1 Prof. Dr. Uwe Murmann Hausarbeit Strafrecht I, WS 2013/14 Lösungsskizze Der Aufbau der Arbeit folgt der Chronologie der Ereignisse. Innerhalb der Abschnitte ist mit den schwereren Delikten, also den Tötungsdelikten, zu beginnen. Teil 1: Die Infektion I. Strafbarkeit von T nach 212 I, 211 StGB Hinweis: Insbesondere dann, wenn man den Tötungsvorsatz verneinen will, bietet es sich an, zunächst nur eine Strafbarkeit nach 212 StGB zu prüfen, da es dann auf das Vorliegen von Mordmerkmalen nicht ankommt. Hinweis: Nicht zu prüfen obwohl ebenfalls Voraussetzung der Tatbestandsmäßigkeit ist der Umstand, dass es sich bei T und F jeweils um Menschen handelt; das ist völlig selbstverständlich. Gleiches gilt auch für die verbreitete Prüfung, dass T gehandelt hat. Eine Prüfung der Handlungsqualität ist nur angezeigt, wenn ernsthaft zweifelhaft ist, ob ein positives Tun oder ein Unterlassen vorliegt. aa) Erfolgseintritt und Kausalität (1) Erfolg (+) (2) Kausalität (+) bb) Objektive Zurechenbarkeit (1) rechtlich missbilligte Gefahr oder erlaubtes Risiko? Sonderwissen (Kenntnis von der Infektion) ist zu berücksichtigen Trotz des statistisch geringen Ansteckungsrisikos sprechen die gravierenden Folgen für Missbilligung, zumal das Interesse an sexueller Betätigung auch durch Benutzung eines Kondoms verfolgt und so das Risiko zu einem erlaubten weiter minimiert werden kann. Es wird jedenfalls im Rahmen fester Beziehung auch nicht überzeugen, dass im Zeitalter von Aids niemand darauf vertrauen könne, dass der Sexualpartner nicht infiziert sei. Mit Blick auf die fehlende Kenntnis der F von dem konkreten Risiko liegt auch kein eigenverantwortliches Opferverhalten vor. (2) Verwirklichung der Gefahr im Erfolg - Pflichtwidrigkeitszusammenhang (+) - Schutzzweckzusammenhang?:
2 -- Soll das Verbot ungeschützten Geschlechtsverkehrs trotz Kenntnis einer HIV-Infektion auch vor tödlichen Verläufen schützen, die sich erst in Zusammenwirken mit einer angeborenen Immunschwäche realisieren? (besondere Opferkonstitution) (+) -- Soll das Verbot ungeschützten Geschlechtsverkehrs trotz Kenntnis einer HIV-Infektion auch vor Todeserfolgen schützen, die erst deutlich nach der Tat eintreten? (Spätfolge) (Vorliegend wird man angesichts des kurzen Zeitraums keine Spätfolge bejahen können) 2. Ergebnis cc) Heimtücke - bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit (+) - in feindlicher Willensrichtung (+) - Verwerflicher Vertrauensbruch (+) - Jedenfalls weder Absicht noch sicheres Wissen; bloße Möglichkeitskenntnis; Problem: dolus eventualis: aa) Vorstellungstheorien - Möglichkeitstheorie (wohl +) - Wahrscheinlichkeitstheorie (wohl -) bb) Voluntative Theorien - Manifestationslehre/Vermeidungstheorie (+) - Gleichgültigkeitstheorie (-) - Ernstnahmetheorie (eher -) Arg.: relativ geringes Risiko, Hemmschwelle - Billigungstheorie der Rechtsprechung (wie Ernstnahmetheorie) Strafbarkeit mangels Vorsatzes (-) Gegenauffassung vertretbar. II. 223 I, 224 I Nr.1 2.Alt., Nr.5 StGB aa) Gesundheitsschädigung (+)
