Aktuelle Situation in der Pflegelehre: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit 2. Münchner-Mariakirchner-Pflegetag, 14. November 2014 Wolpertinger in der Pflegebildung Was Lehrende können sollen Technische Hochschule Deggendorf Prof. Dr. phil. Anja Walter MSB Medical School Berlin
Was sind Wolpertingerlehrende?? 2
Woher ich die Erkenntnisse nehme Erfahrungen aus Lehrerfortbildungen: Pädagogische Fallarbeit Ausbildung von Lehrenden aller Gesundheitsberufe Begleitung von Curriculumprozessen Supervisionsprozessen Professionstheorie und empirische Erkenntnisse Lernweltenkongress im September 2014 an der MSB Medical School Berlin: Lehrerbildung Lehreridentität Lehrergesundheit 3
Einstieg Partnerarbeit A und B A = Körperhaltung zu Anspruch B = Körperhaltung zu Wirklichkeit Lassen Sie die Körperhaltungen ohne Worte aufeinandertreffen. Notieren Sie einige Gedanken bspw. dazu: Was löst unsere Skulptur in uns aus? Um welche Ansprüche geht es? Wie erleben wir die Wirklichkeit? 4
Ansprüche Eigene Ansprüche Ansprüche der KollegInnen Ansprüche der Institution Ansprüche der Pflegepraxis/der PDL Ansprüche in Ordnungsmitteln Gesellschaftliche Ansprüche Ansprüche der Lernenden Ansprüche der Eltern Ansprüche, die sich aus anderen Rollen ergeben????? Ansprüche, die von Disziplin gestellt werden 5
Worüber ich sprechen möchte Einstieg 1. Ansprüche aus Konzepten und Wirklichkeiten 2. Ansprüche der Lehrenden an sich selbst und Wirklichkeiten 3. (Implizite) Ansprüche von Lernenden und Wirklichkeiten 4. Ansprüche und Wirklichkeiten Was ist dazwischen? 5. Fazit: Nicht Wolpertinger was dann? Ausstieg 6
1. Ansprüche aus Konzepten und Wirklichkeiten Zur Erinnerung: Lernfeldkonzept Handlungsfelder Lernfelder Komplexe, mehrdimensionale Aufgabenund Problemstellungen in beruflichen, gesellschaftlichen und persönlichen Kontexten didaktisch begründet und aufbereitet Bilder der Aufgabenund Problemstellungen des Berufes Reflexion der Bildungshaltigkeit Handlungssituation Handlungssituation eher unsortiert Lernsituation Lernsituation Strukturiert => orientiert an der Handlungssystematik oder am Lernsubjekt Berufliche (schulische?) Handlungskompetenz 7
1. Ansprüche aus Konzepten und Wirklichkeiten Lernfeldkonzept Kritik an der Ausbildung und neue Ansprüche Wissenschaftsorientierung und Vorratslernen => Berufsorientierung, Lernen für aktuelle und zukünftige berufliche Situationen Fächerorientierung => Handlungssystematik, Fallarbeit träges Wissen => handlungswirksames Wissen zu viel Frontalunterricht => selbstorganisiertes Lernen mangelnde Lernortkooperation => Praxisbegleitung, Praxisanleitung; Konzepte der Lernortkooperation 8
1. Ansprüche aus Konzepten und Wirklichkeiten bwp-online (Juni 2011): Lernfeldkonzept 20 Jahre danach (wenige) Studien zeigen (vgl. Tamm 2011): keine durchgehende Handlungsorientierung und kollegiale Teamarbeit der Lehrenden theoretische und empirische Fundierung wird in Frage gestellt schulorganisatorische Probleme aufklärende, kritische Funktion von Bildung wird vernachlässigt ungeklärter Zusammenhang zwischen fach- und handlungslogischen Strukturen => Verunsicherung für Lehrende berufliches Selbstverständnis der Lehrenden: Wissensvermittelnde Widersprüche in Prüfungen => definitorisches Wissen wird abgefragt (vgl. Kremer/Sloane 2001, 27) 9
1. Ansprüche aus Konzepten und Wirklichkeiten bwp-online (Juni 2011): Lernfeldkonzept 20 Jahre danach (wenige) Studien zeigen (vgl. Tamm 2011): keine durchgehende Handlungsorientierung und kollegiale Teamarbeit der Lehrenden theoretische und empirische Fundierung wird in Frage gestellt schulorganisatorische Probleme aufklärende, kritische Funktion von Bildung wird vernachlässigt ungeklärter Zusammenhang zwischen fach- und handlungslogischen Strukturen => Verunsicherung für Lehrende berufliches Selbstverständnis der Lehrenden: Wissensvermittelnde Widersprüche in Prüfungen => definitorisches Wissen wird abgefragt (vgl. Kremer/Sloane 2001, 27) 10
