DIFFERENTIATION PARAMETERABHÄNGIGER INTEGRALE

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Transkript:

DIFFERENTIATION PARAMETERABHÄNGIGER INTEGRALE Zusammenfassung. Ergänzend zur Übung vom 06.06.203 soll hier die Leibnizregel für die Differentiation parameterabhängiger Integrale formuliert und bewiesen werden. Es seien x 0 < x reelle Zahlen und a, b : [x 0, x ] R differenzierbare Funktionen. Wir setzen D : (x, t) R 2 x [x 0, x ] und min, } t max, } }. Es gilt der folgende Satz.. Satz. Es sei U R 2 offen mit D U und es sei f : U R eine stetige Funktion, welche bzgl. der ersten Variablen stetig partiell differenzierbar sei. Dann ist die Funktion differenzierbar und es gilt F (x) für alle x [x 0, x ]. F : [x 0, x ] R; x x (x, t) dt + f(x, )b (x) f(x, )a (x) Zum Beweis erinnern wir an das folgende weithin bekannte Resultat über die Differenzierbarkeit parameterabhängiger Integrale. 2. Satz. Es seien < β reelle Zahlen, d N, Ω R d offen und u R d mit u 2. Ferner sei f : Ω [, β] R eine Funktion mit den beiden folgenden Eigenschaften. (a) Für alle x Ω ist die Abbildung f(x, ) : [, β] R; t f(x, t) Riemann-integrabel. (b) Für alle (x, t) Ω [, β] existiert die Richtungsableitung (D u f)(x, t) h 0 f(x + hu, t) f(x, t) h und die hierdurch definierte Funktion ist stetig. D u f : Ω [, β] R; (x, t) (D u f)(x, t) Differenzierbarkeit in den Randpunkten ist natürlich wie üblich als einseitige Differenzierbarkeit zu verstehen.

2 DIFFERENTIATION PARAMETERABHÄNGIGER INTEGRALE Dann existiert für die Funktion F : Ω R; x in allen Punkten x Ω die Richtungsableitung (D u F )(x) und es gilt (D u F )(x) (D u f)(x, t) dt für alle x Ω. Insbesondere ist D u F auch wieder stetig. 2 3. Bemerkung. (a) Unter Verwendung der Lebesgue schen Integrationstheorie lässt sich eine deutlich allgemeinere Version von Satz 2 herleiten (vgl. etwa [, IV.5.7]). (b) Im Falle d kann man anstelle einer offenen Menge Ω auch ein abgeschlossenes Intervall zulassen (Differenzierbarkeit in den Randpunkten ist dann als einseitige Differenzierbakeit zu verstehen); das zeigt man fast genauso wie Satz 2. 3 Nun können wir Satz beweisen. Beweis von Satz. Wir fixieren zunächst ein x [x 0, x ]. Wegen (x, ) D U, der Stetigkeit von a und der Offenheit der Menge U gilt () (x + h, t) R 2 min, a(x + h)} t max, a(x + h)} } U für alle h R, die hinreichend nahe bei 0 sind und x + h [x 0, x ] erfüllen. 4 Analog sieht man ein, dass die Inklusion (x + h, t) R 2 min, b(x + h)} t max, b(x + h)} } U (2) für hinlänglich kleines h mit x + h [x 0, x ] erfüllt ist. Da die Menge A : (x, t) R 2 min, } t max, } } eine kompakte Teilmenge der offenen Menge U ist, existiert ein r > 0 derart, dass z R 2 ; dist(z, A) < r} U gilt. Folglich gilt dann auch (x + h, t) R 2 min, } t max, } } U (3) für h < r. 2 Für diejenigen, denen dieser Satz nicht oder nicht in dieser Form bekannt ist, findet sich im Anhang ein Beweis. 3 Im Beweis, der sich im Anhang findet, ist lediglich das kompakte Intervall U r (x) [x r, x+r] durch [x r, x] bzw. [x, x + r] zu ersetzen und man hat dort h ( ρ, 0) bzw. h (0, ρ) zu wählen, je nachdem, ob x rechter bzw. linker Randpunkt ist; dabei ist u gesetzt. 4 Für x x 0 gilt also zusätzlich h 0 und entsprechend h 0 für x x.

