Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer 5. Metaphysik 1117
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Metaphysik? Was ist das eigentlich 1119
Wie die Metaphysik zu ihrem Namen kam 1120
Metaphysik τα μετα τα ϕυσικα dasjenige, was nach der Physik kommt 1121
Aristoteles (384-322 v. Chr.) Aristoteles gehört zu den berühmtesten und einflussreichsten Philosophen der griechischen Antike. Er studierte 20 Jahre an Platons Akademie, zuerst als Student, t später auch als Lehrer. Später ging er nach Makedonien, wo er Lehrer von Alexander des Großen war. Als Alexander König wurde, kehrte Aristoteles nach Athen zurück und gründete seine eigene Philosophenschule, h h l das Lykeion. Organon; Physik; Metaphysik; Nikomachische Ethik; Politik 1122
Die vierzehn Bücher der Metaphysik des Aristoteles stellen kein einheitliches Werk dar. 1123
Erstes Buch Metaphysik = Wissenschaft der ersten und obersten Ursachen oder Prinzipien 1124
Zweites Buch Metaphysik = Erforschung der Wahrheit 1125
Sechstes Buch Metaphysik = Wissenschaft des Seienden als Seiendem 1126
Sechstes und zwölftes Buch Metaphysik = philosophische Gotteslehre ( Theologie ) 1127
Substanzbücher (Bücher 7 bis 9) Metaphysik = Lehre von den ersten Prinzipien der wahrnehmbaren und veränderlichen Substanzen 1128
Wissenschaft vom Seienden als Seiendem Seiendes in seinen Attributen Seiendes als solches Akzidenzien (existieren als Hinzukommendes Hinzukommendes ) Substanzen (existieren als solche) veränderliche, wahrnehmbare Substanz unveränderliche, göttliche Substanz Ontologie Theologie erste Ursachen und Prinzipien der veränderlichen Welt erste Ursachen und Prinzipien der unveränderlichen Substanz 1129
metaphysica generalis allgemeine Ontologie Johann Micraelius (1597-1658) metaphysica specialis theologia rationalis (Philosophische Theologie) Christian Wolff (1679-1754) 1754) cosmologia rationalis (Philosophische Kosmologie) psychologia rationalis (Philosophische Psychologie) 1130
Die Grundfrage der Ontologie 1131
Interessant am Problem der Ontologie ist seine Einfachheit. Es kann mit drei deutschen Worten beschrieben werden: Was gibt es? Mehr noch, es kann mit einem einzigen Wort beantwortet werden: alles und jeder würde diese Antwort als wahr akzeptieren. Doch damit ist noch nicht mehr gesagt als dass es gibt, was es gibt. Die Möglichkeit verschiedener Auffassungen über einzelne Fälle bleibt bestehen und damit hat dann das Problem auch Jahrhunderte überlebt. (W.V.O. Quine, On what there is ) 1132
Was gibt es? Was ist Bedeutung? Was ist Wissen?? Was ist eine Erklärung? usw. Erfassen eines Begriffs durch eine reduktive Definition. (philosophische Analyse) 1133
Lässt sich die Frage nach dem, was es gibt, auch durch eine philosophische Analyse beantworten? 1134
Was bedeutet es, dass etwas existiert? Was bedeutet es, dass etwas existiert? 1135
Grundbegriffe der allgemeinen Ontologie Existenz Modalität Identität Was bedeutet es, dass etwas existiert? Grundlagen der kategorialen Ontologie Dinge Eigenschaften Sachverhalte Ereignisse Was bedeutet es, dass etwas existiert? 1136
Grundbegriffe der allgemeinen Ontologie 1137
Was bedeutet es, dass etwas existiert? Sokrates ist. existentielle Verwendung {x x = Sokrates} sein Sokrates ist ein Mensch. prädikative Verwendung Sokrates {x x ist ein Mensch} Cicero ist Tullius. Identität Cicero = Tullius Ein Mensch ist ein Säugetier. inklusive Verwendung {x x ist ein Mensch} {y y ist ein Säugetier} 1138
