Pflege menschenwürdig gestalten Fixierungen vermeiden GRÜNE für mehr Kontrolle und Transparenz in der Pflege

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Transkript:

Pflege menschenwürdig gestalten Fixierungen vermeiden GRÜNE für mehr Kontrolle und Transparenz in der Pflege 1. Einleitung Bereits heute leben 180.000 Pflegebedürftige über 60 Jahren und ca. 130.000 demenziell erkrankte Menschen in Baden-Württemberg. Bedingt durch den demographischen Wandel nimmt die Zahl der pflegebedürftigen und demenzkranken Menschen sprunghaft zu. Diese Entwicklung stellt die Pflege vor neue Herausforderungen. Ein wichtiger Indikator für die Gefährdung der Pflegequalität ist das Ausmaß an bewegungseinschränkenden Maßnahmen (BEM). Bewegungseinschränkende Maßnahmen und körpernahe Fixierungen gehören zu den umstrittensten Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Sturzgefährdung und auffälligem Verhalten bei Menschen mit Demenz. Als Grund wird von den Pflegenden überwiegend die Vermeidung der Selbstgefährdung der Bewohner angegeben. Bewegungseinschränkende Maßnahmen bedeuten immer Freiheitsentzug und gehören damit zweifelsohne zu den schwersten Eingriffen in die Menschenrechte. In Baden-Württemberg sind zwischen 30 und 40% der Heimbewohner von bewegungseinschränkenden Maßnahmen betroffen; davon sind 5 bis 10% körpernahe Fixierungen, d.h. in der Regel Gurtfixierungen. Im Bett ist annährend jeder dritte Betroffene länger als 20 Stunden fixiert. Die durchschnittliche Dauer der Fixierung beträgt 96 Tage pro Jahr. (Zahlen aus: ReduFix Studie Klie/Pfundstein 2002; Becker et al. 2003)) Als selbstgefährdende Gründe für bewegungseinschränkende Maßnahmen werden von Pflegemitarbeitern in erster Linie die Vermeidung von Stürzen angegeben. Hinzu kommen Verhaltensauffälligkeiten wie motorische Unruhe und Weglaufgefährdung. In den seltensten Fällen geht es um fremdgefährdendes Verhalten. Bewegungseinschränkende Maßnahmen, insbesondere Fixierungen, können erhebliche psychosoziale und physische Nebenwirkungen verursachen. Direkte körperliche Verletzungen durch Fixierungen sind Quetschungen, Nervenverletzungen, Ischämien, Strangulation und plötzlicher Herztod. Zudem ist zweifelhaft, inwieweit die Einschränkung von Mobilität tatsächlich vor Stürzen und sturzbedingten Verletzungen dauerhaft schützt. Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass körpernahe Fixierung die Gefahr durch Stürze mittelfristig sogar eher erhöht. Die Ergebnisse verschiedener beobachtender Untersuchungen zeigen, dass es möglich ist, die Zahl von BEM zu reduzieren, ohne die Verletzungsgefahr zu erhöhen. Aus GRÜNER Sicht sind bewegungseinschränkende Maßnahmen in der Pflege, insbesondere körpernahe Fixierungen, nicht nur ein pflegerisches, sondern vor allem auch ein politisches Thema. Damit unterscheiden wir uns elementar von der Landesregierung. Aus GRÜNER Sicht brauchen wir dringend eine politische und

öffentliche Debatte über freiheitsentziehende und bewegungseinschränkende Maßnahmen in der Pflege jenseits von Skandalisierung, aber auch jenseits von Tabuisierung. Für die GRÜNEN hat die Vermeidung von freiheitsentziehenden Maßnahmen aus Gründen der Menschenwürde und der Menschenrechte oberste Priorität. GRÜNE Forderungen: - Schaffung einer verlässlichen Datenlage für Baden-Württemberg im Hinblick auf mechanische Fixierungen und ruhigstellende Medikamente - Alten- und Pflegeheime müssen absolute Transparenz an den Tag legen, jede Fixierung muss zu jeder Zeit nachvollziehbar sein in Art und Ausmaß - Heime gehören zurück in die Mitte der Gesellschaft - Pflege braucht Öffentlichkeit und eine Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements - der Umgang mit freiheitsbeschränkenden Maßnahmen sowie bestehenden Alternativen muss Eingang