Christian W. Glück Wortschatzdiagnostik bei mehrsprachigen Kindern Sprachheilpädagogik ist. hochentwickelte Kompetenzressource im Bildungs- und Gesundheitssystem zur Unterstützung von sprachlich und kommunikativ beeinträchtigten Personen und ihres Umfelds Vortrag auf den Sprachheilbronner Tagen 2009 9. Oktober 2009 steht allen Kindern und Jugendlichen mit sprachheilpädagogischem Förderbedarf zur Verfügung Soziale Herkunft prägt Bildungschancen Sonderschulbesuchsquote Baden-Württemberg 2008/09 Förderschulquote Baden Württemberg 2008/09 4,30% in der Gesamtschülerschaft 8,21% bei SuS mit Migrationshintergrund in der Gesamtschülerschaft 9,26% in Relation zu SuS der Grund /Hauptschule 21,16% in Relation zu ausländischen SuS der Grund /Hauptschule Quelle: Statstisches Landesamt Ba Wü 2009 aus: Bildungsbericht 2008 Klieme, E. (2008). Bildung in Deutschland 2008. ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I. (Bd. 2008). Bielefeld: Bertelsmann. Anteil von Ausländern und Aussiedlern Anteil von Ausländern 2008/09 11,80%Gesamtbevölkerung Baden Württemberg 2008 15,43% Grund und Hauptschule 21,90%Lern Förderschule 11,40%Grundschule 9,80%Sprachheilschule Quelle: Statstisches Landesamt und Bildungsbericht Ba Wü 2009 Gründe für mangelnde Fördergerechtigkeit: Streit um die Konzeptualisierung der Mehrsprachigkeit Zugangsproblem aus Sicht der nicht-deutschen Eltern Erfassungsproblem aus Sicht des Sprachheilsystems diagnostisches Dilemma: Spracherfahrungsrückstand <> Spracherwerbsstörung 1
Konzept Mehrsprachigkeit und diagnostische Folgerungen Mehrsprachigkeit: im Alltag nutzt (=gebraucht und/oder versteht) das Kind mehrere Sprachen, die es ohne formale Instruktion erwirbt vielfältige Konstellationen führen zur Mehrsprachigkeit, Heterogenität der Erwerbsbedingungen Sprachbiografie: Kontext der Diagnostik: interindividuelle Vergleichbarkeit problematisch monolinguale Fokussierung überwinden nicht nur additiv Kontext der Verwendung der geforderten Sprachleistungen besondere Leistungen berücksichtigen (List 2005: Quersprachigkeit : Sprachwechsel, Übersetzen, Metasprache) Berücksichtigung der Sprachbiografie Frage nach den relevanten Einflussgrößen auf den Wortschatzumfang Alter Möglichkeiten der Spracherfahrung und des Sprachgebrauchs Vielfalt der Erwerbsbedingungen besonders hohe interindividuelle Variabilität Frage nach der Vergleichsgröße in der Diagnostik Normierung für Teilgruppen und bestimmte, standardisierbare Erwerbskontexte fast unmöglich Vorschlag (im Bewusstsein der Nachteile) relative Betrachtung: wie viel Wortschatz kann/sollte ein Kind in einer bestimmten Zeit erwerben? Einbeziehung des Erwerbsalters 2
Studie zur Wortschatzdiagnostik Studie zur Wortschatzdiagnostik mit typisch entwickelten SuS der 3. und 4. Klasse Grundschule mit L1 Türkisch Stichprobe: insgesamt N=54 (25w/29m) Teilstichprobe N=38 (20m/18w) zufällig ausgewählt aus Mannheimer Schulen Durchführung WWT 6-10 Subtests WWTexpressiv und WWTrezeptiv in Originalbedingung Teilstichprobe zusätzl. WWTexpressiv und WWTrezeptiv auf Türkisch Eltern-, Lehrerfragebogen nach chronologischem Alter und nach Erwerbsalter Auswertung: Erwerbsmodus Mehrsprachigkeit kein Unterschied nach Geschlecht Unterschiede im Mehrspracherwerbsmodus: Ergebnisse: Ein simultaner MSE wurde angenommen, wenn