Betreuungsgeld. Deutscher Caritasverband. Sachverhalt:

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Transkript:

Betreuungsgeld Sachverhalt: Auf einen mit Nachdruck verfolgten Wunsch der CSU wurde im Kinderförderungsgesetz, das zum 01.01.2009 in Kraft trat, in 16 Absatz 4 SGB VIII folgende Absichtserklärung eingefügt: Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung (zum Beispiel Betreuungsgeld) eingeführt werden. Entsprechend der Gesetzesbegründung soll damit die herausragende Leistung (der Eltern) bei der Erziehung des Kindes gewürdigt werden. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP wird bestätigt, um Wahlfreiheit zu anderen öffentlichen Angeboten und Leistungen zu ermöglichen, soll ab dem Jahr 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro, gegebenenfalls als Gutschein, für Kinder unter drei Jahren als Bundesleistung eingeführt werden. Der Hinweis auf Gutscheine als alternative Unterstützungsform, der auf Initiative der FDP eingefügt wurde, zeigte dabei allerdings, dass innerhalb der Koalition in dieser Frage Differenzen bestehen. Herausgegeben von Deutscher e.v. Präsidenten- und Vorstandsbüro Kontakt Referat Familie und Generationen Telefon (0761) 200-237 Postfach 4 20, 79004 Freiburg i. Br. Karlstraße 40, 79104 Freiburg i. Br. Lorenz-Werthmann-Haus Telefon-Zentrale (07 61) 2 00-0 Telefax (07 61) 2 00-7 33

Die Koalitionsspitzen haben am 06.11.2011 im Koalitionsausschuss erneut bekräftigt, dass Eltern, die keinen Krippenplatz in Anspruch nehmen - unabhängig von der Frage, ob sie berufstätig sind oder nicht - ab 2013 Anspruch auf ein monatliches Betreuungsgeld haben sollen. In der ersten Stufe sollen Eltern 100 Euro im Monat erhalten, in der zweiten Stufe steigt das Betreuungsgeld den Koalitionsplänen zufolge auf 150 Euro. Unklar ist, ob das Betreuungsgeld mit Leistungen nach dem SGB II verrechnet werden soll. Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder will bis zum Sommer 2012 einen Gesetzentwurf vorlegen. Bis dahin bleibt letztlich unklar: Ob das Betreuungsgeld tatsächlich an die Nichtinanspruchnahme von öffentlicher Kindertagesbetreuung gekoppelt werden wird Ob und ggf. bis zu welchen Grenzen eine Erwerbstätigkeit aufgenommen werden kann Für welche Zeitdauer das Betreuungsgeld bezahlt werden soll Ob das Betreuungsgeld als Einkommen auf Leistungen des SGB II und Kinderzuschlag angerechnet werden wird Ob es eine Wahl zwischen dem Bezug des Betreuungsgeldes und/oder besseren Rentenleistungen geben soll. Ob der Wunsch der FDP, das Betreuungsgeld als Gutschein auszugestalten, noch zum Tragen kommt. Im Moment zeichnet sich ein Modell ab, das den Bezug des Betreuungsgeldes an die Nichtinanspruchnahme öffentlicher Kindertagesbetreuung (nicht Kindertagespflege!) und die Anrechnung auf existenzsichernde Transferleistungen vorsieht. Eine Erwerbstätigkeit wird wohl analog der Praxis im Elterngeld bis zu 30 Stunden wöchentlich möglich sein. Bewertung: Eine abschließende Bewertung des Betreuungsgeldes ist vor dem Hintergrund unklarer konzeptioneller Konturen und der ungeklärten Zielsetzung derzeit noch nicht möglich. In der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der SPD, 29.12.2011 wird sowohl die Anerkennung der Erziehungsleistung von Eltern als auch die Schaffung von Wahlfreiheit für Väter und Mütter als Hauptzielsetzung des Betreuungsgeldes genannt. Sollte das Betreuungsgeld als Gutschein (Bildungsgutschein) eingeführt werden, stünde das Ziel, die