in Ausbildungscurricula der Alten- und der Krankenpflege finden - Pflegepersonal braucht Unterstützung sowie verpflichtende Fort- und Weiterbildungen - die Föderalisierung des Heimrechts darf nicht zu einer Absenkung der Fachkraftquote führen und muss stattdessen mit Rahmenrichtlinien ausgestattet werden, wie BEM und Fixierungen vermieden werden können 2. Fixierungen: Vielfach unnötig, gefährlich und entwürdigend Körpernahe Fixierungen gehören mit Recht zu den umstrittensten Maßnahmen zur Abwendung von Gefahren bei demenzerkrankten HeimbewohnerInnen. Fixierungen sind aus unserer Sicht ein Indiz für Probleme in der Pflege, sie stellen keine Lösung dar. Zu den körpernahen Fixierungssystemen gehören Gurte, Tischsteckbrett, Leibchen, Bandagen u.a. Fixierungsmaßnahmen haben erhebliche negative Auswirkungen. Psychosozial gehen sie einher mit: dem Verlust von Kontrolle, Freiheit, Autonomie und sozialen Bezügen erhöhtem Stress Direkte mechanische Verletzungen können sein: Quetschungen, Nervenverletzungen und Ischämien

einzelne Todesfälle durch Herzversagen oder Ersticken sind bekannt Indirekte Gefahren können sein: Medizinische Komplikationen wie Pneumonie, Dekubitus, Infektionen oder Thrombosen sowie Zunahme von Stuhl- und Urininkontinenz Muskelatrophie und Verlust der Balance Fixierungsmaßnahmen sorgen nicht für Sicherheit: Die Gefahr von sturzbedingten Verletzungen nimmt eher zu fordernde Verhaltensweisen sind damit nicht behandelbar (Quelle: Abschlussbericht des ReduFix-Projektes) Im bislang umfangreichsten wissenschaftlichen Projekt mit dem Ziel, Fixierungen zu reduzieren, wurde vom Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart und der Evangelischen Fachhochschule Freiburg gezeigt, dass es möglich ist, freiheitsentziehende Maßnahmen zu reduzieren ohne negative Folgen. Das ReduFix-Projekt erstreckte sich über den Zeitraum von Mai 2004 bis April 2006 und wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. In der Modellphase, die in drei Bundesländern, u.a. auch in Baden-Württemberg durchgeführt wurde, hat sich gezeigt, dass sich durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln mit entsprechend geschulten MitarbeiterInnen das Ausmaß körpernaher Fixierungen deutlich reduzieren lässt. Grundsätzlich können mögliche Alternativen zur Reduktion von Fixierungen im Altenpflegeheim drei wesentlichen Interventionsebenen zugeordnet werden: Umgebungsebene (baulich-architektonisches und psychosoziales Milieu einschl. Konzept und Grundhaltung; Umgebungsanpassung und Hilfsmittel wie z.b. Barrierefreiheit, Bewegungsmeldesensoren, Bodenlagerung ) Pflege-/ Mitarbeiterebene (Arbeitsorganisation, person-orientierte Pflege, Schulungsmaßnahmen, Fortbildung, Supervision) Bewohnerebene (direkt am Bewohner ansetzende, auf das individuelle Risikoprofil zugeschnittene Interventionen wie Kleingruppen, Validation, Snoezelen, Maßnahmen der Sturzprophylaxe, Nachtcafes) (Quelle: Abschlussbericht ReduFix-Studie) Die Ergebnisse verschiedener Studien zeigen deutlich, dass 1.Fixierungen ohne negative Konsequenzen reduziert werden können und 2. dass es Alternativen zur Fixierung von Patienten und Patientinnen gibt.. ReduFix hat auch deutlich gemacht, dass durch entsprechende Interventionen in drei Monaten bei knapp 20 % der Betroffenen die Fixierung beendet oder die Zeit der Fixierung deutlich reduziert werden konnte. Durch die Entfixierungen nahmen weder die Unfälle und Verletzungen noch die Verordnung von beruhigenden Psychopharmaka zu. Ausgehend von diesen Erkenntnissen und vom Primat der Menschenwürde und der Menschenrechte sowie im Hinblick auf die Sicherung einer hohen Pflegequalität ist ein wichtiges politisches Zukunftsziel der GRÜNEN für die Pflege in Baden- Württemberg die Vermeidung unnötiger Fixierungen.

