Zug- und Druckbeanspruchung

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Kapitel 2 Zug- und Druckbeanspruchung 2.1 Zug- und Druckspannungen Zur Berechnung der Spannungen in einem prismatischen Zugstab wendet man die Schnittmethode (s. Abschnitt 1.3) an. Da die äußeren Kräfte F in Richtung der Stabachse zeigen, ist ein Schnitt senkrecht zur Stabachse als geeignet anzusehen. In dieser Querschnittsfläche können nur Normalspannungen auftreten (Abb. 2.1), weil Schubspannungen äußere Kräfte senkrecht zur Stabachse erfordern. Die Gleichgewichtsbedingung der Kräfte in Stablängsrichtung ergibt mit lim n A 0 n i=1 σ i A i = σda σda F=0. (2.1) Geht man von der Annahme aus, dass die Spannungen gleichmäßig über die Querschnittsfläche verteilt sind, dann ist σ= const. und aus Gl. (2.1) folgt σ da=σa=f. (2.2) Damit lautet die Gleichung für die Zugspannung σ= F A. (2.3) a) Abb. 2.1 Zugstab a) Schnitt b) Geschnittener Zugstab mit Normalspannungen σ in der Schnittfläche c) durch σ i beanspruchte Elementarfläche A F b) σ c) F A A i σ i F H. Altenbach, Holzmann/Meyer/Schumpich Technische Mechanik Festigkeitslehre, DOI 10.1007/978-3-658-06041-1_2, Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

14 2 Zug- und Druckbeanspruchung Die Annahme gleichmäßiger Spannungsverteilung ist zutreffend, wenn sich die Querschnittsflächen entlang der Stabachse nicht oder nur wenig ändern und wenn man den Bereich in der Nähe der Krafteinleitung außer Acht lässt. Die letzte Aussage folgt aus dem Prinzip von DE ST. VENANT: An Stellen, an denen eine Krafteinleitung erfolgt, können örtlich ungleichmäßige Spannungsverteilungen auftreten, die aber in der Berechnung vernachlässigt werden, da diese sehr schnell abklingen. Bei plötzlichem Querschnittssprung ist die Spannungsverteilung ungleichmäßig (s. Abschnitt 3.2.2). Druckbeanspruchung erhält man durch Richtungsumkehr der äußeren Last F. Aus Gl. (2.3) folgt somit die Gleichung für die Druckspannung in einem Druckstab σ= F A. (2.4) Die Spannungen in Zug- und Druckstäben müssen zulässig sein. Der maximale Wert der Spannung, der zulässig ist, folgt aus der Festigkeitsbedingung mit der zulässigen Spannungσ zul (s. Kapitel 3) σ = F A σ zul. (2.5) Aus Gl. (2.5) folgt für die Tragfähigkeit und für die Dimensionierung F zul Aσ zul (2.6) A zul F σ zul. (2.7) Die Gln. (2.5) bis (2.7) entsprechen den Grundaufgaben der Festigkeitslehre (Abschnitt 1.1) und gelten auch für Druckstäbe, sofern diese gedrungen sind und die zulässigen Spannungen für Zug und Druck gleich sind. Für schlanke Stäbe ist eine Berechnung auf Knicken erforderlich (s. Kapitel 10). Die Vorzeichen + oder werden im Allgemeinen nicht angegeben, wenn eindeutig zu erkennen ist, ob es sich um Zug- oder Druckstäbe handelt. Die Berechnung der zulässigen Spannung σ zul bei Zug- und Druckbeanspruchung wird im Kapitel 3 behandelt. Beispiel 2.1 (Zugspannung in einer Stahlstange). Eine Stahlstange, Durchmesser d = 50mm, wird mit F = 300kN auf Zug beansprucht. Man berechne die Zugspannung σ. Lösung 2.1 Für d=50mm ist A=(π/4)d 2 = 1963,5mm 2 1964mm 2. Gleichung (2.3) ergibt dann die Zugspannung σ= F A = 3 105 N 1964mm 2 = 152,8 N mm 2 153MPa.

