Qualitatives Software Screening (QS2) Abstract Im Anhang der EU-Richtlinie 90/270/EWG werden Mindestanforderungen an die Mensch-Rechner-Schnittstelle aufgestellt. Die allgemein gehaltenen Anforderungen können durch die sieben Dialogprinzipien der international anerkannten ISO-Norm 9241-10 konkretisiert werden (siehe auch Burmester & Görner; SANUS aktuell, Ausgabe 2). Die genannten Dialogprinzipien bilden die Analysebasis des "Qualitativen Software Screenings" (QS2). Mit dem folgenden Beitrag werden Aufbau, Inhalt und Untersuchungsablauf des QS2 sowie ein Anwendungsbeispiel beschrieben. Gliederung 1. Softwarebewertung als Bestandteil der Bildschirmplatzanalyse 2. Aufbau des Verfahrens 3. Prüf-Fragebogen 4. Entwicklung des BAP-SWQ in der Praxis 5. Die einzelnen Arbeitsschritte beim Einsatz des "Qualitativen Software Screenings" (QS2) 6. Ausblick 7. Literatur 1. Software-Bewertung als Bestandteil der Bildschirmarbeitsplatzanalyse Anders als bei der Bewertung der Geräte, der Ausstattung und der Umgebung eines Bildschirmarbeitsplatzes hängt die Bewertung der ergonomischen Software-Qualität sehr stark von der subjektiven Einschätzung derjenigen Arbeitnehmer ab, die im Rahmen ihrer Ein Softwareprüfverfahren, das im Rahmen einer Bildschirmarbeitsplatzanalyse eingesetzt wird, sollte zudem, d.h. neben der reinen Ermittlung des Gestaltungsbedarfs, auch Hinweise über konkret zu ergreifende Gestaltungsmaßnahmen beinhalten. Tätigkeiten mit der zu prüfenden Software arbeiten müssen. Die Bewertung bzgl. der ergonomischen Qualität sollte daher von den Arbeitnehmern - anhand von standardisierten Fragen - selbst vorgenommen werden. Darüber hinaus sollte ein derartiges Verfahren ohne software-ergonomische Fachkenntnisse und ohne hohen Zeitaufwand vom Umsetzungsbeauftragten durchgeführt werden können.
Mit dem "Qualitativen Software Screening" (QS2) liegt ein Verfahren vor, das den oben genannten Anforderungen im vollem Umfang gerecht wird. 2. Aufbau des Verfahrens Die Durchführung des Qualitativen Software Screenings (QS2) gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil wird ein voll standardisierter Prüf-Fragebogen (BAP- SWQ) eingesetzt. Werden aufgrund dieser Fragebogenergebnisse Mängel in der Softwaregestaltung aufgedeckt, kann der Umsetzungsbeauftragte im zweiten Teil mit Hilfe eines weiterführenden halbstandardisierten Fragenkatalogs die Ursachen dieser Gestaltungsmängel und damit die konkreten Maßnahmen zur Beseitigung dieser Mängel ermitteln. 3. Prüf-Fragebogen Das eigentliche Analyse- und Bewertungsinstrument des QS2 ist der Fragebogen BAP-SWQ (Bildschirmarbeitsplatz- Softwarequalität). Der BAP-SWQ wiederum stellt eine umfassende Weiterentwicklung und Verbesserung des Fragebogens ISONORM 9241/10 von Prümper & Anft (1993) dar. Diese Die Analyse und Bewertung der verwendeten Software mit dem BAP- SWQ erfolgt im Hinblick auf die Dialogprinzipien der ISO 9241-10: Diese Weiterentwicklung erfolgte - aufgrund von Anwendungserfahrungen - unter zwei Aspekten: zum einen wurde der Fragebogen an die Mindestanforderungen der EU- Bildschirmrichtlinie angepasst und zum anderen wurden methodische Verbesserungen (Instruktionen, Beispiele usw.) vorgenommen. Dialogprinzipien können als softwareergonomische Qualitätsmerkmale aufgefasst werden. Die einzelnen Qualitätsmerkmale sind: Aufgabenangemessenheit: Die Anwendung sollte die Erledigung der Arbeitsaufgaben unterstützen, ohne den Benutzer unnötig zu belasten (Beispiel: Ein Bildschirmformular ist entsprechend einer dem Benutzer vertrauten Arbeitsaufgabe aufgebaut; die nachfolgenden Bildschirmformulare entsprechen dem gewohnten Arbeitsablauf). Selbstbeschreibungsfähigkeit: Die Anwendung sollte dem Benutzer genügend Erläuterungen geben und in ausreichendem Maße verständlich sein (Beispiel: Das Dialogsystem zeigt auf Anfrage die Zuordnung von Funktionen zu Tasten an).
