Unkämmbarkeit der Sphäre Michela Riganti März 2010 1
2 BEISPIELE 1 Einführung In diesem Text geht es darum, folgenden Satz zu beweisen: Satz 1. Jedes glatte Vektorfeld auf einer Sphäre S n gerader Dimension für n 2 hat mindestens eine Nullstelle. Die Aussage ist auch als Satz vom Igel bekannt. Intuitiv lautet die Aussage wie folgt: Jeder stetig gekämmte Igel hat mindestens einen Glatzpunkt. Dieser Satz wurde erst im 1912 vom Holländischen Mathematiker Jan Brower bewiesen. Die Aussage lässt sich auch für Mannigfaltigkeiten, die diffeomorph zur Sphäre sind, verallgemeinern. 2 Beispiele Einige Mannigfaltigkeiten, die ein nirgends verschwindendes glattes Vektorfeld besitzen: Der Torus Die Klein sche Flasche 2
3 DER BEWEIS NACH MILNOR Das Möbiusband S 1 Im Allgemeinen, S 2n 1 mit n N. In der Tat ist das Vektorfeld v : S 2n 1 R 2n u 1 u 2 u 2 u 1.. u 2n 1 u 2n u 2n u 2n 1 glatt und nirgends verschwindend, weil v(p) = p = 1 p S 2n 1. Einige Mannigfaltigkeiten, die nicht kämmbar sind: Die zusammenhängende Summe von n Tori für n 2. Jede kompakte, orientierbare, differenzierbare Mannigfaltigkeit M mit Euler-Charakteristik χ(m) 0 3 Der Beweis nach Milnor John W. Milnor (1931) ist ein amerikanischer Mathematiker, der für seine Beiträge in der Differentialtopologie sehr bekannt ist. Im 1962 bekam er die Fields Medaille. 3
3 DER BEWEIS NACH MILNOR In diesem Beweis wird gezeigt, dass alle Sphären gerader Dimension kein glattes nirgends verschwindendes Vektorfeld besitzen. Diese Aussage kann per Widerspruch bewiesen werden. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit können wir annehmen, dass das Vektorfeld v normiert ist. In der Tat, falls v nicht normiert ist und v(x) 0 x S n, dann können wir das nirgends verschwindende Vektorfeld w(x) = definieren. Seien: K eine kompakte Umbgebung von A und A = {x R n+1 a x b}, v : K R n+1 x v(x) v(x) v(x) ein (nicht notwendigerweise tangentiales) C 1 Vektorfeld. Wir definieren nun für t R die Abbildung f t : A R n+1 x x + tv(x) Intuitiv verschiebt f t die Punkte aus A in Richtung des Vektorfeldes. Lemma 1. Für t klein genug gilt: f t ist injektiv. Df t ist bijektiv. V ol(f t (A)) ist ein Polynom in t. Behauptung 1. v ist Lipschitz stetig: C > 0 so dass für alle x, y A v(x) v(y) C x y Es existiert ɛ > 0 so, dass für x y < ɛ die Strecke xy in K liegt. Fall 1: x y < ɛ. In diesem Fall können wir den mehrdimensionalen Mittelwertsatz anwenden: v(x) v(y) c 1 x y für c 1 = sup dv(x). x K }{{} Existiert weil K kompakt ist Fall 2: x y > ɛ. Diese Bedingung garantiert uns, dass x y 0. Auf der Menge v(x) v(y) B = A A \ {(x, y) A A x y < ɛ} können wir also c 2 = sup (x,y) B wählen. x y Für C = max{c 1, c 2 } erhalten wir die gewünschte Behauptung. 4
3 DER BEWEIS NACH MILNOR Behauptung 2. Für t R mit t < 1 C ist f t injektiv. Sei f t (x) = f t (y) x y = t(v(y) v(x)) x y Beh. 1 Behauptung 3. Df t ist bijektiv. tc x y x y = 0 x = y Die Jacobi-Matrix von f t kann als Df t = I + t geschrieben werden. Deswegen ist det(df t x ) ein Polynom in t. Durch Einsetzen von t = 0 finden wir: [ v i x j ] n+1 det((df t ) x ) = 1 + a k (x)t k Weil A kompakt ist, kann man t klein genug wählen, damit det(df t ) > 0. Behauptung 4. V ol(f t (A)) ist polynomial in t. was ein Polynom in t ist. V ol(f t (A)) = f t(a) Sei nun v ein C 1 Vektorfeld auf S n mit: v(u) u v(u) = 1 1dx = A k=1 Df t (x) dx = A Df t (x)dx Wir können v auf K erweitern, indem wir für u S n 1 v(ru) = rv(u) definieren. Lemma 2. Sei S n