mehrere Gruppen aufgeteilt, idealerweise besteht eine Gruppe aus je 4-5 Mädchen und Jungen. Das Programm durchläuft folgende beliebig oft wiederkehrende Unterrichtsaktivitäten: Unterricht: Der Lehrer stellt die Unterrichtsinhalte dar. Er stellt Begriffe, Zusammenhänge dar und erläutert diese jeweils. Gruppenarbeit: Für die Gruppen hat der Lehrer Arbeitsblätter mit Aufgaben bzw. Anweisungen vorbereitet, die eine Anwendung des zuvor vom Lehrer Dargestellten fordern. Jeder Schüler bearbeitet diese Aufgaben zuerst alleine, danach vergleicht er sie mit den übrigen Gruppenmitgliedern. Bei fehlender Übereinstimmung oder bei Schwierigkeiten in der Bearbeitung wird versucht, das Problem durch Zusammenarbeit zu lösen. Sollte dieses nicht möglich sein, kann die Hilfe des Lehrers erbeten werden. Erst wenn alle Mitglieder sämtliche Aufgaben beherrschen, kann die Beschäftigung mit den Arbeitsblättern beendet werden. Überprüfung: Es folgt eine Überprüfung des Gelernten. Die Schüler bearbeiten einzeln Prüfungsarbeiten. Anerkennung der Gruppe: Der Gesamtwert der Gruppe wird auf der Grundlage der individuellen Fortschritte errechnet.
Durch Vergleich sämtlicher Gruppen lässt sich das jeweils erfolgreichste Team bestimmen, dessen Leistungen öffentlich anerkannt werden. Leistungsermittlung: ( Auswertung des Tests ) Der Lehrer vergleicht das Ergebnis eines jeden Schülers mit dessen Basiswert. Je höher sein individuelles Testergebnis über seinem Basiswert liegt, desto mehr Fortschrittspunkte werden ihm zuerkannt. Die Anzahl der Fortschrittspunkte hängt von dem Grad der aufgebrachten Anstrengung ab. Wenn beispielsweise ein Schüler von einem Basiswert von 65 ausgegangen ist und im Test nach der Gruppenarbeit 70 Punkte erreicht, erhält er den gleichen Fortschrittspunkt wie ein anderes Gruppenmitglied, das seine Leistungsergebnisse von 80 auf 85 erhöht hat. Team-Score: Der Lehrer errechnet den Gesamtwert einer Gruppen, indem er von ihren Mitgliedern die Fortschrittspunkte addiert und die Summe durch die Anzahl teilt. Nachdem sämtliche Gesamtwerte verglichen sind, wird die Gruppe ermittelt, die den Wettbewerb gewonnen hat. Die Gewinner der Woche werden jeweils am Anschlagbrett hervorgehoben. Nach 5 oder 6 Wochen werden neue STAD-Teams gebildet. Warum führt das STAD-Lernprogramm zu einem kooperativen Verhalten der Schüler? (Kooperative Zielstrukturen) Folgende Voraussetzungen, die zu einem kooperativen Verhalten der Schüler führen sind durch das STAD-Lernprogramm erfüllt: Die Größe der Gruppe Im STAD-Lernprogramm besteht eine Gruppe aus 4-5 Schülern. Zusammensetzung der Gruppe In dem Lernprogramm ist die Gruppe aus Mädchen und Jungen zusammengesetzt. Aufgabenzuweisung Durch das STAD-Lernprogramm ist eine geregelte Aufgabenzuweisung für jeden Schülern vorhanden. Vorgabe von Zielen Die Leistungen erarbeitet sich der Schüler in einer Gruppensituation deren Ziel es ist dafür zu sorgen, dass alle Mitglieder sämtliche Aufgaben beherrschen. Dadurch wird das Miteinander Sprechen und das Erklären angeregt, dies fördert das Behalten und regt zu einer tieferen Verarbeitung des Lernmaterials an. Leistungsermittlung Die Leistungsermittlung findet nicht im Vergleich zu anderen Schülern durch eine soziale Bezugsnorm-Orientierung statt, sondern im STAD-Lernprogramm wird die Leistungsermittlung durch den Vergleich eines jeden Schülers mit seinen eigenen vorhandenen Leistungen (Basiswert) errechnet. Die Anzahl der Fortschrittspunkte hängt nicht von der Leistungsfähigkeit, sondern vom Grad der aufgebrachten Anstrengung ab. Je höher Die Fortschrittspunkte der einzelnen Gruppenmitglieder sind, desto höher ist das Gruppenergebnis. Das Ziel ist hierbei, als Gruppe gegenüber den anderen Gruppen die höchste Punktzahl zu erreichen und somit als Sieger anerkannt zu werden. Bei der individuellen Bezugsnorm-Orientierung können verbindlich vorgegebene Lernziele nur erreicht werden, wenn sie alle erreichen. Dadurch entsteht ein Verhältnis positiver Interdependenz zwischen
