Studie T9 3410 2011 Die Rolle der kollektiven Identität in sozialer Beewegungsbeteiligung: Eine Panel Studie im Kontext der Deutschen Schwulenbewegung The Role of collectice identification in social movement participation: A panel study in the context of the German gay movement Kollektive Identifikation und soziale Bewegungsbeteiligung Stürmer & Simon (2004) Christian-Albrechts-Universität Kiel Einführung Soziale Konflikte zw. Gruppen haben nicht nur destruktive Seiten. Im Gegenteil: Politische Konfrontation zw. Gruppen können eine entscheidende Treibkraft für Innovation und sozialen Wandel innerhalb von Gesellschaften sein. In diesem Artikel werden die Ergebnisse einer Fragebogenstudie mit 2 Messzeitpunkten über einen 1-jahres-Zeitraum mit einer zusätzlichen Nachbefragung berichtet, in der die kollektive bzw. sozialer Identifikationsprozess für die soziale Bewegungsbeteiligung im Kontext der Schwulenbewegung untersucht wurde. Die Autoren erfasten 2 unterschiedliche Formen kolektiver Identifikation. Zum einen wurde unter den Sympathisanten der Bewegung die Stärke ihrer Identifikation mit der Gruppe erhoben, aus der die Bewegung ihre Teilnehmer rekrutierte (schwule Männer). Zum Zweiten wurde Identifikation mit einer formalen Bewegungsoragnisation erfasst (Lesben- & Schwulenverband Deutschalnd). Die Autoren verglichen nicht nur die relative Bdeutung dieser beiden Formen der Identifikation für die soziale Bewegungsbeteiligung, sondern sie untersuchten auch, ob Identifikation im Zuge eskalierender Intergruppenkonflikte in einem Maße politisiert werden kann, dass sie selbst zu einem Motovator der Teilnahme wird. In Cross-Lagged-Panel-Analysen wurde zudem die kauslae Beziehung zw. kollektiver Identität & Protestbeteiligung untersucht. I. Ausgangspunkt: Obwohl viele Mitglieder benachteiligter Gruppen mit den Zielen entsprechender sozialer Bewegungen sympathisieren, beteiligt sich doch nur ein geringer %-Satz an kollektiven Aktionen, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. Die sozialpsychologischen Prozesse, die die Motivation der Gruppenmitglieder beieinflussen, sich an kollektiven Aktionen zu beteiligen, steht dahre im Mittelpubkt der Forschung der sozialen Bewegunsgbeteiligung. Theorien: (1) Das Vier-Stufen Modell von Klandermans. (2) Die Entwicklung der Motivation zur aktiven Teilnahme (Stufe 3) als besonderes Problem. (3) Im Mittelpunkt der Analyse stand die Rolle von Kosten-Nutzen- Kalkulationsprozessen. (4) Kritik am Kosten-Nutzen-Ansatz als übermäßig individualistisch (Vernachlässigung der Beziehung zwischen Individuum und Gruppe). (5) Sozialer Identitätsansatz: Soziale Bewegungsbeteiligung als Intergruppenverhalten daher sollte die kollektive Identifikation eines Individuums eine zentrale Rolle für die Teilnahmemotivation spielen.