Was bedeutet es, dass etwas existiert? Sokrates ist. existenzielle Verwendung In der Menge aller, die es gibt, existiert einer, der mit Sokrates identisch ist. sein Sokrates ist ein Mensch. prädikative Verwendung Sokrates ist ein Element der Menge der Menschen. Cicero ist Tullius. Identität Cicero ist identisch mit Tullius. Ein Mensch ist ein Säugetier. inklusive Verwendung Die Menge der Menschen ist Teilmenge der Menge der Säugetiere. 1139
Welche Bedeutung hat das Prädikat existieren? Was bedeutet es, dass etwas existiert? 1140
Kant: Existenz ist keine Eigenschaft 1141
Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Prädikate ich will denke, so kommt dadurch, d dass ich noch hinzusetze, dieses Ding ist, nicht das mindeste zu dem Dinge hinzu. Denke ich mir sogar in einem Ding alle Realität außer einer, so kommt dadurch, dass ich sage, ein solches mangelhaftes Ding existiert, die fehlende Realität nicht hinzu, sondern es existiert gerade mit demselben Mangel behaftet, t als ich es gedacht habe, sonst würde etwas anderes, als ich dachte, existieren. Kant, Kritik der reinen Vernunft 1142
Frege, Russell: Existenz als eine Eigenschaft höherer Ordnung 1143
Eigenschaften 2. Ordnung Dieser Stuhl ist rot. Rot ist eine Eigenschaft 1. Ordnung (Eigenschaft von einem Ding.) Rot ist eine Farbe. Farbe ist eine Eigenschaft 2. Ordnung (Eigenschaft einer Eigenschaft bzw. Klasse.) 1144
Eine Eigenschaft 2. Ordnung kann nicht auf Gegenstände angewendet werden! # Dieser Stuhl ist eine Farbe. 1145
Rot ist eine Farbe. Die Menge der Farben enthält das Element ROT. Elefanten existieren. Die Menge der Elefanten besitzt mindestens ein Element. 1146
Zwerge existieren nicht. Die Menge der Zwerge besitzt kein Element (ist die leere Menge). Pegasus existiert nicht. Die Menge der ist leer??? Pegasus ist ein Gegenstand! 1147
Carnap, Quine: Existenzquantor und sprachliches Bezugssystem 1148
Elefanten existieren. Es gibt mindestens ein x, so dass x Elefant ist. x [Elefant (x)] Existenzquantor t x gebundene Variable [...] Skopus 1149
Der Quantifikationsbereich [d.h. die Domäne von Gegenständen, die die Variable als Wert annehmen darf] ist abhängig von einer Sprache oder Theorie. Fazit Die Antwort auf die Frage nach dem, was es gibt, kann nur relativ zu einem Bezugsrahmen oder einem Sprachsystem beantwortet werden. 1150
Kenny: Existenz und Aktualität 1151
Anthony Kenny Dinosaurier existieren nicht mehr, obwohl es früher welche gab. Es gibt zwar Tote, aber die Menschen, die sie mal waren, existieren nicht mehr. 1152
Aktualität kann einzelnen Dingen wie ein Prädikat erster Stufe sowohl zu- als auch abgesprochen werden. Etwas kann beginnen zu existieren, noch immer existieren oder nicht mehr existieren. 1153
Die alethischen Modalitäten 1154
Alethisch Alethisch kommt von dem griechischen Wort aletheia und bedeutet die Wahrheit betreffend. Alethische Modalitäten sind daher allgemeine Bestimmungen, in denen die Wahrheit einer Aussage bewertet wird. Eine Aussage ist z.b. notwendig wahr, wenn es nicht sein kann, dass sie falsch ist. 1155
Aussagen, in denen die Ausdrücke möglich möglich, notwendig usw. vorkommen, nennt man Modalaussagen. 1156
Etwas ist notwendig, wenn es nicht möglich ist, dass es nicht existiert. Etwas ist kontingent, wenn es möglich ist, dass es nicht existiert. Etwas ist möglich, wenn es möglich ist, dass es existiert. Etwas ist unmöglich, wenn es nicht möglich ist, dass es existiert. 1157
Die epistemische Interpretation der alethischen Modalitäten 1158
ontologisch notwendig möglich epistemisch a priori a posteriori Beispiel: 2+2=4 Alle Schwäne sind weiß. 1159