Steuerbarkeit: Der Benutzer sollte die Art und Weise, wie er mit der Anwendung arbeitet, gut beeinflussen können (Beispiel: Das Dialogsystem positioniert die Schreibmarke auf das nächste Eingabefeld, bietet aber dem Benutzer auch die Möglichkeit, ein anderes Feld anzuwählen). Erwartungskonformität: Die Anwendung sollte - durch eine einheitliche und verständliche Gestaltung - den Arbeitsabläufen und Gewohnheiten des Benutzers entgegenkommen (Beispiel: Das Fehlerrobustheit: Der Benutzer sollte trotz erkennbar fehlerhafter Eingaben das beabsichtigte Arbeitsergebnis mit minimalem oder ohne Korrekturaufwand erreichen Individualisierbarkeit: Die Anwendung sollte von dem Benutzer - ohne großen Aufwand - an individuelle Bedürfnisse und Anforderungen angepasst werden können (Beispiel: Der Erlernbarkeit: Der Benutzer sollte sich ohne großen Aufwand in die Anwendung einarbeiten können (Beispiel: Für häufig benutzte Dialogsystem bewegt die Schreibmarke automatisch an die Stelle, wo der Benutzer erwartet, die nächste Eingabe zu machen). können (Beispiel: Eine falsch adressierte Mitteilung kann mit der richtigen Adresse versehen werden, ohne dass die Mitteilung als solche verloren geht). Benutzer kann die Darstellung und/oder das Format von Ausgaben entsprechend den persönlichen Anforderungen ändern). Kommandos gibt es Abkürzungen und Vorbelegungen. Selten benutzte Kommandos sind mit mehr Hinweis- Informationen gestaltet). Die Benutzer schätzen die verwendete Software im Hinblick auf die oben genannten Qualitätsmerkmale ein. Die Ergebnisse einer derartigen Befragung werden dann für jede Anwendung einzeln ausgewertet und in Diagrammen graphisch dargestellt (s. Abb. 1). Diese Auswertungsdiagramme liefern einen ersten Hinweis darauf, welche Merkmale der jeweils verwendeten Software mit welcher Priorität zu verbessern sind. In Abb. 1 ist die Software z.b. im Hinblick auf die Merkmale Selbstbeschreibungsfähigkeit" und Individualisierbarkeit" verbesserungswürdig.
Abb. 1: Beispielhaftes Auswertungsdiagramm (Der Wert 20 stellt den Mindestwert dar, den eine gegebene Software auf jedem Qualitätsmerkmal erreichen sollte. Werte unter 20 deuten auf einen Gestaltungsbedarf hin) 4. Entwicklung des BAP-SWQ in der Praxis Die durchschnittliche Bearbeitungszeit des BAP-SWQ umfasste im Durchschnitt ca. 30 Minuten. Sowohl die Anzahl der zu beurteilenden Anwendungen als auch die Anzahl der beurteilenden Benutzer sollte im voraus festgelegt werden. Als ausreichend hat In einem ersten Umsetzungsprojekt traten bei einigen Benutzern Verständnisschwierigkeiten bezüglich der einzelnen Dialogkriterien auf. In der modifizierten Version des Instrumentes wurde dieser Umstand berücksichtigt, Viele Benutzer haben zum Ausdruck gebracht, dass die Beschreibungsform der einzelnen Kriterieneigenschaften nun sehr gut" sei. Sie gaben allerdings zu bedenken, dass nicht jedes Dialogkriterium für ihre Tätigkeit gleichermaßen von Bedeutung ist. Dies galt im konkreten Anwendungsfall z.b. insbesondere für das Merkmal Individualisierbarkeit". Einige Benutzer meinten, dass sich die betreffende Bei der Auswertung der Fragebögen wurde weiterhin festgestellt, dass einige Benutzer bei der Bewertung der sich eine Anzahl von 5-10 Beurteilern je Anwendungssoftware erwiesen. Die Koordination der Analyse (welche