frühkindliche Bildung in Familien unterstützten zu wollen, im Vordergrund. Aus den Reihen der CSU wird als Ziel auch Herstellung von Gerechtigkeit benannt, da die einen Betreuungsplatz nutzenden Eltern staatlich subventioniert werden, während die zu Hause selbst betreuenden Eltern keine Zahlung erhalten sollen. Unter der Zielperspektive, Anerkennung der Erziehungsleistung, ist weder begründbar, das Betreuungsgeld auf Transfereinkommen anzurechnen noch die Geldleistung von der Nichtinanspruchnahme einer öffentlichen Kindertagesbetreuung abhängig zu machen. Dies macht auch ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. Ute Sacksofsky, Goethe Universität Frankfurt mit dem Titel Vereinbarkeit des geplanten Betreuungsgeldes nach 16 Abs. 4 SGB VIII mit Art. 3 und Art. 6 GG von Oktober 2010 deutlich: Nach Auffassung der Befürworter soll das Betreuungsgeld die staatliche Anerkennung für die Erziehungsleistung des daheim betreuenden Elternteils ausdrücken. Doch dieses Argument ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. Denn es läuft dem Kern des Freiheitsrechts zuwider. Art. 6 Abs. 1 GG verlangt die Anerkennung der Erziehungsleistung aller Eltern, unabhängig davon, wie sie die Kinderbetreuung im Einzelnen ausgestalten. Denn auch die Eltern, deren Kinder eine gewisse Zeit durch Dritte betreut werden, erbringen eine erhebliche Erziehungsleistung. Typischerweise umfasst die außerhäusliche Betreuung höchstens ein Drittel der Stunden eines Tages, hinzukommen Seite: 2

die Wochenenden. Die Annahme, erwerbstätige Eltern bedürften keiner Anerkennung ihrer Erziehungsleistung ist nicht nur grotesk, sondern widerspricht unmittelbar der Intention des Freiheitsrechts des Art. 6 Abs. 1 GG. Wenn Art. 6 Abs. 1 GG die freie Entscheidung der Eltern über die Ausgestaltung ihrer Erziehungsarbeit schützt, darf der Staat nicht die eine Form anerkennen und die andere nicht. Der Staat ist verpflichtet, sich des Werturteils über die bessere Form der Kindererziehung zu enthalten. So richtig es ist, dass Erziehungsarbeit gesellschaftlich anerkennungswürdig ist, so sehr gilt dies für alle Kindererziehenden, nicht nur für einzelne Gruppen von Eltern. Die Zielperspektive, Sicherung der Wahlfreiheit für Eltern, entspricht einer zentralen familienpolitischen Forderung des Deutschen es. Gerade in der frühkindlichen Phase sollten Eltern möglichst autonom über die Aufteilung von Erwerbs- und Familienaufgaben entscheiden können. Zur Sicherung der Wahlfreiheit gehört zum einen ein bedarfsgerechtes und bezahlbares Kindertagesbetreuungsangebot und zum anderen die Möglichkeit, Erwerbsarbeit reduzieren zu können, ohne dass dies existenzielle Risiken sowohl in der aktuellen Lebenssituation als auch mittelfristig im weiteren Berufsleben bzw. langfristig in der Alterssicherung bedeutet. Das Betreuungsgeld ist deshalb insbesondere daraufhin zu prüfen, inwieweit es tatsächlich diese Optionsvielfalt der Eltern unterstützt. Dies ist insofern auch bedeutsam, da der Evaluationsbericht zum BEEG vom Oktober 2008 zeigt, dass nur eine von drei Frauen bzw. Familien offenbar die beruflichen und familiären Aufgaben nach ihrer Vorstellung realisieren kann: 39% der befragten Frauen hätten gerne früher und 28% der Frauen lieber zu einem späteren Zeitpunkt wieder gearbeitet. Als häufigster Hinderungsgrund für einen früheren Berufseinstieg wurde die fehlende oder zu teure Kindertagesbetreuung benannt. Gegen einen späteren Einstieg sprechen weit überwiegend