Tarifbindung und Entwicklungen im Tarifsystem Reinhard Bahnmüller

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Transkript:

Tarifbindung und Entwicklungen im Tarifsystem Reinhard Bahnmüller Landesbezirkskonferenz Fachbereich Medien Kunst Industrie ver.di Landesbezirk Hessen 22./23. Januar 2011 in Steinbach/Taunus

Agenda 1. Haupttrends im Tarifsystem Entwicklung der Tarifbindung von Betrieben und Beschäftigten Dezentralisierung/Verbetrieblichung des Tarifsystems Differenzierung der Tarifnormen Fragmentierung/Segmentierung der Tariflandschaft 2. Folgen Wandel des Charakters von Tarifverträgen Die Metamorphose des dualen Tarifsystems: Auf dem Weg zu einem Mehrebenensystem jenseits der Dualität Rolle, Aufgaben und Selbstverständnis der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften im Wandel 3. Gewerkschaftliche Kontrollstrategien und Kontrollerfolge 4. Dezentralisierung als organisationspolitische Chance für die Gewerkschaften? 5. Fazit

Haupttrends im Tarifsystem: (1) Rückläufige Tarifbindung 90 Tarifgebundene Beschäftigte in % aller der Beschäftigten 85 83 80 76 Prozent 75 70 65 63 73 70 71 70 70 68 67 65 63 63 65 60 55 57 55 56 55 54 53 53 54 54 52 51 50 1995 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 3 Quelle: IAB

Haupttrends im Tarifsystem: (1) Rückläufige Tarifbindung Tarifgebundene Betriebe in % aller der Beschäftigten 70 65 61 60 55 53 Westdeutschland 50 47 48 48 46 46 Prozent 45 40 43 41 43 39 38 39 35 33 Ostdeutschland 30 25 26 27 28 24 26 23 23 24 24 25 23 20 1995 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 4 Quelle: IAB Quelle: IAB-Betriebspanel

Tarifbindung Beschäftigte 2009 Keine Tarifbindung und keine Orientierung am TV 19% Keine Tarifbindung aber Orientierung am TV 19% Branchentarifverträge 53% Firmentarifvertrag 9% Quelle: IAB-Betriebspanel Tarifbindung Betriebe 2009 keine Tarifbindung und keine Orientierung am TV 36% Branchentarifvertrag 36% Firmentarifvertrag 3% Quelle: IAB-Betriebspanel keine Tarifbindung aber Orientierung am TV 25%

Tarifbindung der Betriebe nach Betriebsgröße 2007 (Branchen- und Firmentarifverträge) 100 90 West Ost 87 90 80 80 74 70 60 62 58 Prozent 50 50 40 30 32 35 20 19 10 0 1 bis 9 Beschäftigte 10 bis 49 Beschäftigte 50 bis 199 Beschäftigte 200 bis 499 Beschäftigte 500 u. mehr Beschäftigte Quelle: IAB-Betriebspanel

Tarifbindung der Betriebe nach Branchen 2007 (Branchen- und Firmentarifverträge) 100 90 92 90 West Ost 80 Prozent 70 60 50 40 30 20 10 62 42 59 53 49 48 27 29 46 46 23 32 40 39 39 38 24 21 21 8 36 19 33 23 18 14 Gebietskörperschaften/Sozialversicherungen 0 Baugewerbe Bergbau/Energie Verbrauchsgüter Organisationen ohne Erwerbszweck Grundstoffverarbeitung (Produktionsgüter) Kredit/Versicherungen Landwirtschaft usw. Sonstige Dienste Betriebe gesamt Verkehr/Nachrichten Handel/%Reparatur Investitionsgüter Dienste für Unternehmen Quelle: IAB-Betriebspanel

Tarifbindung der Beschäftigten nach Branchen 2008 (Branchen- und Firmentarifverträge) 100 90 98 96 93 88 87 West Ost Prozent 80 70 60 50 40 30 71 74 57 72 68 43 41 63 64 63 62 52 53 42 42 56 48 51 30 43 51 54 20 17 10 0 Öffentliche Verwaltung Bergbau/Energie Kredit/Versicherung Baugewerbe Grundstoffverarbeitung (Produktionsgüter) Investitionsgüter Gesamt Verbrauchsgüter sonstige Dienste Org. ohne Erwerbszweck Verkehr/Nachrichten Handel/Reparatur Dienste für Unternehmen Landwirtschaft u.a. Quelle: IAB-Betriebspanel

Trend 2: Dezentralisierung, Differenzierung, Fragmentierung/Segmentierung Dezentralisierung des Verhandlungssystems= vollständige oder teilweise Verlagerung der Regulierung der Arbeitsbedingungen von der sektoralen und die betriebliche Ebene. Differenzierung der Tarifnormen= Gestaltung der Arbeitsbedingungen entsprechend der jeweiligen betrieblichen Bedingungen oder Anbindung von Arbeitsnormen an die einzelbetriebliche Produktivität oder an die Durchsetzungsstärke einzelner Beschäftigtengruppen. Fragmentierung bzw. Segmentierung der Tariflandschaft= Eingrenzung des Geltungsbereichs bisher großflächig geltender Tarifverträge bzw. Tarifnormen auf kleinere Segmente (z.b. Spartentarifverträge oder Tarifverträge für bestimmte Personengruppen).

Typen und Verlaufsformen von Dezentralisierung Dezentralisierung bei wertgleichen Tarifstandards, Flexibilisierung der Arbeitszeit im Rahmen einer 35-Stunden-Woche Auswahl der Entlohnungsgrundsätze Dezentralisierung bei Differenzierung bzw. Absenkung der Tarifstandards wilde Dezentralisierung Betriebliche Bündnisse für Arbeit Einzelarbeitsvertragliche Regelung der Arbeitsbedingungen kontrollierte Dezentralisierung Firmentarifverträge Korridore in Flächentarifverträgen Tarifliche Öffnungsklauseln

Dynamik und Ausmaß der Dezentralisierung/ Verbetrieblichung Verbreitung Firmentarifverträge: + 400% seit 1990 (Tarifarchiv) Verbreitung tarifliche Öffnungsklauseln: Gesamtwirtschaft: 13% der tarifgebundenen Betriebe, 29% der Beschäftigten (IAB Betriebspanel 2005) Chemische Industrie: 13% der Betriebe (IG BCE) M+E-Industrie: ca. 10% d. Betriebe mit ca. 50% der Beschäftigten (IG Metall/Haipeter/eigene Schätzung) Ver.di: 850 genehmigte abweichende Tarifverträge (Stand 2007) (Ver.di) Nutzung Öffnungsklauseln: 53% (IAB Betriebspanel 2005) bzw. 75% (WSI- Betriebsrätebefragung) der Betriebe, in denen tarifliche Öffnungsklauseln gelten Verbreitung betrieblicher Bündnisse für Arbeit - Alle Betriebe: 23%, > 1000 Beschäftigte: 42% (WSI-Betriebsrätebefragung 2003)

Erteilte Genehmigung zur Tarifabweichung in der Chemischen Industrie (Daten Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie) 400 350 Betroffene Arbeitnehmer 2007: ca. 10% 347 300 283 250 239 200 207 206 198 150 148 121 100 50 45 39 59 100 93 100 75 84 104 0 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: IG BCE

Grenzen und Gegenbewegungen (1) Tarifreformprojekte mit starkem, von den Arbeitgebern gefordertem ordnungspolitischen Anspruch (ERA, TVöD, Einzelhandel, Banken) => Nicht nur Abschied, sondern auch Umnutzung von Flächentarifverträgen als Option der Arbeitgeber (2) Ambivalenz der Arbeitgeber gegenüber Verbetrieblichung (3) Nicht intendierte Nebenfolgen der Dezentralisierung: Arbeitnehmergetriebene Differenzierung der Tarifnormen, Konkurrenzgewerkschaften und Verlust der Tarifeinheit (4) Verlust der Entlastungsfunktion des Staates bei weiterer Erosion der Tarifautonomie

Folge 1: Neue Dualität und optionale Zweistufigkeit des Tarifsystems Stufe 1: Rechtlicher Rahmen Akteure Regulationsgegenstand Form der Konfliktlösung Sektorale Ebene Tarifautonomie Gewerkschaften versus Arbeitgeberverbände Verkaufsbedingungen der Arbeitskraft (Lohn, Arbeitszeit etc.) Bilateral mit Streikrecht Stufe 2 Rechtlicher Rahmen Akteure Regulationsgegenstand Form der Konfliktlösung Betriebliche Ebene Tarifautonomie Gewerkschaft versus Arbeitgeber/ Arbeitgeberverband Konditionierte Unterschreitung sektoraler Arbeitsnormen im Tausch gegen Beschäftigungs- bzw. Standortgarantien bzw. Invesititionszusagen Bitrilateral ohne Streikrecht Stufe 3: Rechtlicher Rahmen: Akteure: Regulationsgegenstand Form der Konfliktlösung Betriebliche Ebene Betriebsverfassung Betriebsrat versus Management Anwendungsbedingungen der Arbeitskraft Bilateral ohne Streikrecht

Folge 2: Veränderte Rollen, Aufgaben und Selbstverständnis der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften Arbeitgeberverbände Vom Sachwalter der Kollektivinteressen der Arbeitgeber zum nachfrageorientierter Dienstleister Aufbau einer Doppelstruktur Tarifverband + OT-Verband Gewerkschaften Wegfall der Pufferfunktion des Betriebsrats Vom Sachwalter der Kollektivinteressen aller Arbeitnehmer zum Interessenvermittler zwischen betrieblichen Einzel- und Kollektivinteressen. Verstärkte Koordinations- und Kontrollanforderungen bei abnehmenden personellen und finanziellen Ressourcen