r R n+1 die Sphäre von Radius r. Dann gilt: Behauptung 1. f t (Sr n 1 ) S n 1 r 1+t 2 Für u = 1 gilt: f t (Sr n 1 ) = S n 1 r 1+t 2 ru + tv(ru) = r 1 + t 2 Behauptung 2. Für t klein genug ist f t : S n 1 r S n 1 r 1+t 2 surjektiv. Für t genügend klein ist det(df t ) 0. Nach dem Satz der lokalen Umkehrbarkeit ist f t lokal invertierbar f t ist offen. Sei nun C eine offene Umgebung von Sr n. Weil die Punkte, die nicht zu Sr n gehören, nicht durch f t auf S n r abgebildet werden können, gilt: 1+t 2 f t (Sr n ) = f t (C) S n r 1+t }{{} 2. offen in der induzierten Topologie Anderseits, weil S n r kompakt ist, ist auch f t (S n r ) kompakt. Die einzige nichtleere Teilmenge von S n r 1+t 2, die offen und kompakt ist, ist S n r 1+t 2 selber. 5
4 EIN BEWEIS AUS DER DIFFERENTIALTOPOLOGIE Lemma 3. f t (A) = {x R n+1 a 1 + t 2 x b 1 + t 2 } Zusammenfassend, erhalten wir für jedes normierte Tangentialvektorfeld v auf der Sphäre : V ol(f t (A)) = ( 1 + t 2 ) n+1 V ol(a). Dieser Term kann aber nur polynomial in t sein, wenn n ungerade ist. Auf der Sphären gerader Dimension, existiert deswegen kein normales, nirgends verschwindendes, glattes Vektorfeld. 4 Ein Beweis aus der Differentialtopologie Dieser Beweis ist sehr elegant. Er verlangt einige Kenntnisse aus der Differentialtopologie, die hier kurz erwähnt werden. 4.1 Definitionen und wichtige Begriffe Definition 1. Sei M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Ein Vektorfeld auf M ist eine C Abbildung v : M T M p v(p) mit der Eigenschaft, dass π v = Id M, wobei π : T M M (p, v) p die kanonische Projektion ist. Die Menge der Vektorfelder auf M wird mit V(M) bezeichnet. Bemerkung 1. Für p S n entspricht T p S n dem orthogonalen Komplement von Rp = {rp R n r R}. Deswegen kann die Menge V(S n ) als Menge der glatten Abbildungen mit v(p) p aufgefasst werden. v : S n 1 R n+1 p v(p) Seien nun M und N glatte, kompakte, orientierbare Mannigfaltigkeiten. Definition 2. Der Brower sche Abbildungsgrad einer Abbildung f : M N zwischen Mannigfaltigkeiten der gleichen Dimension im Punkt q N (wobei q ein regulärer Wert von f ist) ist definiert als: deg(f, q) = sign(det(df p)) p f 1 (q) Bemerkung 2. Sind M und N zusätzlich zusammenhängend, dann ist deg(f, q) unabhängig von der Wahl von q N. Proposition 1. 1. Sind f g homotope Abbildungen, dann ist deg(f) = deg(g) 6
5 EIN BEWEIS AUS DER ALGEBRAISCHEN TOPOLOGIE 2. Für die Identitätsabbildung gilt: deg(id) = 1 3. Die Antipodenabbildung hat Grad ( 1) n+1 Id : S n S n x x Ausführlichere Informationen zum Abbildungsgrad können in [1] gefunden werden. 4.2 Der Beweis Wie im obigen Beweis, nehmen wir ohne Beschränkung der Allgemeinheit an, dass das Vektorfeld v normiert ist. Widerspruchsannahme: Sei v V(S n ) ein nirgends verschwindendes Vektorfeld. Wir betrachten die Abbildung Weil h : [0, 1] S n R n+1 (t, p) cos(πt) p + sin(πt) v(p) h(t, p) 2 = cos 2 (πt) p 2 + 0 + sin 2 (πt) v(p) 2 = 1, ist h : [0, 1] S n S n eine wohldefinierte glatte Abbildung. Ausserdem: h(0, p) = p und h(1, p) = p p S n h ist eine Homotopie zwischen h 0 = Id S n und der Antipodenabbildung h 1 = Id S n. Nach Proposition 1 hat aber ( Id) grad ( 1) n+1 Darum muss jedes Vektorfeld auf einer Sphäre gerader Dimension mindestens eine Nullstelle besitzen. 