Realtime-Kapitalflussrechnung und Liquiditätsplanung Nach internationalen Standards soll die Kapitalflussrechnung künftig nach der direkten Methode erstellt werden. Viele Unternehmen befürchten praktische Probleme bei der Durchführung und hohe Kosten. Doch wenn die Kapitalflussrechnung in die IT-gestützten Finanzprozesse integriert wird, kann die direkte Methode auch entscheidende Vorteile bieten. Franz Meyer 42 Controlling & Management Review 1 2015
Nach dem Willen des Gesetzgebers ist die Kapitalflussrechnung (KfR) Bestandteil der zu veröffentlichenden Unternehmensergebnisse. Sie soll dazu dienen, die zukünftige Zahlungsfähigkeit des Unternehmens verlässlicher einschätzen zu können. Umso erstaunlicher ist es, dass die Daten der KfR fast ausschließlich derivativ aus dem buchhalterischen Periodenabschluss ermittelt werden und nicht unmittelbar aus den originären Geschäftsvorfällen. Sie stellt damit nur eine Überleitungsrechnung vom Periodenergebnis zum Finanzmittelbestand dar (indirekte Methode). Im Vergleich zu den hochaktuellen Daten, die über die modernen Informationssysteme der Unternehmen heute zur Verfügung stehen, führt die KfR daher immer noch ein Schattendasein. Im Rahmen ihres gemeinsamen Projektes Financial Statement Presentation legten das International Accounting Standards Board (IASB) und das Financial Accounting Standards Board (FASB) fest, dass die KfR nach der direkten Methode gestaltet werden soll (vgl. Gebhardt/Mansch 2012, S. 3 f.). Bei der direkten Darstellung werden die Einzahlungen und Auszahlungen detailliert ausgewiesen. Den Einzahlungen für erbrachte Lieferungen und Leistungen stehen die Auszahlungen für den Einkauf von Wirtschaftsgütern, Dienstleistungen und Personal gegenüber. Derzeit wird dieser Ansatz zwischen den Standard-Settern und den Unternehmen wegen praktischer Probleme bei der Ermittlung der Informationen aus den Daten des Jahresabschlusses noch kontrovers diskutiert. Es dürfte jedoch nur eine Frage der Zeit sein, bis die direkte Methode bei der KfR sowohl Dr. Franz Meyer ist Vorstandsmitglied der Paradigma AG. Die geplanten internationalen Vorgaben bieten Unternehmen die große Chance, die Kapitalflussrechnung auch für ihre Liquiditätsplanung zu instrumentalisieren. für den Bereich der operativen Geschäftstätigkeit als auch für den Investitions- und Finanzierungsbereich verbindlich vorgeschrieben wird. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, warum Buchhaltung und KfR nicht als jeweils eigenständige Anwendungen parallel laufen können. In einem ERP-System neuerer Prägung ist es selbstverständlich, dass die Bilanz und die GuV jederzeit mit den aktuellsten Zahlen also realtime abgerufen werden können. Warum sollte dies nicht auch für die KfR machbar sein? Zielsetzung ist die Entwicklung und Umsetzung eines Konzepts, das eine liquiditätsorientierte Erfassung der Geschäftsvorfälle für die Kapitalflussrechnung parallel zur ertrags- und vermögensorientierten Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle in der Buchhaltung vorsieht. Die Buchhaltung präsentiert die Vermögens- und Ertragslage, die Kapitalflussrechnung stellt die direkten Zahlungsströme dar, und beide Anwendungen bauen in diesem Modell auf demselben Fundament auf: dem Geschäftsvorfall. Für die Franz Meyer Paradigma AG, Kallmünz, Deutschland E-Mail: franz.meyer@paradigma-ag.de Controlling & Management Review 1 2015 43
