Pierre Bourdieu Die Regeln der Kunst Genese und Struktur des literarischen Feldes

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Transkript:

Pierre Bourdieu Die Regeln der Kunst Genese und Struktur des literarischen Feldes [Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag, 1999, S. 227-279.] 3. Der Markt der symbolischen Güter [ ] Die Geschichte, deren entscheidende Phasen ich anhand einer Serie von synchronen Schnitten wiederzugeben versucht habe, führt zur Etablierung jener besonderen Welt, nämlich des künstlerischen wie des literarischen Feldes, so wie wir es heute kennen. Dieses relativ autonome Universum (das heißt natürlich auch: dieses relativ abhängige Universum, abhängig vor allem vom ökonomischen und politischen Feld) räumt einer umgekehrten Ökonomie Platz ein, die in ihrer spezifischen Logik auf der besonderen Beschaffenheit der symbolischen Güter gründet: Realitäten mit zwei Seiten, Ware und Bedeutung, deren genuin symbolischer Wert und deren Warenwert relativ unabhängig voneinander bleiben. Am Ende dieses Spezialisierungsprozesses, der zur Entstehung einer eigens für den Markt arbeitenden Kulturproduktion und zum anderen und teilweise in Reaktion darauf zur Produktion reiner und zur symbolischen Aneignung bestimmter Werke führt, steht, sehr allgemein gesehen, die Organisation der Felder der Kulturproduktion in ihrer heutigen Verfassung; ihr liegt ein Differenzierungsprinzip zugrunde, das sich als objektive und subjektive Distanz der Unternehmungen der Kulturproduktion zum Markt und zu der ausdrücklichen oder verschwiegenen Nachfrage formulieren läßt, wobei die Strategien der Produzenten sich zwischen zwei Grenzen bewegen, die faktisch nie erreicht werden: der totalen und zynischen Unterordnung unter die Nachfrage und der absoluten Unabhängigkeit vom Markt und seinen Ansprüchen. Zwei ökonomische Logiken

In den uns interessierenden Feldern kommt es zur antagonistischen Koexistenz zweier Produktions- und Zirkulationsweisen, die entgegengesetzten Logiken gehorchen. An dem einen Pol finden wir die anti- ökonomische Ökonomie der reinen Kunst, die, auf der obligaten Anerkennung der Werte der Uneigennützigkeit und Interesselosigkeit sowie der Verleugnung der Ökonomie (des Kommerziellen ) und des (kurzfristigen) ökonomischen Profits basierend, die aus einer autonomen Geschichte erwachsene spezifische Produktion und deren eigentümliche Ansprüche privilegiert. Diese Produktion, die keine andere Nachfrage anerkennen kann als jene, die von ihr selbst freilich nur langfristig produziert werden kann, orientiert sich an der Akkumulation symbolischen Kapitals als eines zwar verleugneten, aber anerkannten, also legitimen ökonomischen Kapitals, eines regelrechten Kredits, der in der Lage ist, unter bestimmten Voraussetzungen und langfristig ökonomische Profite abzuwerfen. Am anderen Pol herrscht die ökonomische Logik der literarisch-künstlerischen Industrien, die aus dem Handel mit Kulturgütern einen Handel wie jeden anderen machen, vorrangig auf den Vertrieb, den sofortigen und temporären Erfolg, gemessen zum Beispiel an der Auflage, setzen und sich damit begnügen, sich der vorgängigen Nachfrage der Kundschaft anzupassen (allerdings ist die Zugehörigkeit auch derartiger Betriebe zum Feld daran ersichtlich, daß sie die ökonomischen Gewinne aus den intellektuellen Unternehmungen nur kumulieren können, wenn sie grobschlächtige Formen von Merkantilismus abweisen und es sich versagen, ihre nutzengeleiteten Ziele in ihrer Gänze offenzulegen). Ein Unternehmen steht dem kommerziellen Pol um so näher, je direkter oder umfassender seine Produkte einer vorher und in vorgegebenen Formen bestehenden Nachfrage entsprechen. Woraus folgt, daß einer der besten Gradmesser für die Stellung eines Unternehmens der Kulturproduktion im Feld sicherlich die Länge des Produktionszyklus darstellt. Wir haben so, auf der einen Seite, Unternehmen mit kurzem Produktionszyklus, die die Risiken durch vorweggenommene Anpassung an die erforschbare Nachfrage zu minimieren trachten und über Kommerzialisierungsnetze und Verfahren der Verkaufsförderung (Werbung, Öffentlichkeitsarbeit usw.) verfügen, mit denen der beschleunigte Eingang der Profite durch eine rasche Zirkulation von zu rascher Veralterung verurteilten Produkten gewährleistet werden soll; und auf der anderen Seite Unternehmen mit langen Produktionszyklen, die auf die Akzeptanz der kulturellen Investitionen immanenten Risiken und vor allem auf die Befolgung der spezifi-

schen Gesetze des Kunsthandels gegründet sind: Mangels eines Marktes in der Gegenwart ist diese gänzlich der Zukunft zugewandte Produktion darauf bedacht, sich einen Lagerbestand an Produkten anzuschaffen, die freilich immer der Gefahr ausgesetzt sind, in den Stand stofflich-materieller Gegenstände zurückzufallen (und als solche, etwa nach Papiergewicht, taxiert zu werden). Die verschiedenen Verlagshäuser lassen sich also zum einen danach charakterisieren, welchen Anteil sie einerseits den riskanten langfristigen Investitionen, andererseits den kurzfristigen sicheren Investitionen einräumen; zum anderen danach, welches Verhältnis bei ihren Autoren zwischen Langzeit-Schriftstellern und Kurzzeit-Schriftstellern besteht: das heißt Journalisten, die ihre gewöhnliche Tätigkeit in Schriften zu aktuellen Themen fortsetzen, bekannte Persönlichkeiten, die in Essays oder autobiographischen Erzählungen und Berichten Zeugnis ablegen, professionelle Schreiber schließlich, die sich dem Regelkanon einer erprobten Ästhetik beugen ( preisverdächtige Literatur, Erfolgsromane, Bestseller usw.).

Das Feld der kulturellen Produktion im Feld der Macht und im sozialen Raum, S. 203 Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlags