1 Der Elektronentransfer: Theorie nach Marcus und Hush

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Transkript:

1 Der Elektronentransfer: Theorie nach Marcus und Hush Betrachtet wird der Elektronentransfer zwischen zwei solvatisierten Spezies in einer Lösung. Es gibt zwei Arten von Elektronentransfer, Reaktionen der inneren und der äußeren Sphäre. Die Marcus-Theorie behandelt nur Reaktionen in der äußeren Sphäre. Die Begriffe innere und äußere Sphäre stammen aus der Komplexchemie. Als innere Sphäre werden die Liganden bezeichnet, die umgebenden Lösungsmittelmoleküle bilden die äußere Sphäre (Abb. 1). Bei Reaktionen in der äußeren Sphäre werden chemische Bindungen weder ge- 1 Abbildung 1: Schematische Darstellung der inneren und äußeren Sphäre eines komplexierten Ions brochen, noch neu gebildet. Jedoch können sich Bindungslängen und -winkel ändern, da sich Anfangs- und Endzustand der reagierenden Spezies in der Ladung unterscheiden dies geschieht jedoch bei chemisch gleichbleibender innerer Sphäre. Das allgemeine Reaktionsschema eines Elektronentransfers lautet: Red(Spezies1) + Ox(Spezies2) Ox(Spezies1) + Red(Spezies2) (1) Ein Beispiel für relativ seltene Reaktionen ausschließlich in der äußeren Sphäre ist: [Fe(CN) 6 ] 4 + [Fe(CN) 6 ] 3 [Fe(CN) 6 ] 3 + [Fe(CN) 6 ] 4 (2)

2 Es wird angenommen, dass die Übertragung eines Elektrons zwischen den solvatisierten Spezies bei konstantem Abstand geschieht. Da dieser nur einige Ångstrom beträgt, vollzieht sich der Transfer sehr schnell (ca.10 16 10 15 s), denn Elektronen können über solche Entfernungen tunneln. Typische Reaktionsgeschwindigkeiten sind allerdings um 4-5 Größenordnungen kleiner. Der Grund dafür ist, dass neben dem eigentlichen Elektronentransfer auch immer eine Umorganisierung der beteiligten Spezies und der umgebenden Solvensmoleküle auftritt. Dies erhöht die Aktivierungsenergie und senkt damit die Reaktionsgeschwindigkeit. Zum Beispiel bei der Reaktion (2); dort ist der reduzierte Ausgangszustand der Spezies 1 nicht so stark positiv geladen wie der oxidierte Endzustand derselben Spezies. Damit ist die Wechselwirkung des Solvens schwächer mit dem reduzierten Zustand und dessen Bindungsabstände der Liganden größer. Es erfolgt also eine Umorganisierung sowohl der Liganden des Komplexes (innere Sphäre) als auch der umgebenden Solvathülle (äußere Sphäre). Analoges gilt für die Spezies 2. Was bedeutet das nun für die zeitliche Abfolge des Elektronentransfers? Die Antwort darauf liefert das Frank-Condon-Prinzip, welches besagt, dass elektronische Übergänge schneller sind als die Bewegungen der vergleichsweise schwereren Atome und Moleküle. Das heißt, man kann annehmen, dass sich während des eigentlichen Elektronentransfer-Schrittes die Konfiguration der Reaktanden und des Solvens nicht ändert. Beide Extreme, sowohl eine Umorganisierung des Solvens vor dem Elektronentransfer als auch danach, ist energetisch ungünstig, und deshalb wenig wahrscheinlich. Vielmehr erfolgt zunächst eine teilweise Umorganisierung zu einem Übergangszustand, dann wird das Elektron bei dieser Konfiguration übertragen, während das System anschließend in den neuen Gleichgewichtszustand relaxiert. Marcus und Hush brachten nun das ursprünglich vieldimensionale Problem auf eine eindimensionale Betrachtungsweise, indem sie alle möglichen Koordinaten die beim Elektronentransfer auftreten (Bindungslängenänderungen, Winkeländerungen (innere Sphäre), Solvathüllenänderungen (äußere Sphäre)) zu einer Koordinate, der sog. effektiven Solvenskoordinate, zusammenfassten. Diese effektive Solvenskoordinate gibt außerdem den energetisch günstigsten Weg an, um direkt von den Edukten zu den Produkten zu kommen. Abbildung 2 zeigt die graphische Darstellung des Elektronentransfers gemäß den Theorien von Marcus und Hush. Das Potential für den Edukt- und Produktzustand wird als parabelförmig angenommen (Harmonische Näherung - vgl. z.b. IR-Spektroskopie). Das System bewegt sich also zunächst im Eduktzustand, bis es genügend Energie hat, um zum Schnittpunkt der beiden Parabeln zu gelangen. Dort befindet sich das System im Übergangszustand, in welchem das Elektron schließlich übertragen wird. Anschließend relaxiert das System in seinen neuen Gleichgewichtszustand, dem Produktzustand. (Anmerkung: Im gleichen Diagramm können die häufig vorkommenden Begriffe adiaba-