KfR einen parallelen Datenbestand zusätzlich zur Buchhaltung zu führen, ausschließlich um die Anforderung der direkten Methode zu erfüllen, würde hingegen die Möglichkeit, die KfR als Steuerungsinstrument für die Liquidität und die Liquiditätsplanung einzusetzen, ungenutzt lassen. Struktur der Kapitalflussrechnung Weder die Bilanz als zeitpunktbezogene Vermögensrechnung noch die Erfolgsrechnung als zeitraumbezogene Aufwandsund Ertragsrechnung geben Auskunft über die Zahlungsströme und deren Herkunft oder Verwendung. Diese Aufgabe erfüllt die KfR. Als drittes Element des Periodenabschlusses ergänzt sie die Bilanz und die Erfolgsrechnung und gliedert sich in die vier Bereiche Fond, operative Geschäftstätigkeiten, Investitionen und Finanzierungsaktivitäten. Im Zusammenhang mit der KfR handelt es sich beim Fond um Cash und cash-äquivalente Finanzmittel, das heißt um Guthaben und kurzfristige Kredite bei Kreditinstituten sowie um Kassenbestände und Wertpapiere des Umlaufvermögens, die kurzfristig in liquide Mittel umgewandelt werden können. Würde man die Guthaben, die kurzfristigen Bankkredite sowie die Kassenbestände isoliert betrachten, erhielte man allerdings nur ein unvollständiges Bild. Kurzfristige Forderungen und kurzfristige Verbindlichkeiten, die in absehbarer Zeit zu Zahlungen führen, sind daher getrennt nach Herkunft und Verwendung ebenfalls in die Betrachtung mit einzubeziehen. In der Praxis werden bei der Erstellung der KfR Veränderungen der kurzfristigen Forderungen und Verbindlichkeiten vielfach als Investitionen und Desinvestitionen in das Umlaufvermögen betrachtet. Da Forderungen und Verbindlichkeiten aber sowohl aus den operativen Geschäftsvorfällen als auch aus den investiven Geschäftsvorfällen resultieren können, sollten sie besser getrennt dargestellt werden. Zudem befinden sich in den Positionen Forderungen und Verbindlichkeiten oftmals Anzahlungen, die zukünftige operative oder investive Geschäftsaktivitäten bereits vorwegnehmen. Abb. 1 Separate Datenbestände für Buchhaltung und Kapitalflussrechnung Finanztechnisch relevante Geschäftsvorfälle Erfassung und Dokumentation der Geschäftsvorfälle Datenbestand Vermögens- und Ertragslage Datenbestand Zahlungsströme und Finanzlage Bilanz GuV Kapitalflussrechnung Quelle: eigene Darstellung 44 Controlling & Management Review 1 2015
Unter den operativen Geschäftstätigkeiten werden in der KfR die laufenden Tätigkeiten aus dem Kerngeschäft des Unternehmens verstanden. Die Finanzströme der operativen Geschäftstätigkeiten lassen Rückschlüsse auf die Möglichkeiten der zukünftigen Innenfinanzierung des Unternehmens zu. Bei Investitionen steht in der KfR die Frage im Vordergrund, in welchem Umfang liquide Mittel für neue Investitionen verwendet wurden und welchen Einfluss die Desinvestitionen auf den Fond hatten. Die Außenfinanzierung durch Eigen- und Fremdkapitalgeber zeigt, in welcher Höhe langfristige Finanzmittel aufgenommen oder an die Kapitalgeber gezahlt wurden. Realtime-Kapitalflussrechnung In der Buchhaltung sind Konten das dominante Organisationselement. Für die KfR stellen die Kontonummern zwar den Ausgangspunkt dar, allerdings sind die Anforderungen der KfR nach der direkten Methode damit nicht abzubilden. Hier ist den Einwänden der Unternehmen in vollem Umfang zuzustimmen. Um den Anforderungen der KfR gerecht zu werden, ist es notwendig, die Geschäftsvorfälle nach einer entsprechend gestalteten Systematik zu erfassen und zu speichern. Wenn die Datensätze, wie in Abbildung 1 dargestellt, separat erfasst werden, stellt sich die Frage, wie die Daten aufbereitet werden können, um den Anforderungen der KfR nach der direkten Methode gerecht zu werden. Geschäftsvorfälle werden in Form von Buchungssätzen erfasst und kontiert, das heißt, gleichartige Geschäftsvorfälle werden auf einem Konto gesammelt. Ob es sich dabei im Einzelnen um einen liquiditätswirksamen Geschäftsvorfall handelt oder nicht, ist nur aus dem Gegenkonto ersichtlich. Für die KfR werden deshalb Liquiditätspositionen Cash (Finanzmittel), Forderungen, Verbindlichkeiten, Umsatzerlöse, Wareneinsatz, Personalkosten und so weiter definiert. Diesen Liquiditätspositionen Zusammenfassung Entsprechend den geplanten Standards von International Accounting Standards Board und Financial Accounting Standards Board soll die Kapitalflussrechnung zukünftig nach der direkten Methode erstellt werden. Die direkte Methode bietet den Vorteil, dass die Liquiditätsströme realtime erfasst werden und das Modell auch für die Liquiditätsplanung genutzt werden kann. Eine systemtechnisch entsprechend gestaltete Erfassung der Liquiditätspositionen macht es möglich, dass Buchhaltung und Kapitalflussrechnung auf derselben Datenbasis arbeiten können. Tab. 1 Liquiditätspositionen der Kapitalflussrechnung A B C D E F G H 1 S H Cash Forderungen Verbindlichkeiten Umsatz Waren Personal xxx 2 Cash 150,00 300,00 3 Forderungen 4 Verbindlichkeiten 5 Umsatz 6 Waren 100,00 7 Personal 60,00 40,00 8 xxx Quelle: eigene Darstellung Controlling & Management Review 1 2015 45