2.2 Zugversuch 15 Beispiel 2.2 (Tragfähigkeit eines Zugstabes). Wie groß ist die Tragfähigkeit eines Zugstabes (Stahl S235JR,σ zul = 140N/mm 2 )? Für den Stab ist warmgewalzter gleichschenkliger rundkantiger Winkelstahl 60 6 vorgesehen. Lösung 2.2 Einer Profiltabelle in [27] entnimmt man A = 6,91cm 2 für den gegebenen Winkelstahl. Die Tragfähigkeit wird nun aus Gl. (2.6) berechnet F zul =Aσ zul = 691mm 2 140 N mm 2 = 96,7 103 N. Die Zugkraft in dem Winkelstahl darf somit rund 96.7 kn nicht überschreiten. Beispiel 2.3 (Dimensionierung einer Schraube). Eine Stahlschraube mit metrischem Gewinde wird mit einer Zugkraft F = 125 kn beansprucht. Welche Schraubengröße ist zu wählen, wenn die zulässige Spannung σ zul = 120N/mm 2 beträgt? Lösung 2.3 Für die Berechnung denkt man sich die Schraube durch einen zylindrischen Stab mit dem Durchmesser des Gewindekernquerschnitts ersetzt. Aus Gl. (2.7) erhält man A F σ zul = 1,25 105 N 120N/mm 2 = 1042mm2. Einer Gewindetabelle [27] entnimmt man das Gewinde M42 mit Kernquerschnitt A 3 = 10,45cm 2. Der Spannungsnachweis erfolgt mit Gl. (2.3) σ= F A 3 = 1,25 105 N 1045mm 2 = 120 N mm 2. Mit dem Spannungsquerschnitt A S = 11,21cm 2 [27] ergibt sich die Spannung zu 111,5N/mm 2. 2.2 Zugversuch Der Zugversuch gehört zu den Grundversuchen der Werkstoffprüfung. Gleichzeitig ist die Analyse des Zugversuchs vom Standpunkt der Technischen Mechanik von besonderem Interesse. Daher wird nachfolgend der Zugversuch aus unterschiedlichen Blickwinkeln analysiert. Dabei wird ein Grundbeanspruchungsfall der Festigkeitslehre betrachtet. Daneben werden wichtige Werkstoffkennwerte eingeführt.

16 2 Zug- und Druckbeanspruchung 2.2.1 Spannungs-Dehnungs-Diagramm - Hooke sches Gesetz Das Verhalten von Werkstoffproben bei Zugbeanspruchung prüft man im Zugversuch 1. Ein genormter Zugstab (Abb. 2.2), z. B. aus Stahl mit zylindrischem Prüfquerschnitt (Durchmesser d 0 ), wird in einer Prüfmaschine bis zum Zerreißen belastet. Dabei wird die Kraftzunahme verfolgt. An einer vorbereiteten Anfangs- Abb. 2.2 Genormter Proportionalstab für Zugversuche d0 L 0 messlängel 0 misst man die mit der KraftFzunehmende Verlängerung L, d. h. die Differenz aus aktueller Länge L und L 0. Der Durchmesser nimmt um d ab (Abb. 2.3), da sich d aus der Differenz von aktuellem Durchmesser d und Anfangsdurchmesser d 0 ergibt. Um von den absoluten Maßen des Zugstabs unabhängige Größen zu erhalten, bezieht man die Längenänderung L auf die AnfangsmesslängeL 0 sowie die Durchmesseränderung d auf den Durchmesser d 0. Dabei sind die Vorzeichen von L und d von Bedeutung, da sie eine eindeutige Interpretation der Ergebnisse zulassen. Definition 2.1 (Technische Dehnung). Als technische Dehnung bzw. Ingenieurdehnung ε wird der Quotient aus Längenänderung zu Anfangsmesslänge bezeichnet ε= L L 0. Bei Zug wird die Länge L in Folge der Beanspruchung größer als die AnfangsmesslängeL 0, daher sind die Verlängerung L und die Dehnungε positiv. Definition 2.2 (Querkontraktion). Als Querkontraktion (Querdehnung) ε q wird der Quotient aus Durchmesseränderung zu Anfangsdurchmesser bezeichnet d0 d/2 Abb. 2.3 Elastische Verformung der zylindrischen Messstrecke eines Zugstabes L 0 L 1 Die ermittelten Kennwerte mit der Dimension Spannung werden in der Werkstoffprüfung mit dem Buchstaben R statt σ, die mit der Dimension Dehnung mit dem Buchstaben A statt ε bezeichnet. Dem wird auch hier Rechnung getragen.