1. Ansprüche aus Konzepten und Wirklichkeiten bwp-online (Juni 2011): Lernfeldkonzept 20 Jahre danach Gründe für Stand der Umsetzung Lehrerbildung ist nicht auf Konzept abgestimmt => Welche Kompetenzen werden benötigt? (Aprea 2011) Lernfelder als Struktur hochschulischer Curricula => nicht gegeben (Gerholz/Sloane 2011) vielfältige Gestaltungskriterien für Lernsituationen => bspw. unterschiedliche Verständnisse von Situation? (vgl. Walter 2012, Dilger 2011) zu wenig Wissen über domänespezifischen Kompetenzerwerb => zu wenig Forschung Lehrende/Schulen werden mit Prozessen allein gelassen => wenig externe Begleitung 11
1. Ansprüche aus Konzepten und Wirklichkeiten bwp-online (Juni 2011): Lernfeldkonzept 20 Jahre danach Gründe für Stand der Umsetzung Lehrerbildung ist nicht auf Konzept abgestimmt => Welche Kompetenzen werden benötigt? (Aprea 2011) Lernfelder als Struktur hochschulischer Curricula => nicht gegeben? (Gerholz/Sloane 2011) vielfältige Gestaltungskriterien für Lernsituationen => bspw. unterschiedliche Verständnisse von Situation? (vgl. Walter 2012, Dilger 2011) zu wenig Wissen über domänespezifischen Kompetenzerwerb => zu wenig Forschung Lehrende/Schulen werden mit Prozessen allein gelassen => wenig externe Begleitung 12
2. Ansprüche der Lehrenden an sich selbst und Wirklichkeiten Kennen Sie diese Gedanken Ich möchte eine gute Lehrerin sein und möchte, dass die Lernenden mich mögen. Ich muss mein selbsterstelltes Arbeitsblatt doch noch einmal lesen. Heute Abend muss ich noch einmal den Unterricht für morgen durchgehen. Ich will immer gerecht sein. Ich möchte Ansprechpartnerin für alle Sorgen meiner Lernenden sein. Ich muss meine Lernenden in der Pflegepraxis anleiten können. Ich möchte Lernende individuell fördern. 13
2. Ansprüche der Lehrenden an sich selbst und Wirklichkeiten Ein Blick auf den Lehrer in Fuck ju Göhte Herr Müller Er möchte kein Lehrer sein. Er hat keine Arbeitsblätter. Er bereitet den Unterricht nicht vor. Er ist ungerecht. Er sagt: Chantal, heul leise! und er hat trotzdem Erfolg? Was können wir von ihm lernen? 14
3. (Implizite) Ansprüche von Lernenden und Wirklichkeit Wirklichkeit aus Fortbildungen gesammelte Phänomene unmotivierte Lernende mit Handy beschäftigt googeln, was Lehrende sagen lesen kaum Texte, können keine Mitschriften anfertigen erfahren keine familiäre Unterstützung wollen nur wissen, wie es richtig geht Ansprüche Analyse der Lernvoraussetzungen => Umgang mit Heterogenität Lebensphase => Begleitung bei Identitätsentwicklung Medienkompetenz, Kreativität knappe Handlungsempfehlungen abgeben 15
3. (Implizite) Ansprüche von Lernenden und Wirklichkeit Wirklichkeit aus Fortbildungen gesammelte Phänomene unmotivierte Lernende mit Handy beschäftigt googeln, was Lehrende sagen lesen kaum Texte, können keine Mitschriften anfertigen erfahren keine familiäre Unterstützung wollen nur wissen, wie es richtig geht Ansprüche Analyse der Lernvoraussetzungen => Umgang mit Heterogenität Lebensphase => Begleitung bei Identitätsentwicklung Medienkompetenz, Kreativität knappe Handlungsempfehlungen abgeben 16
4. Ansprüche und Wirklichkeiten Was ist dazwischen? Anspruch Wirklichkeit Leben, Alltag mit persönlichen Ressourcen und Grenzen und Ressourcen und Grenzen der Institution Verständnis von Theorie und Praxis Konstitutive Antinomien des Lehrerhandelns (empirische) Erkenntnisse zur Reflexion bspw. aus der Lehr-Lern-Forschung Ausführungen zu ausgewählten Aspekten Ziel: tieferes Verständnis des Spannungsgefüges, Distanzierung, Engagement 17