finanzielle Zwänge. Das Ziel einen gerechten Ausgleich zwischen denen herzustellen, die von den staatlichen Investitionen in den U3-Ausbau profitieren und denen, die keinen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen und vermeintlich leer ausgehen, löst eine Präzedenzdebatte aus, ob dann generell Kompensationsleistungen bezahlt werden müssen, wenn man auf staatliche Leistungen z.b. Subventionen auf Theater- oder Museumsbesuch verzichtet. Dann müssten auch Ausgleichszahlungen an Eltern geleistet werden, die ihre Kinder nicht in den Kindergarten oder später auf eine Privatschule schicken? Das Betreuungsgeld darf keine Entschädigungsprämie für versäumte staatliche Leistungserfüllung werden. Seite: 3

Position des Deutschen es: Der DCV räumt der Wahlfreiheit der Betreuungsform gerade in der frühkindlichen Entwicklungsphase Vorrang ein. Primäres familienpolitisches Interesse muss es sein, jungen Menschen und Eltern zumindest in der gesetzlichen Elternzeit eine Optionsvielfalt anzubieten, damit sie ihre jeweiligen Vorstellungen, Familie zu leben, auch realisieren und die Entscheidung für ein Kind auch als Bestandteil ihres eigenen Lebenskonzeptes sehen können. In der gesetzlichen Elternzeit müssen ggf. auch arbeitsmarktpolitische Interessen hinter den Bedarfen und Wünschen von jungen Eltern zurückstehen. Unter einem sozialethischen Anspruch der Wirtschaftsordnung müssen nicht die Familien arbeitsmarktgerechter, sondern der Arbeitsmarkt familiengerechter werden. Die Gefahr von Qualifikationsverlusten in Phasen intensiver Fürsorge- und Pflegeleistungen darf nicht als Begründung dienen, dass Druck auf Arbeitnehmer/innen aufgebaut wird, diese Phasen möglichst kurz zu halten. Es ist sicherzustellen, dass nach einer zeitweisen Unterbrechung der Berufstätigkeit der Anschluss an eine qualifizierte Beschäftigung möglich bleibt. Unternehmen können dafür sorgen, dass Familienverantwortung nicht zur Sackgasse im Beschäftigungssystem wird. Als gute Praxis in diesem Zusammenhang erweisen sich u. a. Kontakthalteprogramme und Weiterbildungsangebote in der Elternzeit, Wiedereinsteigerprogramme, Berücksichtigung nicht-formeller Kompetenzen bei der Bewerber(innen)-Auswahl, Führungspositionen in Teilzeit, Flexible Arbeitszeiten. Der DCV mit seiner Zentrale als zertifiziertes familienfreundliches Unternehmen räumt diesen Maßnahmen einen hohen Stellenwert bei. Als zweite Prämisse gilt für den Deutschen, dass diejenigen, die bereit sind Fürsorge- und Pflegeverantwortung zu übernehmen, dadurch keine existenziellen Schwierigkeiten bekommen dürfen. Bezogen auf das Anliegen des Betreuungsgeldes heißt das, dass es Eltern in der gesetzlichen Elternzeit prinzipiell möglich sein muss, ihre Erwerbsarbeit zu unterbrechen bzw. einzuschränken. Zum Konzept eines Betreuungsgeldes nimmt der Deutsche wie folgt Stellung: 1. Der Deutsche lehnt das im SGB VIII als Absichtserklärung formulierte Modell eines Betreuungsgeldes, das den Bezug des Betreuungsgeldes an die Nichtinanspruchnahme von öffentlicher Kindertagesbetreuung knüpft, ab. Begründung: Ein Betreuungsgeld, das wie im 16 (4) SGB VIII vorgesehen nur bezahlt wird, wenn vollständig auf öffentliche Kindertagesbetreuung verzichtet wird, würde die Wahlfreiheit von Eltern nicht unterstützen, da es die Aufnahme einer Erwerbsarbeit im unteren und mittleren Einkommensbereich eher unattraktiv macht. Im Niedrigeinkommensbereich, (auch bei dem zumeist favorisierten Teilzeit-Zuverdienermodell) besteht das