werden in einer Steuerungstabelle die entsprechenden Konten zugeordnet. Die Lösung für eine direkte Erfassung der Liquiditätsdaten besteht in einem methodischen Ansatz, der der Einfachheit halber als Tabelle dargestellt wird (Tabelle 1). Die Liquiditätspositionen werden dabei sowohl in der Spalten- als auch in der Zeilenbeschriftung eingetragen. Jeder Geschäftsvorfall erzeugt einen Eintrag in diese Tabelle. Ein solches Vorgehen ist hier beispielhaft an vier Geschäftsvorfällen dargestellt: 1. Einkauf von Waren auf Rechnung Euro 100,00 2. Lohn- und Gehaltszahlungen an Mitarbeiter Euro 60,00 3. Verbindlichkeiten Sozialversicherung und Lohnsteuer Euro 40,00 4. Warenverkauf gegen Barzahlung Euro 300,00 Aus dieser sehr einfach gehaltenen Darstellung lässt sich außerdem erkennen, dass die Liquiditätsposition Cash in Zeile 2 / Spalte B am Periodenbeginn einen Vortrag in Höhe von 150,00 Euro ausweist. Am Periodenende errechnet sich der Saldo der Liquiditätsposition Cash aus dem Vortrag in Höhe von 150,00 Euro plus den Einzahlungen aus Umsätzen in Höhe von 300,00 Euro in Zeile 2 abzüglich der geleisteten Auszahlungen an die Mitarbeiter in Höhe von 60,00 Euro in Spalte B und ergibt 390,00 Euro. Wie aus der Liquiditätsposition Verbindlichkeiten in Zeile 4/ Spalte D erkennbar ist, bestand zu Beginn der Periode kein Vortrag. Während der Periode wurden demnach auch keine Verbindlichkeiten abgebaut, wie aus Zeile 4 ersichtlich ist. Andererseits führten der Wareneinkauf auf Rechnung in Höhe von 100,00 Euro und die noch ausstehenden Zahlungen für Sozialversicherung und Lohnsteuer am Ende der Periode zu einer Verbindlichkeit in Höhe von 140,00 Euro, wie in Spalte D gezeigt. Kernthesen Die geplante Darstellung nach der direkten Methode erlaubt eine automatisierte Erstellung der KfR. Geschäftsvorfälle liefern die Basis für einen separaten Datenbestand einer Realtime-KfR. Die Weiterentwicklung der direkten Methode ermöglicht auch die Ableitung der Liquiditätsplanung aus der operativen Planung. KfR und Liquiditätsplanung anhand der direkten Methode erfordern keine zusätzlichen Eingaben im Prozessablauf. Um den Anforderungen der Kapitalflussrechnung nach der direkten Methode gerecht zu werden, müssen die Geschäftsvorfälle nach einer entsprechend gestalteten Systematik erfasst und gespeichert werden. Die Salden aller Konten, die einer Liquiditätsposition zugeordnet wurden, stimmen demnach mit dem Saldo der Liquiditätsposition überein. Buchhaltung und KfR basieren auf denselben Ausgangsdaten, die zuvor, den jeweiligen Anforderungen entsprechend, in unterschiedlicher Weise aufbereitet und gespeichert wurden. Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass die Daten der KfR genauso aktuell sind wie die Daten der Bilanz und GuV. Dabei ist für die KfR kein Eingriff in die logistischen oder buchhalterischen Prozessabläufe notwendig. Die Daten der Geschäftsvorfälle müssen also für die Realtime-KfR nicht zusätzlich mit Informationen angereichert werden. In einem Konzern mit zahlreichen Buchungskreisen werden die Intercompany-Beziehungen standardmäßig über die Partner-Gesellschafts-Nummer ermittelt. Die Partner-Gesellschafts-Nummer ist hier auch ein Organisationselement der KfR, das eine problemlose Abstimmung und Konsolidierung der Zahlungsströme zwischen einzelnen Konzerngesellschaften und im Gesamtkonzern ermöglicht. Kapitalflussrechnung als Liquiditätsplanung Diese Vorgehensweise wird nicht