Der Zweck heiligt die Mittel Kann ein ganzes Werk ein Zitat sein?

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Transkript:

lic. iur. Cornelia Stengel Der Zweck heiligt die Mittel Kann ein ganzes Werk ein Zitat sein? Unlängst hat das Bundesgericht im BGE 4C.393/2004 vom 22. Juni 2005 (Kreis c. Schweizerzeit) die Frage beurteilt, ob ein ganzer Artikel als Zitat in einem neuen Artikel übernommen werden kann oder nicht. Obwohl dies im konkreten Fall verneint wurde, sollte daraus nicht abgeleitet werden, dass Vollzitate grundsätzlich unzulässig seien. Auch der Wirbel um das Abstimmungsinserat der economiesuisse, welches nebst einem Fotos von Bundesrat Christoph Blocher auch den gesamten Wortlaut seiner Ansprache vom 10. September 2005 zu einem Ja zur erweiterten Personenfreizügigkeit enthält, zeigt die Differenzen der Medienrechtler beim Umgang mit dem Zitatrecht auf. Die Autorin befasst sich im vorliegenden Beitrag mit dem zulässigen Umfang eines Zitats. Inhaltsübersicht 1. Kann ein ganzes Werk ein Zitat sein? 2. Innerer Bezug 3. Verfassungskonforme Auslegung 4. Zitatzweck 5. Kein Ersatz für eigenes Denken 6. Unzumutbare Beeinträchtigung 7. Fazit / Nagelproben 1. Kann ein ganzes Werk ein Zitat sein? [Rz 1] Wer zitiert, gibt Werke anderer Urheber innerhalb des eigenen Werks wieder und stellt damit in gedanklicher und tatsächlicher Hinsicht einen Bezug zwischen eigenem und fremdem Werk her. Durch ersteres entsteht ein 1 inhaltlicher oder innerer Bezug zwischen dem fremden und dem eigenen Werk. Dadurch, dass das fremde Werk auch wörtlich, als Zitat eben, ins eigene Werk aufgenommen wird, besteht auch in tatsächlicher, sprachlicher Hinsicht eine Verbindung, mithin ein äusserer Bezug. [Rz 2] Nicht das Recht zu Zitieren an sich, sondern der Umfang eines Zitats steht vorliegend zur Diskussion. Darf ein kurzes Gedicht vollständig zitiert werden, während ein langer Roman nur ausschnittweise wiedergegeben werden darf? [Rz 3] Art. 25 Abs. 1 URG erlaubt das Zitieren eines veröffentlichten Werks, «wenn das Zitat zur Erläuterung, als Hinweis oder zur Veranschaulichung dient und der Umfang des Zitats durch diesen Zweck gerechtfertigt ist». In Art. 10 Abs. 1 der Revidierten Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst (RBÜ) findet sich folgende Formulierung: Zitate sind erlaubt, «sofern sie anständigen Gepflogenheiten entsprechen und in ihrem Umfang durch den Zweck gerechtfertigt sind». [Rz 4] Art. 25 URG schränkt den Umfang eines Zitats, im Gegensatz zu Art. 28 URG (Aktualitätsprivileg), nicht quantitativ ein. Ein Teil der Lehre vertritt die Auffassung, ein Werk dürfe grundsätzlich nur in Teilen zitiert werden. 3,4 Andere Autoren sind diesbezüglich offenbar noch unentschlossen. 4 [Rz 5] Weshalb soll ein kurzes Gedicht «ohne weiteres vollständig» zitiert werden können, während ein langer Zeitungsartikel nur auszugsweise wiedergegeben werden darf? Das Urheberrechtsgesetz sieht in Art. 25 URG für die Länge eines Zitats keine quantitative Begrenzung vor, der zulässige Umfang wird (qualitativ) durch den Zweck bestimmt. Wird zum Zweck der Erläuterung, als Hinweis oder zur Veranschaulichung ein fremdes Werk ins eigene Werk eingefügt, liegt ein Zitat vor, sei es lang oder kurz. 2 2. Innerer Bezug Seite 1 von 5