II. Ziele (1) Nachweis des eigenständigen prädiktiven Werts kollektiver Identifikation im Hinblick auf die Vorhersage tatsächlicher sozialer Bewegungsbeteiligung. (2) Untersuchung der relativen Bedeutung von Identifikation mit zwei unterschiedlichen Gruppen: a) der benachteiligten Gruppe; b) b) der sozialen Bewegungsorganisation ( politisierte kollektive Identifikation ). III. Ergebnisse:
Die Ergebnisse bestätigen die eigenständige Rolle kollektiver Identifikationsprozesse, insbesondere kollektiver Identifikation mit der sozialen Bewegungsorganisation. Unerwarteterweise erwies sich das kollektive Motiv nicht als signifikanter Prädiktor. Das normative Motiv erwies sich im Einklang mit früheren Studien als signifikanter Prädiktor in diesem Kontext. Teilnahme an kollektivem Protest wird außerdem wahrscheinlicher, wenn wichtige andere Personen positiv auf die Teilnahme reagieren (normative Motiv). Identifikation mit einer Bewegung ist Ursache & Folge der Teilnahme an kollektivem Protest. Identifikation mit einer Bewegung ist Ursache für organisatorisches Engagement Sozialpolitischer Kontext moduliert die Wirksamkeit kollektiver Identifikation. Zwei motivationale Wege zu sozial-politischem Engagement: Kosten-Nutzen-Kalkulation ( extrinsische Motivation ) Politisierte kollektive Identifikation ( intrinsische Motivation ) IV. Hypothese Identifikationsprozesse Kollektive Identifikation mit der sozialen Bewegungsorganisation sollte besonders relevant für die Verhaltensvorhersage sein. Kalkulationsprozesse Das kollektive und das normative Motiv sollten besonders relevant für die Verhaltensvorher-sage sein, während das Belohungsmotiv weniger bedeutsam sein sollte. V. Experiment Vpn: Panel-Stichprobe (T1 / T2): 199 Mitglieder des Schwulenverbandes in Deutschland (SVD) Design: Fragebogenstudie mit zwei Messzeitpunkten (Intervall zwischen T1 und T2: 12 Monate) und telefonischer Nachbefragung mit Substichprobe ca. 36 Monate nach T1) UV: Prädiktoren: Identifikation mit schwulen Männern; Identifikation mit dem SVD; kollektives Motiv, normatives Motiv, Belohnungsmotiv. Identifikation mit Schwulen operationoalisiert mit 3 Items der Collectiven Idnetification Scale Identifikation mit dem SVD operationalisiert mit 3 Items Kollektive Mitive value component: 5 Fragen zu den Zielen des SVD Expectancy component: 1 Item Normatibe Mitive Bewertung der erwarteten Reaktionen 7 bedeutsamer adnerer Personen/ Gruppen auf die Beteiligung an der Bewegung, Bewertung persönlicher Wichtigkeit dieser Aktion; Belohnungsmotive Bewertung von 3 möglichen Gewinnen/ Vorteilen und 3 Verlusten/ Nachteilen AV: 2 distinkte Kriterien
KV: a) teilnahem an kollektiven Protestaktionen Selbstbericht über die Teilnahme an 6 kollektiven Aktivitäten b) ehernamtliche Mitarbeit in der Bewegungsbeteiligung Selbstbericht über Engagemnt an 6 Aktivitäten in der Organisation Kontrollvariablen: Vergangene Teilnahme am kollektiven Protest; Vergangenes organisationales Engagement, soziodemografische Variablen. VI. Design Design:Cross-lagged-panel-Analyse (CLPA) & Multiple Regression Methode:(1) Vorhersage über ein Zeitintervall von 12 Monaten (2) Kontrolle traditioneller Prädiktorvariablen (Kollektives, normatives und Belohungsmotiv) (3) Cross-Lagged-Panel -Analyse ( Kausalität ) (4) Zwei distinkte Kriterien: a) Teilnahme an kollektiven Protestaktionen, b) ehrenamtliche Mitarbeit in der Bewegungsorganisation VII. Fazit Im Hinblick auf die Teilnahme an kollektiven Protestaktionen legen CLPA nahe, dass zwischen kollektiver Identifikation und Partizipation eine reziproke Kausalbeziehung vorherrscht. Im Hinblick auf die ehrenamtliche Mitarbeit deuten die Ergebnisse auf eine unidirektionale Beziehung von Identifikation auf die Mitarbeit hin. Einer der interessantesten neuen Befunde betrifft die Identifikation mit der benachteiligten Gruppe. Ergebnisse der Nachbefragung deuten an, dass diese Identifikation im Zuge eskalierenden Intergruppenkonflikts in einem Maße politisiert wird, dass sie selbst als Motivator zur Teilnahme wirksam wird. (methodische Einschränkung: kleines N). Unerwarteterweise erwies sich das kollektive Motiv nicht als signifikanter Prädiktor (Mögliche Ursache: durchschnittlich nur geringe Erwartung, dass genügend schwule Männer an Protestaktionen teilnehmen). Das normative Motiv erwies sich im Einklang mit früheren Studien als signifikanter Prädiktor in diesem Kontext. VIII. Fragen Erläutern Sie die Messung des normativen Motivs. Grundsätzliches: die Messung des normativen Motivs orientiert sich an dem Wert x Erwartungs-Modell. Es werden zunächst separat die Wert- und die Erwartungskomponenten erfasst und anschließend zusammengeführt. Erstens: Bewertung der erwarteten Reaktion von wichtigen Anderen a) Partner, b) schwulen Freunden in SVD, c) anderen schwulen Freunde, d) nicht schwule Freunde, e) engen Verwandten, f) Arbeitskollegen, g) Geschäftspartner bzw.