Ruhigstellen durch Medikamente Derzeit werden in Altenpflegeheimen > 50% der Bewohner mit Psychopharmaka behandelt. Insbesondere bei den sedierenden Psychopharmaka gibt es eine deutliche Überversorgung wie die Arbeitsgruppe Gerontopsychiatrie des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim festgestellt hat. Die Dosierungen der eingesetzten Psychopharmaka sind entweder unangemessen hoch oder sie werden zu lange gegeben ohne dass der Versuch einer Dosisreduktion unternommen wurde. Viele PflegeheimbewohnerInnen werden mit Sedativa dauereingestellt. Diese Verordnungspraxis steht in auffälligem Kontrast zu der Tatsache, dass es bisher keinen Nachweis dafür gibt, dass Verhaltenssauffälligkeiten bei Demenz dadurch effektiv behandelt werden können. Ganz im Gegenteil: Aktuelle Studien weisen auf eine Reihe gravierender Nebenwirkungen hin und zeigen auch teilweise eine erhöhte Mortalität. Dies gilt insbesondere für die vielverordnete Substanzklasse der Neuroleptika, die zur Ruhigstellung von PatientInnen eingesetzt wird. So hat sich gezeigt, dass Medikamentenneben- oder wechselwirkungen im Alter oft erst die Ursache für Verhaltensauffälligkeiten und Stürze sind. Untersuchungen haben deutlich gemacht, dass es speziell unter sedierenden Psychopharmaka zu einer Verdoppelung des Sturzrisikos kommt. Diese Erkenntnisse zeigen deutlich, dass eine Behandlung mit nebenwirkungsärmeren Psychopharmaka erst dann zum Einsatz kommen darf, wenn alle nicht-medikamentösen Maßnahmen ausgeschöpft sind und das problematische Verhalten fortbesteht Den Pflegefachkräften kommt eine Schlüsselrolle im Erkennen von psychopharmakabedingten Nebenwirkungen und der Informationsweitergabe an den Arzt zu. Bei der Hausarztversorgung von demenzerkrankten und verhaltsauffälligen PatientInnen ist daher eine (Mit-)Behandlung durch einen gerontopsychiatrisch erfahrenen Arzt ist in allen Fällen angezeigt. 3. Pflegekräfte unterstützen: Ausbildung und Weiterbildung verbessern In zahlreichen Studien wird der Zusammenhang zwischen der Arbeitsbelastung und Arbeitsverdichtung des Pflegepersonals und der Zunahme von BEM diskutiert. Die gegenwärtigen Veränderungen der Zusammensetzung der Bewohnerschaft stationärer Einrichtungen (höheres Eintrittsalter, stärkere körperliche wie geistige Beeinträchtigung) verstärkt die Belastungen der Pflegenden. Als Ursachen für Qualitätsmängel wurden am häufigsten u.a. Personal- und Zeitmangel, Zeitdruck, unzureichende Kommunikation, unzureichende Planung und Organisation, mangelhafte Kompetenz und Führung sowie Kosten- und Wirtschaftlichkeitsdruck genannt. Der Zusammenhang zwischen der Personalsituation einer Einrichtung und der Wahrscheinlichkeit, dass es zu unnötigen Fixierungen kommt, wird in verschiedenen Studien deutlich. Nachweislich werden PatientInnen abends und nachts häufiger fixiert als untertags, nicht zuletzt, weil zu diesen Zeiten die Personaldecke dünner ist. Eine Studie aus Hamburg hat deutlich gemacht, dass eine bessere Personalsituation die Zahl der Fixierungen deutlich reduzieren kann.