[Rz 6] Auch der deutsche Gesetzgeber macht in 51 Urheberrechtsgesetz (UrhG) den zulässigen Umfang des Zitats vom Zweck abhängig. Gemäss deutscher Lehre und Rechtsprechung ist im Fall eines wissenschaftlichen Werks die 5 Übernahme eines ganzen fremden Werks als Grosszitat ins eigene Werk erlaubt. 6 [Rz 7] Im Fall von nicht-wissenschaftlichen Werken dürfen nur «Stellen eines Werks» zitiert werden, womit ein Vollzitat höchstens im Falle analoger Anwendung der Regelung für wissenschaftliche Grosszitate möglich wäre, was 7 in der deutschen Lehre umstritten ist. [Rz 8] Ein Blick über die Grenze lohnt sich; die Gesetzgebung gleicht der schweizerischen Regelung und die deutsche Lehre und Rechtsprechung hat zur Zulässigkeit des Zitats bzw. zum zulässigen Zitatumfang Kriterien entwickelt, die auch auf schweizerische Verhältnisse anwendbar sind. Insbesondere hat sie den Begriff des inneren Bezugs zwischen dem eigenen und einem fremden Werk geprägt. Dazu wird ausgeführt, dass das fremde Werk als «Beleg» des eigenen dienen bzw. eine «Erörterungsgrundlage» bilden und dass eine «Verarbeitung und Einreihung» 8 stattfinden müsse. Ein Zitat kann zum Beispiel als Unterstützung für den eigenen Standpunkt, aber auch als Verdeutlichung der Kritikpunkte am fremden Werk oder als Grundlage einer Interpretation oder weiterführender Gedanken dienen. 3. Verfassungskonforme Auslegung 9 [Rz 9] Gemäss dem Urteil Germania 3 des deutschen Bundesverfassungsgerichts geht die Zitierfreiheit im Kontext einer eigenständigen künstlerischen Gestaltung über die Verwendung des fremden Texts als Beleg hinaus. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts basiert auf einer Abwägung zwischen Kunstfreiheit auf der einen und Eigentum im Bereich des Urheberrechts auf der anderen Seite. Ein Künstler dürfe urheberrechtlich geschützte Texte auch ohne einen solchen inneren Bezug in sein Werk aufnehmen, soweit sie als solche «Gegenstand und 10 Gestaltungsmittel seiner eigenen künstlerischen Aussage bleiben». Aber auch in einem solchen Fall dürfe die Übernahme des fremden Texts nicht bloss der Anreicherung des eigenen Werks durch fremdes geistiges Eigentum 11 dienen, was auf Grund einer umfassenden Würdigung des gesamten Werks zu ermitteln sei. [Rz 10] Der deutsche Bundesgerichtshof führt in diesem Zusammenhang aus, dass nebst den Interessen des Urhebers die durch die Schrankenbestimmungen geschützten Interessen zu beachten und ihrem Gewicht entsprechend für die 12 Auslegung der gesetzlichen Regelung heranzuziehen seien. [Rz 11] Ob in der Schweiz eine Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Eigentumsgarantie dazu führen könnte, dass wie in Deutschland die am Wortlaut orientierte Auslegung von Art. 25 URG einer grosszügigeren, der verfassungsrechtlich geschützten Position des zitierenden Künstlers Rechnung tragenden Interpretation weichen 13 müsste, muss an dieser Stelle noch offen bleiben. Immerhin wird angemerkt, dass das Bundesgericht in seinem 14 Urteil Kreis c. Schweizerzeit die Meinung vertritt, dass der Gesetzgeber mit den Schrankenbestimmungen von Art. 19 28 URG Sachverhalte der Kollision verfassungsrechtlicher Grundrechte geregelt hat, indem er «den Ausgleich 15 der vorhandenen gegensätzlichen Interessen anstrebte». Entsprechend dem Grundsatz verfassungskonformer 16 Auslegung könne daher das Spannungsverhältnis von Grundrechten bei der Auslegung und Anwendung dieser 17 Bestimmungen berücksichtigt werden. In diesem Fall war allerdings nicht die Kunstfreiheit betroffen, sondern es stand die Eigentumsgarantie der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit gegenüber. 4. Zitatzweck [Rz 12] Der Zitatzweck ist bereits für die Zulässigkeit eines Zitats an sich entscheidend. Dient ein Zitat nicht zur Erläuterung, als Hinweis oder zur Veranschaulichung, ist es im Sinne von Art. 25 URG überhaupt unzulässig. Der Zitatzweck bildet aber auch das Kriterium zur Beurteilung des zulässigen Umfangs eines Zitats. Die äusserlich feststellbare Ausdehnung eines Zitats ist demnach für sich alleine unerheblich. Derselbe Text kann ein zulässiges Zitat sein, oder auch nicht. [Rz 13] Es erscheint durchaus sinnvoll, den deutschen Begriff des inneren Bezugs auch für schweizerische 18 Seite 2 von 5