Kunden auf die Teilnahme des Befragten an Aktivitäten der Schwulen-Bewegung von -3 (sehr negativ) bis +3 (sehr positiv) Zweitens: Bewertung der Wichtigkeit dieser Reaktionen für den Befragten auf einer Skala von 0 (nicht wichtig) bis 6 (sehr wichtig). Pro wichtiger Anderer wurden die Werte in erwarteten Reaktionen mit den korrespondierenden Werten in Wichtigkeit miteinander multipliziert, so dass sich die neue Skala zur Messung des normativen Motivs insgesamt von -18 (-3 x 6) bis +18 (+3 x 6) erstreckte. Werte auf dieser neuen Skala wurden über alle wichtigen Anderen gemittelt. Erläutern Sie die zentralen Ergebnisse der Cross-Lagged-Panel-Analyse zur kausalen Wirkrichtung von kollektiver Identifikation mit der Bewegung und Teilnahme an kollektiven Protestaktionen. Zwischen kollektiver Identifikation mit dem SVD und der Teilnahme an kollektiven Protestaktionen besteht eine reziproke kausale Beziehung. Dies legen zunächst augenscheinlich die etwa gleich großen marginal signifikanten crosslagged Koeffizienten nahe:.15 für die Wirkrichtung Identifikation Protest und.13 für die Wirkrichtung Protest Identifikation. Die Annahme der reziproken kausalen Beziehung kann außerdem statistisch untermauert werden durch den Vergleich der Anpassungsgüte des Modells mit den empirisch ermittelten crosslagged Koeffizienten mit der Anpassungsgüte eines Modell, bei dem die Koeffizienten als gleich groß gesetzt werden. Zwischen beiden Modellen besteht kein signifikanter Unterschied in der Anpassungsgüte. Mit welchen Testverfahren wurde in der Follow-Up-Studie überprüft, ob es zu einem Anstieg des prädiktiven Werts kollektiver Identifikation mit der Gruppe schwuler Männer im Hinblick auf die Vorhersage der in 1998 und der im Jahr 2000 berichteten Protestteilnahme kam. Erstens wurde die Höhe der Korrelation zwischen Identifikation mit schwulen Männern 1997 und Protest im 1998 mit der Höhe der Korrelation zwischen Identifikation mit schwulen Männern 1997 und Protest im 2000 verglichen. Die zweite Korrelation war statistisch signifikant höher als die erste. Zweitens wurde eine multiple Regressionsanalyse mit Identifikation mit schwulen Männern, Identifikation mit SVD und den drei Motiven als Prädiktoren (alle 1997 erfasst) und den im Jahre 2000 erfassten Protestteilnahme als Kriterium durchgeführt. In dieser RA hatte allein die Identifikation mit schwulen Männern ein signifikantes β Gewicht. Diskutieren Sie das Drittvariablenproblem als eine potentielle Einschränkung der Ergebnisse der Nachbefragung im Jahr 2000. Durch welche zusätzlichen Analysen haben die Autoren versucht auszuräumen, dass der beobachtete Anstieg des prädiktiven Werts kollektiver Identifikation zwischen 1998 und 2000 auf eine Festigung von Verhaltensgewohnheiten zurückzuführen ist? Grundsätzlich gibt es immer die Möglichkeit, dass ein statistisch ermittelter Zusammenhang durch Drittvariablen, also Variablen, die im Design nicht berücksichtigt wurden, beeinflusst ist bzw. überhaupt zustande kommt. Da man also das Drittvariablenproblem grundsätzlich nicht lösen kann, ist es wichtig, dass zumindest die theoretisch bedeutsamen Variablen als potenzielle Drittvariable ausgeschlossen werden. Vorangehendes Verhalten ist im Allgemeinen ein starker Prädiktor für die Prognose zukünftigen Verhaltens. In dieser Studie wurde der prädiktive Wert von vergangener Teilnahme an kollektiven Protestaktionen (im Sinne einer Verhaltensgewohnheit) für zukünftige Teilnahme am kollektiven Protest durch Partialkorrelation überprüft. D.h. aus dem Zusammenhang zwischen kollektiver Identifikation 1997 und der im Jahre 2000 selbstberichteten Teilnahme an kollektivem Protest wurde in zwei getrennten Partialkorrelationen die 1997 berichtete Teilnahme an kollektiven Aktionen und die 1998 berichtete Teilnahme an kollektiven Aktionen herauspartialisiert.