Problem, dass bei auch stundenweiser Inanspruchnahme von öffentlicher Kindertagesbetreuung das Betreuungsgeld gänzlich wegfallen soll. Das mindert die Attraktivität eines Zusatzverdienstes und wird in vielen Fällen auch bei geringer Höhe des Betreuungsgeldes dazu führen, dass auf eine Erwerbstätigkeit und Fremdbetreuung verzichtet wird. Das wird i.d.r. Frauen betreffen, denen es dadurch auch erschwert wird, zwecks Qualifikationserhalts punktuell Kontakt zum Arbeitsmarkt zu halten. Das Betreuungsgeld, das sich an die Nichtinanspruchnahme öffentlicher Kindertagesbetreuung knüpft, hätte darüber hinaus inkonsistente sozialpolitische Auswirkungen. Während beispielsweise ein/e Akademikerin, die Vollzeit arbeitet und für die Kinderbetreuung ihren familiären Kontext oder eine Tagesmutter nutzen kann, Betreuungsgeld erhielte, ginge eine Verkäuferin, die aus finanziel- Seite: 4

len Gründen zumindest eine Teilzeitbeschäftigung aufnehmen muss und ihr Kind in eine Kindertageseinrichtung gibt, finanziell leer aus. Wenn der Nichtbesuch einer Betreuungseinrichtung Voraussetzung für den Bezug des Betreuungsgeldes ist, so stellt dies einen Anreiz dar, dass eine zeitweise Betreuung in einer Einrichtung unterbleibt, auch wenn dies für die Förderung und Entwicklung von Kindern wünschenswert wäre, weil sie allein im häuslichen Bereich nicht die für ihre Entwicklung erforderlichen Anregungen erhalten. Allerdings sind hier in der öffentlichen Debatte geäußerte pauschale Vorwürfe gegen die Erziehungskompetenzen armer Familien zurückzuweisen. Das Betreuungsgeld wirkt gegen die Betreuungseinrichtung, nicht weil arme Familien nicht das Beste für ihre Kinder wollten, sondern weil der Verzicht auf das Betreuungsgeld in ihrer materiellen Situation als sehr einschränkend empfunden werden muss. Eine Koppelung des Betreuungsgeldes an die Voraussetzung der Nichtinanspruchnahme öffentlicher Kindertagesbetreuung hätte einen sehr hohen Bürokratieaufwand zur Folge. Es müssten die Antragsvoraussetzungen geprüft und permanent festgestellt werden, ob nicht doch eine Krippennutzung erfolgt. Bei Mitteilung über die Aufnahme bzw. die Beendigung einer Krippenbetreuung wäre jeweils eine Neubescheidung erforderlich. 2. Der Deutsche sieht keine Notwendigkeit, alternativ alle Eltern nach dem ersten Lebensjahr ihrer Kinder mit Bildungsgutscheinen zu unterstützten. Begründung: Das Argument, dass das Betreuungsgeld generell bildungspolitisch kontrainduziert ist, und höchstens in Form eines Bildungsgutscheins ausgegeben werden sollte, unterstellt implizit, dass Eltern nicht in der Lage sind, förderliche Rahmenbedingungen für ihre Kinder zu bieten und es generell einen qualitativen Vorteil externer Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsleistungen gibt. Dies trifft so auch im Hinblick auf die andauernde Qualitätsdiskussion um die U3-Angebote generell sicher nicht zu. Dass wir erheblichen Nachholbedarf im Hinblick auf die Qualität frühkindlicher Betreuungsleistungen haben, bestätigt auch die am 27.04.2012 vorgelegte Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (www.nubbek.de). Bildungsgutscheine werden vermutlich vorrangig von bildungsnahen Eltern genutzt, die in der Nutzung solcher Angebote geübt sind. Bildungsferne Eltern werden nicht oder kaum erreicht. Der DCV spricht sich vielmehr dafür aus, werdende und junge Familien mit Frühen Hilfen zu entlasten und bei erhöhtem Unterstützungsbedarf gezielt mit adäquaten Angeboten der Familienbildung und ambulanten Erziehungshilfe zu unterstützen. 