Kein Absenken der Fachkraftquote Ein wichtiger Schritt zur Gewaltprävention besteht deshalb darin, die Arbeitsbedingungen in der Altenpflege zu verbessern; dies würde gleichzeitig die Risikofaktoren Stress und Burnout zurückdrängen. Wichtig ist jedoch auch, dass Stress und Überforderung nicht nur aus einem quantitativen Personalmangel resultieren, sondern teilweise auch aus mangelnden Kenntnissen und Fertigkeiten. Dies betrifft insbesondere den Umgang mit demenziell erkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern. Aus GRÜNER Sicht muss im Hinblick auf die Pflegequalität die Fachkraftquote in Baden-Württemberg erhalten bleiben. Durch die Föderalismusreform hat das Land nun auch Kompetenzen im Bereich des Heimrechts erhalten, das auch die Fachkraftquote festlegt. Ein Absenken der Fachkraftquote, wie sie von der Landsregierung in der Vergangenheit immer wieder diskutiert wurde und auch aktuell im Gespräch ist, darf es im Hinblick auf die Sicherung eine hohen Pflegequalität und die Reduzierung von BEM im Kontext der Neufassung des Heimrechts nicht geben. Umfassendere Ausbildung von Pflegekräften Der Umgang mit freiheitsbeschränkenden Maßnahmen, die bestehenden Alternativen sowie der Weg der Entscheidungsfindung sollte Eingang in das Ausbildungscurricula der Alten- und der Krankenpflege finden. Dies berührt neben dem pflegefachlichen Teil auch den Bereich Ethik und sollte deshalb, aber auch weil die meisten Auszubildenden bereits im ersten Ausbildungsjahr damit konfrontiert werden, seinen Platz in der Ausbildung finden. Zudem müssen angehende Pflegekräfte bereits in der Ausbildung im Hinblick auf psychopharmakabedingte Nebenwirkungen sensibilisiert werden. Die durch das Land geförderten Modellausbildungsgänge müssen auch im Hinblick auf die Sensibilisierung gegenüber BEM und Psychopharmaka evaluiert werden. Dieser Lerninhalt muss zu einem Pflichtstoff im Curriculum werden und muss Grundvoraussetzung sein für die Übertragung eines Modellprojekts an weitere Standorte. Fort- und Weiterbildung von Heimleitung und Pflegekräften Die Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen, insbesondere Fixierungen, ist ein Thema, dass eher tabuisiert wird. Auch innerhalb von Pflegeeinrichtungen wird mit diesem Problem wenig offen umgegangen, es dominiert der Versuch der internen Regelung. Dies bedeutet jedoch, dass der Sensibilisierung sowie der Fort- und Weiterbildung von Leitungs- und Pflegekräften in den einzelnen Einrichtungen höchste Priorität zukommen muss. Erfahrungen zeigen, dass der Erfolg der Maßnahmen maßgeblich mit der Akzeptanz durch die Pflegefachkräfte vor Ort zusammenhängt. Die Fort- und Weiterbildung der Pflegekräfte im Hinblick auf BEM ist daher ein zentrales Element, um bewegungseinschränkende Maßnahmen und Fixierungen drastisch zu reduzieren. Neben der Pflegedienst- und/oder der

Heimleitung müssen auch die Wohnbereichsleitung beziehungsweise Pflegekräfte fort- und weitergebildet werden. Mit dem Modellprojekt Gewaltprävention in der Altenhilfe, das von der Landesstiftung gefördert wird, sollen in den nächsten drei Jahren die Erkenntnisse aus dem ReduFix-Projekt weiteren Einrichtungen der Altenpflege zugänglich gemacht werden. Basierend auf diesen Erfahrungen soll den Altenheimen in Baden- Württemberg ein strukturiertes Interventionsmodell angeboten werden. Im Zentrum stehen Schulungen des Pflegepersonals sowie die Beratung der Einrichtungen durch Experten. Diese Beratung und Schulung findet auf freiwilliger Basis statt. Aus GRÜNER Sicht ist es jedoch dringend erforderlich, dass es im Hinblick auf den Umgang mit BEM verpflichtende Fort- und Weiterbildungen gibt, damit tatsächlich alle betroffenen Einrichtungen einbezogen werden und nicht nur jene von dem Modellprojekt erfasst werden, bei denen ohnehin bereits ein großes Problembewusstsein existiert. Die Mittel für die Fort- und Weiterbildung für MitarbeiterInnen der Altenhilfe sind seit 2004 komplett eingestellt worden. Aus unserer Sicht ist es jedoch notwendig, dass Schulungen zur Vermeidung von BEM und Fixierungen nicht nur im Rahmen eines Modellprojekts der Landesstiftung für begrenzte Zeit stattfinden, sondern kontinuierlich angeboten werden und im Haushalt des Sozialministeriums fest verankert werden. 