Rechtsfragen zu unbegleiteten minderjährigen Ausländern Prof. Dr. Jan Kepert, Tagung WJH am 18. Juli 2016 Quelle der Folien: Kunkel/Kepert/Pattar, LPK-SGB VIII, 6. Auflage 2016 1
Programm des heutigen Tages Gesetzliche Neuregelungen für unbegleitete minderjährige Ausländer Leistungszugang für Ausländer Leistungen nach 27 und 41 SGB VIII SGB VIII und andere Leistungssysteme (insbesondere AsylbLG) Asyl- und ausländerrechtliche Rechtslage Hoffentlich Spannende Diskussionen 2
6 Abs. 2 SGB VIII Eröffnung des Geltungsbereichs Eröffnung des Geltungsbereichs nach 6 Abs. 2 S. 1 SGB VIII 1.) Rechtmäßiger Aufenthalt oder Duldung Rechtmäßiger Aufenthalt: Innehaben eines Aufenthaltstitels Duldung nach 60a AufenthG Sonderproblem: Aufenthaltsgestattung nach 55 AsylG und Ankunftsnachweis nach 63a AsylG 3
6 Abs. 2 SGB VIII Eröffnung des Geltungsbereichs 2.) Gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet Legaldefinition in 30 Abs. 3 S. 2 SGB I: nicht nur vorübergehend verweilt Rspr.: Aufenthalt muss zukunftsoffen sein Frage: Wird in nächster Zeit freiwillige Ausreise oder Abschiebung erfolgen? UMA und Abschiebung, 58 Abs. 1a AufenthG 4
6 Abs. 2 SGB VIII Eröffnung des Geltungsbereichs Besserstellung über 6 Abs. 4 SGB VIII ivm Art. 6 des Haager Kinderschutzübereinkommens (KSÜ): tatsächlicher Aufenthalt ausreichend Gilt aber nur für Flüchtlingskinder und Kinder, die infolge von Unruhen in ihrem Land in ein anderes gelangt sind Für alle Kinder ist auf den tatsächlichen Aufenthalt nach Art. 11 KSÜ in dringenden Fällen abzustellen 5
Leistungsbezug für Ausländer Sicherungssysteme des AsylbLG und SGB II/SGB XII schließen sich gegenseitig aus ( 9 Abs. 1 AsylbLG, 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II, 23 Abs. 2 SGB XII) SGB VIII und AsylbLG schließen sich nicht gegenseitig aus: Nebeneinander der Systeme Leistungskonkurrenz? 9 Abs. 2 AsylbLG: Leistungen der Träger von Sozialleistungen werden durch das AsylbLG nicht berührt 6
Leistungsbezug für Ausländer 10 Abs. 1 SGB VIII: Verpflichtungen anderer werden durch das SGB VIII nicht berührt Trotzdem kein Kompetenzkonflikt: Leistungen nach dem AsylbLG und SGB VIII sind verschiedenartige Leistungen, die nicht inhaltsgleich sind 7
Leistungsbezug für Ausländer Leistungen nach dem SGB VIII sind ausschließlich erzieherische Leistungen, also Dienstleistungen ( 11 S. 2 SGB I). Dies gilt auch für die Leistungen zum Unterhalt und für die Krankenhilfe, die lediglich Annex-Leistungen sind Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind grundsätzlich Sachleistungen oder Geldleistungen, aber nie erzieherische Leistungen 8
Leistungsbezug für Ausländer Kongruente Leistungen liegen daher nicht vor, sodass die Leistungen nach SGB VIII und AsylbLG auch nicht miteinander konkurrieren können Sonderproblem: Unterhalt und Krankenhilfe nach 39 und 40 SGB VIII Bei stationärer Leistungserbringung von Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe und Hilfe für junge Volljährige ist Unterhalt und Krankenhilfe über das SGB VIII zu leisten, 39, 40 SGB VIII 9
Leistungsbezug für Ausländer Bei ambulanter Leistungserbringung von Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe und Hilfe für junge Volljährige greifen 39, 40 SGB VIII nicht Leistungserbringung dann über AsylbLG Dies ist insbesondere aufgrund der defizitären Krankenversorgung nach 4 AsylbLG problematisch: lediglich Kostenübernahme bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen 10
Leistungsbezug für Ausländer Ist die stationäre Hilfeerbringung die geeignete und notwendige Hilfeform muss das Jugendamt leisten Es besteht kein Auswahlermessen zw. ambulanter und stationärer Hilfe 11