3. Der vereinbarte Ausbau der U3-Betreuung muss gesichert sein. Auf Bundesebene wird über die Einführung des Betreuungsgeldes diskutiert, während gleichzeitig zu befürchten ist, dass der zum 01.08.2013 greifende Rechtsanspruch im zweiten und dritten Lebensjahr auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege im Umfang, der dem Bedarf entspricht nicht voll umgesetzt werden kann; es wird zumindest Regionen mit nicht gedecktem Bedarf geben. Möglich ist zudem, dass insgesamt der Bedarf höher sein wird als derzeit zugrunde gelegt. Aus Sicht des DCV muss der zugesagte Ausbau sichergestellt werden, da anderenfalls die angestrebte Wahlfreiheit aufgrund mangelnder Betreuungsmöglichkeiten faktisch Seite: 5

nicht gegeben ist. Dabei stellen sich nicht allein Finanzierungsprobleme. Auch die zeitnahe Ausbildung von Erziehern und Erzieherinnen ist eine anspruchsvolle Herausforderung. 4. Der Deutsche hält eine Anschlussleistung an das Elterngeld grundsätzlich für sinnvoll. Begründung: Eltern, die zur Betreuung auf einen Teil der Beschäftigung verzichten, haben Opportunitätskosten, Eltern, die zur Betreuung eine Krippe nutzen, zahlen i.d.r. erhebliche Gebühren für die Kindertagesbetreuung. Um tatsächlich Wahlfreiheit in der frühkindlichen Phase zu unterstützen, bedarf es einerseits des bedarfsgerechten Ausbaus und der finanziellen Möglichkeit, Kindertagesbetreuung tatsächlich in Anspruch nehmen zu können und andererseits eines Transfers der Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen besser in die Lage versetzt, tatsächlich ihre Erwerbstätigkeit einschränken zu können. Ein zusätzlicher Transfer trägt dazu bei, die dann entstehenden Kinderbetreuungskosten und/oder Opportunitätskosten abzufedern. Außerdem wird der Familie in den ersten drei Jahren ein Schonraum eröffnet, der der besonderen Lage von jungen Familien Rechnung trägt. Dieser Schonraum sollte auch Familien im Bezug des Arbeitslosengeldes II oder der Sozialhilfe gewährt werden. Der DCV hält es deshalb für sinnvoller, den Sockelbetrag des Elterngeldes in Höhe von derzeit 300 Euro für alle bisherigen Bezugsberechtigten des Elterngeldes bis zum Ende der gesetzlichen Elternzeit zu zahlen. Dieser Betrag deckt zwar nur einen Teil der Betreuungs- bzw. Opportunitätskosten, aber er erhöht gerade bei niedrigen Einkommen die Handlungsspielräume junger Eltern. Vorrang vor einem solchen Transfer muss nach Überzeugung des Deutschen s allerdings die Qualifizierung des Kinderzuschlags haben, der Familien mit Niedrigeinkommen zugutekommt. Der DCV hat in seinem Konzept zur Bekämpfung der Kinderarmut vom Oktober 2008 hierfür ein Modell entwickelt, für dessen Umsetzung rund 2 Mrd. Euro erforderlich wären. Wenn seitens der Politik die Bereitschaft besteht, einen Betrag von mehreren Milliarden Euro für familienpolitische Leistungen zusätzlich einzusetzen, dann sollte die Entscheidung über die zu treffenden familienpolitischen Maßnahmen nach einer transparenten Debatte über Notwendigkeiten und Wirkungen erfolgen. Vom Bundesfamilienministerium wurde der Auftrag erteilt, die bestehenden familienpolitischen Leistungen, die es in Deutschland gibt, zu überprüfen. Mit Ergebnissen wird im nächsten Jahr gerechnet. Diese Ergebnisse sollten in eine Entscheidung über familienpolitische Prioritäten mit einbezogen werden. Freiburg, 9. Mai 2012 Deutscher Prälat Dr. Peter Neher Präsident Prof. Dr. Georg Cremer Generalsekretär Seite: 6