DIFFERENTIATION PARAMETERABHÄNGIGER INTEGRALE 3 Sei nun h R \0} so nahe bei 0 gewählt, dass die oben aufgeführten Inklusionen () (3) allesamt gültig sind, und so, dass zudem x + h [x 0, x ] erfüllt ist. Dann sind die nachfolgend auftretenden Integrale wohldefiniert und wir erhalten F (x + h) F (x) a(x+h) a(x+h) + + f(x + h, t) dt + f(x + h, t) f(x + h, t) dt f(x + h, t) dt Nach dem Mittelwertsatz der Integralrechnung gibt es ein τ b,h (x) zwischen und b(x + h) bzw. ein σ a,h (x) zwischen und a(x + h) mit bzw. mit f(x + h, t) dt (b(x + h) )f(x + h, τ b,h (x)) f(x + h, t) dt (a(x + h) )f(x + h, σ a,h (x)). Wegen der Stetigkeit der Funktionen b und a gilt zudem h 0 τ b,h (x) bzw. h 0 σ a,h (x). Damit erhalten wir (unter Verwendung der Stetigkeit der Funktion f und der Differenzierbarkeit von a und b) bzw. f(x+h, t) dt (b(x+h) )f(x+h, τ b,h(x)) b (x)f(x, ) f(x+h, t) dt (a(x+h) )f(x+h, σ a,h(x)) a (x)f(x, ). Darüber hinaus gilt nach Satz 2 (angewendet auf die Funktion f (x r,x+r) I I : [min, }, max, }] und dem obigen r > 0) Insgesamt liefert dies sodann h 0 (F (x + h) F (x)) h wie behauptet. f(x + h, t) (x, t) dt. x x (x, t) dt + f(x, )b (x) f(x, )a (x) mit

4 DIFFERENTIATION PARAMETERABHÄNGIGER INTEGRALE 4. Bemerkung. (a) Sind die Funktionen a und b sogar stetig differenzierbar, so ist auch die Funktion F in Satz ihrerseits stetig differenzierbar. (b) Es sei g : [x 0, x ] R stetig. Wir setzen nun : x 0 und : x für x [x 0, x ] und definieren f(x, t) : g(t) für (x, t) R [x 0, x ], f(x, t) : g(x 0 ) für (x, t) R (, x 0 ] sowie f(x, t) : g(x ) für (x, t) R [x, ). Dann liefert Satz präzise einen Teil des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung: Die Funktion F : [x 0, x ] R; x ist differenzierbar mit Ableitung für alle x [x 0, x ]. F (x) f(x, )b (x) g(x) x Anhang A. Ein Beweis zu Satz 2 x 0 g(t) dt Es seien x Ω und ɛ > 0 beliebig. Wir wählen zunächst ein r > 0 so, dass U r (x) Ω erfüllt ist. Da D u f als stetige Funktion auf dem Kompaktum U r (x) [, β] gleichmäßig stetig ist, existiert ein δ > 0 mit ɛ (D u f)(x, t ) (D u f)(x 2, t 2 ) < β + für alle (x, t ), (x 2, t 2 ) U r (x) [, β] mit (x, t ) (x 2, t 2 ) 2 < δ. Es sei nun h ( ρ, ρ) \ 0} beliebig, wobei ρ : minδ, r}. Dann ist für jedes (feste) t [, β] die Funktion g : [min0, h}, max0, h}] R; s f(x + su, t) wohldefiniert und nach Voraussetzung stetig differenzierbar mit g (s) (D u f)(x + su, t) für alle s [min0, h}, max0, h}]. Nach dem Mittelwertsatz der Differentialrechnung existiert daher zu jedem t [, β] ein τ(t, h) zwischen 0 und h mit f(x + hu, t) f(x, t) g(h) g(0) h g (τ(t, h)) h (D u f)(x + τ(t, h)u, t). Wegen folgt sodann (x + τ(t, h)u, t) (x, t) 2 τ(t, h) u 2 < h < δ β (F (x + hu) F (x)) (D u f)(x, t) dt h h (f(x + hu, t) f(x, t)) (D uf)(x, t) dt h h (D uf)(x + τ(t, h)u, t) (D u f)(x, t) dt

DIFFERENTIATION PARAMETERABHÄNGIGER INTEGRALE 5 ɛ dt < ɛ, β + womit die Existenz von D u F und die behauptete Darstellung gezeigt sind. Literatur [] J. Elstrodt, Maß- und Integrationstheorie, Springer-Verlag, Berlin 20.