den Schülern. Die Schüler sind dann motiviert, einander wechselseitig beim Lernen zu unterstützen. Die positive gegenseitige Abhängigkeit fördert intrinsische Motivation und somit kann ein effektives Lernverhalten des einzelnen Schülers stattfinden, dieses kann Freude beim Lernen erzeugen und zu einem kooperativen Gruppen-Lernen führen. (Entstehung von Solidarität!) Zielanreize Zielanreiz für den einzelnen Schüler beim STAD-Lernprogramm ist das Erreichen von individuellen Fortschrittspunkten, die jeder einzelne Schüler durch ein kooperatives Arbeiten in der Gruppe erreichen kann. Ein weiteres Ziel ist es als Gruppe zum Gewinner der Woche am Anschlagbrett hervorgehoben zu werden. Literaturangabe: Mietzel, Gerd (2001) Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens Hogrefe-Verlag
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Praktische Durchführung eines kooperativen Lernprogramms (Mietzel 1998 S.378-380) Beispiel: Robert Slavin: STAD (1995) STAD = Student Teams Achievement Divisions Schulklasse wird in Gruppen mit je 4-5 Mädchen und Jungen aufgeteilt Unterricht durchläuft beliebig oft wiederkehrende Phasen: - Unterricht: Lehrerin stellt Begriffe, Zusammenhänge usw. dar und erläutert diese jeweils - Gruppenarbeit: Schüler setzen sich in der Arbeitsgruppe mit den Aufgaben auseinander, die sie Arbeitsblättern entnehmen - Überprüfung: Die Schüler bearbeiten einzeln Prüfungsaufgaben - Anerkennung der Gruppe: Der Gesamtwert der Gruppe wird auf der Grundlage der individuellen Fortschritte errechnet. Durch Vergleich sämtlicher Gruppen lässt sich das jeweils erfolgsreichste Team bestimmen, dessen Leistungen öffentlich anerkannt werden. - Leistungsermittlung: Ausgangslage: Ermittlung eines Mittel- oder Basiswertes eines jeweiligen Schülers. Der Basiswert dient als Grundlage zur Zusammenstellung von Gruppen mit Schülern unterschiedlicher Leistungsfähigkeit Berechnung nach der Gruppenarbeit: Je höher das individuelle Testergebnis eines Schülers über seinem Basiswert liegt, desto mehr Fortschrittspunkte werden ihm zuerkannt. z.b.: Schüler A Schüler B Basiswert = 65 Basiswert = 80 Testergebnis = 70 Testergebnis = 85 => 5 Fortschrittspunkte => 5 Fortschrittspunkte Team-Score: Lehrer errechnet den Gesamtwert einer Gruppe, in dem er die Fortschrittspunkte addiert und die Summe durch die Anzahl der Mitglieder teilt. - Vergleich sämtlicher Gesamtwerte - Ermittlung des Siegers im Gruppenwettbewerb (nicht Einzelwettbewerb!) Die Gewinner der Woche werden jeweils am Anschlagbrett hervorgehoben. Nach 5 oder 6 Wochen werden neue STAD-Teams gebildet.
Johnson und Johnson unterscheiden drei Zielstrukturen Die individualisierten, die wettstreitorientierten, rivalisierenden und die kooperativen Zielstrukturen Vergleich der Zielstrukturen: Kooperatives Lernen erbrachte die besten Resultate: - Leistung - soziale Kooperation - psychisches Wohlbefinden Bestätigung von 185 Studien: - bessere Einzelleistungen - höhere Gruppenaktivität - komplexere Denkstrategien auf einem höheren kognitiven Niveau - Formen der Metakognition und- reflexion - bessere Transferfähigkeit des Gelernten