Nur zu verteidigen, wenn jede notwendig wahre Aussage eine Aussage ist, die a priori wahr ist; und wenn jede möglich wahre Aussage eine Aussage ist, die a posteriori wahr ist. 1160
Kripke über notwendige Sätze a posteriori und kontingente Sätze a priori 1161
Goldbachs Vermutung Goldbachs Vermutung besagt, dass jede gerade Zahl, die größer als zwei ist, die Summe von zwei Primzahlen sein muss. Wenn diese Vermutung wahr ist, dann handelt es sich um eine notwendige Wahrheit; wenn sie falsch ist, dann ist sie notwendig falsch. Wir wissen nicht, ob sie wahr oder falsch ist. 1162
Das Urmeter in Paris In Paris liegt ein Stab, dessen Länge als Standard für das Meter dient. Es ist kontingent, dass gerade dieser Stab einen Meter lang ist! Allerdings ist dieser Stab in Paris auch notwendig einen Meter lang, da wir dies ja festgelegt und das Urmeter als Standard für die Längenmessung benutzen. 1163
Alethische Modalitäten und mögliche Welten 1164
Es ist notwendig, Es ist möglich, Es ist unmöglich, dass S. dass S. dass S. w 1 w 1 w 1 w 2 wahr w 2 wahr w 2 wahr w 3 w 3 w 3 w 4 falsch w 4 falsch w 4 falsch w 5 w 5 w 5......... 1165
Existieren alternative mögliche Welten tatsächlich? Realismus Andere möglichen Welten existieren tatsächlich und sind genauso real wie unsere Welt. Aktualismus Nur unsere Welt und die Individuen, die in unserer Welt aktual sind, existieren. 1166
David Lewis realistische Deutung 1167
David Lewis (1941-2001) Lewis gilt als einer der wichtigsten amerikanischen Philosophen, der auf fast allen Gebieten der theoretischen eti hen Philosophie ophie arbeitete und wichtige Beiträge lieferte. Am einflussreichsten waren vielleicht seine Arbeiten zum Begriff der möglichen Welten. Convention. A Philosophical Study (1969); General Semantics (1970); Counterfactuals (1973); Adverbs of Quantification (1975); How to Define Theoretical Terms (1978); Scorekeeping in a Language Game (1979); Attitudes De Dicto and De Se (1979); On the Plurality of Worlds (1986) 1168
Die realistische Interpretation möglicher Welten setzt eine Pluralität von Universen voraus, die genau so real sind, wie der Kosmos, in dem wir leben. Unsere Welt ist lediglich l Teil der umfassenden Realität aller Kosmen 1169
Die anderen Welten können wir wegen der raumzeitlichen und der kausalen Trennung von unserer Welt nicht erreichen. Es ist sinnlos nach räumlichen, zeitlichen oder kausalen Verbindungen zwischen den Individuen der verschiedenen Welten zu fragen. 1170
Es gibt keine Transwelt-Identität, sondern nur Welt-gebundene Individuen, die ähnliche Gegenstücke (counterfactuals) in anderen Welten besitzen. 1171
Es gibt keinen ontologischen Vorrang einer Welt gegenüber irgendeiner anderen. Die aktuale Welt ist daher nicht unbedingt unsere, sondern diejenige, in der der Ausdruck aktual gerade geäußert wird. 1172
Eigenschaft Eine Eigenschaft P ist eine Funktion, die jeder möglichen Welt die Menge von Individuen zuordnet, auf die P zutrifft. Essentielle Eigenschaft Ein Individuum x hat eine Eigenschaft P notwendig genau dann, wenn in jeder möglichen Welt, in der es ein Gegenstück y zu x gibt, y P besitzt. 1173
Proposition Die Proposition, die ein Satz S ausdrückt, ist die Menge der möglichen Welten, in denen S wahr ist. Notwendigkeit Ein Satz S ist notwendig, wenn er in allen möglichen Welten wahr ist. 1174
Alvin Plantingas aktualistische Deutung 1175