4. BetreuerInnen und Vormundschaftsrichter fortbilden Freiheitseinschränkende Maßnahmen bedürfen nach der aktuellen Rechtslage der Genehmigung, diese liegt bei den BetreuerInnen, respektive bei den Vormundschaftsgerichten. Faktisch werden die gesetzlichen BetreuerInnen, insbesondere wenn es sich um Angehörige handelt, in ihrer Entscheidungsfunktion häufig marginalisiert. Als Angehörige verfügen sie oft nicht über das nötige Fachwissen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Auch für AngehörigenbetreuerInnen sowie ehrenamtliche und Berufsbetreuer ist es essentiell, dass sie über Alternativen zu freiheitseinschränkenden Maßnahmen informiert werden. Insbesondere muss geklärt werden, dass BEM und Fixierungen die Unfallgefahr in der Regel nicht mindern, sondern erhöhen. Wichtige Akteure stellen auch die Vormundschaftsgerichte mit ihren Beratungs- aber auch Anhörungs- und Entscheidungskompetenzen dar. Vormundschaftsrichter müssen über ein Fachwissen verfügen, dass sie zu einer fundierten Entscheidung befähigt. Aus GRÜNER Sicht ist es Aufgabe des Justizministeriums im Rahmen von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für seine Richter und Rechtspfleger Sorge tragen, dass die Entscheidungen der zuständigen Vormundschaftsgerichte insbesondere im Hinblick auf einschlägige Fachkenntnisse qualifiziert werden. 5. Pflege braucht absolute Transparenz Transparenz stellt einen Teil der Qualitätssicherung in der Pflege dar. Daher fordern wir eine lückenlose Dokumentation der Anwendung von bewegungseinschränkenden Maßnahmen und Fixierungen. Jede BEM und jede Fixierung muss in Art und Umfang

erfasst und begründet werden. Dies gilt auch selbstverständlich für von BetreuerInnen und VormundschaftsrichterInnen genehmigte Fixierungen. Die Dunkelziffer der Fixierungen ohne Einverständnis bzw. richterlichen Beschluss muss aufgedeckt werden. Eine Möglichkeit zur Erhöhung der Transparenz ist die Entwicklung von Verschlussmagneten, die die Zeiten und Anwendungsorte bestimmter Fixierungshilfen automatisch registrieren. Damit wäre ein hohes Maß an Transparenz gewährleistet. Auch wenn es primär um eine Selbstverpflichtung der Heime geht hinsichtlich der Vermeidung bzw. der Dokumentation von Fixierungen, muss der Prozess von den beteiligten Behörden und Institutionen aktiv und unterstützend begleitet werden. Begehungen des MDKs und der Heimaufsicht müssen verstärkt BEM und Fixierungen in den Blick nehmen. Dies gilt nicht nur für Routinebegehungen, die aus GRÜNER Sicht viel häufiger auch unangekündigt stattfinden sollten, sondern auch bei anlassbezogenen Überprüfungen im Rahmen der Qualitätssicherung. Es geht aus unserer Sicht wesentlich darum, dass BEM und Fixierungen offen diskutiert werden im Hinblick auf eine besondere Fallschwere, aber auch im Hinblick auf einen Schulungs- und Weiterbildungsbedarf der Heim-/Pflegeleitung und der Pflegekräfte. Ziel ist eine partnerschaftliche, aber auch proaktive Rolle der MDKs. Darüber hinaus sprechen wir uns für die Veröffentlichung von Qualitätsberichten aus. Aus GRÜNER Sicht ist Transparenz insbesondere in Pflege- und Altenheimen von hoher Bedeutung und trägt dazu bei, Öffentlichkeit und Gesellschaft in die Pflege zurückzubringen. 