2.2 Zugversuch 17 ε q = d d 0. Dabei ist zu beachten, dass der Anfangsdurchmesserd 0 größer als der Durchmesser in Folge der Beanspruchungd ist, d. h. d und die Querdehnungε q sind negativ. Unabhängig von der Verjüngung des Stabes ist die Zugspannung im Zugversuch als das Verhältnis der ZugkraftF zum AusgangsquerschnittA 0 definiert. Definition 2.3 (Technische Spannung). Als technische Spannung bzw. Ingenieurspannung bei Zugbeanspruchung wird der Quotient aus Zugspannung zu Ausgangsquerschnitt bezeichnet σ= F A 0. Ein anschauliches Bild über das Verhalten einer Probe unter Zugbeanspruchung erhält man, wenn man die Spannung σ über die Dehnung ε aufträgt. Man gelangt so zum Spannungs-Dehnungs-Diagramm für die technischen Spannungen und Dehnungen. Abbildung 2.4 zeigt ein für zähen Baustahl typisches Diagramm. Man erkennt daraus, dass bei kleiner Dehnung zunächst bis zum Punkt P die Dehnung proportional zur Spannung zunimmt. Bei Entlastung geht die Dehnung ebenfalls proportional zurück. In Abschnitt 1.4 wurde dieses Verhalten als elastisch bezeich- a) σ= F A 0 b) A g A e B Z P E σe σp Re Rm c) σz 0 A (A 5 oder A 10 ) ε= L L 0 Abb. 2.4 Verhalten einer Probe bei Zugbeanspruchung (Erklärung der Symbole in Abschnitt 2.2.3) a) Spannungs-Dehnungs-Diagramm eines Baustahls b) gleichmäßige Verjüngung der Messstrecke bis zum Erreichen der Höchstlast c) Einschnürung nach Überschreitung der Höchstlast

18 2 Zug- und Druckbeanspruchung net, es wurde erstmalig von HOOKE (1678) 2 untersucht. Der Anstieg der so genannten HOOKE schen Geraden 0P ist für jeden Werkstoff eine spezifische Größe. Die Proportionalität zwischen Spannung und Dehnung lässt sich durch die Gleichung σ=eε. (2.8) ausdrücken. Der Proportionalitätsfaktor E wird Elastizitätsmodul genannt und ist das Maß für den Anstieg der Geraden 0P. Er ist konstant, wenn die Prüfbedingungen konstant sind. Gleichung (2.8) wird als HOOKE sches Gesetz bezeichnet. Es dient als Grundlage zur Ermittlung der Spannungen in Bauteilen bei elastischen Formänderungen. Zahlenwerte für E-Moduln können z. B. [9; 27] entnommen werden, für ausgewählte Werkstoffe sind diese in Tabelle 2.1 angegeben. Durch Versuche hat man auch festgestellt, dass im Bereich der HOOKE schen Geraden das Verhältnis der Dehnungε zur Querkontraktionε q konstant ist (POISSON sches 3 Gesetz) ε εq =m. Die POISSON sche Konstante 4 m ist ebenfalls eine werkstoffabhängige Zahl und liegt für Metalle im Allgemeinen zwischen 3 und 4. Häufiger wird jedoch das Verhältnis von Querkontraktion zu Längsdehnung angegeben Tabelle 2.1 Elastizitätsmodul (in N/mm 2 ), Querkontraktionszahl (dimensionslos) und Wärmeausdehnungskoeffizient (in 10 6 K 1 ) für ausgewählte Werkstoffe Werkstoff Elastizitätsmodul Querkontraktionszahl Wärmeausdehnungskoeffizient Stahl 1,9...2,14 10 5 0,28...0,33 12...15 Eisen, rein 2,12 10 5 0,27 12 Grauguss 0,63...1,3 10 5 0,25 9 Aluminium 0,69...0,72 10 5 0,31...0,34 20...24 Blei 0,16...0,2 10 5 0,45 28...29,3 Kupfer 1,24 10 5 0,33 16 Wolfram 3,55 10 5 0,35 4,5 Glas 0,4...0,9 10 5 0,2...0,29 2,5...10 Polystyren 4 10 3 0,32 30 Epoxidharz 3,5 10 3 0,36 60...70 2 ROBERT HOOKE ( 18. Juli (jul.)/ 28. Juli 1635 (greg.) in Freshwater, Isle of Wight; 3. März 1702 (jul.)/ 14. März 1703 (greg.) in London), Universalgelehrter (hauptsächlich auf den Gebieten Physik, Mathematik und Biologie), Elastizitätsgesetz (als Anagramm ceiiinosssttuu, d. h. ut tensio sic uis bzw. wie die Dehnung, so die Kraft), Kurator und Sekretär der Royal Society 3 SIMÉON DENIS POISSON ( 21. Juni 1781 in Pithiviers, Département Loiret; 25. April 1840 in Paris), Physiker und Mathematiker, Professor an der École Polytechnique, Poisson-Verteilung, adiabatische Zustandsänderung, Poisson-Zahl 4 Korrekterweise müsste hier der Begriff Parameter stehen, da alle Werkstoffkennwerte nicht konstant sind, sondern z. B. von der Temperatur abhängen.

2.2 Zugversuch 19 ν= ε q ε. (2.9) Dabei wird der Reziprokwert von m, die POISSONzahl oder die Querkontraktionszahl ν=1/m, verwendet. Sie beträgt im Durchschnitt für Metalle im geschmiedeten oder gewalzten Zustand 0, 25... 0, 35. Beispiele können Tabelle 2.1 entnommen werden. Bei weiterer Steigerung der Kraft über P hinaus (Abb. 2.4) weicht die Spannungs- Dehnungs-Kurve von der Geraden ab. Die Dehnungen nehmen bei gleicher Kraftsteigerung stärker zu als im elastischen Bereich. Nach Überschreiten eines Höchstwertes der Kraft F B = F m reißt der Stab bei F Z auseinander (s. Abschnitt 2.2.3). Da der Zugstab nach Überschreiten des Höchstwertes F B eine signifikante Einschnürung erfährt, ist die Angabe der Spannung bezogen auf den Ausgangsquerschnitt nicht mehr zulässig. Bei Angabe der wahren Spannungen, die auf den aktuellen Querschnitt bezogen werden, würde das Spannungs-Dehnungs-Diagramm im letzten Teil ansteigen. Weitere Ausführungen zum Spannungs-Dehnungs-Diagramm des Zugversuches kann man z. B. [9; 27] entnehmen. 