5 Ein Beweis aus der algebraischen Topologie Eine weitere Möglichkeit, um den Satz vom Igel zu beweisen, ist der Satz von Poincaré-Hopf. Der Vorteil von diesem Beweis ist, dass die gleiche Überlegung auch für jede kompakte, orientierbare Mannigfaltigkeit mit Euler scher Charakteristik ungleich 0 gültig ist. Sei nun v ein Vektorfeld auf M und p eine Nullstelle von v. Wir wählen eine Karte (U p, ϕ p ) so dass U p p und U p eine kleinere, abgeschlossene Umgebung D U p von p enthält, die keine weitere Nullstelle von v enthält. Definition 3. Der Index von v an der Nullstelle p M ist der Brower sche Abbildungsgrad der Abbildung u : D S n 1 und wird mit Ind p (v) bezeichnet z v(z) v(z) Lemma 4. Ind p (v) ist sowohl von der Wahl von Umgebung D, als auch von der Wahl der Karte unabhängig. 7
5 EIN BEWEIS AUS DER ALGEBRAISCHEN TOPOLOGIE Bemerkung 3. Für Vektorfelder auf R 2 entspricht der Index eines Vektorfeldes v an einer Nullstelle p der Windungszahl des Vektorfeldes längs einer gegen den Uhrzeigersinn laufenden geschlossenen Kurve γ, die um die Nullstelle läuft. Beispiel 1. Das folgende Vektorfeld hat Index ( 1): Theorem 1. (Poincaré-Hopf) Sei M eine kompakte, orientierbare Mannigfaltigkeit und v ein glattes Vektorfeld auf M mit isolierten Nullstellen. Bezeichne N = {x 1,..., x n } die Menge der Nullstellen und χ(m) die Euler-Charakteristik von M. Dann: Index v (x i ) = χ(m) x i N Ein Beweis befindet sich zum Beispiel in [2] 5.1 Der Satz vom Igel als Korollar vom Poincaré-Hopf Theorem Für die n Sphäre gilt: χ(s n ) = 1 + ( 1) n Gäbe es für n gerade ein Vektorfeld v auf S n, das keine Nullstelle besitzt, dann wäre die Menge N leer und deswegen Index v (x i ) = Index v (x i ) = 0 2, x i x i N was ein Widerspruch ist. Darum muss v mindestens eine Nullstelle haben. 8
6 WEITERE BEISPIELE: VEKTORFELDER AUF FLÄCHEN 6 Weitere Beispiele: Vektorfelder auf Flächen Der Satz von Poincaré-Hopf besagt nicht nur, dass jedes Vektorfeld auf der 2 dimensionalen Sphäre eine Nullstelle hat. In der Tat können wir aus der obigen Formel auch Informationen über die Art und Anzahl der Nullstellen gewinnen. Beispiel 2. Das folgende Vektorfeld hat zwei Nullstellen, die Index 1 besitzen: v : S 2 R 3 x y y (1 z ) x z 0 0 0 Das Vektorfeld besitzt zwei Nullstellen: p = 0 und q = 0. 1 1 Index v (p) = Index v (q) = 1 Beispiel 3. Wir können auch ein Vektorfeld auf S 2 konstruieren, das nur eine Nullstelle besitzt. In diesem Fall muss aber der Index von v an der gegebenen Nullstelle 2 sein. 9
LITERATUR Der Satz vom Igel ist auch für Mannigfaltigkeiten mit Rand gültig. In diesem Fall muss aber das Vektorfeld auf dem Rand nach aussen, in der normalen Richtung zeigen. Beispiel 4. Alle Vektorfelder auf der abgeschlossenen Kreisscheibe D = {(x, y) R 2 x 2 + y 2 1} besitzen mindestens eine Nullstelle. In der Tat gilt: χ(d) = 1 und weil D kompakt und orientierbar ist, muss das Vektorfeld mindestens eine Nullstelle mit Index 1 besitzen. Zum Beispiel: v : D R 2 ( ) 1 x (x, y) 1 x 2 y 2 y Beispiel 5. Ein Vektorfeld ohne Nullstellen auf der offenen Kreisscheibe D = {(x, y) R 2 x 2 + y 2 < 1} existiert nur, weil D nicht kompakt ist und darum der Satz von Poincaré-Hopf nicht anwendbar ist. Zum Beispiel: v : D ( R 2 ) ɛ (x, y) 0 [3][4][5] Literatur [1] Allen Hatcher. Algebraic Topology. Cambridge University Press, 2002. [2] J. W. Milnor. Topology from the differentiable viewpoint. University Press of Virginia, 1965. [3] B. Rittaud. Le théorème de la boule de billard chevelue. Le journal de maths des élèves, 1, 1994. [4] John M. Lee. Introduction to smooth manifolds. Springer, 2006. [5] Herbert Amann and Joachim Escher. Analysis III. Birkhäuser Verlag, 2000. 10