Arzneimittelsicherheit durch TEAM UP! 4. E HEALTH DAY SALZBURG ZU ELEKTRONISCHER MEDIKATION 21.11.2012 Jochen Schuler Institut für Allgemeinmedizin der PMU Kardiologische Praxis im Gesundheitszentrum Aigen
Problembeschreibung In der kürzlich erschienenen aktuellen Ausgabe des Österreichischen Gesundheitsberichts wird mitgeteilt, dass im Jahr 2008 in Österreich 227 Millionen Packungen Arzneimittel verkauft wurden [1]. Dies entspricht umgelegt auf die Bevölkerung der Alpenrepublik von ca. 8 Millionen einem Konsum von etwa 28 Packungen pro Person und Jahr. Davon entfallen etwa 70 % auf den ambulanten Bereich, wovon wiederum 60 % verschreibungspflichtig sind und 40 % OTC (over the counter) verkauft werden. A.Sönnichsen Polypharmacotherapy More Drugs, Less Health? ZfA 2011 2
Häufigkeit von unerwünschten Arzneimittelereignissen (UAE) In Abwesenheit verpflichtender Berichterstattung wissen wir wenig über die absoluten Zahlen hinsichtlich der Häufigkeit und des Schweregrads von unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Allerdings sind Schätzungen aufgrund von Studien in anderen Ländern möglich. Nach einer systematischen Übersichtsarbeit zu diesem Thema, die Studien aus zahlreichen Ländern inkludierte, liegt der Median der Nebenwirkungsrate bei 14,9 % pro 1.000 Personen/Monate. A.Sönnichsen Geschätzte UAE Inzidenz in Österreich ca.1,5% pro Jahr Bei ca. 2 Mio Arzneimittelanwendern sind 30000 UAE Fälle jährlich zu erwarten Gemeldet an das BASG werden ca. 500/Jahr (weniger als 2%) 3
ADE Inzidenz stark steigend 66% Increase of Adverse Drug Events related Hospital admissions in the Netherlands* Harthold KA et al. 2010 PLoS ONE 5(11): e13977. * 16,5 Mio Einwohner +230% +120% +70% +50% +40% 4
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Arzneimitteltherapiesicherheit: Begrifflichkeiten UAE (unerwünschte Arzneimittelereignisse) sind alle im Zusammenhang mit einer Arzneimitteleinnahme (oder auch dem ungeplanten Weglassen) auftretenden negativen Effekte. UAE* * engl: ADE (adverse drug event) 6
Begrifflichkeiten (2) Medikationsfehler sind alle nicht fachgerechten Arzneimittelanwendungen und beinhalten beispielsweise Fehldosiserungen, Missachtung von Allergien, Interaktionen, falsche Einnahme, usw. UAE Nur ein Bruchteil der Medikationsfehler führt zu einer UAE, der Großteil bleibt für den Patienten folgenlos 7
Medikationsfehler - Medication errors Bei der Verordnung: Falsche Indikation Übersehen von Kontraindikationen Falsche Dosis Doppelverordnung 75-80% Verordnung von PIMs/drugs to avoid Missachtung der Darreichungsvorschriften Missachtung bedeutsamer Interaktionen Missachtung von Monitoringempfehlungen Bei der Dokumentation: Unleserliche Schrift Übersehen aktueller Änderungen Zahlendreher 5-10% Unbekannte Abkürzung Falscher Übertrag Verwechslung mit sound-alike Medik. Bei der Ausgabe/Einnahme: Falscher Zeitpunkt Falscher Patient Falsches Medikament 10% Falsche Dosis Keine Einnahme Gabe ohne Anordnung Falsche Route Bei der Dispensierung: Verwechslung mit look alikes Verwechslung von Patienten Übersehen 5-10% von Ablaufdaten Übersehen von Inkompatibilitäten Verwechslung der Darreichungsform (iv/ic) Vergessen einer Anordnung Duplikation Falsches Ersatzpräparat Übersehen eines Absetzzeichens Übersehen einer neuen Anordnung 8
Arzneimitteltherapiesicherheit: Begrifflichkeiten UAW Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW, adverse drug reactions ADR) sind alle jene Gefahren, die von einem Arzneimittel ausgehen, wenn es fachgerecht angewendet wird (intrinsische Gefahr eines Arzneimittels) 9
UAE = ADE = Medikationsfehler + UAE medication error + ADR 10