Leistungsbezug für Ausländer Hilfe für junge Volljährige gem. 41 SGB VIII: bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen besteht im Regelfall ( soll ) eine Leistungspflicht (gebundene Entscheidung), sofern Anspruchsteller zw. 18 und 20 Jahre alt ist Anspruchsteller ist zw. 21-26 Jahre alt: Leistungspflicht nur in begründetem Einzelfall 12
42a SGB VIII die vorläufige Inobhutnahme Tatbestandsvoraussetzungen 1.) Ausländischer Minderjähriger nationale Rechtslage maßgeblich Feststellungsverfahren nach 42f SGB VIII Konsequenzen ungeklärten Alters 2.) Unbegleitet nach Deutschland eingereist Entscheidungserheblich ist zunächst nur Zeitpunkt der Einreise (Unterschied zu 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VIII: und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten ) 13
42a SGB VIII Die vorläufige Inobhutnahme Rechtsfolge: Verpflichtung zur vorläufigen Inobhutnahme Gemeinsame Einschätzung nach 42a Abs. 2 SGB VIII Gründe nach Nr. 1 bis 4 werden durch 42b Abs. 4 und 5 SGB VIII ergänzt (str.) 14
42a SGB VIII Die vorläufige Inobhutnahme Nr. 1: Kindeswohlgefährdung Nr. 2: Verwandte? Nach 42b Abs. 4 Nr. 3 SGB VIII ist Verteilung bei kurzfristiger Familienzusammenführung ausgeschlossen Nr. 3: Geschwister oder andere UMA Nr. 4: Gesundheitszustand des Minderjährigen. Hier ist sowohl zu prüfen, ob die Verteilung den UMA gefährdet (str.) als auch ob Dritte gefährdet werden 15
42a SGB VIII Die vorläufige Inobhutnahme Datenübermittlung nach 42a Abs. 4 SGB VIII durch das Jugendamt an KVJS soll auch Ergebnisse der gemeinsamen Einschätzung nach 42a Abs. 2 SGB VIII enthalten RGL 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X Zu beachten sind insbesondere 76 SGB X und 65 SGB VIII 16
42a SGB VIII Die vorläufige Inobhutnahme Nach 18d AZRG muss die Registerbehörde (BAMF) auf Ersuchen des Jugendamtes die dort genannten Daten übermitteln Eine Übermittlungspflicht für das Jugendamt besteht hingegen nach 18d AZRG nicht 17
42a SGB VIII Die vorläufige Inobhutnahme Rechtsvertretung nach 42a Abs. 3 SGB VIII: Gefahr der Interessenkollision und fachkompetente Vertretung: 1. Im asyl- oder ausländerrechtlichen Verfahren 2. 80 Abs. 5 VwGO-Antrag und Anfechtungsklage gegen Verteilungsentscheidung nach 42b Abs. 3 S. 1 SGB VIII? 3. Zustimmung zur ärztlichen Untersuchung nach 42f Abs. 2 S. 3 SGB VIII? 18
Rechtsvertretung: Asyl- und Ausländerrecht Nach 12 Abs. 1 AsylG ist die Handlungsfähigkeit erst ab Vollendung des 18. Lebensjahres gegeben Dies gilt nach 80 AufenthG auch im ausländerrechtlichen Verfahren nach dem AufenthG 19 AsylG, Asylgesuch und 14 AsylG, formeller Asylantrag Zeitpunkt des Entstehens der Aufenthaltsgestattung, 55 AsylG 19
Rechtsvertretung: Asyl- und Ausländerrecht Positive Entscheidungen im Asylverfahren Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG), Folge: Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach 25 Abs. 1 AufenthG Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ( 60 Abs. 1 AufenthG, 3 AsylG), Folge: Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach 25 Abs. 2 Alt. 1 AufenthG 20
Rechtsvertretung: Asyl- und Ausländerrecht Positive Entscheidungen im Asylverfahren subsidiärer Schutz ( 60 Abs. 2 AufenthG, 4 AsylG), Folge: Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach 25 Abs. 2 Alt. 2 AufenthG Zuerkennung von nationalen Abschiebungsverboten ( 60 Abs. 5 bis 7 AufenthG), Folge: Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach 25 Abs. 3 AufenthG 21