Benutzer beurteilen welche Software) könnte bspw. auf Basis einer Anmeldeliste erfolgen. indem die jeweiligen Dialogkriterien mit anschaulichen Beispielen versehen wurden. Beim Einsatz dieser Fragebogenversion wurden dann keine Verständnisprobleme bezüglich der Kriterien mehr beobachtet. Anwendung zwar nicht an ihre individuellen Bedürfnisse anpassen lasse, es allerdings aus Gründen einer einheitlichen und effizienten Bearbeitung (bspw. von Formularen) für ihre Tätigkeit ohne Bedeutung sei. Daraufhin wurde der Fragebogen dahingehend ergänzt, dass der Benutzer bei jedem einzelnen Dialogprinzip angeben kann, ob es für die konkrete Tätigkeit wichtig ist oder nicht. Kriterien konkrete Beispiele aus ihren Aufgabenbereichen schilderten. Auch dies haben wir berücksichtigt und im
Anschluss an jedes Dialogkriterium einen Platzhalter für Benutzeranmerkungen bzw. -beispiele hinzugefügt. Dies ist zum einen für den Benutzer von Vorteil, da dieser die Möglichkeit hat, seine Bewertung anhand von anwendungsspezifischen Aspekten zu begründen. Zum anderen ist es für den Umsetzungsbeauftragten von Vorteil, da dieser erste Anhaltspunkte für das weitere Vorgehen zur Verbesserung der Software erhält. 5. Die einzelnen Arbeitsschritte beim Einsatz des "Qualitativen Software Screenings" (QS2) Der Umsetzungsbeauftragte wird beim Einsatz des "Qualitativen Software- Screening"-Verfahrens Schritt für Schritt angeleitet und durch entsprechende Formulare unterstützt. Das gesamte Verfahren gliedert sich in 7 Arbeitsschritte. Arbeitsschritt 1. Auswahl eines Umsetzungsverantwortlichen Der Umsetzungsverantwortliche wird durch die Geschäftsführung oder den Betriebsrat bestimmt. Arbeitsschritt 2. Information der Mitarbeiter Die Mitarbeiter sollten nach Möglichkeit informiert werden. Der QS 2 enthält ein vor der Durchführung der Informationsblatt, das zu diesem Zweck Softwareprüfung über die Notwendigkeit verwendet werden kann. der Maßnahme und das Verfahren Arbeitsschritt 3. Auswahl repräsentativer Bildschirmarbeitsplätze Die Analyse der Software muss nicht an Tätigkeiten. Eine Übertragung der jedem Bildschirmarbeitsplatz erfolgen, Analyse-Ergebnisse ist nur dann sondern es können repräsentative möglich - und dies gilt insbesondere für Bildschirmarbeitsplätze ausgewählt das Kriterium "Aufgabenangemessenheit" - wenn an den werden. Dies ist möglich, wenn an verschiedenen Bildschirmarbeitsplätzen verschiedenen Arbeitsplätzen gleiche identische Software (identisches Produkt oder ähnliche Tätigkeiten (z.b. und identische Version) eingesetzt wird. Schreibarbeiten, Datenerfassung, Werden an einem Arbeitsplatz Erstellung von graphischen verschiedene Softwareprodukte benutzt, Darstellungen etc.) durchgeführt so sollte die Softwareprüfung für jedes werden. Werden an einem Arbeitsplatz Produkt getrennt durchgeführt werden. unterschiedliche Tätigkeiten Das zweite wichtige Auswahlkriterium durchgeführt, so muss dies bei der für die Auswahl repräsentativer Auswahl der Bildschirmarbeitsplätze Bildschirmarbeitsplätze sind die berücksichtigt werden. Arbeitsschritt 4. Vervielfältigung und Verteilung des Prüffragebogens Der im QS 2 enthaltene Fragebogen Es sollte ein Rückgabetermin für den BAP-SWQ kann vervielfältigt und an die Fragebogen vereinbart werden. beurteilenden Benutzer verteilt werden.