UAE = UAW + Medikationsfehler UAW (ADR) Medikationsfehler Charakteristikum Häufigkeit UAE trotz fachgerechter Anwendung, intrinsisches Risiko des Arzneimittels Sehr selten (abhängig von Substanzgruppe) UAE wegen nicht fachgerechter Anwendung Sehr häufig Vermeidbarkeit + > 50% d.f. Penetranz Sehr hoch < 10% Abwehrmassnahmen Zulassung Pharmakovigilanz Information Rationale Therapie Pharmakogenetik Prozess Steuerung Prozess Überwachung Information Beispiel Contergan Novalgin Fall 11
Harvard Medical Practice Study 1991 19% aller Adverse events im Krankenhaus durch AM (ADE) davon 1/5 durch nicht sachgemässe Anwendung (Medikationsfehler) 14% der ADE schwerwiegend 1-2% der ADE tödlich Leape, NEJM 1991 12
Die Ausgangslage in den SALK 13
Fehlerhafte Dosis 24% aller Patienten (n=542) 4% aller Medikamente (n=4061) Allopurinol, Spironolakton, Opiate, Benzodiazepine, PPI, Digitalis Pharmakovigilanzstudie Salzburg, Wi Kli Wo 2008 14
Potentielle Interaktionen 65% aller Patienten (n=542) 20% aller Medikamente (n=4061) Pharmakovigilanzstudie Salzburg, Wi Kli Wo 2008 15
Verordnung verzichtbarer Medikamente 36% aller Patienten (n=542) 7% aller Medikamente (n=4061) Pentoxyphyllin, Magnesiumdauertherapie, Leber- und Venentherapeutika Pharmakovigilanzstudie Salzburg, Wi Kli Wo 2008 16
Doppelverordnungen 7% aller Patienten (n=542) 1% aller Medikamente (n=4061) Diuretika, Antihypertensiva, Benzodiazepine.. Pharmakovigilanzstudie Salzburg, Wi Kli Wo 2008 17
Verordnung von PIMs (nach Beer) 70% aller Patienten (n=542) 5% aller Medikamente (n=4061) Lang wirksame Benzodiazepine, tcantdeppressiva, lang wirksame NSAID s Pharmakovigilanzstudie Salzburg, Wi Kli Wo 2008 18
Nur 5% der entdeckten Medikationsfehler führten zu einer ADE Medikationsfehler ADE Pharmakovigilanzstudie Salzburg, Wi Kli Wo 2008 19
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Medication errors Ansatzpunkte für e health Verordnung e-prescribing: CPOE, CDSS Dokumentation e-chart: elektronische Fieberkurve Ausgabe/Einnahme e-pill? Dispensierung e-dispense 21
Was kann ein CPOE/CDSS der gegenwärtigen Generation? Verordnungsfehler Falsche Indikation Übersehen von Kontraindikationen Falsche Dosis Doppelverordnung Verordnung von PIMs/drugs to avoid Missachtung der Darreichungsvorschriften Missachtung bedeutsamer Interaktionen Missachtung von Monitoringempfehlungen (+) (+) ++ +++ ++ +++ ++ +++ 22
Electronic prescribing improves medication safety in community-based office practices Kaushal R et al. J Intern Med 2010, 25, 530-536 Setting: 15 Ordinationen in NYC vor und nach Einführung eines stand alone CPOE/CDSS Kontrolle (K): 3684 paper based med prescriptions Intervention (I): 3848 electronic prescriptions Ergebnisse: Medikationsfehler: 37,3% (K) > 6,6% (I) 23
The impact of COE on medication errors in a multispeciality group practice J Am Med Inform Assoc 2010,17, 78-84 Setting: 1 Ordinationen in Washington vor und nach Einführung eines stand alone CPOE (CDSS) Kontrolle (K): 5016 hand written med prescriptions Intervention (I): 5153 electronic prescriptions Ergebnisse: Medikationsfehler: 18,2% (K) > 8,2% (I) Wichtigste eliminierte Fehler: Unleserlichkeit (97%), Unklare Abkürzungen (94%), Fehlende Informationen (85%) 24
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Erfahrungen mit dem CPOE RPDoc 26
Erfahrungen mit dem CPOE RPDoc 27
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Erfahrungen mit dem CPOE RPDoc 32
Kritik an dem Versuch CPOE RPDoc - Mangelnde Integration in KIS (Datenimport/Export) - Zu lange Zugriffszeiten - bei komplexeren Anordnungen zu hoher Zeitaufwand - starre Eingabemodalität - immer wieder die gleichen Warnungen - viel zu viele Warnungen - Wenig Problemlösungswege - zu internistisch 33
Kritik an dem Versuch CPOE RPDoc - Doppelte Dokumentation (Papierkurve und PC) ist ein no go -Fix-PC s sind ein no go - WLAN/tablet s sind ein must have - Beteiligung aller Berufsgruppen (viele jurid.unklarheiten) - return of invest ist ein must have und muß für die Anwender erkennbar sein - die Disziplinen benötigen unterschiedlich konfigurierte Systeme kein one size fits it all - Die Anwender brauchen Freiheiten 34