nur für die Ist-KfR, sondern auch für die Erstellung der Plan-KfR als Liquiditätsplanung angewandt. Während die Planung der Aufwände und Erträge einen Ausblick auf den Erfolg zukünftiger Perioden darstellt, werden aus derselben Datenbasis die Ergebnisse der Liquiditätsplanung direkt ermittelt. Nahezu alle Unternehmen nutzen für die periodischen Planungszyklen entsprechende Tabellenkalkulationsprogramme oder ein Business Data Warehouse. Die Ergebnisse dieser Planungszyklen werden in das ERP-System übertragen und bilden die Basis für die Plan- KfR, also für die Liquiditätsplanung. Hier stellt sich die Frage, wie aus den Planzahlen, die ohne Gegenposition ins ERP- System übertragen werden, eine Liquiditätsplanung erstellt werden kann. 46 Controlling & Management Review 1 2015
Die Planzahlen müssen dazu auf Konten in das ERP-System übertragen und damit auf eine Plan-Liquiditätsposition gesteuert werden. Jede Plan-Liquiditätsposition wird tabellengesteuert mit einer Gegenposition verknüpft. Nur die Gegenpositionen Forderungen und Verbindlichkeiten sind dabei liquiditätsrelevant. Ein Plan-Umsatz wird beispielsweise in die Plan-Liquiditätsposition Forderungen an Umsatz transformiert. Forderungen werden wiederum automatisch in Zahlungseingänge (ZE) umgewandelt, zum Beispiel in ZE im laufenden Monat = 30 Prozent, ZE im folgenden Monat = 50 Prozent und ZE im übernächsten Monat = 20 Prozent. Die Verteilung der Plan-Zahlungseingänge auf zukünftige Perioden erfolgt mithilfe von Zahlungsvektoren, die aufgrund von Kennzahlen aus der Vergangenheit gewonnen und im System hinterlegt wurden. Eine solche Liquiditätsplanung gibt Auskunft über die Einund Auszahlungen, die sich aus dem geplanten operativen Geschäft, den geplanten Investitionen und den geplanten Finanzierungsaktivitäten ergeben. Sie ist in jedem ERP-System zum Beispiel in SAP, Oracle, Navision umsetzbar und wurde bereits als Prototyp in einem SAP-ERP-System erfolgreich installiert. Schlussbetrachtung Die geplanten internationalen Vorgaben für die KfR sind für die Unternehmen eine Herausforderung. Doch bieten sie ihnen die große Chance, die KfR auch für ihre Liquiditätsplanung zu instrumentalisieren. Aus den Ist-Buchungen der einzelnen Geschäftsvorfälle wird dabei ein separater Datenbestand als Basis für die KfR generiert. Die KfR wiederum liefert parallel zu den Daten der Bilanz und GuV Realtime-Informationen über die Liquiditätsströme im Unternehmen. Planungen werden in Plan-Buchungen für die Liquiditätsplanung umgesetzt und zeigen deren Auswirkungen auf die Finanzmittel des Unternehmens. Damit sind die Ergebnisse der Planung des operativen Geschäfts, der Investitionsplanung und der geplanten Finanzierungsaktivitäten auf die liquiden Mittel des Unternehmens direkt darstellbar. Literatur Gebhardt, G./Mansch, H. (2012): Praxis der Aufstellung und Nutzung von Kapitalflussrechnungen deutscher Industrieunternehmen, Arbeitskreis Finanzierungsrechnung der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V., in: zfbf-sonderheft 66/12, S. 3 f. aa Zusätzlicher Verlagsservice für Abonnenten von Springer für Professionals Finance & Controlling Zum Thema Kapitalflussrechnung international Suche finden Sie unter www.springerprofessional.de 453 Beiträge, davon 362 im Fachgebiet Finance & Controlling Stand: Januar 2015 Medium Online-Artikel (1) Zeitschriftenartikel (38) Buchkapitel (414) Sprache Deutsch (450) Englisch (3) Von der Verlagsredaktion empfohlen Hakelmacher, S. (2013): Vom simplen Jahresabschluss zur anspruchsvollen Kapitalflussrechnung, in: Hakelmacher, S.: Topmanager sind einsame Spitze Höhenflüge in dünner Luft, 4. Auflage, Wiesbaden, S.219-225. www.springerprofessional.de/4652534 Kaiser, D. (2011): Die Kapitalflussrechnung nach IFRS, in: Kaiser, D.: Treasury Management Betriebswirtschaftliche Grundlagen der Finanzierung und Investition, Wiesbaden, S. 383-399. www.springerprofessional.de/1819434 Controlling & Management Review 1 2015 47