das Kind vor dem 24. Lebensmonat mit dem Deutscherwerb begonnen hatte. Simultaner Mehrspracherwerb führt bei 3./4. Klässlern zu besserer Wortschatzleistung Auch bei simultanem MSE erreichen nur wenige Kinder das durchschnittliche Niveau von einsprachig aufwachsenden Kindern Auswertung: Einbeziehung des Erwerbsalters Differenzialdiagnostik Unterschiede zw. chronol. Alter und Erwerbsalter Ergebnisse: Einbeziehung des EA führt zu sign. verbesserten Werten unter Berücksichtigung des EA erreicht das Gruppenmittel den Durchschnittsbereich einzelne Kinder bleiben trotz EA-Korrektur im deutlich unterdurchschnittlichen Bereich mit Berücksichtigung des Vertrauensintervalls WWTexpr. für 5;6-6;11 Jährige: 7,5 spezifischer Förderbedarf für 6 der 45 Probanden (ohne KI: 15/45) Auffälliges Deutsch aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse (Spracherfahrungsmangel) Merkmale. Unauffällige L1 Rasche Deutsch- Fortschritte bei intensivem Sprachkontakt Mehrsprachiges Kind mit im Vergleich zu monolingualen Kindern auffälligem Deutsch Auffälliges Deutsch aufgrund einer Spracherwerbsstörung Merkmale. auffällige L1 Verzögerter Erwerb des Deutschen Zum Begriff der Mehrsprachigkeit und Folgerungen für Kultur- und sprachkritische h Itemanalyse Kultur- und sprachkritische Itemanalyse Automat, Mantel, Insekten, Pflanzen, warten, Klinge Itemschwierigkeit ist für Kinder mit L1 Arabisch ähnlich zu der für Kinder mit L1 Deutsch 3
Itemanalyse Kultur- und Sprachspezifität dirigieren wörtlich aus dem Arabischen: Orchester führen Ferse bezieht sich im Arabischen auf hinteren Teil des Fußes und auch des Schuhs Itemanalyse Kultur- und Sprachspezifität Wörter, ohne Entsprechungen im Arabischen Wappen ohne kulturelle Entsprechung entgleisen wird umschrieben wolkenlos - wird nicht extra markiert, bewölkt ist Teil des Regen -Konzeptes Itemanalyse Kultur- und Sprachspezifität Wörter, ohne Entsprechungen im Arabischen Wörter, mit differenzierteren, semantischen Konzepten im Arabischen brüllen wird bildlich durch Löwe dargestellt im Arabischen eigener Ausdruck für das Brüllen des Löwens Zum Begriff der Mehrsprachigkeit und Folgerungen für Kultur- und sprachkritische h Itemanalyse Diagnostik der Gesamtkompetenz Zufällig ausgewählte, mehrsprachige Kinder mit türkischer Erstsprache (N=10 40) Vergleichende Untersuchung mit dem WWT mit den Subtests WWTexpressiv und WWTrezeptiv Deutschsprachige Durchführung mit dem Originaltest Durchführung der türkischen Übertragung des WWT durch deutschsprachige TestleiterInnen WWT-TR Diagnostik der Gesamtkompetenz Vorläufige Ergebnisse: Feststellung der lexikalischen Dominanz WWT-Items: Dominanz kann in der L1 liegen meist in der L2! Interdependenzhypothese wird gestützt sehr hohe Korrelation in der expressiven Leistung bei insgesamt niedrigem Leistungsniveau bei Items mit dem gehobenen Anforderungsniveau des Grundschulalters ist die L2 Deutsch meist besser ausgeprägt Notwendigkeit der sprachlichen Förderung außerhalb der L1-Familie 4
Fazit Zwei diagnostische Strategien Einbezug des Erwerbsalters Wortschatzerwerbskapazität eingeschränkt Überprüfung der L1 Lexikalische Probleme in der L1 aufdecken Fazit Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Validere Informationen für eine angemessene Entscheidungsdiagnostik 5