4. Ansprüche und Wirklichkeiten Was ist dazwischen? Konstitutive Antinomien des Lehrerhandelns (Helsper 2002, 2004) Begründungsantinomie: erhöhter Entscheidungsdruck und gesteigerte Begründungsverpflichtung Subsumtionsantinomie: Subsumtion des Falls unter wissenschaftliche allgemeine Kategorien => Gefahr unzulässiger Typisierung an professionelles soziales Handeln werden zwei Ansprüche gestellt (= doppelte Handlungslogik): Beherrschung (wissenschaftlich) fundierten Regelwissens hermeneutische Kompetenz des Verstehens des Einzelfalls (vgl. Dewe/Ferchhoff/Radke 1992)
4. Ansprüche und Wirklichkeiten Was ist dazwischen? Konstitutive Antinomien des Lehrerhandelns (Helsper 2002, 2004) Differenzierungsantinomie: Spannung zwischen Gleichbehandlung aller Lernenden und der Notwendigkeit, zwischen Einzelnen zu differenzieren Autonomieantinomie: Aufforderung zur Autonomie im Rahmen heteronomer organisatorischer Strukturen Sachantinomie: Orientierung an wissenschaftlichem Wissen/Lehrplänen und an den Weltversionen der Lernenden
4. Ansprüche und Wirklichkeiten Was ist dazwischen? Konstitutive Antinomien des Lehrerhandelns (Helsper 2002, 2004) Symmetrie und Machtantinomie: strukturell gegebene Asymmetrie (wegen Kompetenzen, Rollen) => erforderliche Symmetrie Vertrauensantinomie: Vertrauensbasis wird unterstellt, die aber erst hergestellt werden muss Näheantinomie: Spannung zwischen Nähe und Distanz Antinomien sind nicht aufhebbar => können nur reflexiv gehandhabt werden
4. Ansprüche und Wirklichkeiten Was ist dazwischen? Befunde aus der Lehr-Lern-Forschung Was hat Einfluss auf den Lernerfolg? (Hattie 2013) (Beachte: Kritik) Kriterien Einflussstärke: hoch Erwartungen der Lernenden an das eigene Lernen Glaubwürdigkeit der Lehrenden aus Sicht der Lernenden Feedback zum Lernen Lehrer-Schüler-Beziehung Kriterien Kriterien Einflussstärke: mittel Kooperative Lernformen vs. Einzelarbeit Einfluss der Peers Häusliche Umgebung Erwartungen der Lehrenden an Lernende Einflussstärke: gering Klassengröße verringern Leistungsgruppierung innerhalb einer Klasse Fachwissen der Lehrenden Gesamtschau aus 800 Metaanalysen, basierend auf > 50.000 Einzelstudien Datengrundlage: Effektstärken aus der Hattie-Studie Visible Learning : Quelle: http://www.visiblelearning.de/einfluss-auf-den-lernerfolg-ergebnisse-der-hattie-studie/ 21
4. Ansprüche und Wirklichkeiten Was ist dazwischen? Befunde aus der Lehr-Lern-Forschung (vgl. Hattie 2013) Warum erlebte Lehrende bleibenden Eindruck hinterlassen: Lehrende bauen Beziehung zu Lernenden auf vermittelten Liebe für ihr Fach; helfen den Lernenden, bessere Strategien zum Lernen des Faches aufzubauen zeigen Bereitschaft, den Stoff zu erklären und Lernende bei der Arbeit zu unterstützen Insgesamt: Verwechslung von innovativem mit gutem Unterricht
4. Ansprüche und Wirklichkeiten Was ist dazwischen? Befunde aus der Lehr-Lern-Forschung 10 Merkmale guten Unterrichts (vgl. Meyer 2009, Helmke 2010) 1. Klare Strukturierung des Unterrichts 2. Hoher Anteil echter Lernzeit 3. Lernförderliches Klima 4. Inhaltliche Klarheit 5. Sinnstiftendes Kommunizieren 6. Methodenvielfalt 7. Individuelles Fördern 8. Intelligentes Üben 9. Klare Leistungserwartungen 10. Vorbereitete Umgebung Lehrermagie
4. Ansprüche und Wirklichkeiten Was ist dazwischen? Befunde aus der Lehr-Lern-Forschung: Multidimensionales Bedingungsmodell des Lernerfolgs Strukturierung/ Klarheit Breite/Bezüge Verarbeitungstiefe Lehrkompetenz Engagement/ Motivierung Kooperativität/ Klima/Interaktion Feedback Wissenschaftliche Fachkompetenz Thema/Überschneidungen/Anforderungen/ Prüfung/Anzahl der Lernenden/Grund der Teilnahme/Veranstaltungstyp Lehrende Rahmenbedingungen Lernende Lernerfolg Vorwissen/Fähigkeiten/Interesse Fleiß/Arbeitsbelastung/Beteiligung/ Referate/Störungen/Fehlzeiten Lerngewinn Einstellungsänderung Wecken von Interesse Kompetenzerwerb (gekürzt aus Rindermann 2003, 236)