6. Heime gehören zurück in die Mitte der Gesellschaft - Pflege braucht Öffentlichkeit Alte Menschen in Pflegeheimen stehen außerhalb von Gesellschaft und Öffentlichkeit. Es ist aus GRÜNER Sicht jedoch dringend notwendig, die Gesamtsituation von Pflegeheimen zum Gegenstand öffentlicher und fachlicher Diskussion zu machen. Es reicht nicht aus, den Personalschlüssel zu verbessern und Qualitätssicherung in Institutionen zu integrieren. Es geht darum, die innere wie die äußere Kontrolle des Geschehens in stationären Pflegeeinrichtungen zu verbessern. Es geht aber auch darum, Pflege als immer bedeutenderen Teil einer alternden Gesellschaft zu begreifen und Pflegeheime in das öffentliche Leben zu integrieren. Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und der Heimbeiräte Für der Betreuung und Versorgung älterer pflegebedürftiger Menschen, insbesondere demenzerkrankter Menschen, ist es dringend nötig, bürgerschaftliches Engagement zu stärken. Künftig müssen verstärkt bürgerschaftlich Engagierte und Angehörige aktiver in den Prozess der BEM Prävention und Reduktion einbezogen werden. Gerade im Hinblick auf Mobilitätsförderung und individuellen Betreuung kommt dem bürgerschaftlichen Engagement eine große Rolle zu. Das BELA-Projekt hat gezeigt, dass sinnvolle und gut funktionierende Kooperationsformen zwischen professioneller Pflege und freiwilligem Bürgerengagement im Pflegebereich möglich sind. Das BELA-Projekt, das von 2004 bis Oktober 2006 in zwei Phasen ablief und über die Landesstiftung und die Robert-Bosch-Stiftung finanziert wurde, muss aus

GRÜNER Sicht in angepasster Form weitergeführt werden. Bürgerschaftliches Engagement insbesondere im Pflegebereich braucht eine kontinuierliche und unterstützende Struktur, ein Modellprojekt alleine schafft keine Nachhaltigkeit. Die Haushaltsmittel für bürgerschaftliches Engagement sind in den letzten Jahren kontinuierlich abgesenkt worden. Aus GRÜNER Sicht müssen diese Mittel aufgestockt werden, nicht zuletzt, um über bürgerschaftliches Engagement BEM und Fixierungen zu vermeiden. Auch die örtlichen und überregionalen Interessensvertreter (z.b. Landes-, Kreis- und Stadtseniorenräte) sind wichtige Partner im Hinblick auf die Gewaltprävention in Heimen und die Reduktion von Fixierungen, sie müssen gestärkt werden. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die aktive Mitwirkung im Heim durch die Heimbeiräte befördert wird. Bewohner und Bewohnerinnen müssen in ihren Mitspracherechten unterstützt werden. In Baden-Württemberg hat jedoch ein Drittel aller Heime keinen Heimbeirat. Die Landesregierung ist gefordert, über Beratungsangebote sich aktiv darum zu bemühen, dass in allen Heimen des Landes ein Beirat eingerichtet wird, der die Interessen der alten und pflegebedürftigen Menschen vertritt. Dabei geht es zentral darum, Heimbeiräte im Hinblick auf Fixierungen zu sensibilisieren und Transparenz nach innen zu schaffen. 7. Fazit Aus GRÜNER Sicht brauchen wir dringend eine politische und öffentliche Debatte über freiheitsentziehende und bewegungseinschränkende Maßnahmen in der Pflege jenseits von Skandalisierung, aber auch jenseits von Tabuisierung. Die Landesregierung entzieht sich dieser wichtigen Debatte und trägt damit dazu bei, dass Pflege und Pflegeheime abgekoppelt sind von Öffentlichkeit und Gesellschaft. Qualität und Transparenz müssen zentrale Elemente sein, wenn es um die Neugestaltung des baden-württembergischen Heimrechts geht. Die GRÜNEN haben Eckpunkte benannt, um das wichtige politische und pflegerische Ziel der Vermeidung von bewegungseinschränkenden Maßnahmen und Fixierungen zu erreichen. Jede unnötige Fixierung und Freiheitsbeschränkung ist ein schwerwiegender Eingriff in die Menschenrechte und die Menschenwürde pflegebedürftiger Menschen.