Verhältnisse zu übernehmen, wie dies das Bundesgericht in seinem neuesten Entscheid zum Thema auch getan hat. Es leitet dabei die Voraussetzung des inhaltlichen Bezugs aus dem Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 URG ab. Zulässig sind Zitate zum Zweck der Erläuterung, als Hinweis oder zur Veranschaulichung, was stets einen inneren Bezug zwischen zitiertem und zitierendem Werk voraussetzt. Damit ist auch klar, dass durch den Zweck, wie er im Gesetz umschrieben ist, der zulässige Umfang eines Zitats begrenzt wird. Der Zweck des Zitats und sein zulässiger Umfang sind wechselseitig so aufeinander bezogen, dass nicht mehr, aber auch nicht weniger zitiert werden darf, als eben zur Erläuterung, als Hinweis oder zur Veranschaulichung des eigenen Werks hinreichend und notwendig ist. 5. Kein Ersatz für eigenes Denken [Rz 14] Sämtliche im Gesetz vorgesehenen Zwecke bedingen nebst einem inneren Bezug zwischen zitierendem und zitiertem Text auch, dass die eigenen Ausführungen des zitierenden Autors selbständig und in sich geschlossen sind. Der Zitierende darf sich eigene Ausführungen nicht ersparen; Zitate sind kein Ersatz für eigenes Denken. So hält sich, wer ein fremdes Werk nur deshalb im eigenen wiedergibt, um das eigene Werk zu vervollständigen, nicht im Rahmen des zulässigen Zitatzwecks. [Rz 15] Schliesslich dürfen Zitate nicht eingesetzt werden, um dem Leser die fremden Werke ihrer selbst Willen zur Kenntnis zu bringen. 19 [Rz 16] Ein Vollzitat ist dann und nur dann zulässig, wenn die übrigen Voraussetzungen für ein korrektes Zitat vorausgesetzt die vollständige Übernahme des fremden Werks für die Erfüllung des Zitatzwecks im Sinne von Art. 20 25 URG erforderlich ist. Allerdings ist eine solche Konstellation im Falle eines grösseren Sprachwerks schwer vorstellbar. 6. Unzumutbare Beeinträchtigung [Rz 17] Die deutsche Lehre und Praxis hat eine weitere Voraussetzung als ungeschriebenes Korrektiv geprägt, das Merkmal der unzumutbaren Beeinträchtigung der Interessen des Urhebers, insbesondere an der Nutzung des zitierten Werks. Abgeleitet wird dieses einerseits aus Art. 9 Abs. 2 RBÜ, welcher es den Verbandsländern überlässt, «die Vervielfältigung in gewissen Sonderfällen unter der Voraussetzung zu gestatten, dass eine solche Vervielfältigung weder die normale Auswertung des Werkes beeinträchtigt noch die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzt» und andererseits aus Art. 10 Abs. 1 RBÜ, der Zitate erlaubt, «sofern sie anständigen Gepflogenheiten entsprechen und in ihrem Umfang durch den Zweck gerechtfertigt sind». [Rz 18] Dieses Merkmal der unzumutbaren Beeinträchtigung soll korrigierend eingesetzt werden, wenn ein Zitat die Verwertung des Werks unzumutbar beeinträchtigt. Damit ist nicht die indirekte Beeinträchtigung des Werks etwa durch eine mit dem Zitat verbundene Kritik oder dadurch bewirkte Blossstellung, sondern die direkte 21 Substitutionskonkurrenz gemeint. Das Zitat bildet eine direkte Substitutionskonkurrenz, wenn es bereits so viel vom Werk beinhaltet, dass «ein ernsthafter Interessent davon abgehalten werden könnte», das zitierte Werk «selbst 22 heranzuziehen». [Rz 19] Das schweizerische URG bestimmt zwar den zulässigen Umfang eines Zitats ausschliesslich qualitativ durch 23 den Zweck. Da jedoch die RBÜ auch für die Schweiz anwendbar ist, kann das deutsche Kriterium der unzumutbaren Beeinträchtigung durchaus auf schweizerische Verhältnisse übertragen werden. Ein Zitat darf demgemäss nicht in einem solchen Umfang Kenntnis vom zitierten Werk verschaffen, dass ein Erwerb eines Exemplars des vollständigen Werks nicht mehr attraktiv wäre. 7. Fazit / Nagelproben [Rz 20] Der Zweck heiligt die Mittel? Im Prinzip ja, aber der zulässige Zweck ist gesetzlich vorgeschrieben und die Mittel müssen nebst dem Kriterium des Umfangs weiteren insbesondere formellen Kriterien genügen. Dem Zitierenden, der sich fragt, ob sein Zitat innerhalb des zulässigen Umfangs liegt, ist letztlich zu folgenden Seite 3 von 5

Nagelproben zu raten: Wird der Umfang des Zitats, durch einen der gesetzlich vorgeschriebenen Zwecke gedeckt? Was bleibt, wenn das Zitat weggedacht wird? Sind die eigenen Gedanken vollständig und in sich geschlossen? Die Autorin arbeitet im Advokaturbüro Martin Drück / Cornelia Stengel, Zürich, und ist dort vor allem im Bereich Medien- und Strafrecht tätig. Zum Thema Zitatrecht, insbesondere zu Fragen bezüglich Zitaten im Internet, im Bereich der Kunst und Fragen zum Zitieren von Abbildungen und Musik etc. sind weitere Beiträge geplant. 1 vgl. zum Begriff des inneren Bezugs auch nachfolgend Ziff. 2. 2 Von Büren/Marbach, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., N. 327: «Abgesehen von Ausnahmefällen (wie z.b. geschützten Buchtiteln, Kurzgedichten oder Werken der bildenden Kunst) darf ein Werk nur in Teilen zitiert werden». 3 Barrelet/Egloff, Urheberrecht, 1. Aufl., N. 4 zu Art. 25 URG, Zeile 2: «Trotzdem ist sein Umfang in jedem Fall beschränkt». 4 Barrelet/Egloff, a.a.o., Zeile 5 7: «Das Kriterium der Verhältnismässigkeit schliesst allerdings auch das Zitieren eines ganzen Werkes nicht aus. So kann ein Gedicht von wenigen Zeilen ohne weiteres vollständig zitiert werden». 5 Vgl. statt vieler Schricker/Schricker, 2. Aufl., 51 UrhG, N. 14ff. 6 51 Abs. 1 Ziff. 2 UrhG. 7 Meinungsstand bei Schricker/Schricker, 2. Aufl., 51 UrhG, N. 45. 8 vgl. dazu: Fromm/Nordemann/Vinck, Urheberrecht, 9. Aufl., 51, N. 4, die Rechtsprechung in BGH GRUR 1968, 607, 610 Kandinsky I und Schricker/Schricker, 2. Aufl., 51 UrhG; mit weiteren Hinweisen auf deutsche Rechtsprechung. 9 BVerfG GRUR 2001, 149 - Germania 3. 10 BVerfG GRUR 2001, 149 - Germania 3. 11 Vgl. zum Ganzen auch Peter Raue, Dogma von der restriktiven Auslegung der Schrankenbestimmungen des UrhG, in «Urheberrecht im Informationszeitalter», FS für Wilhelm Nordemann, München 2004, S. 327 339. 12 BGH, 24.1.2002 - I ZR 102/99 (S. 1005) - Verhüllter Reichstag. 13 Diese Frage wird in einem umfassenderen Werk aufgenommen werden. Vgl. Abspann. 14 Urteil 4C.393/2004 vom 22.6.2005 - Kreis c. Schweizerzeit. 15 Urteil 4C.393/2004 vom 22.6.2005, E. 3.1 - Kreis c. Schweizerzeit. 16 BGE 129 II 249, E. 5.4. und BGE 128 V 20, E. 3a mit Hinweisen. 17 Urteil 4C.393/2004 vom 22.6.2005, E. 3.1 - Kreis c. Schweizerzeit. 18 Urteil 4C.393/2004 vom 22.6.2005, Erw. 2 - Kreis c. Schweizerzeit. 19 Kennzeichnung als Zitat (Anführungs- /Schlusszeichen), Quellenangabe, etc. 20 Anders allenfalls bei Musik- und Bildzitaten. Vgl. Abspann. 21 Schricker/Schricker, 2. Aufl., 51 UrhG. 22 BGH GR UR 1986,59/61. 23 In Kraft getreten für die Schweiz am 25. September 1993. Seite 4 von 5

Rechtsgebiet: Urheberrecht Erschienen in: Jusletter 24. Oktober 2005 Zitiervorschlag:, in: Jusletter 24. Oktober 2005 Internetadresse: http://www.weblaw.ch/jusletter/artikel.asp?articlenr=4284 Seite 5 von 5