Methoden des Wissenschaftlichen Arbeitens Vorlesung im Sommersemester VL 3: Was ist Wissenschaft?

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Methoden des Wissenschaftlichen Arbeitens Vorlesung im Sommersemester 2017 11.05.17 VL 3: Was ist Wissenschaft? Prof. Dr. Riklef Rambow Fachgebiet Architekturkommunikation Institut Entwerfen, Kunst und Theorie

Wissenschaftstheorie: Anfänge

Malerei ist keine Imitation der Wirklichkeit. Sie ist Sinnbild, eine figurative Sprache, die ein Bild des Gedankens erscheinen lässt. Und der Gedanke erhebt sich zur Quelle unendlicher Schönheit, wo er die archetypischen Formen findet, von denen Plato kündet, und die Erscheinungen der Schöpfung sind deren Abbild nur. (Fleury François Richard, 1777-1852)

Was seine Historiengemälde mit dem aufwändig formulierten Ideal zu tun haben sollen, ist mir nicht klar, sie illustrieren keine Gedanken, sondern Geschichten. Auch das karge Interieur du Chateau Bayard ist kein Sinnbild unendlicher Schönheit, doch wenn wir es mit Plato überhaupt in Zusammenhang bringen wollen, so wurden hier nicht die Schatten auf den Höhlenwänden, festgehalten, sondern die Wände, ja die Höhle selbst. (Bernd Eilert, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Mai 2017)

René Magritte, La condition humaine, 1935

Wissenschaftstheorie: Anfänge Beginn der modernen Wissenschaftstheorie bei Immanuel Kant (1724-1804) durch Synthese von Empirismus und Rationalismus: Gedanken ohne Inhalt sind leer; Anschauungen ohne Begriffe sind blind. (aus: Kritik der reinen Vernunft, 1781)

Wissenschaftstheorie: Positionen Kritischer Rationalismus / Falsifikationismus Karl R. Popper (1902-1994) Wichtige Werke: The Logic of Scientific Discovery, 1968 Conjectures and Refutations: The Growth of Scientific Knowledge, 1968 Objective Knowledge. An Evolutionary Approach, 1981

Wissenschaftstheorie: Positionen Deduktive und induktive Logik: Deduktion, logisches Schließen: Ableitung von weniger allgemeinen (Konklusion) aus allgemeineren Aussagen (Prämissen, Axiomen, Theoremen) Induktion: abstrahierender Schluss aus beobachteten Phänomenen auf eine allgemeinere Erkenntnis, z.b. ein allgemeines Konzept oder ein Naturgesetz.

Beispiel für Induktion auf der Seite neuronation.de: Wo ist das Problem?

Wissenschaftstheorie: Positionen Lösung des sog. Induktionsproblems durch Popper: Allsätze können nicht durch singuläre Sätze (z.b. Beobachtungen) bewiesen ( verifiziert ) werden. Allsätze können aber durch Einzelaussagen widerlegt ( falsifiziert ) werden. Ersetzung der Induktion durch Deduktion: Es trifft nicht zu, dass aus Beobachtungen Hypothesen abgeleitet werden. Hypothesen sind Vermutungen, aus denen Beobachtungsaussagen abgeleitet (deduziert) werden können. Diese können dann mit empirischen Beobachtungen verglichen werden.

Wissenschaftstheorie: Positionen Konsequenz aus dem Falsifikationismus für die wissenschaftliche Praxis: Wissenschaftler*innen formulieren Hypothesen und versuchen diese, mit den stärksten möglichen Mitteln zu widerlegen. Gelingt dies nicht, wird die Hypothese bis auf Weiteres als wahr angenommen, aber immer in dem Bewusstsein der Vorläufigkeit des Wissens. Es gibt eine Wahrheit, aber wir können sie nicht positiv beweisen.

Wissenschaftheorie: Positionen Thomas S. Kuhn (1922-1996): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1979; Orig.: The Structure of Scientific Revolutions ) Unterscheidung von normaler Wissenschaft und wissenschaftlichen Revolutionen

Wissenschaftheorie: Positionen Einführung der Konzepte Paradigma und Paradigmenwechsel. Paradigmen definieren, was zulässige Objekte, Fragestellungen und Erklärungen sind. Beispiele: Newtonsche Mechanik, Kopernikanische Astronomie, Darwins Evolutionslehre, Einsteins Relativitätstheorie etc. Konsequenz: Die möglichen Erkenntnisse sind abhängig von erkenntnisexternen (psychologischen und soziologischen) Faktoren. Es gibt keine absolute, kontextunabhängige Wahrheit.

Wissenschaftstheorie: Positionen Paul K. Feyerabend (1924-1994): Wider den Methodenzwang. Skizze einer anarchistischen Erkenntnistheorie (Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 1976). Wissenschaft für freie Menschen (Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 1980). Beobachtungen des Auseinanderklaffens wissenschaftstheoretischer, methodologischer Beschreibungen und der tatsächlichen Praxis: anything goes. Plädoyer für einen kritischen Methodenpluralismus.

Wissenschaftstheorie: Positionen Erkenntnistheoretischer Konstruktivismus Bedeutung der Beobachterposition; Realität als subjektive Konstruktion und/oder als soziale Konstruktion; Bedeutung der Perspektivität jeder Wahrnehmung; Kritik am naiven Realismus. Schmidt, S. J. (1987). Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Maturana, H. & Varela, F. (1987). Der Baum der Erkenntnis. Bern: Scherz.

Wissenschaftstheorie: Buchempfehlungen Poser, H. (2001). Wissenschaftstheorie. Stuttgart: Reclam. Carrier, M. (2011). Wissenschaftstheorie zur Einführung (3. erg. Aufl.). Hamburg: Junius. Chalmers, A. F. (2006). Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie (hrsg. u. übers. v. N. Bergemann & C. Altstötter-Gleich; 6., verb. Auflage). Berlin: Springer.

Eine Wissenschaft oder viele Wissenschaften?

Die Organisation der Wissenschaft Wissenschaft ist disziplinär organisiert. Disziplinen strukturieren sich um Gegenstände (Inhalte), zentrale Konzepte und/oder Methoden herum. Die disziplinäre Struktur der Wissenschaft verändert sich kontinuierlich in Reaktion auf innerwissenschaftliche und gesellschaftliche Einflüsse. Disziplinen lassen sich zu umfassenderen Wissenschaftsbereichen zusammenfassen.

Wissenschaftbereiche Formal- bzw. Idealwissenschaften (Mathematik, Logik) vs. Realwissenschaften. Realwissenschaften: Erfahrungswissenschaften vs. Geisteswissenschaften Erfahrungswissenschaften: Naturwissenschaften vs. Sozialwissenschaften Aber auch: Verhaltenswissenschaften, Humanwissenschaften, Kulturwissenschaft(en), Geowissenschaften, Rechtswissenschaft, Ingenieurswissenschaft(en), Lebenswissenschaften, Planungswissenschaft(en) etc.

Wissenschaftsbereiche Wo lässt sich die Architektur einordnen?

Nächste Vorlesung: Donnerstag, 18.05.2017 Was ist gute Wissenschaft? Qualitätskriterien in der wissenschaftlichen Praxis Folien- und Literaturbereitstellung: http://akomm.ekut.kit.edu/907.php Prüfungsanmeldung ist jetzt freigeschaltet.