3 Abbildung 2: Energie des Systems in Abhängigkeit der effektiven Solvenskoordinate q tisch und nicht-adiabatisch erklärt werden; findet der Elektronentransfer jedesmal statt, wenn das System am Sattelpunkt ist, dann liegt eine adiabatische Reaktion vor; im anderen Fall handelt es sich um eine nicht-adiabatische Reaktion.) In den Theorien von Marcus und Hush wird nun außerdem noch angenommen, dass die Krümmung der Edukt- und Produkt-Parabel gleich ist. So kommt man auf eine analytische Form des Problems und es ergibt sich für die beiden Potentialkurven, mit e e gleich der potentiellen Energie der Edukte und e p der potentiellen Energie der Produkte, m gleich der effektiven Masse der Solvenskoordinate und ω gleich der Kreisfrequenz der Parabeln: U e (q )=e e + 1 2 m ω 2 (q q e ) 2 (3) U p (q )=e p + 1 2 m ω 2 (q q p ) 2 (4) Der Schnittpunkt der beiden Parabeln liefert den Übergangszustand q s : q s = q p + e e e p + 1 2 m ω 2 (q e q p ) 2 m ω 2 (q e q p ) (5) Die Aktivierungsenergie für die Hinreaktion ergibt sich aus der Schnittpunktsenergie minus e e : Ea hin = (λ + e p e e ) 2 (6)

4 Analog gilt für die Rückreaktion: E rueck a = (λ + e e e p ) 2 (7) Dabei wurde eine neue Größe eingeführt; die Reorganisierungsenergie λ. λ = 1 2 m ω 2 (q e q p ) 2 (8) λ ist ein Maß für die Energie, die benötigt wird, um die äußeren und inneren Sphären zu reorganisieren. Da die Energiedifferenz der Minima der Edukte und der Produkte zudem gleich der freien Reaktions-Enthalpie G des Systems ist, ergibt sich allgemein: E a = (λ + G)2 (9) Die Geschwindigkeitskonstante k ist nach Arrhenius: k = Ze Ea k B T (10) Somit gilt für den Elektronentransfer: k = Z exp ( ) (λ + G)2 k B T (11) Der Präexponentielle Faktor Z lässt sich u.a. über die Kramers-Theorie oder über die Theorie des aktivierten Komplexes (Transition State Theory, TST) berechnen und ist unabhängig von G. Bei adiabatischen Reaktionen wird Z nur durch die Reorganisationsdynamik der inneren und äußeren Sphären bestimmt. Bei nicht-adiabatischen Reaktionen ist zusätzlich die elektronische Wechselwirkung zwischen Edukten und Produkten von Bedeutung. Die quadratische Abhängigkeit ((λ + G) 2 )führt zum Phänomen des invertierten Bereiches ; G stellt die Triebkraft für die Reaktion dar. Solange λ+ G >0 ist, wird k größer mit wachsender Triebkraft (also stärker negativerem G (ansteigender Ast der Kurve in Abbildung 3)). Wächst die Triebkraft weiter, sodass λ + G <0, dann verlangsamt sich die Reaktion wieder; man befindet sich im sog. invertierten Bereich. Die physikalische Erklärung dieses Phänomens liegt darin begründet, dass bei sehr großer freiwerdender Reaktionsenergie das System nicht in der Lage ist, diese schnell genug abzuführen, was zu einer Verlangsamung der Reaktion führt (absteigender Ast in der Abbildung 3).

5 Abbildung 3: Auftragung des Logarithmus der Geschwindigkeitskonstanten gegen G einer Reaktion. Normaler Bereich (linker) und invertierter Bereich (rechter Ast) 2 Auswahl an Literaturstellen W. Schmickler, Grundlagen der Elektrochemie,Verlag Vieweg, Wiesbaden, 1996 R.A.Marcus, Electron transfer in chemistry. Theory and experiment J. Electroan. Chem. 438 1996 251-259 www.biochemtech.uni-halle.de/enzymologie/vlme2.ppt