Mitgliedsfirmen Gesamtmetall 1990-2008 nach Art der Tarifbindung 12.000 10.000 8.000 erstmals ausgewiesen ohne Tarifbindung 6.000 mit Tarifbindung 4.000 2.000 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 1) 2004 2005 2006 2007 2008 Quelle: Gesamtmetall, Verbandsmeldung Tarifgebunden Gesamt ohne Tarifbindung Gesamt Quelle: Gesamtmetall

Beschäftigte in Mitgliedsfirmen von Gesamtmetall 1991-2008 nach Art der Verbandsmitgliedschaft 4000000 3500000 3000000 Beschäftigte in Mitgliedsfirmen 2500000 2000000 1500000 ohne Tarifbindung (OT) 1000000 mit Tarifbindung 500000 0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1997* 1998 1999 2000 2001 2002 2002** 2003*** 2004 2005 2006 2007 2008 Quelle: Gesamtmetall

Folge 3: Veränderter Charakter der Tarifnormen und des Flächentarifvertrags Nachlassende Ankerfunktion der Flächentarifnormen Tarifnormen werden zu betrieblich nachverhanderbaren Größen Größer werden Schere zwischen sektoral verhandelten Tarifnormen und realen betrieblichen Arbeitsnormen

Umgangsformen: Gewerkschaftliche Kontrollstrategien Korridorlösungen in Flächentarifverträgen Tarifliche Öffnungsklauseln (1) Öffnung durch Betriebsparteien (Handlungsrahmen Betriebsverfassung) (2) Öffnung durch Tarifparteien (Handlungsrahmen Tarifautonomie) Gewerkschaftsinterne Koordinationsregeln

Kontrollerfolge Erhöhung der Transparenz Zahl der Abweichungsfälle Felder der Tarifabweichung Reichweite der Abweichungen Prüfung der Erfolgsaussichten einer Tarifabweichung Zeitliche Begrenzung der Abweichung und Rückführung an die Fläche Gegenleistungen (Beschäftigungssicherung, Standortsicherung, Investitionen) Überbetriebliche Kontrolle und Koordinierung auf Konzern und Branchenebene (Vermeidung von Dominoeffekten, Unterbietungskonkurrenz)

Laufzeiten von betriebliche abweichenden Tarifregelungen in der M+E- Industrie ( Pforzheimer Abkommen ) (Angaben in % der Vereinbarungen) 30 28,1 25 24,1 20 18,8 15 10,8 10 9,1 6,6 5 2,2 0 bis 1 Jahr bis 2 Jahre bis 3 Jahre bis 4 Jahre bis 5 Jahre länger als 5 Jahre nicht erm ittelbar Quelle: IG Metall; Haipeter 2009, S. 155

Gegenleistungen der Arbeitgeber für befristete Tarifabweichung in der M+E-Industrie (Angaben in % der Abweichungsvereinbarungen) 1 0 0 9 0 Au s s c h lu s s K ü n d ig u n g e n S ta n d o rts ic h e ru n g In v e s titio n e n 8 0 7 0 7 2 7 6 6 0 5 4 6 1 5 0 4 0 3 6 3 0 2 3 2 9 2 5 2 3 3 1 2 0 1 0 1 5 1 2 0 2 0 0 4 2 0 0 5 2 0 0 6 2 0 0 7 2 0 0 4 2 0 0 5 2 0 0 6 2 0 0 7 2 0 0 4 2 0 0 5 2 0 0 6 2 0 0 7 Quelle: IG Metall; Haipeter 2009, S. 155

Dezentralisierung als organisationspolitische Chance für die Gewerkschaften? Ja, aber nur unter bestimmten Bedingungen und nicht in jedem Einzelfall Mindestmaß an gewerkschaftlichen Strukturen Offensives, beteiligungsorientiertes Vorgehen Entwicklung eigener Forderungen Hohes Maß an Öffentlichkeit und Transparenz Glaubwürdige Bilanzierung des Ergebnisses

Fazit: Stabilisierung des Tarifsystems durch Dezentralisierung? Tarifsystem trotz Dezentralisierung und Differenzierung erheblich geschwächt. Zwei Drittel der Betriebe und die Hälfte der Beschäftigten sind außerhalb des Systems Tarifreformprojekte konnten die innere aber nicht die äußere Erosion des Tarifsystems stoppen. Bisher keine höhere Tarifbindung im Gefolge dieser Reformprojekte Eigeninitiative der Tarifparteien zur Stabilisierung des Systems und der Verbände somit nur bedingt erfolgreich Stabilisierung des Tarifsystem in der Fläche wird aus eigener Kraft der Tarifparteien nicht mehr gelingen können. Stabilisierung durch AVO geboten. Das Paradoxon: Die von Staatsferne und Autonomie der Tarifparteinen lebende Tarifautonomie ist ohne staatliche Unterstützung nicht mehr zu stabilisieren bzw. wiederherzustellen!