4. Ansprüche und Wirklichkeiten Was ist dazwischen? Rahmenbedingungen Lehrende Lernerfolg Lernende Curriculum, Umfeld eines Faches Bedingungen der Schule/Hochschule Gesellschaftliches/politisches Umfeld
5. Fazit: Nicht Wolpertinger was dann? Eigene Ansprüche Ansprüche der KollegInnen Ansprüche der Institution Ansprüche der Pflegepraxis/der PDL Ansprüche in Ordnungsmitteln Gesellschaftliche Ansprüche Ansprüche der Lernenden Ansprüche der Eltern Ansprüche, die sich aus anderen Rollen ergeben????? Ansprüche, die von Disziplin gestellt werden 26
5. Fazit: Nicht Wolpertinger was dann? Eigene Ansprüche Ansprüche der KollegInnen Ansprüche der Institution Ansprüche der Pflegepraxis/der PDL Ansprüche in Ordnungsmitteln Gesellschaftliche Ansprüche Ansprüche der Lernenden Ansprüche der Eltern Ansprüche, die sich aus anderen Rollen ergeben????? Ansprüche, die von Disziplin gestellt werden 27
5. Fazit: Nicht Wolpertinger was dann? Eigene Ansprüche In wie weit neige ich zum Perfektionismus? Welche Deutungsmuster sind mir eigen? Wie wirken sie? Wer arbeitet in meinem Inneren Team? Wer hat den Hut auf? 28
5. Fazit: Nicht Wolpertinger was dann? Ansprüche der Pflegepraxis/der PDL Welchen Ansprüchen muss/will ich gerecht werden? Welche Konzepte zur Lernortkooperation haben wir? Was liegt in wessen Verantwortung? Ansprüche der Lernenden Welche Lernenden benötigen unsere Aufmerksamkeit und warum? Wie kann ich/können wir die Lernatmosphäre gestalten? Worauf habe ich/haben wir keinen Einfluss? Ansprüche, die von Disziplin gestellt werden Welche Erkenntnisse/Ansätze unterstützen mich/uns wirklich im beruflichen Handeln? 29
5. Fazit: Nicht Wolpertinger was dann? Eigene Ansprüche Eigene Ressourcen und Grenzen wahrnehmen und achten Ansprüche der Pflegepraxis/der PDL Expertise für Lernort Schule ODER Lernort Skills lab/ Pflegepraxis Ansprüche der Lernenden Ausgewählte binnendifferenzierte Lernangebote unterbreiten; Ansprechpartnerin sein Ansprüche, die von Disziplin gestellt werden pädagogisches Handeln an begründeten Methoden und Medien ausrichten; Lernende befähigen, ihr Handeln an pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen auszurichten 30
Ausstieg Partnerarbeit A und B A = Körperhaltung zu Wirklichkeit B = Körperhaltung zu Anspruch Lassen Sie die Körperhaltungen erneut aufeinandertreffen. Schauen Sie sich die Skulptur von 2 weiteren Teilnehmenden an und tauschen Sie sich in der 4er-Gruppe aus bspw. dazu: Was hat sich verändert? Welche Gedanken/Fragen bewegen uns jetzt zu Anspruch und Wirklichkeit? 31
Balance zwischen Anspruch und Wirklichkeit halten Ansprüche nicht aufgeben Wirklichkeiten ernstnehmen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Ausgewählte Literatur bwp-online (Juni 2011): Lernfeldkonzept 20 Jahre danach. Unter: www.bwpat.de Hattie, J. (2013). Lernen sichtbar machen. Hohengehren: Schneider. Helmke, A. (2010). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. 4. Auflage. Seelze: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung. Helsper, W. (2002). Lehrerprofessionalität als antinomische Handlungsstruktur. In Kraul, M.; Marotzki, W. & Schweppe, C. (Hrsg.), Biographie und Profession. Bad Heilbrunn. S. 64-102. Helsper, W. (2004): Antinomien, Widersprüche, Paradoxien: Lehrerarbeit ein unmögliches Geschäft? Eine strukturtheoretisch-rekonstruktive Perspektive auf das Lehrerhandeln. In: Koch- Priewe u.a. (Hrsg.): Grundlagenforschung und mikrodidaktische Reformansätze zur Lehrerbildung. Bad Heilbrunn, S. 49-98. Meyer, H. (2009). Was ist guter Unterricht, 6. Auflage. Berlin: Cornelsen Scriptor. Rindermann, H. (2003). Lehrevaluation an Hochschulen: Schlussfolgerungen aus Forschung und Anwendung für Hochschulunterricht und seine Evaluation. In: Zeitschrift für Evaluation, H.2, 233-256.