Alvin Plantinga Die aktualistische Sicht auf mögliche Welten wird u.a. von Alvin Plantinga vertreten. Er lehrt an der Universität von Notre Dame (Indiana) und ist vor allem durch seine religionsphilosophischen wie auch seine ontologischen Arbeiten bekannt geworden. Transworld Identity or Worldbound d Individuals d (1973); The Nature of Necessity (1974); Actualism and Possible Worlds (1976); How to be an Anti-Realist (1982); Two Concepts of Modality. Modal Realism and Modal Reductionism (1987) 1176
Mögliche Welten sind maximale, kohärente, mögliche Tatsachen, d.h. abstrakte Entitäten, die realisiert sein können oder nicht. Nur eine einzige dieser möglichen maximalen Tatsachen besteht: unsere aktuale Welt, nichts sonst. 1177
Existenz eines Gegenstandes x in einer Welt w ist keine echte Präsenz in einer Welt, sondern sie wird kontrafaktisch behauptet: Würde die Welt w aktual sein, dann würde x existieren. 1178
Ein Aktualist nimmt an, dass die Rede von ein und demselben Individuum in verschiedenen Welten sinnvoll ist. Wenn wir also behaupten, dass Merkel auch Philosophin sein könnte, dann sagen wir etwas über die aktuale Merkel aus und nicht über irgendein ähnliches Gegenstück von Merkel in einer anderen Welt (Transwelt-Identität). 1179
Identität 1180
In der Logik wird der Begriff der Existenz oft über den Begriff der Identität eingeführt: a existiert = def Es gibt mindestens ein x, so dass gilt: x = a. 1181
Formen der Identität numerische vs. qualitative Identität (Selbigkeit vs. Gleichheit) notwendige vs. kontingente Identität absolute vs. relative Identität synchrone vs. diachrone Identität 1182
Eigenschaften der Indentität 1183
Reflexivität Symmetrie x = x x = y y = x Transitivität x = y & y = z x = z Leibniz i Gesetz x = y F [F(x) F(y)] 1184
Gottfried Wilhelm Leibniz 1646-1716 Leibniz Gesetz x = y F [F(x) F(y)] Ununterscheidbarkeit des Identischen x = y F [F(x) F(y)] Falls x mit y identisch ist, dann stimmt x mit allen Eigenschaften von y überein. Identität des Ununterscheidbaren F [F(x) F(y)] x = y Falls x in allen Eigenschaften mit y übereinstimmt, dann ist x identisch mit y. 1185
Identitätsbedingungen als Mittel zur Klärung ontologischer Fragestellungen No entity without identity. W.V. Quine 1186
Bündeltheorien Identität des Ununterscheidbaren F [F(a) F(b)] a = b 1187
Essentialismus (Substanzentheorie) Substanz-Kriterium Ki i F e [F e (a) F e (b)] a = b 1188
Haecceitas Haecceitas-Kriterium Ki i F haec [F haec (a) F haec (b)] a = b 1189
Bare Partikulars (Substrattheorie) Substrat-Kriterium Ki i z [S(z, a) & S(z, b)] a = b 1190
Raum-Zeit-Regionen Regionen Lemmon Kriterium i (x a, y a, z a, t a ) = (x b, y b, z b, t b ) a = b 1191
Diachrone Identität 1192
Fall 1 Stellen wir uns ein Schiff aus Holz vor und nennen es S zu t 1. Nun werden die Teile von S im Laufe der Zeit alle durch neue Teile ersetzt bis zu einem Zeitpunkt t 2, zu dem das Schiff vollständig aus ersetzten Teilen besteht. Nennen wir dieses Schiff zum Zeitpunkt t 2 entsprechend S neu. Frage: Ist S identisch mit S neu? 1193
Fall 2 Stellen wir uns nun vor, die alten Teile des Schiffes S werden jedes Mal in irgendein Lagerhaus gebracht, so dass, nachdem das ganze Schiff erneuert wurde, das alte Schiff aus den alten Teilen zum Zeitpunkt t 2 woanders wieder aufgebaut werden kann. Nennen wir nun das wiederaufgebaute Schiff S alt. Frage: Ist S identisch mit S alt? 1194
Problem Das restaurierte Schiff S neu und das wieder aufgebaute Schiff S alt sind zwei (numerisch) verschiedene Schiffe. Mit welchem ist S identisch? 1195
Endurantismus S alt S S S neu t 0 t 1 t 2 t Perdurantismus zeitliche Teile von S alt S ist zeitlicher Teil von S alt und zeitlicher Teil von S neu zeitliche Teile von S neu t 0 t 1 t 2 t 1196