3 bb) Körperliche Misshandlung (-) cc) Durch Beibringen anderer gesundheitsschädlicher Stoffe, 224 I Nr.1 2.Alt. (+) dd) Das Leben gefährdende Behandlung, 224 I Nr.5 (+) - Dolus eventualis? Erneute Behandlung anhand der oben I.1.b erörterten Theorien Annahme von Körperverletzungsvorsatz auch bei Verneinung von Tötungsvorsatz vertretbar (+/-) Bejahendenfalls: 2. Rechtswidrigkeit und Schuld (+) Teil 2: Die Vergiftung I. 212 I, 211 bzgl. E aa) Erfolg, Kausalität (+) bb) Objektive Zurechenbarkeit (+) cc) Heimtücke (1) Heimtücke als bewusste Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers in feindseliger Willensrichtung? - Arglosigkeit Argwohn aufgrund vorhergehenden Streits? nach h.m. ändert der Streit nichts an der Arglosigkeit, weil E nicht mit gegen ihn gerichteten Tätlichkeiten rechnete. (+) Normativierung des Heimtückebegriffs? Argwohn, weil E nach seinem vorangegangenen Verhalten mit einem Angriff rechnen musste? (+/-) - Wehrlosigkeit (+) - Wehrlosigkeit beruht auf Arglosigkeit (+) - Bewusstes Ausnutzen (+) (2) Heimtücke als besonders verwerflicher Vertrauensbruch? (-) (3) Typenkorrektur? (-) dd) Gemeingefährliches Mittel? Keine öffentliche Zugänglichkeit (-) aa) Vorsatz: Absicht (+)
4 bb) Zur Verdeckung einer Straftat Genügt auf die Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen gerichtete Verdeckungsabsicht? (+/-) cc) Habgier Ausreichend auch Behaltegier? Jedenfalls nicht bewusstseinsdominant. (-) 2. Rechtswidrigkeit: Notwehr a) Notwehrlage aa) Angriff auf Willensentschließungsfreiheit und Vermögen (+) bb) Rechtswidrigkeit (+) cc) Gegenwärtigkeit Dauert nach h.m. an, solange der Erpresser psychischen Zwang aufrecht erhält. b) Notwehrhandlung 3. Schuld aa) Gegen den Angreifer (+) bb) Erforderlichkeit? Anzeige würde vorangegangenes Verhalten enthüllen und wäre deshalb unzureichend Deshalb: (+) cc) Gebotenheit 4. Ergebnis (1) Enge persönliche Bindung (-) (2) Zulässigkeit vorsätzlicher Tötung in Notwehr zum Schutze anderer Güter als Leib und Leben? Art. 2 II lit. a EMRK Nach h.m. keine Beschränkung des Notwehrrechts Privater (3) Notwehreinschränkungen bei Chantage? (+/-) Strafbarkeit (+/-) je nach Annahme einer Notwehreinschränkung II. 212 I, 211 bzgl. O aa) Tod, Handlung, Kausalität (+) bb) Objektive Zurechenbarkeit? (1) Rechtlich missbilligte Gefahrschaffung (+) (2) Pflichtwidrigkeitszusammenhang (+)
5 (3) Schutzzweckzusammenhang: Dient das Verbot, anderen Gift ins Essen zu mischen, auch zur Vermeidung solcher Todeserfolge, die letztlich erst deshalb eintreten, weil das Opfer eine lebensrettende Bluttransfusion aus religiöser Überzeugung verweigert? (Eigenverantwortliches Opferverhalten?) (+/-) cc) Heimtücke (+) dd) Gemeingefährliches Mittel? Keine öffentliche Zugänglichkeit (-) aa) Vorsatz hinsichtlich Tötung eines Menschen (+), Eventualvorsatz, dolus cumulativus, nämlich neben der Absicht, den E zu töten bb) Irrtum hinsichtlich der Person des Opfers (1) Keine aberratio ictus, weil T auch bezogen auf die Abweichung (hier also bezogen auf den Tod einer weiteren Person, nämlich M) vorsätzlich handelt. (2) Error in persona (+) cc) Niedrige Beweggründe? Im Hinblick auf die rücksichtslose Durchsetzung von Zielen auch auf Kosten Unbeteiligter (+/-) 2. Rechtswidrigkeit und Schuld Anm.: Wird eine Tat zu Lasten von O bejaht, so ist der Vorsatz bezogen auf eine Tötung von M verbraucht. Wird hingegen eine Tat zu Lasten von O abgelehnt, so wäre ein versuchtes Tötungsdelikt zu Lasten von M zu prüfen. III. 223 I, 224 I Nr.1 1.Alt., Nr. 3, Nr.5 StGB bzgl. O // IV. bzgl. E - Körperverletzung als notwendiges Durchgangsstadium (+) - Gift (+) - das Leben gefährdende Behandlung (+) - hinterlistiger Überfall (+) Die verwirklichten gefährlichen Körperverletzungen treten hinter den Tötungsdelikten aber als subsidiär zurück.