2.2.2 Elastisches Verhalten - Formänderungsarbeit Das elastische Verhalten eines Werkstoffs ist von grundlegender Bedeutung für die Festigkeitslehre, da die überwiegende Anzahl von Problemen der Praxis unter der Voraussetzung linear-elastischen Verhaltens gelöst wird. Aus dem HOOKE schen Gesetz können eine Reihe von Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Gl. (2.8) sagt z. B. aus, dass in einem Bauteil unter Zugbelastung bei bekanntem E-Modul aus einer unter Kraft F gemessenen Dehnung ε die Spannung σ berechnet werden kann. Ist F nicht bekannt, was häufig vorkommt, kann die Kraft bestimmt werden Löst man Gl. (2.8) nacheauf, dann folgt F=σA=EεA. E= σ ε. (2.10) Mit Hilfe dieser Gleichung kann an einem Probestab aus der KraftFund der gemessenen Dehnung ε der E-Modul eines Werkstoffs ermittelt werden. Löst man schließlich Gl. (2.8) nach ε auf, dann ist ε= σ E. (2.11) Hieraus kann man die Dehnung in einem Zugstab bei gegebener Kraft F und bekanntem Elastizitätsmodul vorausberechnen. Für eine bestimmte Länge l des Stabes folgt aus Gl. (2.11) mitε= l/l undσ=f/a die Verlängerung

20 2 Zug- und Druckbeanspruchung l= Fl EA. (2.12) Mit dieser Gleichung kann man die zu erwartende Verlängerung eines Zugstabes von gegebener Länge ermitteln. Das Produkt EA wird auch als Dehnsteifigkeit bezeichnet. Beispiel 2.4 (Zugkraft und Verlängerung in einer Stange). Eine Stange (d=10mm, l=1000mm) wird mit der Spannung σ = 105 N/mm 2 beansprucht. Wie groß sind die Zugkraft F und die Verlängerung l, wenn die Stange aus Stahl bzw. aus der Legierung AlMgSi gefertigt ist? Lösung 2.4 Gleichung (2.3) ergibt F=σA=105 N mm 2 78,5mm2 8250N=8,25kN. Für Stahl mite=2,1 10 5 N/mm 2 wird nach Gl. (2.12) l= Fl EA = 8250N 1000mm 2,1 10 5 (N/mm 2 ) 78,5mm = 0,5mm. 2 MitE=0,7 10 5 N/mm 2 für AlMgSi wird die Verlängerung l=1,5mm, also dreimal so groß wie die der Stahlstange bei gleicher Zugkraft F. Die Eigenschaft eines Körpers, nach Entlasten seine ursprüngliche Form wieder anzunehmen, nutzt man bei elastischen Federn aus. Auch ein Zugstab kann als Feder mit sehr kleinem Federweg angesehen werden (rheologisches Analogiemodell). Das Verhältnis Federkraft F zum Federweg, hier Verlängerung l, nennt man Federkonstante 5 c Aus Gl. (2.12) erhält man dann für den Zugstab c= F l. (2.13) c=e A l. (2.14) Die Federkonstante des Zugstabes ist also dem Elastizitätsmodul und dem Verhältnis Querschnitt zur Länge proportional. Praktische Anwendung finden Zugstabfedern z. B. als Dehnschrauben und Zuganker. Wird eine Zugfeder belastet, ist die dazu aufgewendete Arbeit der äußeren Kräfte in ihr als Formänderungsarbeit gespeichert. Nimmt die Verlängerung l proportional mit der KraftF zu, ist die Arbeit (s. [16], Abschnitt 2.2.1 Arbeit einer Kraft) Mit F=σA und l=εl erhält man aus Gl. (2.15) W = 1 F l. (2.15) 2 5 Diese Größe ist wie die Werkstoffkennwerte gleichfalls nicht konstant.

2.2 Zugversuch 21 W = 1 σεal. (2.16) 2 Ersetzt man noch die Dehnung ε aus Gl. (2.11) und Al = V, ergibt sich W = σ2 2E V. (2.17) In Gl. (2.17) ist V das wirksame Federvolumen. Für die Formänderungsarbeit eines elastisch verformten Körpers kann man die allgemeine Beziehung W =η F WV (2.18) angeben. In dieser Gleichung bedeutenη F die Raumzahl (Ausnutzungsgrad) und W = σ2 2E (2.19) die spezifische (auf die Volumeneinheit bezogene) Formänderungsarbeit. Die Arbeit der äußeren Kräfte ist gleich der Formänderungsarbeit; durch Vergleich der Gl. (2.17) mit Gl. (2.18) erkennt man, dass für einen Zugstab mit gleichmäßiger Spannungsverteilungη F = 1 ist. Das Volumen des Zugstabes wird zu 100% ausgenutzt. In Federn mit ungleichmäßiger Spannungsverteilung istη F < 1, das Volumen wird somit unvollständig ausgenutzt. Beispiel 2.5 (Formänderungsarbeit und Federkonstante einer Zugstange). Für die Zugstange mit gleichmäßiger Spannungsverteilung (η F = 1) aus Beispiel 2.4 berechne man die spezifische und die gesamte Formänderungsarbeit sowie die Federkonstante. Lösung 2.5 Nach Gl. (2.19) ist W = σ2 2E = (1,05 102 N/mm 2 ) 2 2 2,1 10 5 N/mm 2 = 0,026 Nmm [ mm 3 = Arbeit ]. Volumen Mit V =Al=78,5mm 2 1000mm = 7,85 10 4 mm 3 ergibt sich nach Gl. (2.18) die insgesamt aufgespeicherte Formänderungsarbeit W =η F WV = 1 0,026 Nmm mm 3 7,85 104 mm 3 = 2041Nmm 2,041Nm. Das gleiche Ergebnis erhält man auch aus Gl. (2.15) W = 1 2 F l=0,5 8250N 0,5mm=2062,5Nmm 2,062Nm. Diese Zahlenergebnisse gelten für den Stahlstab, für den legierten Aluminiumstab sind die Beträge wegen der dreifachen Verlängerung dreimal so groß. Die Federkonstante für den Stahlstab ist nach Gl. (2.13) c= F l = 8250N 0,5mm = 16500 N mm. Für den Aluminiumstab ergibt sich c=5500n/mm.

22 2 Zug- und Druckbeanspruchung 2.2.3 Werkstoffkennwerte Das Spannungs-Dehnungs-Diagramm für zähen Baustahl (Abb. 2.4) weist eine Reihe von typischen Merkmalen auf. Oberhalb vom Punkt P weicht die Kurve von der HOOKE schen Geraden ab. Dies bedeutet zunehmende plastische (bleibende) Verformung, d. h. nach Entlasten auf σ = 0 geht die Kurve parallel zur HOOKE schen Geraden um den Betrag ε e zurück, die Messstrecke hat eine bleibende Dehnung erfahren (Abb. 2.5). Dem Spannungs-Dehnungs-Diagramm (Abb. 2.4) werden eine Reihe wichtiger Werkstoffkennwerte entnommen, die im Folgenden kurz zusammengestellt und erläutert werden sollen 6. Die Spannungen in den Punkten P und E (Abb. 2.4) heißen Spannung an der Proportionalitätsgrenze σ P = F P A 0, Spannung an der Elastizitätsgrenze σ E = F E A 0. Bis zur Spannung σ P sind Spannung σ und Dehnung ε einander proportional. Die bis zur Spannung σ E nach Entlasten auftretenden geringen bleibenden Formänderungen sind messtechnisch schwer erfassbar. Deshalb wird als technische Spannung an der Elastizitätsgrenze die Dehngrenze bei nichtproportionaler Dehnung R p verwendet. Beispielsweise istr p0,01 (0,01%-Dehngrenze) als diejenige Spannung definiert, die nach Entlasten eine bleibende Dehnungε p = 0,01% hervorruft (Abb. 2.5). Der Beginn größerer bleibender Verformungen wird bei Baustahl durch ein ausgeprägtes Fließen bei einer im Mittel konstanten Kraft gekennzeichnet. Die Spannung während des Fließens heißt Fließgrenze oder σ Abb. 2.5 Spannungs- Dehnungs-Diagramm zur Erläuterung der bleibenden Dehnung ε p nach Überschreiten der Proportionalitätsgrenze im Zugversuch ε p ε e ε 6 Abweichend von den in der Technischen Mechanik üblichen Bezeichnungsweisen werden hier die Bezeichnungen der Werkstoffprüfung verwendet.