Rechtsvertretung: Asyl- und Ausländerrecht Negative Entscheidungen im Asylverfahren Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ( 27 a AsylG) als einfach unbegründet als offensichtlich unbegründet ( 30 AsylG) als unbeachtlich ( 29 AsylG) Beachte: Je nach Entscheidungsform bestehen unterschiedliche Ausreisefristen, unterschiedliche Fristen für die Erhebung der Klage und unterschiedliche Wirkungen des Klageerhebung (aufschiebende Wirkung, keine aufschiebende Wirkung, s. 74, 75 AsylG) 22
Rechtsvertretung: Asyl- und Ausländerrecht Aufenthaltsverfestigung ohne Asylverfahren Duldungserteilung nach 60a AufenthG Erteilung eines Aufenthaltstitels für abschließend im Gesetz genannte Zwecke, 16 ff. AufenthG Ausweisung nach 53 AufenthG 23
42f SGB VIII Die Altersfeststellung Qualifizierte Inaugenscheinnahme gemäß 42f Abs. 1 S. 1 Alt. 2 SGB VIII Innerhalb des bekannten Geburtsjahrs muss vom spätestmöglichen Geburtsdatum ausgegangen werden (BVerwG, Urt. v. 31.7.1984, 9 C 156/83) Einholung von Auskünften jeder Art, die Anhörung von Beteiligten, die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen sowie die Beiziehung von Dokumenten, Urkunden und Akten Datenschutz 61 ff. SGB VIII, 67 ff. SGB X 24
42f SGB VIII Die Altersfeststellung Ärztliche Untersuchung gemäß 42f Abs. 2 SGB VIII In Zweifelsfällen ist das Jugendamt zur Anordnung einer ärztlichen Untersuchung verpflichtet Keine Rechtspflicht zur Mitwirkung bei der Untersuchung Folgen der Verweigerung: Absehen von der Inobhutnahme im Ermessensweg nach 66 SGB I (str.) 25
42f SGB VIII Die Altersfeststellung Umfassende Aufklärung des Betroffenen im Fall der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung Anordnung der ärztlichen Untersuchung ist ebenso wie Altersfeststellung kein VA 26
42f SGB VIII Die Altersfeststellung Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 S. 2 der RL 2013/32/EU: keine Verpflichtung von Minderjährigkeit auszugehen bei Zweifeln hinsichtlich des Alters nach erfolgter ärztlicher Untersuchung (str.) Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungswiderspruch und Anfechtungsklage nach 42f Abs. 3 S. 1 SGB VIII: Regelung geht ins Leere (Verpflichtungswiderspruch und Verpflichtungsklage sind statthafte Rechtsbehelfe) 27
88a SGB VIII Die örtliche Zuständigkeit 88a Abs. 1 SGB VIII örtliche Zuständigkeit für die vorläufige Inobhutnahme: tatsächlicher Aufenthalt vor Beginn der Maßnahme Gesetzesbegründung: Ort des Aufgriffs ; dort wo die Einreise bemerkt wird 88a Abs. 2 SGB VIII örtliche Zuständigkeit für die vorläufige Inobhutnahme: Zuweisungsentscheidung nach 42b Abs. 3 SGB VIII ist maßgeblich. Bei Ausschluss der Verteilung bleibt Jugendamt zuständig 28
88a SGB VIII Die örtliche Zuständigkeit 88a Abs. 3 SGB VIII örtliche Zuständigkeit für Leistungserbringung: Nach Abs. 3 Satz 2 ist auch für die Leistungserbringung die Zuweisungsentscheidung nach 42b Abs. 3 SGB VIII entscheidungserheblich Einmal zuständig, immer zuständig? Nein 29
88a SGB VIII Die örtliche Zuständigkeit 88a Abs. 4 SGB VIII örtliche Zuständigkeit für Vormundschaft und Pflegschaft Im Regelfall nach Absatz 4 Nr. 2: Zuweisungsentscheidung ebenfalls maßgeblich 30
4 FlüAG UMA, die volljährig werden Volljährige UMA Falls keine Hilfe über 41 SGB VIII gewährt wird, kommt nur Obdachlosenunterbringung nach Polizeirecht in Betracht, s. 4 S. 2 FlüAG Ausnahme erstmalige Asylantragstellung, 47 AsylG: Wegen bereits erfolgter Integration hält RP KA allerdings Aufenthalt in Aufnahmeeinrichtung nicht für sachgerecht; Unterbringung im Stadt-/Landkreis 31
Weitere Informationen zum Thema S. die ausführliche Kommentierung in LPK-SGB VIII, Kunkel/Kepert/Pattar, 6. Auflage Fortbildungsangebot des Kehler Fortbildungsinstituts http://www.hs-kehl.de/weiterbildung/kehler-institutfuer-fort-und-weiterbildung-kifo/sozialesleistungsverwaltung/soziale-nachhaltigkeitleistungsverwaltung/ 32