CPOE: großer Aufwand, k(l)eine Wirkung? Medikationsfehler ADE 35
The impact of COE on medication errors in a multispeciality group practice J Am Med Inform Assoc 2010,17, 78-84 Setting: 1 Ordinationen in Washington vor und nach Einführung eines stand alone CPOE (CDSS) Kontrolle (K): 5016 hand written med prescriptions Intervention (I): 5153 electronic prescriptions Ergebnisse: Medikationsfehler: 18,2% (K) > 8,2% (I) Wichtigste eliminierte Fehler: Unleserlichkeit (97%), Unklare Abkürzungen (94%), Fehlende Informationen (85%) 57% Reduktion der Medikationsfehler die keine ADE hervorrufen, aber keine messbare Reduktion von Fehlern die eine ADE auslösten 36
Adverse events von e prescribing - Alert-overkill (20-60 alerts/100 Verschreibungen) - Etablierung von Umgehungsstrategien (Alert overrides) - Kein spürbarer Return of Invest führt zur emotionalen Entkopplung der Anwender - das Mehr an Computerarbeit bedeutet ein Weniger für das Team, die Patienten und andere Aufgaben - Es treten mitunter Behandlungsverzögerung auf wegen fehlenden Problemlösungsangeboten - Hinterlegte Regeln sind falsch oder überaltert 37
Abweichungen der Interaktionswarnungen 3er Analyse Programme MediQ 61 (68%) Medis 3 (14%) Lexi Interact 12 (55%) Medis 7 (26%) Lexi-Interact 16 (59%) MediQ 21 (95%) MediQ 14 (52%) Lexi Interact 33 (57%) Medis 15 (21%) Lexi- Interact 23 (32%) Medis 20 (34%) MediQ 59 (81%) MediQ 30 (52%) Lexi-Interact 25 (47%) Medis 14 (26%) MediQ 46 (89%) Lexi Interact 18 (64%) Medis 13 (46%) MediQ 19 (70%) 38
Können also mit Hilfe von e health Medikationsfehler verhindert werden? Ja, die gegenwärtige Generation der CPOE/CDSS verhindern bei konsequenter Anwendung 70 90% der Verordnungsfehler....aber sie produzieren auch eigene adverse events Die Kosten Nutzen Relation ist daher derzeit völlig offen und muss in der gegenwärtigen Situation in Frage gestellt werden. 39
Führen computerunterstütze (IT) Interventionen zur Verbesserung der Medikamentensicherheit in der Allgemeinmedizin Praxis?: eine systematische Übersichtsarbeit von randomisiert kontrollierten Studien Miriam Lainer, PMU Salzburg 45. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Forum Medizin 21. Salzburg, 22. 24.09.2011. In den analysierten 11 RCTs wurden unterschiedliche IT Interventionen als Computer unterstützende Maßnahmen zur Verbesserung der Behandlung mit Medikamenten getestet. Es kommt zwar in einigen Studien zu nachweisbaren Verbesserungen, aber die Ergebnisse sind trotz der Weiterentwicklung in der Informationstechnologie noch nicht überzeugend. Offenbar führt vor allem ein multidisziplinäres Einbeziehen von Arzt, Pharmazeut und Patient in dessen Behandlung und Krankheit zu einer Schärfung des Sicherheitsbewußtseins. Computersysteme können hier nur unterstützend wirken, so dass eine Weiterentwicklung und Erforschung solcher Systeme wünschenswert ist. 40
Ansatzpunkte für IMedication Ärzte können verordnen, das sollten sie gelernt haben Elektronik soll nur eingreifen, wenn etwas schief läuft Elektronik ersetzt nicht die Analyse und Optimierung des Medikationsprozesses Elektronik muß den Teamansatz unterstützen Die zur Verfügung stehende Information muß aktuell und konstruktiv sein 41
Möglicher Nutzen Höhere Akzeptanz bei den Anwendern als Clinical Decision Support durch fehlende Unterbrechung des ärztlichen workflows Kontinuierliche Überwachung von Arzneimittelrisiken (Surveillance, Cockpit Steuerung): dezentral (behandelnde Ärzte) und zentral (z.b. Arzneimittelkommission) Risk Management: Frühindikatoren, Vergleich von Risiken zwischen den Abteilungen, Überwachung der Effekte von Massnahmen Unmittelbarer Klinischer Nutzen für das Individuum durch Früherkennung und Frühintervention von Risiken (weniger UAE) Verbesserte Pharmakovigilanz durch semiautomatisierte UAE Meldungs Generierung 42
CPOE/CDSS 43