Arbeitsschritt 5. Auswertung und Ermittlung der Prüfergebnisse Für die Auswertung und Interpretation Gestaltungsbedarf - festgestellt, kann der Benutzerantworten werden der Prüfbericht unmittelbar im Anschluß detaillierte Hilfen und Beispiele an die Auswertung erstellt werden. gegeben. Das Auswertungsergebnis Werden jedoch Gestaltungsdefizite für besteht in der Feststellung des die geprüfte Software festgestellt, so Gestaltungsbedarfs. Werden keinerlei können mit Arbeitsschritt 6 die Ursachen Mängel - und damit auch kein dieser Mängel ermittelt werden. Arbeitsschritt 6. Interviews mit den Benutzern Weist die - mit Hilfe einer BAP-SWQ- von Software-Ergonomie-Experten im Befragung - analysierte Software Rahmen von Software- Gestaltungsmängel im Hinblick auf die Entwicklungsprozessen durchgeführt Dialogkriterien auf, bedeutet das, dass werden. die Software den softwareergonomischen Mindestanforderungen in Sachen Software-Ergonomie - Mit dem QS 2 -Verfahren wird auch den - der EU-Richtlinie 90/270/EWG nicht ungeschulten Umsetzungsbeauftragten genügt. Es wird an dieser Stelle jedoch die Möglichkeit gegeben, die Ursachen noch nicht deutlich, warum dies so ist. der mangelhaften Gestaltung einzelner Die Ermittlung der Ursachen kann u.u. Dialogkriterien zu ermitteln. Für diesen den Einsatz von Feinanalyseverfahren Zweck wurde ein weiterführender erforderlich machen. Dies sind in der Fragenkatalog entwickelt, den der Regel aufwendige Verfahren (bspw. das Umsetzungsbeauftragte in einem Usability Testing, Untersuchung der Interview mit den Benutzern einsetzen Bedienbarkeit der Software unter kann. Einbeziehung der Benutzer), die zumeist Das folgende Beispiel soll den Nutzen der weiterführenden Fragen verdeutlichen. Eine Analyse mit dem BAP-SWQ, mit dem eine Software zur Massendatenerfassung untersucht wurde, ergab ein Defizit bei dem Dialogkriterium der Selbstbeschreibungsfähigkeit. Der Umsetzungsbeauftragte nimmt den weiterführenden Fragenkatalog für Selbstbeschreibungsfähigkeit des QS 2 - Der Benutzer weist daraufhin, dass bei den auszufüllenden Eingabemasken der Software Abkürzungen verwendet werden, die ihm unbekannt sind. Ferner finden sich in den Menüs Begriffe für Funktionen, die er nicht versteht und da er ab und zu diese Funktionen aber benötigt, muss er immer wieder im Handbuch nachschlagen, welche genaue Bedeutung diese haben. Der Umsetzungsbeauftragte erarbeitet mit den Benutzern den Vorschlag, die Abkürzungen, bei denen es möglich ist, Verfahrens und fordert einen Benutzer, der sich bereit erklärt hat, an einer Befragung teilzunehmen, auf, zunächst eine typische Beispielsituation bei der Nutzung der Software zu nennen, die zu eben dieser negativen Bewertung der Selbstbeschreibungsfähigkeit geführt hat. durch vollständige Begriffe zu ersetzen und in den Fällen, in denen Abkürzungen aufgrund von Platzmangel unumgänglich sind, für die Benutzer verständliche Abkürzungen zu verwenden. Ferner werden die unverständlichen Begriffe für die Funktionen in den Menüs durch neue Begriffe aus dem Arbeitsbereich der Benutzer ersetzt. Die Vorschläge werden an die firmeneigene Entwicklungsabteilung weitergegeben.
Arbeitsschritt 7. Erstellung eines Prüfberichtes Zum Abschluss werden sämtliche Verbesserungsmaßnahmen werden an Ergebnisse und die firmeneigene Gestaltungsmaßnahmen in einem Softwareentwicklungsabteilung oder ein Evaluationsbericht für die beauftragtes Softwarehaus Geschäftsleitung oder den Betriebsrat weitergeleitet. zusammengefasst. Notwendige 6. Ausblick In Pilotuntersuchungen mit softwareergonomisch ungeschulten Personen wurden Handhabungs- und Auswertungsinstruktionen des Fragebogens auf deren Verständlichkeit hin untersucht und verbessert. Jetzt geht das Verfahren als Bestandteil des SANUS-Handbuchs in die breite Anwendung und kann aufgrund dieser Ergebnisse weiterentwickelt werden Das QS 2 -Verfahren kann in Kombination mit dem"sanus-handbuch" bei dem SANUS-Partner ATB (s. Rubrik "SANUS-Projektpartner") bestellt werden. Das SANUS-Projekt ist an Verbesserungen des QS 2 -Verfahrens und dessen Anpassung an die Bedürfnisse der Praxis interessiert. Wenn Sie Kommentare zu dem Verfahren haben oder an einem Umsetzungsprojekt interessiert sind, so setzen Sie sich bitte mit dem SANUS- Partner "IAT" in Verbindung. 7. Literatur Burmester, M. & Görner, C. (1995). Software-Ergonomie, Zusammenhang von EU- Bildschirmrichtlinie (90/270/EWG) und ISO 9241. SANUS aktuell, 2, 16-21. Prümper, J. & Anft, M. (1993). Die Evaluation von Software auf der Grundlage des Entwurfs zur internationalen Ergonomie-Norm ISO9241 Teil 10 als Beitrag zur partizipativen Systemgestaltung - ein Fallbeispiel. In K.-H. Rödiger (Hrsg.), Software- Ergonomie '93 - Von der Benutzungsoberfläche zur Arbeitsgestaltung. Stuttgart: Teubner. Autoren : M. Burmester, P.-H. Vossen & V. Zouboulidis (IAT & GSM mbh, Stuttgart) Diese Vorgehensweise wurde im Rahmen des Projektes SANUS entwickelt.